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  • · Fachbeitrag · Beschränkungen und Beschwerungen

    Anfechtbar: Erbschaftsannahme des Pflichtteilsberechtigten

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Ein mit Beschwerungen als Erbe eingesetzter Pflichtteilsberechtigter kann ggf. die Annahme der Erbschaft durch Versäumung der Ausschlagungsfrist anfechten, wenn er über die Rechtsfolgen des § 2306 Abs. 1 BGB irrt. Daran hat § 2306 Abs. 1 BGB n.F. nichts geändert, so der BGH aktuell. |

     

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (E) setzte die Beklagte (ihre Tochter T) als Miterbin zu 1/4 ein und belastete sie u. a. zugunsten des Klägers mit einem Vorausvermächtnis. Dieses belastete sie später mit einem Untervermächtnis zugunsten der T. Die T erhielt im März 2012 Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen. Im Juni 2012 focht sie die Versäumung der Ausschlagungsfrist an und schlug das Erbe aus. Sie habe geglaubt, dass sie vom Nachlass ausgeschlossen wäre, auch bezüglich der Pflichtteilsansprüche und des Untervermächtnisses, wenn sie ausschlage. Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die T Miterbin zu 1/4 ist. Die T hat widerklagend beantragt, den Kläger zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung wegen der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. der zugleich erhobenen Drittwiderstufenklage gegen die Drittwiderbeklagten (Erben und Beschenkten) in den Nachlass zu dulden. Das LG hat der Klage stattgegeben. T blieb erfolglos. Auf ihre Revision wurde die Sache zurückverwiesen.

     

    Auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1.1.2010 kann ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren (Abruf-Nr. 187417).

     

    Entscheidungsgründe

    Es kann sein, dass die T einem beachtlichen Rechtsfolgenirrtum (§ 119 Abs. 1 BGB) unterlegen ist. Die Sonderregeln der §§ 1954, 1955, 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe nicht (BGHZ 168, 210 = ZEV 06, 1519 = FamRZ 06, 1519). Ein Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1, Alt. 1 BGB) liegt auch vor, wenn der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt. Er berechtigt nur anzufechten, wenn das Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGHZ 168, 210 = s. o.). F hat über die Rechtsfolgen des § 2306 BGB geirrt. Daran ändert auch dessen Neufassung ab dem 1.1.10 nichts. Ein beachtlicher Irrtum über seine Rechtsfolgen ist nach wie vor möglich.

     

    Die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Erbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er müsse das Erbe annehmen, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren, rechtfertigt es, die Annahme des Erbes anzufechten (BGHZ 168, 210 = s. o.). Wenn der Erbteil zwar größer als der Pflichtteil ist, den Erben aber beschränkt oder beschwert, führt dessen Annahme dazu, dass der Erbe die ihm zugedachte Rechtsstellung annimmt. Er verliert aber auch das Wahlrecht gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB, sich für den ggf. dem Wert nach günstigeren Pflichtteilsanspruch zu entscheiden.

     

    MERKE | Dasselbe gilt, wenn die Erbschaft dadurch angenommen wird, dass Ausschlagungsfrist verstreicht.

     

    Nach § 2306 Abs. 1 BGB n.F. differenziert der Gesetzgeber nicht mehr danach, ob der beschränkte oder beschwerte Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigt oder nicht. Nun muss der Erbe, wenn er den Pflichtteil will, in jedem Fall den Erbteil ausschlagen (BT-Drucksache 16/8954, 20). Auch nach § 2306 Abs. 1 BGB n.F. ist ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum möglich. Der geänderte § 2306 Abs. 1 BGB sorgt zwar für mehr Rechtsklarheit (BT-Drucksache, a.a.O.). Der Erbe muss aber weiterhin abwägen, ob er den beschränkten oder beschwerten Erbteil annimmt oder ihn ausschlägt und den Pflichtteil verlangt. Um einen bloßen Kalkulationsirrtum handelt es sich hierbei nicht. Denn der Erbe wird i. d. R. nicht wissen, dass er das Erbe ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch zu behalten. § 2306 Abs. 1 BGB steht im Gegensatz zu dem sonstigen Grundsatz, dass der Erbe bei der Erbausschlagung jede Nachlassbeteiligung verliert, § 1953 Abs. 1 und 2 BGB. Vielmehr kommt es in derartigen Fällen in Betracht, dass ein Erbe die Erbschaft nur deshalb annimmt, weil er davon ausgeht, dann einen Pflichtteilsanspruch zu haben.

     

    Zu einem Irrtum über die Folgen der Annahme der Erbschaft kann es nach neuem Recht umso mehr kommen, als der Erbe unabhängig von der Größe des Erbteils die Erbschaft stets ausschlagen muss, um den Pflichtteil verlangen zu können. Nach früherem Recht war dies nicht erforderlich, wenn die Höhe des Erbteils die Hälfte des gesetzlichen Erbteils nicht überstieg. Maßgebend ist wie bisher, dass die T durch die Annahme der Erbschaft ihr Wahlrecht verliert und den möglicherweise günstigeren Pflichtteilsanspruch nicht mehr geltend machen kann. Dieser Verlust des Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge solchen Verhaltens ist zwingende Folge der Annahme der Erbschaft.

     

    Zu klären ist, ob die T vor Ablauf der Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB einem Irrtum unterlegen ist, sowie, ob sie bereits Kenntnis von ihrem Irrtum vor Ablauf der Anfechtungsfrist des § 1954 Abs. 1 BGB hatte.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der BGH hat einen wichtigen Streit entschieden. In der Literatur wurde teilweise angenommen, aufgrund der Neufassung könne ein beachtlicher Irrtum über die Reichweite des § 2306 Abs. 1 BGB nicht mehr bestehen (z. B. Damrau/Riedel, Erbrecht, 3. Aufl., § 2306 Rn. 46; zweifelnd MüKo/Lange, BGB, 6. Aufl. § 2306 Rn. 28). Der BGH hat sich der wohl h.M. angeschlossen, dass weiterhin ein beachtlicher Irrtum möglich ist (z. B. MüKo/Leipold, a.a.O., § 1954 Rn. 10).

    Quelle: Ausgabe 09 / 2016 | Seite 146 | ID 44186814