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  • 06.12.2013 · IWW-Abrufnummer 133836

    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Beschluss vom 12.08.2013 – 3 Wx 27/13

    Orientierungssatz:

    Heranziehung mehrerer Zweifelsregeln bei Auslegung eines Ehegattentestamentes



    Amtlicher Leitsatz:



    1. Wer sich auf ein unauffindbares Testament beruft, muss die formgültige Errichtung und den Inhalt des Testaments beweisen und trägt im Erbscheinsverfahren insoweit die Feststellungslast.



    2. Wird in einem privatschriftlichen Ehegattentestament die Trennungslösung gewählt, findet sich aber keine ausdrückliche Erbeinsetzung nach dem Letztversterbenden muss - vorrangig - durch individuelle Auslegung und - nachrangig - durch Heranziehung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB geprüft werden, ob die im Testament benannten Nacherben auch Erben nach dem Letztversterbenden sein sollen.



    3. Ergibt sich die Wechselbezüglichkeit der Berufung der Erben nach dem Letztversterbenden ihrerseits nur über die Heranziehung der Zweifelsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, entsteht das Problem, ob eine Kumulation von Zweifelsegeln möglich ist. Dieses Problem ist für die Kombination der Zweifelsregel des § 2102 Abs. 1 BGB mit § 2270 Abs. 2 BGB nicht geklärt, während eine Kumulation von § 2069 BGB mit § 2270 Abs. 2 BGB jedenfalls nicht stattfindet.


    Tenor:

    1.

    Den Beteiligten zu 3. bis 6. wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.
    2.

    Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. und 6. wird der Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt vom 30. Juli 2012 geändert:

    Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. vom 8. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

    Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Kostenerstattung findet nicht statt.

    Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 155.000,00 €.

    Gründe

    I.

    Die am 20. Juli 2010 verstorbene Erblasserin hatte aus ihrer Ehe mit ihrem 1995 vorverstorbenen Ehemann ... zwei Kinder, nämlich den Beteiligten zu 1. (B) und den wenige Wochen vor der Erblasserin - nämlich am .... - vorverstorbenen Herrn A. (Sterbeurkunde Bl. 114 d.A.). Herr A. seinerseits hatte ein einziges leibliches Kind, nämlich den Beteiligten zu 2. (X). Die Beteiligten zu 3. bis 6. sind die Kinder des Beteiligten zu 2., also die Urenkel der Erblasserin.

    Nach dem Tod der Erblasserin übersandte der Notar ... aus ... dem Nachlassgericht die Kopie eines gemeinschaftlichen handschriftlichen Testamentes der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes vom 19. März 1975 mit dem Hinweis, er habe diese Kopie in der zu seiner Urkunde .../2002 geführten Akte gefunden (dabei handelt sich um ein notarielles Testament der Erblasserin, siehe sogleich unten). In dem erwähnten gemeinschaftlichen Testament heißt es:

    "Unser letzter Wille

    Wir, die Eheleute ..., setzen uns gegenseitig als Vorerben ein.

    Der Vorerbe ist berechtigt, ohne Zustimmung der Nacherben, allein über Grund- bzw. Wohnungseigentum zu verfügen. Diese alleinige Verfügungsberechtigung erlischt bei Wiederheirat des Überlebenden, d.h. ein Verkauf des Besitzes ohne Zustimmung der Nacherben wird dann ausgeschlossen. Die Nacherben können jedoch von sich aus den Verkauf eines solchen Besitzes nicht verlangen.

    Als Nacherben zu gleichen Teilen bestimmen wir unsere beiden Kinder A (geb. ...) und B (beb. ...).. .

    Die Nacherbfolge soll beim Tode des Überlebenden eintreten. Das soll

    auch gelten, wenn der Überlebende noch einmal geheiratet hatte."

