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  • · Fachbeitrag · Testament

    Ergänzende Testamentsauslegung bei unvorhergesehenem Vermögenserwerb

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Wenn der Erblasser durch letztwillige Zuwendung einer Sachgesamtheit den Nachlass erschöpfen und einen Bedachten zum Alleinerben einsetzen wollte, ist nach Ansicht des BGH im Einzelfall zu prüfen, ob die durch Auslegung ermittelte Erbeinsetzung nach dessen Regelungsplan auch einen nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen soll. |

    Sachverhalt

    Die verwitwete kinderlose Erblasserin (E) verstarb 2015. Der Beteiligte zu 2 war ihr letzter Lebensgefährte (L). Der Beteiligte zu 1 ist ihr Bruder (B). Die Beteiligte zu 3 ist eine Großnichte (GN) des vorverstorbenen Ehemanns der E. 2007 errichtete die E ein eigenhändiges Testament folgenden Inhalts:

     

    • Auszug aus dem eigenhändigen Testament der E
    • 1. Haus- und Grundbesitz inklusive der gesamten Einrichtung sollen ... [dem L] bis an sein Lebensende zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen. Er ist verpflichtet, den gesamten Besitz zu pflegen, ausreichend zu versichern und erforderliche Reparaturen zu veranlassen.
    • 2. Nach dem Ableben ... [des L] geht das gesamte Objekt an ... [die GN] über.
    • 3. Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für meine Beerdigung und die Grabpflege der Gruft und des Einzelgrabs meiner Mutter eingesetzt werden.
     

    Bei Testamentserrichtung, bestand das Vermögen der E fast nur aus der Immobilie. Kurz vor ihrem Tod erbte sie ein Vermögen. Der B und die GN haben je einen Erbschein beantragt, der sie jeweils als Alleinerben der E ausweist. Das Nachlassgericht hat die zur Begründung des Antrags der GN erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und den Erbscheinsantrag des B zurückgewiesen. Das OLG hat auch den Antrag der GN zurückgewiesen. Dagegen richtet sich erfolgreich die Rechtsbeschwerde der GN und erfolglos die Anschlussrechtsbeschwerde des B (BGH 12.7.17, IV ZB 15/16, Abruf-Nr. 196297).

     

     

    Entscheidungsgründe

    Für eine ergänzende Testamentsauslegung ist erforderlich, dass die letztwillige Verfügung eine ungewollte Regelungslücke aufweist. Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn der Erblasser ihn bedacht hätte (vgl. BGH WM 63, 999 = NJW 63, 1610). Ein nach Testamentserrichtung eingetretenes Ereignis kommt hierfür in Betracht, falls dessen Kenntnis für die Entschließung des späteren Erblassers bedeutsam gewesen wäre (Staudinger/Otte (2013), Vorb. zu §§ 2064 bis 2086 BGB Rn. 77). Das kann auch ein unerwarteter Vermögenserwerb des Erblassers sein (vgl. OLG München FamRZ 11, 1817, 1820 = ZErb 11, 212; MüKo/Rudy, BGB, 7. Aufl., § 2087 Rn. 12; Staudinger/Otte, a.a.O., Rn. 90).

     

    Ob danach von einer planwidrigen Unvollständigkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen ist, kann nicht schematisch anhand des Wortlauts der letztwilligen Verfügung festgestellt werden. Vielmehr ist eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände bei Testamentserrichtung vorzunehmen (MüKo/Leipold, BGB, 7. Aufl., § 2084 BGB Rn. 84; Soergel/Loritz, BGB, 13. Aufl., § 2084 BGB Rn. 38).

     

    Legt man die Annahme des Beschwerdegerichts zugrunde, die testamentarische Zuwendung des Hausgrundstücks sei als unbedingte Einsetzung der GN als Alleinerbin anzusehen, fehlt es bisher an tragfähigen Feststellungen zu einer ungewollten Regelungslücke. Das Testament ist nicht allein deswegen lückenhaft, weil die E bei Testamentserrichtung durch die Zuwendung einzelner Gegenstände über ihr gesamtes Vermögen verfügte und nachher erhebliches Vermögen hinzuerwarb, für das sie keine gesonderte Anordnung getroffen hat. Wenn der Erblasser durch Zuwendung einer Sachgesamtheit den Nachlass erschöpfend und gleichzeitig einen Bedachten zum Alleinerben einsetzen wollte, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die durch Auslegung ermittelte Erbeinsetzung nach dem Regelungsplan des Erblassers auch einen nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb erfassen sollte.

