16.04.2021 · IWW-Abrufnummer 221804
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 02.06.2020 – 3 Wx 79/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
Tenor:
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 16. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beteiligten zu 1 auferlegt.
Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren: 130.000,- €
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Gründe:
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I.
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Die Erblasserin und ihr am 2. August 2002 vorverstorbener Ehemann schlossen am 19. Mai 1992 einen notariell beurkundeten Erbvertrag, mit welchem sie sich wechselseitig zu Alleinerben bestimmten. Weiter verfügten sie die Einsetzung des Beteiligten zu 2 - des aus erster Ehe stammenden Sohnes des vorverstorbenen Ehemannes - zum Alleinerben des Zuletztversterbenden. Unter § 4 des Erbvertrages hielten die Eheleute fest, dass sämtliche Bestimmungen des Erbertrages bindend seien; im Falle des Überlebens der Ehefrau solle die Bindungswirkung jedoch dann entfallen, wenn der Beteiligte zu 2 oder einer seiner Nachkommen von ihr seinen Pflichtteil verlange.
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Mit handschriftlich errichtetem Testament vom 19. Mai 2003 setzte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 ‒ ihre Nichte ‒ als ihre Alleinerbin ein. Dazu hielt die Erblasserin in ihrem Testament fest, der Erbvertrag vom 19. Mai 1992 sei nicht mehr bindend, da der Beteiligte zu 2 nach dem Tod ihres Ehemannes seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht habe.
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Gestützt auf das handschriftliche Testament vom 19. Mai 2003 hat die Beteiligte zu 1 am 30. August 2019 die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt und dazu vorgebracht, am 13. Januar 2003 seien vom Konto der Erblasserin 30.000,- € an den Beteiligten zu 2 überwiesen worden. Dieser Betrag habe genau dem Betrag entsprochen, der ihm als Pflichtteil nach dem Tod des Ehemannes der Erblasserin zugestanden habe.
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Der Beteiligte zu 2 hat dagegen gestützt auf den Erbvertrag vom 19. Mai 1992 am 7. Oktober 2019 die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins beantragt. Er hat ausgeführt, die Erblasserin habe ihm im Jahr 2002 einen Betrag in Höhe von insgesamt 70.000,- € geschenkt. Die Schenkung und dass diese keinen Bezug zu § 4 des Erbvertrages vom 19. Mai 1992 habe, habe die Erblasserin in ihrer Erklärung vom 22. November 2002 schriftlich festgehalten. Einen ersten Teilbetrag von 40.000,- € habe er bereits im Jahr 2002 erhalten und bei dem am 13. Januar 2003 überwiesenen Betrag von 30.000,- € habe es sich um die zweite Rate zur Erfüllung des Schenkungsversprechens gehandelt.
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Mit Beschluss vom 16. Januar 2020 hat das Nachlassgericht die Tatsachen, die zur Begründung des vom Beteiligten zu 2 beantragten Erbscheins erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Die Beteiligte zu 1 habe nicht ausreichend vorgetragen, dass der Beteiligte zu 2 den Pflichtteil nach dem Tod seines Vaters geltend gemacht habe. Die Überweisung von 30.000,- € sei durch die Erklärung der Erblasserin vom 22. November 2002 hinreichend als Schenkung erklärt; die dem entgegenstehende Erklärung der Erblasserin in ihrem Testament vom 19. Mai 2003 genüge nicht, um die Bindungswirkung des Erbvertrages entfallen zu lassen.
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Gegen den ihr am 21. Januar 2020 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1 vom 20. Februar 2020, eingegangen am 21. Februar 2020. Sie bestreitet insbesondere die Echtheit der auf der Erklärung vom 22. November 2002 enthaltenen Unterschrift der Erblasserin.
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Der Beteiligte zu 2 ist der Beschwerde entgegen getreten.