    Zu der genannten UR-Nr. .../2002 des Notars .... vom 14. Mai 2002 erklärte die Erblasserin u.a. wie folgt:

    "Ich habe zusammen mit meinem inzwischen verstorbenen Ehemann ... am 19. März 1975 ein handschriftliches Testament errichtet, in dem mein Ehemann und ich uns gegenseitig zu Vorerben eingesetzt haben. Zu Nacherben haben wir, untereinander zu gleichen Teilen, unsere beiden Söhne A und B bestimmt. Unser gemeinschaftliches Testament berechtigt den Vorerben, ohne Zustimmung der Nacherben allein über Grund- und Wohnungseigentum zu verfügen.

    Die in dem gemeinschaftlichen Testament vom 19. März 1975 getroffenen Verfügungen sind nicht wechselbezüglich, weil der der länger lebende Ehegatte ausdrücklich ohne Zustimmung der Nacherben allein über Grund- bzw. Wohnungseigentum verfügen können soll. Hinzu kommt, dass im Zweifel solche Erbeinsetzungen nicht wechselbezüglich sind, bei denen nach dem Tode des länger lebenden Ehegatten allein die gemeinschaftlichen Kinder ohne weitere testamentarische Anordnungen zum Zuge kommen.

    Ich möchte das gemeinschaftliche Testament in folgenden Punkten ändern:

    1. Meinen drei Urenkeln, den Kindern meines Enkels X, nämlich ... vermache ich - untereinander zu gleichen Teilen - meine Eigentumswohnung ...

    2. Meinem Enkel X ... vermache ich ein lebenslanges unentgeltliches Nutzungsrecht an der Wohnung ...

    ...

    5. Im Übrigen bleibt das gemeinschaftliche Testament vom 19. März 1975 unangetastet. Dies betrifft insbesondere die Schlusserbeneinsetzung meiner beiden Söhne A und B zu je der Hälfte des Nachlasses.

    ...

    7. Diese Testamentsänderung soll zusammen mit dem Original des

    gemeinschaftlichen Testaments vom 19. März 1975 in amtliche Verwahrung genommen werden.

    Schließlich erklärte die Erblasserin zur UR-Nr. .../2010 des Notars .... vom 8. Juli 2010 u.a. wie folgt:

    "Ich habe zusammen mit meinem am 4. März 1995 verstorbenen Ehemann ... handschriftlich am 19. März 1975 testiert, ich habe dieses Testament zu Protokoll des Notars ... am 14. Mai 2002 (UR-Nr. .../2002) geändert. Ich möchte nochmals neu testieren ...

    Frau ... erklärte ihren letzten Willen wie folgt:

    1. Ich hebe mein Testament vom 14. Mai 2002 in vollem Umfang auf.

    2. Zu meinen Erben setze ich untereinander zu gleichen Teilen, meine Urenkel ein, zurzeit ... (es folgen die Namen der Beteiligten zu 3. bis 6.).

    ...

    6. Dieses Testament soll beim Amtsgericht Norderstedt bei den beiden

    anderen Testamenten hinterlegt werden ...

    Nach dem Tod der Erblasserin beantragte der Beteiligte zu 1. (B) zur UR-Nr. .../2010 des Notars ... vom 8. Dezember 2010 die Erteilung eines Erbscheins, wonach die Erblasserin beerbt worden sei von ihm und dem Beteiligten zu 2. zu je 1/2-Anteil. In der Urkunde wird ausgeführt, nach Auffassung des Beteiligten zu 1. richte sich die Erbfolge nach dem handschriftlichen Testament vom 19. März 1975 und seien die nachfolgenden Verfügungen der Erblasserin unwirksam. Die Verfügung in dem handschriftlichen Testament, insbesondere die Erbeinsetzung der Kinder der Erblasser seien wechselbezüglich und es sei mit dem Tod des Herrn ... im Jahr 1995 Bindungswirkung eingetreten. Allerdings sei sein Bruder A am ... 2010 vorverstorben. Gemäß der Auslegungsregel des § 2069 BGB gehe er davon aus, dass der Abkömmling seines Bruders, nämlich Herr X seinen Bruder in der Erbfolge ersetze.

