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  • 15.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239738

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 02.03.2023 – 10 U 108/21

    Die erforderliche Kenntnis von einer beeinträchtigenden Verfügung kann fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beein-trächtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.


    Oberlandesgericht Hamm


    Tenor:

    Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.11.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Bochum abgeändert und die Beklagte im Wege der Stufenklage verurteilt:

    Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers N. X. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses nebst entsprechenden Verträgen und Belegen, welches folgende Punkte umfasst:

    a. alle beim Erbfall vorhandenen Sachen, Immobilien und Forderungen (Aktiva)
    b. alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden)
    c. alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogenen Zuwendungen
    d. alle ungeklärten Zuwendungen und Veräußerungen des Erblassers zu Lebzeiten, deren Umstände es nahelegen, es handele sich wenigstens zum Teil um eine Schenkung
    e. den Güterstand, in dem der Erblasser verheiratet war.

    Soweit das Landgericht die Klage auch im Übrigen abgewiesen hat, wird die Sache unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    1
    Gründe

    2
    Die Parteien streiten im Wege der Stufenklage um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche.

    3
    Der Kläger ist das einzige Kind des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers N. X. (geb. 00.00.1933) aus dessen geschiedener erster Ehe mit Frau D. X.. Der in K. geborene Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und hatte seinen letzten Wohnsitz in W.. Dort betrieb er bis zum Eintritt in den Ruhestand eine eigene internistische Praxis. Nach Beendigung seiner Berufstätigkeit hielt er sich zeitweilig in Spanien auf. Der Erblasser war in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Der Erblasser errichtete am 11.02.2009 in Spanien vor einem dortigen Notar in spanischer Sprache ein Testament, durch das er frühere Testamente ausdrücklich widerrief und die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte. Zuvor hatte der Erblasser am 02.06.2003 und 13.04.2007 ebenfalls in Spanien abweichende notarielle Testamente beurkunden lassen, in denen er den Kläger als Alleinerben eingesetzt hatte. Ab dem Jahr 2009 wurde der Erblasser in der Neurologischen Klinik des I.-Hospitals in A. behandelt. Im Jahr 2011 wurde der Erblasser in einer Klinik in P. wegen verschiedener Knochenbrüche behandelt. Der Kläger wurde durch die Beklagte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers von dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 04.08.2015 erfuhr er auch vom Testament des Erblassers vom 11.02.2009, weil er sich bei der in dem Testament des Erblassers vom 02.06.2003 eingesetzten Testamentsvollstreckerin nach dem Sachstand erkundigt hatte.

    4
    Der Kläger stellte am 07.06.2016 beim Amtsgericht P. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweist (80 VI 374/16 AG P.). Den Antrag stützte er auf das notarielle Testament vom 02.06.2003 und trug vor, der Erblasser sei wegen einer fortschreitenden Demenzerkrankung seit dem Jahr 2006 nicht mehr testierfähig gewesen. Das sei dadurch indiziert, dass der Erblasser seinen Hauptwohnsitz von Spanien nach W. verlegt habe, ab dem Jahr 2007 Telefonanrufe nicht mehr selbst angenommen habe und Besuche durch die Ehefrau des Erblassers abgeblockt worden seien. Am 04.09.2017 beantragte die Beklagte ebenfalls beim Amtsgericht P. die Erteilung eines Erbscheins mit der Begründung, sie sei aufgrund des Testaments vom 11.02.2009 Alleinerbin des Erblassers geworden. Mit Beschluss vom 30.10.2017 erachtete das Amtsgericht P. die zur Begründung des Antrags der Beklagten erforderlichen Tatsachen für festgestellt und führte zur Begründung aus, die vom Kläger geschilderten Tatsachen begründeten keine Testierunfähigkeit des Erblassers. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde ein, der das Amtsgericht nicht abhalf. Nachdem der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren durch Beschluss vom 03.07.2019 (15 W 37/18) ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen R. zur Frage der Testierfähigkeit eingeholt hatte und die behauptete Testierunfähigkeit des Erblassers nicht bestätigt worden war, nahm der Kläger seine Beschwerde mit Schriftsatz vom 13.09.2019 zurück. Zugleich forderte er die Beklagte unter Fristsetzung zum 31.10.2019 auf, Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen und den sich daraus ergebenden Pflichtteil zu zahlen.

    5
    Der Kläger hat sodann mit der am 28.12.2019 zugestellten Stufenklage seine Pflichtteilsansprüche gerichtlich geltend gemacht.

    6
    Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und sich auf ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Kläger berufen.

