04.02.2016 · IWW-Abrufnummer 146292
Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.09.2015 – 3 K 1870/13 Erb
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
3 K 1870/13 Erb
Tenor:
Der Erbschaftsteuerbescheid vom 17.02.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.05.2013 wird nach Maßgabe der Entscheidungsgründe geändert. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten, wie eine von der Erblasserin gegenüber dem Erben zinslos gestundete Zugewinnausgleichsforderung im Nachlass zu bewerten und in welcher Höhe die aus dieser Stundung resultierende Zinsschenkung als Vorschenkung zu erfassen ist.
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Die Erblasserin und der Kläger waren seit 1973 verheiratet und lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Durch notariellen Ehe- und Erbvertrag vom 07.12.2004 beendeten sie den gesetzlichen Güterstand und vereinbarten Gütertrennung. Die Zugewinnausgleichsforderung der Erblasserin gegenüber dem Kläger belief sich auf 375.823,95 Euro und wurde auf die Lebenszeit des Klägers zinslos gestundet.
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Im erbvertraglichen Teil der Regelungen setzten sich die Erblasserin und der Kläger gegenseitig zu Alleinerben ein. Zu den Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 07.12.2004 in der Erbschaftsteuerakte Bezug genommen.
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Die am 00.00.0000 verstorbene Erblasserin beerbte der Kläger aufgrund der vorgenannten Regelungen als Alleinerbe. Aufgrund der von ihm eingereichten Erbschaftsteuererklärung setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer durch Bescheid vom 27.09.2010 gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf X Euro fest und erfasste dabei die Zugewinnausgleichsforderung der Erblasserin gegenüber dem Kläger in Höhe von 375.823 Euro als Nachlassgegenstand (vgl. Blatt 63 bis 66 der Erbschaftsteuerakte).
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Durch weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Änderungsbescheid vom 17.02.2012 setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer auf X Euro fest und berücksichtigte dabei den Zinsvorteil aus der zinslosen Stundung des Zugewinnausgleichsanspruchs in Höhe von 192.499 Euro als Vorschenkung gemäß § 14 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG), wobei nach den Erläuterungen zum Bescheid der Jahreswert des Nutzungsvorteils auf die vereinbarte Laufzeit kapitalisiert worden ist (vgl. Blatt 121 bis 128 der Erbschaftsteuerakte).
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Gegen die Festsetzung wandte sich der Kläger mit Einspruch vom 15.03.2012 mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes in dem Verfahren 1 BvL 21/12 gemäß § 165 AO für vorläufig zu erklären sowie die als Nachlassgegenstand erfasste Zugewinnausgleichsforderung und die als Vorschenkung erfasste Zinsschenkung abzuzinsen. Für die Zugewinnausgleichsforderung sei die Abzinsung gemäß § 12 Abs. 3 Bewertungsgesetz (BewG) auf die Lebenszeit des Klägers vorzunehmen, wonach sich ein Wert in Höhe von 178.140 Euro ergebe. Für die Zinsschenkung müsse die Abzinsung gemäß § 14 Abs. 2 BewG erfolgen, so dass als Vorschenkung ein Betrag in Höhe von 90.522 Euro zu erfassen sei.
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Der Beklagte folgte der Auffassung des Klägers hinsichtlich des als Vorschenkung zu erfassenden Betrages und setzte die Erbschaftsteuer durch Bescheid vom 13.09.2012 weiter unter dem Vorbehalt der Nachprüfung dementsprechend auf X Euro herab. Zu den Einzelheiten wird auf den Änderungsbescheid in der Erbschaftsteuerakte Bezug genommen.
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Durch Einspruchsentscheidung vom 28.05.2013 erklärte der Beklagte die angefochtene Erbschaftsteuerfestsetzung antragsgemäß für vorläufig und setzte die Erbschafsteuer weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung unter Berücksichtigung weiterer, hier nicht streitiger Nachlassverbindlichkeiten auf X Euro fest. Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Abzinsung der Zugewinnausgleichsforderung komme unter Berücksichtigung der Ausführungen im Beschluss des Finanzgerichts München vom 18.01.1996 4 V 2243/95 (UVR 1996, 182) nicht in Betracht. Zwar sei die Zugewinnausgleichsforderung für Erbschaftsteuerzwecke gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als fortbestehend anzusehen, jedoch könne nicht mehr von einer überjährigen Laufzeit ausgegangen werden. Eine derartige Annahme widerspreche zudem der Behandlung des als Vorschenkung erfassten Zinsvorteils. Der Zinslauf sei als mit dem Tod der Erblasserin beendet angesehen worden.