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Das Nachlassgericht hat am 23. April 2020 einen Nichtabhilfebeschluss erlassen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt. Die Beteiligte zu 1 habe die Echtheit der Unterschrift der Erblasserin auf der Erklärung vom 22. November 2002 nicht ausreichend bestritten. Die dortige Unterschrift weise keine Abweichungen zu den Unterschriften der Erblasserin auf dem Erbvertrag und auf dem Testament auf, so dass kein Anlass zur Einholung eines graphologischen Gutachtens bestehe. Die Behauptung der Erblasserin im Testament vom 19. Mai 2003, der Beteiligte zu 2 habe seinen Pflichtteil geltend gemacht, diene vielmehr dem Wunsch der Erblasserin, zugunsten der Beteiligten zu 1 testieren zu können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie den der Beiakte des AG Kempen über die Verfügung von Todes wegen (27 IV 332/19) verwiesen.
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II.
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Das gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 16. Januar 2020 ist dem Senat infolge der vom Nachlassgericht mit weiterem Beschluss vom 23. April 2020 erklärten Nichtabhilfe zur Entscheidung angefallen, § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG.
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Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Erbfolge nach der Erblasserin nach dem Erbvertrag vom 19. Mai 1992 bestimmt. Das handschriftliche Einzeltestament der Erblasserin vom 19. Mai 2003 ist unwirksam, da die Bindungswirkung des früheren Erbvertrages vom 19. Mai 1992 nicht weggefallen ist und somit nachträgliche Verfügungen zu Lasten des Beteiligten zu 2 als vertragsmäßig Bedachten unwirksam sind, § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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Die im Erbvertrag unter § 4 getroffene Regelung, wonach die Bindungswirkung entfalle, sollte der Ehemann der Erblasserin zuerst versterben und der Beteiligte zu 2 gegenüber der Erblasserin sein Pflichtteilsrecht geltend machen, erweist sich in rechtlicher Hinsicht als Bedingung für einen zugunsten der Erblasserin bestehenden Änderungsvorbehalt (vgl. hierzu Palandt-Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2289 Rn. 8 ff., 11). Bedenken an der Zulässigkeit der Vereinbarung eines entsprechenden Änderungsvorbehalts haben sich nicht ergeben.
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Dass die im Erbvertrag unter § 4 vereinbarte Bedingung eingetreten ist, kann nicht festgestellt werden. Das hat das Nachlassgericht zutreffend und mit aus Rechtsgründen nicht ergänzungsbedürftiger Begründung im angefochtenen Beschluss und im Nichtabhilfebeschluss näher ausgeführt, worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
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Auch der Senat geht davon aus, dass es nicht erforderlich ist, ein graphologisches Gutachten zu der Frage der Echtheit der Unterschrift der Erblasserin auf der Erklärung vom 22. November 2002, die die Beteiligte zu 1 erstmals im Beschwerdeverfahren bestritten hat einzuholen. Nur in Zweifelsfällen und wenn das Gericht selbst Auffälligkeiten in Bezug auf die Echtheit einer Unterschrift feststellt, gebietet der Grundsatz zur Beweiserhebung nach pflichtgemäßem Ermessen, § 29 Abs. 1 Satz 1 FamFG, die Einholung eines schriftvergleichenden Gutachtens (Senat, FGPrax 2014, 31; vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 19. Aufl. 2017, § 29 Rn. 7 ff.; vgl. zur Aufklärung der Echtheit der Unterschrift auf einem Testament: Palandt-Weidlich, a.a.O., § 2247 Rn. 17; Keidel/Sternal, a.a.O., § 29 Rn. 54). Derartige Auffälligkeiten sind vorliegend indes nicht zu erkennen. Das gilt sowohl, worauf bereits das Nachlassgericht hingewiesen hat, wenn die von der Beteiligten zu 1 angezweifelte Unterschrift vom 22. November 2002 mit den unzweifelhaft von der Erblasserin stammenden Unterschriften in der notariellen Urkunde vom 19. Mai 1992 und im Testament vom 19. Mai 2003 miteinander verglichen werden. Werden überdies die Unterschriften der Erblasserin im Protokoll über die Eröffnung des Erbertrages nach dem Tode ihres Ehemannes vom 20. August 2002 und in der notariellen Urkunde vom 27. Juni 1958 über die Erklärung zur Gütertrennung berücksichtigt, ergeben sich auch danach keine Abweichungen zu der Unterschrift vom 22. November 2002. Sonstige Gründe, aufgrund derer Zweifel berechtigterweise an der Echtheit der Unterschrift auf der Erklärung vom 22. November 2002 angemeldet werden könnten, hat die Beteiligte zu 1 auch nicht dargestellt. Soweit sie meint, sie hätte von der Schenkung erfahren, wenn es tatsächlich dazu gekommen wäre, vermag das nicht zu überzeugen. Es kommt nach der Erfahrung des Senats vielmehr durchaus nicht selten vor, dass auch im engsten Familienkreis oder unter Ehepartnern derartige Schenkungen nicht offenbart werden, aus welchen Gründen auch immer.
