11.12.2014 · IWW-Abrufnummer 143450
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 26.05.2014 – 2 O 31/13
Gestörte familiäre Verhältnisse können nur im Ausnahmefall dazu führen, dass der Pflichtige nicht zur Erstattung aufgewandter Bestattungskosten herangezogen werden soll, etwa wenn der Verstorbene gegen den Bestattungspflichtigen sehr schwere Straftaten begangen hat (Tötungsversuch, sexueller Missbrauch oder ähnliches).
Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein
Beschl. v. 26.05.2014
Az.: 2 O 31/13
In der Verwaltungsrechtssache
...
Kläger und Beschwerdeführer,
Proz.-Bev.: ...
gegen
das Amt Nortorfer Land Der Amtsdirektor,
Niedernstraße 6, 24589 Nortorf, - -
Beklagter und Beschwerdegegner,
Streitgegenstand: Bestattungs- und Friedhofsrecht hier: Prozesskostenhilfe
hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts in Schleswig am 26. Mai 2014
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer -vom 26.05.2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Die Beschwerde bleibt erfolglos, denn das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgelehnt.
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass der Kläger für seine verstorbene Mutter bestattungspflichtig ist und seine Heranziehung zu den Beisetzungskosten keine unbillige Härte bedeutet. Der Vortrag des Klägers lässt keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme erkennen. Der Senat folgt den Darlegungen des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss und stellt dies fest (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Im Hinblick auf das Vorliegen einer unbilligen Härte ist auszuführen: Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass gestörte familiäre Verhältnisse im Ausnahmefall dazu führen können, dass der gem. § 13 Abs. 2 i.V.m. § 2 Nr. 12 BestattG und §§ 230, 238 LVwG Pflichtige nicht zur Erstattung aufgewandter Bestattungskosten herangezogen werden soll. Die Voraussetzungen dafür sind von den Verwaltungsgerichten aller Bundesländer jedoch äußerst eng geschnitten worden.
Eine unbillige Härte wird in Nordrhein-Westfalen in Anlehnung an die unterhaltsrechtlichen Bestimmungen in § 1611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1579 BGB z.B. dann gesehen, wenn der Verstorbene sich eines schweren Vergehens gegen den Pflichtigen schuldig gemacht hat (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15.10.2001 - 19 A 571/00 -; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urt. v. 18.02.2009 - 23 K 1676/08 -). Eine Verpflichtung des Angehörigen zur Bestattung würde dessen Menschenwürde beeinträchtigen (so jedenfalls Verwaltungsgericht Köln, Urt. v. 20.03.2009 - 27 K 5617/07 -), dies allerdings nur dann, wenn der Verstorbene nachweislich schwere Straftaten gegen die körperliche Integrität des Bestattungspflichtigen begangen hat. Eine unbillige Härte liegt nach dieser Rechtsprechung z.B. vor, wenn der Verstorbene einen tätlichen Angriff auf seine Ehefrau und seinen Sohn verübt hatte und beide dadurch, dass sie für finanzielle Forderungen gegen den Verstorbenen in Anspruch genommen wurden, an den Rand des Existenzminimums getrieben worden sind (VG Düsseldorf, Urt. v. 22.10.2010 - 23 K 3310/08 -).
In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Anknüpfung an die unterhaltsrechtlichen Ausschlusstatbestände des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 1611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1579 BGB) eine Besonderheit des nordrhein-westfälischen Landesrechts ist und nicht verallgemeinernd auch auf die rechtliche Lage in den anderen Landesrechten übertragen werden sollte.
Gänzlich anders stellt sich nämlich die Rechtslage oder doch zumindest die Rechtsprechung im Bundesland Bayern dar. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgericht Ansbach (Urt. vom 07.07.2005 - AN 4 K 05.02104 -) sieht das bayerische Landesrecht keine Möglichkeit vor, bei der Heranziehung eines Bestattungspflichtigen zu seinen Gunsten - etwa als unbillige Härte - gestörte Familienverhältnisse zu berücksichtigen.
Umstände, die die Annahme eines besonderen Ausnahmefalls und damit eine Befreiung von der Bestattungspflicht rechtfertigen, können nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen angenommen werden. Dies entspreche erkennbar auch dem in Art. 6 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Leitbild der Familie als Solidargemeinschaft (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 09.06.2008 - 4 Z.B. 07.2815 -).