    7
    Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil der geltend gemachte Anspruch verjährt sei. Sämtliche Pflichtteilsansprüche verjährten gem. § 195 BGB in drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres 2015. In diesem Jahr habe der Kläger von den seinen Pflichtteilsanspruch begründenden Umständen, nämlich dem Eintritt des Erbfalls und dem ihn enterbenden notariellen Testament zu Gunsten der Beklagten vom 11.02.2009 Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis sei nicht infolge eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums des Klägers zu verneinen. Der Regelungsgehalt des notariellen Testaments sei einfach zu erkennen und klar. Es liege auch kein Irrtum über eine die Testierfähigkeit des Erblassers hindernde Demenzerkrankung vor. Darüber habe der Kläger allenfalls Mutmaßungen anstellen können. Der Kläger habe erst nach Ablauf der Verjährungsfrist Klage erhoben.

    8
    Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Er trägt vor, das Landgericht habe die Klage zu Unrecht mit der Begründung abgewiesen, die Ansprüche des Klägers seien verjährt. Es habe unzutreffend angenommen, der Kläger habe bereits im Jahr 2015 Kenntnis vom Bestehen seines Pflichtteilsanspruchs erlangt. Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass er bis zur abschließenden Klärung im Erbscheinsverfahren vor dem Amtsgericht P. und dem Beschwerdeverfahren gerade nicht über sichere Kenntnis aller tatbestandlichen Voraussetzungen verfügt habe. Aufgrund der schweren Demenz des Vaters sei er davon ausgegangen, dass das letzte Testament des Vaters mangels Testierfähigkeit unwirksam gewesen sei. Frühere Testamente, in denen er zum Alleinerben berufen gewesen sei, seien deshalb nicht wirksam widerrufen worden. Der Kläger habe erst am 25.08.2019 mit dem Zugang des im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens vom 24.07.2019 Kenntnis davon erlangen können, dass eine fehlende Testierfähigkeit nicht sicher festzustellen gewesen sei. Danach hätte die dreijährige Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2019 zu laufen begonnen. Die am 06.11.2019 erhobene Stufenklage habe den Lauf der Verjährung rechtzeitig gehemmt. Das Argument des Landgerichts, der Kläger hätte parallel zum laufenden Erbscheinsverfahren Klage auf Feststellung seiner Alleinerbschaft erheben müssen, verkenne die Bedeutung des Erbscheinsverfahrens, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gelte. Es bestehe bei dieser Vorgehensweise die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen. Deshalb hätte das Erbenfeststellungsverfahren ausgesetzt werden müssen. Es hätten auch von Beginn an ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments bestanden. Die bloße Kenntnis vom der beeinträchtigenden Verfügung des Vaters habe daher nicht ausgereicht.

    9
    Der Kläger beantragt,

    10
    das Urteil des Landgerichts Bochum vom 04.11.2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

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    1. Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 00.00.2015 in J./Spanien verstorbenen Erblassers N. X. zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses nebst entsprechenden Verträgen und Belegen, welches folgende Punkte umfasst:

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    a. alle beim Erbfall vorhandenen Sachen, Immobilien und Forderungen (Aktiva)

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    b. alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Erblasser- und Erbfallschulden)

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    c. alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, einschließlich Pflicht- und Anstandsschenkungen und ehebezogenen Zuwendungen

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    d. alle ungeklärten Zuwendungen und Veräußerungen des Erblassers zu Lebzeiten, deren Umstände es nahelegen, es handele sich wenigstens zum Teil um eine Schenkung

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    e. den Güterstand, in dem der Erblasser verheiratet war;

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    2. den Rechtsstreit für die Entscheidung über die weiteren Stufen der erhobenen Stufenklage an das Landgericht Bochum zurückzuverweisen.

    18
    Die Beklagte beantragt,

    19
    die Berufung zurückzuweisen.

    20
    Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor, schon die Kenntnis des Klägers vom Tod des Vaters und von dem Testament vom 11.02.2009 im Jahr 2015 habe den Lauf der Verjährungsfrist in Gang gesetzt. Der Kläger habe zunächst von der grundsätzlichen Testierfähigkeit des Vaters ausgehen müssen. Die Beklagte bestreitet, dass sich der Kläger überhaupt in einem Irrtum befunden habe, und behauptet, der Kläger habe zwischen 2007 und 2010 keinen direkten Kontakt zum Erblasser gehabt. Er habe deshalb keine zuverlässigen Informationen zu dessen Gesundheitszustand gehabt. Die Behauptungen zur fehlenden Testierfähigkeit im Erbscheinsverfahren seien ins Blaue hinein erfolgt. Wenn der Kläger davon ausgegangen sei, dass er erst nach Abschluss des Erbscheinsverfahrens seine Pflichtteilsansprüche habe geltend machen können, sei er einem unbeachtlichen Rechtsirrtum erlegen.