    Der Beteiligte zu 2. (X) meldete sich unter dem 10. Dezember 2010 bei dem Amtsgericht Norderstedt und teilte mit, er werde selber den Pflichtteil von 25 % geltend machen. Im Übrigen habe er das hälftige Sorgerecht für seine Kinder, die Beteiligten zu 3. bis 6. und er werde kurzfristig einen Erbscheinsantrag stellen. Er selbst sei als einziger Sohn seines vorverstorbenen Vaters dessen Erbnachfolger.

    Die Beteiligten zu 3. bis 6., für die jeweils Ergänzungspfleger bestellt worden sind, haben geltend gemacht, die Nacherbeneinsetzung in dem gemeinschaftlichen Testament vom 19. März 1995 seien nicht wechselbezüglich. Die Erblasserin habe bereits in dem vom Notar ... 2002 protokollierten Testament angegeben, dass sie sich durch die 1975 getroffenen Verfügungen nicht gebunden fühle. Erben seien die Beteiligten zu 3. bis 6. geworden. In dem fraglichen Testament sei Schlusserbeneinsetzung nicht erfolgt. Die Auslegung ergebe, dass der Überlebende über seinen eigenen Nachlass verfügungsberechtigt sei und bleiben solle.

    Zu Protokoll der Rechtspflegerin des Amtsgerichts ... vom 26. März 2012 beantragte die Ergänzungspflegerin des Beteiligten zu 6. für diesen einen Erbschein, wonach die Erblasserin beerbt worden sei von den Beteiligten zu 3. bis 6. zu je 1/4-Anteil. Dieser Antrag stütze sich - so weiter in der Urkunde - auf die letzte Verfügung der Erblasserin von Todes wegen vom 8. Juli 2010. Wechselbezüglichkeit in dem handschriftlichen Testament habe nicht bestanden. Über diesen Antrag ist noch nicht entschieden worden.

    Der für den Beteiligten zu 1. tätig gewordenen Notar teilte dem Amtsgericht Norderstedt auf dessen Frage unter dem 20. April 2012 mit, dass bei Verfassung des Testamentes aus dem Jahr 1975 ein Grundvermögen in Höhe von 70.000,00 DM bestanden habe, wobei Eigentümer der Immobilie Y die Erblasserin und ihr Ehegatte gewesen seien.

    Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3. bis 6. teilte unter dem 4. Juni 2012 mit, die Eigentumswohnung der Erblasserin in ... sei erst nach dem Tode des Herrn ... von der Erblasserin erworben worden. Zu Lebzeiten seien die Eheleute Eigentümer einer Immobilie Y gewesen, die noch zu Lebzeiten der Erblasserin verkauft worden sei, der Kaufpreis sei auf einen Notaranderkonto hinterlegt (Kaufvertragsurkunde vom ...). Zur Frage der Fortgeltung des nicht mehr auffindbaren gemeinschaftlichen Testamentes solle nicht weiter vorgetragen werden. Der Inhalt des gemeinschaftlichen Testamentes zeige aber, dass die Testierenden genaue Vorstellungen über die Wirkung der Vor- und Nacherbschaft gehabt hätten. Dadurch, dass sie bewusst darauf verzichtet hätten, eine Erbfolgeregelung für den Fall des Todes des Überlebenden zu treffen, hätten sie zu erkennen gegeben, dass sie den Überlebenden in seinem Recht, über seinen eigenen Nachlass zu verfügen, nicht hätten einschränken wollen. Dafür streite nicht zuletzt die Tatsache, dass gerade die Frage der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament bei der Errichtung des Testament am 14. Mai 2002 Gegenstand der Überlegungen der Erblasserin gewesen sei. Diese sei nicht von der Wechselbezüglichkeit ausgegangen. Die Auslegungsregel des § 2102 BGB greife nicht, weil die Testierenden die Söhne im gemeinschaftlichen Testament nur als Vorerben und nicht als Schlusserben eingesetzt hätten.

    Mit Beschluss vom 30. Juli 2012 hat das Amtsgericht die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins des Beteiligten zu 1. erforderlich seien, für festgestellt erachtet. Es hat weiter mitgeteilt, es beabsichtige, dem Beteiligten zu 1. einen Erbschein dahin zu erteilen, dass die Erblasserin beerbt worden sei zu jeweils 1/2-Anteil von den Beteiligten zu 1. und 2.. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses werde ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.

    Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, es habe keinen Zweifel daran, dass das am 19. März 1975 von der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehemann errichtete Testament nicht wirksam aufgehoben worden sei, auch wenn nur eine Kopie vorliege. Dies genüge hier zum Nachweis der Existenz des Testamentes. Dass es nicht aufgehoben worden sei, folge aus den Erklärungen der Erblasserin in ihrem Testament vom 14. Mai 2002.

    Dieses Testament sei durch die Testamente der Erblasserin vom 14. Mai 2002 und 8. Juli 2010 nicht wirksam widerrufen worden. Die Erblasserin und ihr Ehemann hätten den Fall des Vorversterbens des Vorerben nicht ausdrücklich geregelt und keine ausdrückliche Regelung dahin getroffen, dass die Nacherben zugleich als Ersatzerben für den Fall des Überlebens eines Ehegatten eingesetzt werden sollten. Dass die Eheleute dieses hätten ausdrücklich ausschließen wollen, sei dem Testament aber nicht zu entnehmen. Es sei daher die Zweifelsregel des § 2102 Abs. 1 BGB anzuwenden, wonach der Nacherbe im Zweifel auch als Ersatzerbe eingesetzt sei. Diese Regelung sei auch auf den Fall anzuwenden, wonach sich Eheleute gegenseitig als Vorerben eingesetzt hätten und einen Dritten als Nacherben. Die Regelung hinsichtlich der Befreiung des Vorerben hätte diesen lediglich in die Lage versetzen sollen, über den fraglichen Gegenstand - damals sei nur Grundeigentum Y vorhanden gewesen - zu verfügen. Daraus folge aber nicht, dass der Überlebende auch frei sein sollte über den Nachlass (von Todes wegen) zu verfügen. Die Erblasserin sei gemäß § 2271 Abs. 2, Satz 1, Halbsatz 1 BGB daran gehindert, diese Ersatzerbenregelung zu widerrufen, weil auch diese wechselbezüglich sei. Das folge nach der Beurteilung des Gerichts zum Einen aus der Formulierung zur Wiederheirat. Läge diese nicht vor, wäre jedenfalls nach der Regelung des § 2270 Abs. 2 BGB Wechselbezüglichkeit anzunehmen. Die Erbfolge des Beteiligten zu 2. sei gemäß § 2069 BGB eingetreten.

    Gegen diesen dem Ergänzungspfleger der Beteiligten zu 3. bis. 5. am 3. August 2012 und dem Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 6. am 6. August 2012 zugestellten Bescheid (Bl. 163, 165 d.A.) hat der Ergänzungspfleger der Beteiligten zu 3. bis 5. am 3. September 2012 (Bl. 168 d.A.) und der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 3. bis 6. auch für den Beteiligten zu 6. am 4. September 2012 (Bl. 170 d.A.) Beschwerde eingelegt und zugleich Verfahrenskostenhilfe für die Beteiligten zu 3. bis 6. im Beschwerdeverfahren unter seiner Beiordnung beantragt.

    Zur Begründung der Beschwerde und des Verfahrenskostenhilfeantrags ist ausgeführt worden:

    Das Amtsgericht habe der Tatsache zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen, dass das Testament vom 19. März 1975 schon beim ersten Erbfall nicht mehr vorhanden gewesen sei. Die Existenz dieses Testamentes sei weder mit den strengen von der Rechtsprechung geforderten Beweismitteln nachgewiesen, noch überhaupt nachzuweisen. In dem Testament vom 14. Mai 2002 sei nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass das gemeinschaftliche Testament aufgehoben worden sei. Eine solche Erklärung hätte die Erblasserin aber auch nicht abgeben können, weil sie mit dem nicht in Urschrift existenten gemeinschaftlichen Testament den Erbschein nach ihrem Ehemann beantragt hätte. Deshalb sei die Frage der Gültigkeit des gemeinschaftlichen Testaments in der Urkunde am 14. Mai 2002 weder erörtert noch geklärt worden.