Die Rechtsprechung in Hamburg ist noch strenger. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgericht Hamburg vom 26.05.2010 (- 5 Bf 34/10 -, NordÖR 2011, 43) enthält der strikte Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 7 BestG keinen Ansatz für die Interpretation, die seine Geltung in Fällen angeblicher Unzumutbarkeit ausschließt. Gegen die fallweise Nichtanwendung einer einschränkungslos formulierten gesetzlichen Regelung im Wege der "verfassungskonform einschränkenden Auslegung" würden vor dem Hintergrund der Rechtsprechung erhebliche Bedenken geltend gemacht. Eine aus verfassungsrechtlichen Gründen in bestimmten Fällen für zu strikt gehaltene Gesetzesvorschrift dürfe nicht einfach unangewandt bleiben. Vielmehr sei die alleinige Verwerfungskompetenz des Landes- bzw. des Bundesverfassungsgerichts zu beachten.
Dem mag man in dieser keine Ausnahmem öglichkeit zulassenden Strenge nicht folgen. So hat sich deshalb die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Hamburg in dem vom Kläger in seiner Klagschrift auszugsweise zitierten Urteil vom 16.12.2009 - 9 K 280/09 - nicht angeschlossen und angenommen, dass der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in krassen Ausnahmesituationen ein Absehen von der Erstattungspflicht fordere. Allerdings ist zu beachten, dass es in jenem Verfahren - insoweit vom Kläger in seiner Klagschrift nicht wiedergegeben - um einen 36 Jährigen ging, bei dem das Verhältnis zu seinen Eltern, insbesondere zu seinem verstorbenen Vater, in Kindheit und Jugend gerade nicht von menschlicher Nähe und elterlicher Fürsorge, sondern im Gegenteil von extremer Gleichgültigkeit und, wenn auch nicht körperlicher Gewalt, so doch seelischer Grausamkeit geprägt war. Nach der Trennung der Eltern war der Kläger als Zehnjähriger zunächst bei seiner Mutter geblieben, die sich wegen wechselnder Männerbekanntschaften allerdings nicht nur nicht um ihn kümmerte, sondern auch häufig aus der Wohnung aussperrte. Der Kläger zog darauf zu seinem Vater, der jedoch wegen seiner Alkoholsucht die Miete nicht zahlte, so dass sie die Wohnung verloren und ein Zimmer auf dem Kiez beziehen mussten. Auch der Vater war nicht in der Lage, für seinen Sohn zu sorgen. Dies führte zur Überzeugung des Gerichts sogar dazu, dass der Kläger nicht nur elterliche Fürsorge und Unterhalt entbehren, sondern vielmehr schon als 12- oder 13-jähriger mit seinem Einkommen zum Lebensunterhalt seines Vaters in der Weise mit beitragen musste, dass sein eigenes Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet wurde. Ebenso war das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger - wie von ihm geschildert - bereits als 14jähriger seinen Vater und das gemeinsam bewohnte Zimmer nach einem Wutanfall seines Vaters verließ. Er fand zunächst in einer Einrichtung des betreuten Wohnens und dann in einer Jugendwohnung Betreuung, die ihm seine eigene Familie in keinster Weise hatte geben können. Seitdem bestand zwischen dem Kläger und seinem Vater kein Kontakt mehr. Nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen hatte, habe der Kläger, obwohl er inzwischen 36 Jahre alt sei, auch heute noch unter dieser Missachtung und dem völligen Fehlen jeglicher Fürsorge seiner Eltern gelitten.
Die vom Kläger in Anspruch genommene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg öffnet somit lediglich die Möglichkeit, dass in Härtefällen von der Kostenerstattung Abstand genommen wird, gibt für das Vorliegen einer solchen Härte im gegebenen Sachverhalt nichts her.
Die Gründe für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Bestattungspflicht naher Angehöriger rechtfertigen es regelmäßig, die Pflicht zur Kostentragung an die Bestattungspflicht zu koppeln. Bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls kann das grundsätzliche Interesse der Allgemeinheit an der Übernahme der Bestattungskosten durch die Angehörigen hinter das Interesse des bestattungspflichtigen Angehörigen, von der Heranziehung zu den Kosten verschont zu bleiben, zurücktreten. Die Heranziehung des eigentlichen Bestattungspflichtigen zu den Bestattungskosten nach § 13 Abs. 5 FBG i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 HSOG kann bei schwerwiegenden Verfehlungen, wie sie sich in Straftaten von erheblichem Gewicht (Mord, Totschlag, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch) realisieren, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 26.10.2011 - 4 A 1245/11 -, LKRZ 2012, 56 = HGZ 2012, 110).