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Mit seiner Klage vom 13.06.2013 verfolgt der Kläger sein Begehren auf Abzinsung der Zugewinnausgleichsforderung weiter. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe § 10 Abs. 3 ErbStG nicht lediglich die Wirkung, dass die zivilrechtlich durch Konfusion untergegangene Zugewinnausgleichsforderung für Erbschafsteuerzwecke bestehen bleibe. Sie bleibe vielmehr auch zu den ursprünglich vereinbarten Konditionen (zinslose Stundung bis zum Tod des Klägers) bestehen, mit der Folge, dass die Forderung auf den Todestag der Erblasserin, an dem die Lebenserwartung des Klägers statistisch noch mehr als ein Jahr betragen habe abzuzinsen sei. Die Auffassung werde durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 07.10.1998 II R 64/96 (BStBl. II 1999, 25) best ätigt.
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Die Abzinsung des Zinsvorteils habe gemäß § 14 Abs. 2 BewG zu erfolgen. Erbfall und Vorschenkung seien gesondert zu beurteilende Vorgänge, wobei für die Vorschenkung § 10 Abs. 3 ErbStG keine Anwendung finde. Bei dem Zinsvorteil handele es sich um eine lebenslängliche Nutzung im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG. Eine Korrektur sei gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BewG vorzunehmen, wenn diese Leistung aufgrund des Todes des Berechtigten oder des Verpflichteten wegfalle. Dieser Fall sei vorliegend eingetreten.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Erbschaftsteuerbescheid vom 17.02.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.05.2013 zu ändern und dabei die Zugewinnausgleichsforderung sowie die als Vorschenkung zu erfassende Zinsschenkung jeweils mit abgezinsten Werten anzusetzen,
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt sinngemäß,
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die Zugewinnausgleichsforderung mit einem Wert in Höhe von 177.107 Euro als Nachlassgegenstand zu erfassen und die Vorschenkung mit einem Wert in Höhe von 226.246 Euro anzusetzen,
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
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Die Abzinsung der Zugewinnausgleichsforderung auf den Todestag gemäß § 12 Abs. 3 BewG müsse nach der Sterbetafel 2005/2007 mit einem Vervielfältiger von 0,47125 erfolgen, so dass 177.107 Euro als Nachlassforderung zu erfassen seien.
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In Bezug auf die Zinsschenkung meint der Beklagte nunmehr, dass eine Abzinsung nicht zulässig sei, und verweist dazu auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 07.10.1998 II R 64/96 (BStBl. II 1999, 25).
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Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 03.07.2015 erörtert. Auf das Protokoll (Blatt 83/84 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen.
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Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO).
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Sowohl die Erfassung der Zugewinnausgleichsforderung als Nachlassgegenstand als auch die Erfassung der Zinsschenkung als Vorschenkung hat mit den gemäß § 12 Abs. 3BewG bzw. § 14 Abs. 2 BewG abgezinsten Werten zu erfolgen.
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Die Zugewinnausgleichsforderung ist, wie mittlerweile zwischen den Beteiligten im Grundsatz unstreitig, in Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 07.10.1998 II R 64/96 (BStBl. II 1999, 25) mit dem gemäß § 12 Abs. 3 BewG abgezinsten Kapitalbetrag anzusetzen. Maßgeblich für die Ermittlung der Laufzeit ist dabei die Lebenszeit des Klägers, die, worauf der Beklagte zutreffend hinweist, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 BewG nach der Sterbetafel 2005/2007, die durch das Statistische Bundesamt am 22.08.2008 veröffentlicht wurde und damit für Stichtage ab dem 01.01.2009 anzuwenden ist (BStBl. I 2009, 270), zu ermitteln ist. Danach beträgt die statistische Lebenserwartung des Klägers 14,07 Jahre. Der für die Kapitalisierung gemäß § 12 Abs. 3 BewG anzuwendende Vervielfältiger ergibt sich aus dem Anhang B10 des Erbschaftsteuerhandbuchs Tabelle 1 zu § 12 Abs. 3 BewG mit dem zwischen dem Vervielfältiger für 14 und für 15 Jahre zu interpolierenden Vervielfältiger in Höhe von 0,47125, so dass die Zugewinnausgleichsforderung mit einem Betrag von 177.107 Euro (= 375.823 Euro x 0,47125) anzusetzen ist.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist für die Festsetzung der Erbschaftsteuer auch die aus der Stundung der Zugewinnausgleichsforderung resultierende Zinsschenkung mit dem gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BewG abgezinsten Wert in Höhe von 90.522 Euro als Vorschenkung zu erfassen.