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Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1 kann auch dem Umstand, dass die Erblasserin in ihrem Testament vom 19. Mai 2003 ausdrücklich festgehalten hat, dass der Beteiligte zu 2 bereits seinen Pflichtteilsanspruch geltend gemacht hat, kein ausschlaggebendes Gewicht zugemessen werden. Mit Blick auf den Inhalt der Erklärung der Erblasserin vom 22. November 2002 über die Schenkung von insgesamt 70.000,- € kann die im Testament angesprochene Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen jedenfalls nicht in der von der Beteiligten zu 1 angeführten Zahlung von 30.000,- € gesehen werden. Insofern fällt auch auf, dass die Erblasserin in ihrem Testament nicht näher präzisiert hat, worin die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen bestanden haben soll. Entsprechendes hätte indes nahe gelegen, wie es der Inhalt ihrer Erklärung vom 22. November 2002 zeigt. Dort hat sie die Schenkung an den Beteiligten zu 2 detailliert geschildert und ausdrücklich festgehalten, dass diese Schenkung nicht in Zusammenhang mit § 4 des Erbvertrages stehe. War also der Erblasserin noch sechs Monate vor Errichtung des Testaments vom 19. Mai 2003 die besondere Bedeutung von § 4 des Erbvertrages bewusst, wäre zu erwarten gewesen, dass sie die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch den Beteiligten zu 2 im Testament näher aufschlüsselt, wenn es dazu gekommen wäre.
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Kann dem zufolge nach dem Akteninhalt nicht festgestellt werden, dass der Beteiligte zu 2 Pflichtteilsansprüche nach dem Tod seines Vaters geltend gemacht hat, und liegen keine erfolgversprechenden Ansatzpunkte für weitere Aufklärungsmaßnahmen vor, geht dies im Ergebnis zu Lasten der Beteiligten zu 1. Im Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins gilt der Grundsatz, dass derjenige, der ein Erbrecht für sich in Anspruch nimmt, die Feststellungslast für die sein Recht begründenden Tatsachen trägt, während derjenige, der ihm dieses Erbrecht streitig macht, die Feststellungslast für die rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Einwendungen trifft (Keidel/Sternal, a.a.O., § 29 Rn. 56). Für die Tatsachen, die zur Begründung eines testamentarischen Erbrechts der Beteiligten zu 1 erforderlich sind, hier die Wirksamkeit des Testaments vom 19. Mai 2003, bzw. für die Tatsachen, die dem erbvertraglich bereits begründeten Erbrecht des Beteiligten zu 2 entgegen stehen, hier der Eintritt einer Bedingung für einen Änderungsvorbehalt zugunsten der Erblasserin, ist demzufolge die Beteiligte zu 1 feststellungsbelastet. Da indes die von der Beteiligten zu 1 zu ihren Gunsten angeführten Umstände ‒ wie gezeigt ‒ nicht feststellbar sind, ist von einer wirksamen Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 auszugehen.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels demjenigen Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Für einen Ausnahmefall ist hier nichts ersichtlich.
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Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG, besteht nicht.
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