Von der Erstattungsforderung ist abzusehen, wenn der Verstorbene schwere Straftaten zulasten des an sich Bestattungspflichtigen begangen hatte (Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 13.07.2005; VG Stade, Urteil vom 27.07.2006 - 1 A 539/05 -).
Ein Absehen von der Erhebung der Kosten für ein Notbegräbnis entsprechend § 12 Abs. 2 Satz 2 VwKostG LSA aus Billigkeitsgründen kommt nur in extremen Ausnahmesituationen in Betracht, in denen einem Angehörigen die Kostentragung nicht zugemutet werden kann. Die Kostenerstattung ist nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des An-sich-Bestattungspflichtigen oder bei einem vergleichbaren besonders schwerwiegenden elterlichen Fehlverhalten und einer daraus folgenden beiderseitigen grundlegenden Zerstörung des Eltern-Kind-Verhältnisses unzumutbar (VG Halle, Urt. v. 20.11.2009 - 4 A 318/09 -).
Die Kostentragungspflicht ist unzumutbar, wenn die Hinterbliebene im Alter von vier Jahren Opfer eines von Vater gehabt und es hatte keinerlei Anzeichen für eine Aussöhnung zwischen Opfer und Täter oder eine wie auch immer geartete, ggf. nur aufseiten des Opfers feststellbare Befriedung der Folgen der Straftat und der familiären Verhältnisse (VG Karlsruhe, Urteil vom 16.01.2007 - 11 K 1326/06 -).
Die Unzumutbarkeit einer Heranziehung kann nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, angenommen werden (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urt. v. 09.06.2008 - 4 Z.B. 07.2815 -; VG Würzburg, Urt. v. 05.09.2012 - W 2 K 11.132 -; VG Ansbach, Urt. v. 09.11.2010 - AN 4 K 10.00736 -).
Allen Entscheidungen ist zu entnehmen, dass das Vorliegen einer unbilligen Härte nur dann angenommen werden kann, wenn der Verstorbene gegen den bestattungspflichtigen Hinterbliebenen sehr schwere Straftaten begangen hatte (Tötungsversuch, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch). Davon kann angesichts des vorgetragenen Sachverhaltes keine Rede sein. Es kann auch keine Rede sein, dass der Kläger - wie es in dem von ihm zitierten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg der Fall war, von seinen Eltern in seiner Kindheit und Jugend vernachlässigt worden wäre und er dadurch schweren immer noch andauernden seelischen Schaden erlitten hätte. Zu den innerfamiliären Auseinandersetzungen, von welcher Intensität sie auch gewesen sein mochten, war es erst gekommen, als der Kläger erwachsen und bereits psychisch stabil gewesen war.
Nach dem Vortrag in der Klagschrift haben der Kläger mit seiner Ehefrau und seine Eltern nach der Hofübergabe in einem gemeinsamen Gebäude in jeweils weitgehend selbständigen Wohnbereichen gelebt. Es sei dann zu Meinungsverschiedenheiten über die Nutzung der gemeinsamen Flächen und über das Heizverhalten gekommen, die schließlich zur Einschaltung von Rechtsanwälten, zu polizeilichen Anzeigen und zu einem Rechtsstreit beim Amtsgericht Rendsburg führten. Dieses Verfahren endete schließlich mit der Rückübertragung des Hofes.
Soweit der Kläger nunmehr in der Beschwerdeschrift vorträgt, die Zerrüttung des familiären Verhältnisses zeige sich darin, dass seine Eltern Ihm gegenüber einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragt hätten, ist dem ebensowenig zu folgen. Die mit dem vorläufigen Zahlungsverbot zu sichernde Forderung war offenkundig vom Kläger zuvor nicht beglichen worden und rührte aus einem vor dem AG Rendsburg geschlossenen gerichtlichen Vergleich, also einem im Übereinkommen entstandenen Titel.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Nichterstattung der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).