    Zu Unrecht gehe das Amtsgericht davon aus, dass die Erblasserin an der Einsetzung der Enkelkinder gemäß § 2271 Abs. 2, Satz 1, Halbsatz 1 BGB gehindert gewesen sei. Ohne Wechselbezüglichkeit könne bei einem gemeinschaftlichen Testament aber keine Bindung eintreten. Andererseits sei eine Wechselbezüglichkeit ohne Bindung sehr wohl zulässig. Es müsse deshalb - wolle man von der Unwirksamkeit der von der Erblasserin nachträglich geschlossenen Testamente ausgehen - sowohl die Wechselbezüglichkeit als auch die Bindung des gemeinschaftlichen Testamentes geprüft und festgestellt werden. Das Gericht hätte insbesondere die Zölibatsklausel darauf prüfen müssen, ob die Testierenden sich 1975 vorgestellt hätten, dass der Nachlass des Erstversterbenden und das Eigenvermögen des Überlebenden voneinander getrennt würden und damit der Nachlass auch getrennt vererbt werden könne. Dafür spreche einerseits die eingeräumte Verfügungsbefugnis über den zum Nachlass gehörenden Grundbesitz, die dem Überlebenden größtmögliche Entscheidungsfreiheit gewähren solle und andererseits der Hinweis in dem notariellen Testament vom 14. Mai 2002, dass die Testierenden keine wechselbezüglichen Verfügungen hätten treffen wollen. Das deute darauf hin, dass die Erblasserin auf jeden Fall über ihr eigenes Vermögen hätte frei verfügen können sollen.

    Die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2. haben im Beschwerdeverfahren unter Hinweis auf einen Beschluss des OLG Hamm vom 29. März 2011, 10 U 112/10, erklärt, es bestehe eindeutig eine Bindungswirkung der Erblasserin an ihr ursprünglich am 19. März 1975 errichtetes Testament.

    II.

    Die Beschwerde ist nach den §§ 58 ff FamFG zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden.

    Über die Beschwerde kann der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. Senat Beschluss vom 14. Januar 2010, 3 Wx 92/09, FGPrax 2010, 106 ff = FamRZ 2010, 1178 ff; zustimmend KG, Beschluss vom 29. Juni 2010, 1 W 161/10, bei [...] Rn. 10 ff) worauf die Beteiligten mit Verfügung vom 1. März 2013 hingewiesen worden sind, ohne dass sie Bedenken erhoben haben.

    Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Zwar dürfte der Beteiligte zu 1. (der Antragsteller) testamentarischer Erbe nach der Erblasserin zu 1/2 geworden sein, jedenfalls aber nicht ebenso der Beteiligte zu 2. Dann kann der Erbschein nicht wie beantragt erlassen werden und ist der Antrag mithin zurückzuweisen, denn das Nachlassgericht kann nicht von sich aus einen anderen Erbschein als beantragt erlassen.

    Das ergibt sich aus folgenden Gründen:

    1.

    Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1., wonach die Erblasserin von diesem und dem Beteiligten zu 2. zu je 1/2 beerbt worden ist, kann ersichtlich nur auf der Grundlage des Testamentes aus dem Jahr 1975, also des handschriftlichen Ehegattentestamentes, Erfolg haben. Von dessen Existenz noch beim ersten Erbfall (Ehegatte der Erblasserin) und dessen Inhalt gemäß der vorliegenden Kopie ist der Senat überzeugt, auch wenn das Original fehlt.

