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  • 14.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113045

    Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 10.06.2011 – 19 U 13/11

    Das Kreditinstitut genügt seiner Pflicht, im Erbfall ihres Kunden die erbrechtliche Verfügungsberechtigung zu prüfen, wenn ihr ein notariell beurkundetes Testament des Erblassers vorgelegt wird; dies gilt auch dann, wenn das Testament auf einen Erbvertrag Bezug nimmt, der eine abweichende Erbeinsetzung vorsieht, die Unwirksamkeit der testamentarischen Verfügung wegen dieser Abweichung jedoch erst im Wege einer Vertragsauslegung erkennbar wird; dies gilt insbesondere dann, wenn sowohl der Erbvertrag als auch das Testament vom selben Notar beurkundet wurden und das Kreditinstitut auf dessen Prüfung der Wirksamkeit der testamentarischen Verfügung vertraut.


    19 U 13/11

    Tenor:
    Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.12.2010 verkündete Schlussurteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert:

    Die Klage wird auch im Übrigen abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtstreits hat der Kläger zu tragen, mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten im Verhandlungstermin vom 15.6.2010 entstandenen Säumniskosten, die die Beklagte zu tragen hat.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe
    I.

    Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen unberechtigter Freigabe von in einem Depot seines Vaters befindlicher Vermögenswerte nach dessen Ableben an die zweite Ehefrau des Erblassers geltend.
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    Der Kläger ist nach rechtskräftiger Feststellung durch Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 14.1.2009 als durch einen notariell beurkundeten Erb- und Erbverzichtsvertrag seiner Eltern vom ....9.1980 eingesetzter befreiter Vorerbe Alleinerbe seines am ....2005 letztverstorbenen Vaters.
    2
    Hinsichtlich des Inhalts des Erb- und Erbverzichtsvertrages wird auf Bl. 28 ff. d.A. verwiesen. Der Erblasser heiratete am ....4.2004 Frau A, verheiratete B, nunmehr C. Bereits am ....1.2004 hatte der Erblasser ein notarielles Testament errichtet, in dem er seine damalige Lebensgefährtin A als Alleinerbin einsetzte. Wegen des Inhalts des Testaments im Einzelnen wird auf Bl. 36 ff. d.A. verwiesen. Der Erblasser unterhielt bei der Beklagten ein Depot, das zum Zeitpunkt des Erbfalles Fondsanteile im Wert von ca. 80.000,00 EUR aufwies.
    3
    Unter Vorlage des notariellen Testaments vom ....1.2004 sowie des Erb- und Erbverzichtsvertrages vom ....9.1980 beauftragte Frau C die Beklagte, die Fondsanteile auf ihr eigenes Depot zu übertragen. Die Beklagte führte diesen Auftrag aus. Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz in Höhe des Wertes der Fondsanteile sowie des weiteren Ersatz des ihm entgangenen Gewinns in Höhe von mehr als 18.000,00 EUR.
    4
    Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, das Depotguthaben auf Frau C zu übertragen. Sie hätte erkennen können, dass das Frau C als Alleinerbin einsetzende Testament wegen der entgegenstehenden Bestimmungen des Erb- und Erbverzichtsvertrages seiner Eltern unwirksam war. Sie sei ihrer auch in Ziffer 20 der Depotbedingungen normierten Prüfpflicht hinsichtlich der Erbberechtigung der Frau C nicht nachgekommen und habe daher ihre Verpflichtungen aus dem Depotvertrag verletzt. Hinsichtlich des geltend gemachten entgangenen Gewinns hat der Kläger die Auffassung vertreten, für die Schadensberechnung sei der Kursgewinn zu berücksichtigen, den der Kläger erzielt hätte, wenn die Fondanteile in dem Depot verblieben wären. Desweiteren hat der Kläger Auskunftsansprüche geltend gemacht.
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    Das Landgericht hat am 26.1.2010 gegen den säumigen Kläger klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen. Im Einspruchstermin vom 15.6.2010 hat die Beklagte hinsichtlich des Zahlungsanspruchs des Klägers wegen einer am tag zuvor bei Gericht eingegangenen, auf Zahlung weiterer 18.435,11 EUR nebst Zinsen gerichteten, Klageerweiterung keinen Antrag gestellt.