     

    Entscheidend ist mithin stets der Gesamtplan des Erblassers. Eine ergänzende Testamentsauslegung ist im Fall nachträglichen Vermögenserwerbs nicht allein deswegen eröffnet, weil es für die (ursprüngliche) Testamentsauslegung auf das Wertverhältnis der zugewandten Gegenstände ankam. Auch in diesen Konstellationen ist zunächst zu prüfen, ob sich die kraft Auslegung ermittelten letztwilligen Verfügungen des Erblassers angesichts der damit verfolgten Ziele als lückenhaft erweisen (vgl. MüKo/Leipold, a.a.O., § 2084 BGB Rn. 84). Hinreichende Feststellungen zum Regelungsplan der E fehlen bis jetzt.

     

    Ermittlung des hypothetischen Willens

    Wenn eine Regelungslücke unterstellt wird, setzt eine ergänzende Testamentsauslegung voraus, dass ein hypothetischer Wille der E ermittelt werden kann, anhand dessen die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte. Entscheidend ist der Wille der E, den sie vermutlich gehabt hätte, wenn sie die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung im Zeitpunkt ihrer Errichtung erkannt hätte. Insoweit darf ein den Verhältnissen entsprechender Erblasserwille nur unterstellt werden, wenn er auf eine bestimmte, durch Auslegung der letztwilligen Verfügung erkennbare Willensrichtung des Erblassers zurückgeführt werden kann (BGHZ 22, 357, 360). Lässt sich ein solcher Wille nicht feststellen, verbleibt es trotz vorhandener Regelungslücke bei dem bisherigen Auslegungsergebnis (vgl. OLG Hamm FamRZ 97, 121, 123; MüKo/Leipold, a.a.O., § 2084 Rn. 93; wohl a.A. Otte, ZEV 17, 146, 147).

     

    Auch einen entsprechenden hypothetischen Willen hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Vielmehr hat es ausschließlich auf den von ihm angenommenen tatsächlichen Willen der E abgestellt, nach dem die GN nur das Hausgrundstück habe erhalten sollen. Im Übrigen hat es sich darauf beschränkt, das Fehlen von Anhaltspunkten festzustellen, die für eine Erbenstellung der GN und gegen einen letztwilligen Ausschluss der gesetzlichen Erbfolge sprächen. Von diesem Ansatzpunkt aus konsequent hat es schließlich auf die gesetzliche Auslegungsregel des § 2088 Abs. 1 BGB abgestellt. Diese kann aber die Ermittlung des maßgeblichen hypothetischen Erblasserwillens nicht ersetzen. Die fehlende Feststellung kann der Senat nicht nachholen. Wenn der hypothetische Erblasserwille nicht festgestellt werden kann, bleibt es bei der Erbeinsetzung, wie sie sich nach Auslegung des Testaments ergibt.

     

    Auslegung des Testaments

    Es gibt folgende Auslegungsmöglichkeiten für das Testament. Möglich ist, dass die GN Erbin geworden ist und der L als Vermächtnis ein Wohnrecht erhalten hat. Möglich ist aber auch, dass der L Vorerbe und die GN Nacherbin werden sollte. Welche Erbeinsetzung vorliegt, ist nicht hinreichend festgestellt.

     

    In der Zuwendung der Immobilie liegt aber eine Erbeinsetzung. Bei einer testamentarischen Zuwendung einzelner Gegenstände greift die Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB nicht, wenn durch Auslegung die Zweifel überwunden sind, die zur gegenteiligen Auslegung als Vermächtnis durchgreifen müssten (BGH WM 72, 780). Eine Erbeinsetzung kann trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände anzunehmen sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären und nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte (BGH ZEV 00, 195 m.w.N.).