    Weil es sich um ein gemeinschaftliches Testament handelt und der Ehegatte der Erblasserin bereits 1995 verstorben ist, hätte eine Eröffnung anlässlich des Todes des Ehemannes erfolgen müssen. Ob das geschehen ist, lässt sich aber nicht mehr feststellen. Ausweislich Bl. 29 der Testaments-Beiakte hat der Ehemann der Erblasserin in Hamburg gelebt. Deswegen hat das Amtsgericht Norderstedt bei dem zuständigen Hamburger Amtsgericht Nachfrage gehalten, dort aber die (aufgestempelte) Antwort "Vorgang nicht vorhanden" erhalten. Es ist daraufhin nach der Erblasserin die Testamentskopie eröffnet worden, die sich bei den Akten zur UR-Nr. .../2002 des Notars ... befand. In dieser Urkunde des Notars ... wird das Testament vom 19. März 1975 nicht nur in Bezug genommen, sondern heißt es in dessen letzten (7.) Punkt, dass die Testamentsänderung zusammen mit dem Original des gemeinschaftlichen Testamentes vom 19. März 1975 in amtliche Verwahrung genommen werden solle. Der Verwahrungsschein findet sich nach Bl. 12 der Testamentsakte in Kopie, enthält aber keinen Hinweis auf ein beigefügtes gemeinschaftliches Testament.

    Erstinstanzlich haben sich die beteiligten Anwälte nicht ausdrücklich dagegen gewandt, von der Existenz des gemeinschaftlichen Testamentes im Zeitpunkt des Todes des Ehemannes der Erblasserin auszugehen. Erstmals ist der Beschwerdebegründung (Bl. 174 d.A.) zu entnehmen, dass das fragliche Testament offenbar schon beim ersten Erbfall nicht mehr vorhanden gewesen sein soll. Die Erblasserin habe deshalb in ihrem Testament vom 14. Mai 2002 nicht ausdrücklich darauf hinweisen können, dass das gemeinschaftliche Testament aufgehoben worden sei, weil sie mit dem nicht in Urschrift existenten gemeinschaftlichen Testament den Erbschein nach ihrem Ehemann beantragt habe. Für diese Darstellung der Beteiligten zu 3. bis 6. - also der Urenkel der Erblasserin - lassen sich der Akte und den Beiakten allerdings keine Hinweise entnehmen.

    Am 22. September 1996 (ausweislich Bl. 83 der Beiakte 33 VI 565/12) ist indes wegen des Grundeigentums auf Fehmarn in das dortige Grundbuch eingetragen worden:

    "Die Erbbauberechtigte Abteilung I Nr. 2 ist befreite Vorerbin. Die Befreiung erlischt mit ihrer Wiederheirat. Nacherben sind A und B. Der Nacherbfall tritt ein mit dem Tode der Vorerbin."

    Es handelt sich hier um die Immobilie Y, die schon zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes im Jahr 1975 im Miteigentum der Erblasserin und ihres Ehegatten stand (Bl. 119 d.A.). Hat offensichtlich eine Umschreibung allein auf die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes stattgefunden, muss dort gegenüber dem Grundbuchamt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO ein Erbschein vorgelegt worden sein. Die Grundbucheintragung ist mithin ein Indiz dafür, dass das Ehegattentestament nach dem Tod des Ehemannes der Erblasserin im Jahr 1995 noch existiert hat. Weitere Indizien sind die beiden notariellen Einzeltestamente der Erblasserin aus den Jahren 2002 und 2010, wo jeweils von der Existenz des Ehegattentestamentes ausgegangen wird.

    Zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts ist gemäß den §§ 2355, 2356 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Originalurkunde vorzulegen, auf die der Antragsteller sein Erbrecht stützen möchte. Bei Unauffindbarkeit des Testamentes besteht zwar keine Vermutung dafür, dass es der Erblasser vernichtet hat. Wer sich aber auf ein unauffindbares Testament beruft, muss die formgültige Errichtung und den Inhalt des Testaments beweisen und trägt im Erbscheinsverfahren insoweit die Feststellungslast. An den Nachweis sind wegen der für die Errichtung des Testaments geltenden Formvorschriften strenge Anforderungen zu stellen (Senatsbeschluss vom 12. September 2011, 3 Wx 44/10, FamRZ 2012, 903 ff; BayObLG FamRZ 2005, 138 f; OLG München NJW-RR 2010, 1664 [OLG München 22.04.2010 - 31 Wx 11/10]; OLG Saarbrücken, FamRZ 2001, 1313 ff).