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    Das Landgericht hat mit Teilversäumnis- und Teilurteil vom 13.7.2010 unter teilweiser Abänderung des Versäumnisurteils vom 26.1.2010 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 80.254,37 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2009 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers gegen Frau C und hat die Klage im Übrigen (mit Ausnahme des Betrages der Klageerwiderung) abgewiesen.
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    Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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    das Teilversäumnisurteil vom 13.7.2010 aufrechtzuerhalten und die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger weitere 18.435,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.6.2010 zu zahlen, hilfsweise Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers gegen Frau C.
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    Die Beklagte hat beantragt,
    10
    die Klage abzuweisen.
    11
    Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Übertragung der Depotwerte auf ein Depot der C nicht pflichtwidrig gehandelt zu haben, da sie auf deren Erbberechtigung auf Grund des vorgelegten notariell beurkundeten und eröffneten Testaments habe vertrauen dürfen.
    12
    Im Übrigen hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben und das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers wegen Frau C zustehender Pflichtteilsansprüche und der für den Kläger bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit in Abrede gestellt.
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    Das Landgericht hat mit am 14.12.2010 verkündeten und der Beklagten am 15.12.2010 zugestellten Urteil das Teilversäumnisurteil vom 13.7.2010 aufrechterhalten und die Beklagte auch hinsichtlich der geltend gemachten Klageerweiterung zur Zahlung verurteilt. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die der Beklagten vor der Depotübertragung vorliegenden Urkunden hätten sie veranlassen müssen, eine Übertragung der Depotwerte abzulehnen, da die Erbenbestimmung in dem Erb- und Erbverzichtsvertrag einerseits und dem notariellen Testament andererseits hinsichtlich der Erbeinsetzung widersprüchlich seien. Ob die Beklagte hätte meinen dürfen, klüger als das Landgericht Bad Kreuznach sein zu dürfen, sei unerheblich. Hiergegen und gegen die Zuerkennung eines Anspruchs des Klägers auf entgangenen Gewinn richtet sich die am 17.1.2011 (Montag) eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.3.2011 am letzten Tag der Frist begründete Berufung der Beklagten.
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    Sie rügt eine fehlerhafte Rechtsauffassung des Landgerichts. Sie vertritt die Auffassung, sie sei berechtigt gewesen, die Übertragung der Depotwerte auf Frau C vorzunehmen. Die eröffnete notarielle Verfügung von Todes wegen durch den Erblasser sei zum Nachweis der Erbenstellung der Frau C ausreichend gewesen. Auf die Richtigkeit und Wirksamkeit einer notariell beurkundeten letztwilligen Verfügung habe sie vertrauen dürfen, zumal der das Testament protokollierende Notar auch den Erb- und Erbverzichtsvertrag der Eltern des Klägers protokolliert habe und dieser Vertrag auch ausdrücklich im Testament des Erblassers genannt und darin dessen Bestimmungen im Erb- und Erbverzichtsvertrag unter Hinweis auf den darin erklärten Vorbehalt aufgehoben wurden. Im Übrigen vertritt die Klägerin die Ansicht, dass die Schadensberechnung unschlüssig sei, da der Kläger allenfalls Anspruch auf Ersatz des Depotwertes zum Zeitpunkt des Erbfalles habe.
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    Die Beklagte beantragt,
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    das am 14.12.2010 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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    Der Kläger beantragt,
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    die Berufung zurückzuweisen.
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    Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
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    Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils sowie auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.
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    II.

    Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat Erfolg.
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    Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung von Pflichten aus dem mit dem Erblasser abgeschlossenen Depotvertrag (§ 280 Abs. 1 BGB).
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    Die Beklagte war nicht verpflichtet, sich von Frau C vor Ausführung deren Auftrages, die Depotwerte des Depots des Erblassers auf ihr eigenes Depot zu übertragen, einen Erbschein vorlegen zu lassen. Eine solche Pflicht ergibt sich nicht aus Ziff. 20 des Depotvertrages, in der lediglich geregelt ist, dass die Beklagte unter bestimmten Umständen berechtigt ist, sich einen Erbschein vorlegen zu lassen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Vorlage eines Erbscheins folgt daraus nicht.
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    Die Beklagte war auch nicht auf Grund ihrer im Erbfall ihres Kunden den Erben gegenüber bestehenden Pflicht zur Prüfung der Erbenstellung vor der Vornahme von Vermögensverfügungen verpflichtet, sich von Frau C einen Erbschein vorlegen zu lassen oder sonstige Erkundigungen einzuholen, etwa, wie der Kläger meint, bei ihm nachzufragen, ob die Erbenstellung der Frau C umstritten ist. Vielmehr durfte die Beklagte auf Grund des ihr vorgelegten notariellen Testaments des Erblassers von einer Alleinerbenstellung der Frau C ausgehen, ohne dabei ihre Prüfpflichten verletzt zu haben.
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    Der Umfang der der Beklagten obliegenden Pflicht, die zum Beleg der Erbberechtigung vorgelegten Urkunden zu überprüfen, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Beklagte konnte ohne Fahrlässigkeit davon ausgehen, dass die in dem notariellen Testament niedergelegte erbrechtliche Situation zutreffend war. Das Testament bestimmte Frau C als Alleinerbin. Eine davon abweichende Erbenstellung des Klägers als befreiter Vorerbe ergab sich zwar aus dem Erb- und Erbverzichtsvertrag der Eltern des Klägers, der der Beklagten ebenfalls vorgelegt wurde. Dennoch musste die Beklagte allein auf Grund der unterschiedlichen Regelungen zur Erbeinsetzung keine begründeten Zweifel an der Alleinerbenstellung der Frau C haben. Das vorgelegte Testament des Erblassers nimmt Bezug auf den Erb- und Erbverzichtsvertrag und eine in diesem enthaltene Vorbehaltsklausel zugunsten des Erblassers. In dem notariellen Testament machte der Erblasser von diesem einseitigen Vorbehalt, die Bestimmungen des Erb- und Erbverzichtsvertrages "aufzuheben, abzuändern oder neue Verfügungen von Todes wegen auch einseitig zu treffen", ausdrücklich Gebrauch. Wegen dieser besonderen Vorbehaltsregelung kann entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts allein auf Grund einer vermeintlichen Widersprüchlichkeit der Erbeinsetzungen eine Veranlassung der Beklagten, die Übertragung der Depotwerte abzulehnen, nicht angenommen werden. Mit Rücksicht auf die Vertragsfreiheit, die auch für den Abschluss von Erbverträgen gilt, ist es nämlich zulässig, dass die Parteien in dem Erbvertrag gemäß §§ 2298, 2299 BGB dem Erblasser das Recht vorbehalten, in späteren letztwilligen Verfügungen abweichende Bestimmungen zu treffen (BGHZ 26, 204 ff., 208). Die für die Erbenstellung entscheidende Frage ist dabei die nach der Wirksamkeit dieses grundsätzlich zulässigen Änderungsvorbehalts im Erbvertrag. Dies wiederum bestimmt sich nach dem Umfang des Vorbehalts in Bezug auf die als abänderbar bezeichneten Regelungen des Erbvertrages. Eine solche Beurteilung ist nur möglich durch eine, ggf. ergänzende, Vertragsauslegung, nämlich auf Grund einer Auslegung des Zuwendungszwecks der Regelungen des Erbvertrages einerseits und des Umfangs der Vorbehaltsklausel andererseits. Nur dann, wenn der Vorbehalt im Einzelfall so weit geht, dass er den Erbvertrag seines Wesens entkleidet und zudem so weit gefasst ist, dass nicht mehr festgestellt werden kann, welches Recht dem vertragsmäßig Bedachten bindend zugewandt sein soll, ist von einer Unwirksamkeit des Änderungsvorbehalts auszugehen (BGHZ 26, 204 ff.209; ihm folgend LG Bad Kreuznach, Urteil vom 21.11.2008 - Az.: 3 O 83/08 -; OLG Koblenz, Urteil vom 16.1.2007 - Az.: 11 U 1272/06 -).
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    Eine solche umfängliche rechtliche Prüfpflicht, die im Wege der Vertragsauslegung eine Bestimmung des Willens der Parteien des Erbvertrages sowie den des Regelungsumfanges des hierzu in Relation stehenden Änderungsvorbehalts enthalten müsste, besteht für eine Bank grundsätzlich nicht. Das gilt bereits auch deshalb, weil für diese Auslegung ggf. weitere Erkundigungen erforderlich wären. Im Tagesgeschäft der Banken kann eine solche Prüfungspflicht grundsätzlich nicht verlangt werden. Dies gilt vorliegend insbesondere auch deshalb, weil das notarielle Testament des Erblassers von demselben Notar beurkundet wurde, der auch den Erb- und Erbverzichtsvertrag beurkundete. Der Notar ist bei der Beurkundung einer letztwilligen Verfügung gemäß § 17 BeurkG verpflichtet, deren rechtliche Zulässigkeit und Wirksamkeit zu prüfen (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 2.9.2004 - Az.: 11 U 48/03 - [...]) Dabei geht es entgegen der vom Kläger im Schriftsatz vom 26.5.2011 geäußerten Rechtsansicht nicht nur um die Prüfung einer Urkunde auf deren inhaltliche Richtigkeit, sondern auch um die Prüfung der rechtlichen Wirksamkeit des Inhalts des Testaments. Die Beklagte durfte sich daher auch darauf verlassen, dass der Notar diese Prüfung vorgenommen und die Wirksamkeit der von dem Erblasser im Testament auf der Grundlage des Änderungsvorbehalts erklärten Verfügungen angenommen hat. Ihr musste sich hingegen gerade nicht aufdrängen, dass der Änderungsvorbehalt des Erblassers in dem Erb- und Erbverzichtsvertrag unwirksam ist. Daher bestand für sie auch keine Veranlassung zu weiteren Nachforschungen.
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    Es geht im Übrigen auch nicht um die vom Landgericht erörterte Frage, ob die Beklagte annehmen durfte, klüger sein zu müssen wie das Landgericht Bad Kreuznach, sondern allein darum, dass für die Beklagten eine der gerichtlichen Beurteilung vergleichbare Prüfpflicht nicht bestand.
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    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO. Die Verpflichtung zur Tragung der Säumniskosten beruht auf der Säumnis der Beklagten im Termin vom 15.6.2010. Die Beklagte war auch in Ansehung des ihr erst im Termin übergebenen, eine Klageerweiterung beinhaltenden Schriftsatzes nicht gehindert, hinsichtlich der im Übrigen gestellten Anträge zu verhandeln. Auf die Nichteinhaltung der Einlassungsfrist des § 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann sie sich insoweit nicht mit Erfolg berufen.
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    Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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    Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 280 Abs. 1 BGB § 2298 BGB