     

    Ebenso begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, die Zuwendung des wertmäßigen Hauptnachlassgegenstands, etwa eines Hausgrundstücks, als Erbeinsetzung des Bedachten anzusehen, wenn der Nachlass dadurch im Wesentlichen erschöpft wird oder der objektive Wert das übrige Vermögen an Wert so erheblich übertrifft, dass der Erblasser ihn als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat (BayObLG FamRZ 06, 147, 148; BayObLGR 05, 34 = FamRZ 05, 1202; OLG Naumburg OLGR 07, 355 f. = FamRZ 07, 943).

     

    In solchen Fällen ist die Erbeinsetzung die Regel, weil sonst im Fall des Fehlens weiterer Indizien die gesetzliche Zweifelsregelung eingriffe und zu dem vom Erblasser mutmaßlich nicht gewollten Ergebnis führte, dass es an einer Berufung von Erben durch letztwillige Verfügung überhaupt mangelt (vgl. BGH DNotZ 72, 500; MüKo/Rudy, a.a.O., § 2087 BGB Rn. 9).

     

    Für die Auslegung, ob die GN Erbin oder nur Nacherbin nach dem Vorerben (L) geworden ist, ist entscheidend, wer nach dem Willen der E den Nachlass regeln und die Nachlassschulden, zu denen auch die Bestattungskosten zählen, tilgen muss und ob der Bedachte unmittelbare Rechte am Nachlass oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll (BayObLG FamRZ 86, 835, 837; MüKo/Rudy, a.a.O., Rn. 8). Dies ist nicht aufgeklärt.

     

    Anschlussbeschwerde

    Die Anschlussbeschwerde des B ist erfolglos. Denn das Testament ist so auszulegen, dass zumindest einer der im Testament genannten Bedachten gewillkürter Erbe werden sollte. Es ist nicht ersichtlich, dass die E trotz vollständiger Verteilung ihres im Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorhandenen Nachlasses überhaupt keinen Erben berufen wollte. Auch eine mögliche ergänzende Testamentsauslegung kann zwar zu einer abweichenden Erbfolge führen. Ausgeschlossen ist aber, dass die ursprüngliche Einsetzung des oder der durch die E gewillkürten Erben gänzlich entfällt. Denn die Berufung zum Erben setzt nicht voraus, dass ihm ein mehr oder weniger großer oder sogar der größte Teil des Nachlasses verbleibt (BGH ZEV 04, 374).

    Relevanz für die Praxis

    Dieser Fall zeigt, einerseits, welche Auslegungsschwierigkeiten Testamente bereiten, wenn sie keine ausdrückliche Erbeinsetzung, sondern nur die Zuwendung einzelner Gegenstände enthalten. Die Annahme liegt regelmäßig fern, der Erblasser hätte, wenn er sich Gedanken über Funktion und Notwendigkeit der Erbenstellung gemacht hätte, die Abwicklung des Nachlasses durch im Testament nicht bedachte gesetzliche Erben der Abwicklung durch die Vermächtnisnehmer vorgezogen (vgl. Otte, ZEV 17, 146, 147).

     

    Häufig ist fraglich, ob in der Zuwendung von Einzelgegenständen eine Erbeinsetzung liegt. Das OLG Schleswig hatte bei der Einsetzung der Bedachten „als Erbin meiner Wohnung“ ‒ deren Wert 78 Prozent des Nachlasses ausmachte ‒ und gleichzeitiger Berufung von zwei Testamentsvollstreckern Zweifel an der Berufung der Bedachten zur Alleinerbin (FamRZ 16, 406).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Otte, ZEV 17, 146, Anmerkung zu OLG Düsseldorf (5.8.16, I-3 Wx 74/16, Vorinstanz): Zu den Auswirkungen eines nachträglichen Vermögenserwerbs des Erblassers auf eine zuvor durch testamentarische Einzelzuwendung getroffene Alleinerbeinsetzung
    Quelle: Ausgabe 11 / 2017 | Seite 184 | ID 44868431