    21
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    22
    Der Senat hat den Kläger persönlich gem. § 141 ZPO angehört. Die Akten 80 VI 374/16 Amtsgericht P. lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

    23
    II.

    24
    Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

    25
    Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg und führt in entsprechender Anwendung des § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO auf Antrag des Klägers zur Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits an das Landgericht (vgl. dazu Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 538 Rn. 48).

    26
    1. Die vor einem deutschen Gericht erhobene Klage ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit ist gegeben.

    27
    Die internationale Zuständigkeit unterliegt wegen ihrer besonderen Bedeutung grundsätzlich der Überprüfung von Amts wegen durch das Berufungsgericht. Dem steht die Regelung des § 513 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, nach dessen Wortlaut die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat (Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 513 Rn. 8 m.w.Nw.). Die internationale Zuständigkeit folgt grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit (Geimer in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Internationale Zuständigkeit Rn. 1265).

    28
    Ob die Beklagte ihren Wohnsitz in Spanien oder in Deutschland hat, kann offen bleiben. In (vermögensrechtlichen) Rechtsstreitigkeiten, in denen die internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung des Beklagten gem. § 39 ZPO begründet werden kann, darf das Berufungsgericht nämlich die internationale Zuständigkeit nur auf Rüge prüfen (BGH, Urteil vom 13. Juli 1987 ‒ II ZR 280/86 ‒, BGHZ 101, 296-307). Eine Zuständigkeitsrüge hat die Beklagte indessen nicht erhoben.

    29
    2. Die gem. § 254 ZPO zulässige Stufenklage ist auf der Auskunftsstufe begründet.

    30
    a) Auf die vom Kläger geltend gemachten Pflichtteilsansprüche ist deutsches Erbrecht anwendbar.

    31
    aa) Die EU-ErbrechtsVO, die an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers anknüpft, ist hier allerdings nicht einschlägig, weil sie erst nach dem Erbfall zum 17.08.2015 in Kraft getreten ist.

    32
    bb) Gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB in der bis zum 16.08.2015 geltenden Fassung bestimmt sich das anzuwendende Erbrecht nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers. Dieses Erbstatut gilt für den gesamten Nachlass unabhängig von Art und Lage der einzelnen Nachlassgegenstände (sog. Nachlasseinheit). Der Erblasser ist unstreitig deutscher Staatsangehöriger. Dass der Erblasser noch eine andere Staatsangehörigkeit außer der deutschen besessen hat, ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.

    33
    b) Die Voraussetzungen für den Pflichtteilsanspruch gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB liegen vor. Der Auskunftsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 2314 BGB. Unstreitig ist der Kläger gem. § 2303 BGB als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigt. Die Beklagte ist durch das notarielle Testament vom 11.02.2009, dessen Wirksamkeit zwischen den Parteien nicht mehr in Streit steht, zur Alleinerbin bestimmt worden. Das Testament ist auch formwirksam. Nach Art. 1 des Haager Übereinkommens über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht ist eine letztwillige Verfügung hinsichtlich ihrer Form gültig, wenn diese dem innerstaatlichen Recht eines Staates entspricht, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser im Zeitpunkt, in dem er letztwillig verfügt hat, entspricht. Danach genügt das notarielle Testament des Erblassers den Formvorschriften der §§ 2231 f. BGB. i.V.m. § 32 BeurkG.

    34
    c) Der Pflichtteilsanspruch des Klägers ist nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch gem. § 2303 BGB beträgt gem. § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das gilt auch für den Auskunftsanspruch (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 5. Mai 2015 ‒ 3 U 98/14 ‒, juris).

    35
    aa) Vorliegend hat der Kläger vom Tod des Erblassers und der letztwilligen Verfügung vom 11.02.2009, durch die er enterbt worden ist, bereits im Jahr 2015 Kenntnis erhalten. Unstreitig wurde er durch die Beklagte unmittelbar nach dem Tod des Erblassers von dessen Versterben in Kenntnis gesetzt. Am 04.08.2015 erfuhr er auch vom Testament des Erblassers vom 11.02.2009, weil er sich bei der in dem früheren Testament des Erblassers vom 02.06.2003 ursprünglich eingesetzten Testamentsvollstreckerin nach dem Sachstand erkundigt hatte. Gleichwohl ist die dreijährige Verjährungsfrist nicht bereits mit dem 31.12.2018 abgelaufen. Vielmehr konnte der Ablauf der Frist durch die am 07.11.2019 anhängig gewordene und am 28.12.2019 zugestellte Klage noch gehemmt werden.