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Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG sind mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallenden Vermögenswerte in der Weise zusammenzurechnen, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem fr üheren Wert zugerechnet werden. Von der Steuer für den Gesamtbetrag wird die Steuer abgezogen, die für die früheren Erwerbe nach den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf der Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre (§ 14 Abs.1 Satz 2 ErbStG). Dabei ist die materiell-rechtlich zutreffende Steuer für die Vorschenkung abzuziehen, § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG (FG Münster, Urteile vom 13.03.2008 3 K 1919/05 Erb, EFG 2008, 1309 und vom 23.10.2014 3 K 265/12 Erb, EFG 2015, 240). Nach Auffassung des Senats ist bei der Ermittlung des früheren Wertes der Vorschenkung § 14 Abs. 2 BewG auch dann zu beachten, wenn die Steuerfestsetzung für den früheren Erwerb deshalb unterblieben ist, weil er – wie im vorliegenden Fall – unterhalb der Freibeträge geblieben ist, und es deshalb nicht tatsächlich zu einer Korrektur der für den Vorerwerb festgesetzten Steuer gekommen ist.
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In seinem Urteil vom 07.10.1998 II R 64/96 (BStBl. II 1999, 25) hat der BFH unter II 2. der Entscheidungsgründe zwar ausgeführt, dass im Erbfall § 10 Abs. 3 ErbStG die Anwendung der §§ 13 Abs. 3 und 14 Abs. 2 BewG sperre mit der Folge, dass im vorliegenden Fall die Zinsschenkung, die gemäß § 14 Abs. 1 ErbStG als Vorschenkung zu erfassen ist, nicht, wie vom Kläger beantragt, mit einem gemäß § 14 Abs. 2 BewG korrigierten Wert anzusetzen wäre.
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Dieser Auffassung vermag der Senat sich jedoch nicht anzuschließen. Denn der Schluss, dass § 10 Abs. 3 ErbStG in Konstellationen wie der, die der Entscheidung des BFH zugrunde lag, und auch der vorliegenden, die der BFH nicht zu entscheiden hatte (vgl. Urteilsanmerkung von Viskorf in FR 1999, 713), sowohl den aktuell zu besteuernden Erwerb als auch den Vorerwerb erfasst, ist nicht zwingend und findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Erwerb von Todes wegen der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 des Bürgerliches Gesetzbuches – BGB). Für diesen der Besteuerung unterliegenden Anfall bestimmt § 10 Abs. 3 ErbStG den Fortbestand der Rechtsverhältnisse, in denen sich Erblasser und Erbe als Gläubiger und Schuldner gegenüberstehen. Demgegenüber ist die Vorschenkung ein eigenständiger Rechtsvorgang und wird von § 10 Abs. 3 ErbStG nicht erfasst. § 10 Abs. 3 ErbStG trifft nur eine Regelung für den aktuell zu besteuernden Erwerb, so dass im vorliegenden Fall nur die Zugewinnausgleichsforderung selbst § 10 Abs. 3 ErbStG unterliegt, während die als Vorschenkung zu erfassende Zinsschenkung, die bereits bei Abschluss des Ehe- und Erbvertrags am 07.12.2004 ausgeführt wurde, nur von der die Steuerberechnung regelnden Vorschrift des § 14 Abs. 1 ErbStG erfasst wird und dabei ein eigenständiger Erwerb bleibt und gerade nicht mit dem zu besteuernden Erwerb zu einem einheitlichen Erwerb zusammengefasst wird (vgl. FG Münster, Urteil vom 13.09.2012 3 K 1019/10 Erb, EFG 2013, 309 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung).
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Für die Vorschenkung kommt danach eine Korrektur des Wertansatzes gemäß § 14 Abs. 2 BewG in Betracht. Allein die Tatsache, dass die Vorschenkung, weil der Freibetrag nicht überschritten war, 2004 nicht zu einer Steuerfestsetzung geführt hat, hindert nicht die Erfassung einer gemäß § 14 Abs. 2 BewG korrigierten Vorschenkung, § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG.
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Für diese Handhabung spricht aus Sicht des Senats auch die Überlegung, dass, würde § 10 Abs. 3 ErbStG die Anwendung der §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 2 BewG von vornherein ausschließen, eine höhere Steuer angerechnet werden müsste, als im Falle einer tatsächlichen Korrektur der Vorschenkung gemäß § 14 Abs. 2 BewG gezahlt würde.
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Die Steuerberechnung wird dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
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Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.