    36
    bb) Denn der Kläger hat erst mit der Übersendung des Gutachtens des in dem Nachlassverfahren (80 VI 374/16 AG P. = 15 W 37/18 und 15 W 40/21 OLG Hamm) beauftragten Sachverständigen R. am 21.08.2019 Kenntnis von der Wirksamkeit des Testaments erlangt.

    37
    Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte den wesentlichen Inhalt der beeinträchtigenden Verfügung erkannt hat. Dazu ist eine in die Einzelheiten gehende Prüfung der Verfügung und eine fehlerfreie Bestimmung ihrer rechtlichen Natur nicht erforderlich. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Vorstellungen des Pflichtteilsberechtigten über den beim Erbfall vorhandenen Nachlass und seinen Wert zutreffen. Die erforderliche Kenntnis kann jedoch fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 ‒ IV ZR 134/94 ‒, juris; OLG München, Urteil vom 22. November 2021 ‒ 33 U 2768/21 ‒, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. Januar 2008 ‒ I-7 U 2/07 ‒, juris).

    38
    Im vorliegenden Fall bestanden derartige Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen waren.

    39
    Der Kläger hatte im Erbscheinsverfahren vorgetragen, er gehe von einer die Testierfähigkeit des Erblassers ausschließenden Demenz aus, weil er seit dem Jahr 2007 Veränderungen wahrgenommen habe, wobei ihm deutliche Anzeichen für eine dementielle Verwirrtheit allerdings erst im Jahr 2011 aufgefallen seien (Bl. 3 der Beiakte 80 VI 374/16 AG P.). Dass der Kläger mangels eines näheren Kontakts zum Erblasser in der Zeit zwischen 2007 und 2010 keine detaillierteren Tatsachen zum Zustand des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 2009 benennen konnte, diese ihm vielmehr erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch das Sachverständigengutachten bekannt geworden sind, ist unerheblich. Denn immerhin hat der Sachvortrag des Klägers den 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bewogen.

    40
    Erstmals hatte der Senat dort bereits mit einer Verfügung des Berichterstatters vom 15.02.2018 darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers zu der Frage der Testierfähigkeit des Erblassers als noch ausreichend erscheine, um diese Frage von Amts wegen weiter aufzuklären (Bl. 103/104 Beiakte 80 VI 374/16 AG P.). Sodann hatte der Berichterstatter mit Verfügung vom 03.01.2019 darauf hingewiesen, dass sich aus den zwischenzeitlich beigezogenen Behandlungsunterlagen des Hausarztes des Erblassers erhebliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende kognitive Beeinträchtigung des Erblassers bereits im Jahre 2009 ergeben ‒ deshalb werde die Einholung eines gerontopsychiatrischen Sachverständigengutachtens in Erwägung gezogen (Bl. 132 Beiakte 80 VI 374/16 AG P.).

    41
    Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen R. waren die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments auch durchaus berechtigt.

    42
    Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Bedenken des Klägers zwar nicht in dem Sinne bestätigt, dass für den hier maßgeblichen Zeitraum Februar 2009 mit der nötigen Sicherheit eine Testierunfähigkeit des Erblassers festgestellt werden konnte. Nach den Ergebnissen der Begutachtung war der Erblasser aber im Oktober 2008 wegen einer akuten Dekompensation in stationärer psychiatrischer Behandlung. In dem Entlassungsbericht vom 24.10.2008 seien ‒ so der Sachverständige - kognitive Defizite des Erblassers beschrieben worden (Gutachten S. 16/18). Mangels anderer Informationen sei aber davon auszugehen, dass die aufgrund der Behandlung eingesetzte Besserung bis Februar 2009 angehalten habe (Gutachten S. 48). Im Februar 2009 sei die Demenz zwar sicherlich weiter fortgeschritten gewesen. Es lasse sich aber nicht feststellen, wie sehr die kognitive Verfassung des Erblassers eingeschränkt gewesen sei (Gutachten S. 47). Damit hat der Sachverständige eine Testierunfähigkeit des Erblassers jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen.

    43
    d) Gegenüber dem Auskunftsanspruch kann sich die Beklagte nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 BGB berufen. Insoweit ergibt sich aus der Natur des Auskunftsanspruchs ein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechts. Der Auskunftsschuldner ist nach Treu und Glauben zur Vorleistung verpflichtet (BGH, Urteil vom 3. Februar 1978 ‒ I ZR 116/76 ‒, juris).

    44
    III.

    45
    Die Kostenentscheidung bleibt dem landgerichtlichen Schlussurteil vorbehalten (vgl. OLG Köln, Urteil vom 18. März 1987 ‒ 2 U 99/86 ‒, juris). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

    RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 199 Abs. 1