    Mit dem Amtsgericht kann sich der Senat im vorliegenden Fall eine Überzeugung von der Existenz, dem Inhalt und der Formgültigkeit des Ehegattentestamentes aus den Jahren 1975 bilden. Der Grundbucheintrag aus dem Jahr 1996 setzt voraus, dass der Erblasserin ein Erbschein erteilt worden ist. Der Grundbucheintrag gibt gerade den zentralen Inhalt des in Kopie vorliegenden Ehegattentestamentes wieder, nämlich die Vorerbschaft der Erblasserin, die Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen der Vorerbschaft - die allerdings mit Wiederheirat erlischt -, den Eintritt des Nacherbfalles beim Tode der Vorerbin und die Bestimmung des Beteiligten zu 1. (B) sowie seines vorverstorbenen Bruders A zu Nacherben. Ein Erbschein kann nur erteilt worden sein, nachdem sich das dort zuständige Nachlassgericht von der Existenz, dem Inhalt und der Formgültigkeit des fraglichen Testamentes überzeugt hat.

    Ein weiteres erhebliches Indiz ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass die Erblasserin selbst bei ihrem notariellen Testament aus dem Jahr 2002 ohne weiteres von der Existenz und auch dem Fortbestand des Ehegattentestamentes ausgegangen ist. Ein Widerruf des gemeinschaftlichen Testamentes wäre nur durch ein anderes gemeinschaftliches Testament der Eheleute oder durch einseitige notarielle Erklärung eines der Eheleute jeweils mit notwendigen Zugang bei dem anderen möglich, wie sich aus den §§ 2271 Abs.1 Satz 1, 2296 BGB ergibt. Ein anderes Ehegattentestament oder ein derartiger notarieller Widerruf sind nicht bekannt und davon ist die Erblasserin auch 2002 bzw. 2010 ersichtlich nicht ausgegangen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass seitens des Ehemannes der Erblasserin bzw. der Erblasserin irgendeine Veranlassung bestanden hätte, das gemeinschaftliche Testament zu widerrufen. Auch ist nicht ersichtlich, dass sich die Erblasserin wider besseres Wissen auf ein nicht mehr gültiges Ehegattentestament berufen hat. Vielmehr liegt hier ein Selbstzeugnis der Erblasserin betreffend die Existenz des Ehegattentestamentes im Zeitpunkt des ersten Erbfalles vor, das durch das jedenfalls in Fotokopie in der Notarakte vorhandene Exemplar ergänzt wird.

    Nach allem kann der Senat auch die Überzeugung von dem Inhalt und der Formgültigkeit des Testamentes gewinnen.

    2.

    Das Ehegattentestament aus dem Jahr 1975 enthält eine Einsetzung der beiden Söhne der Ehegatten als Erben zu je 1/2 nach dem Überlebenden.

    Zwar kann dies dem Wortlaut des Testamentes nicht entnommen werden. Denn das Testament regelt ausdrücklich nur die gegenseitige Einsetzung der Eheleute als Vorerben und die Bestimmung der beiden gemeinsamen Kinder als Nacherben zu gleichen Teilen, wobei die Nacherbfolge beim Tode des Überlebenden eintreten soll. Damit wäre dem Wortlaut folgend die Erbfolge nach dem Überlebenden nicht geregelt.

    Allerdings findet sich in der Rechtsprechung eine Vielzahl von Fällen, wo sich Eheleute jeweils in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Vorerben bestimmt und die gemeinsamen Kinder als Nacherben berufen haben, ohne eine ausdrückliche Regelung für die Erbfolge nach dem letztversterbenden Ehegatten zu treffen, und wo sich dennoch aus diesen Testamenten die Erbfolge nach dem Letztversterbenden ergibt, nämlich entweder durch - vorrangig zu prüfende - individuelle Auslegung oder aber durch Heranziehung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB (OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 776 ff; OLG Hamm, FamRZ 2005, 1592 ff; OLG Celle FamRZ 2003, 887 f; OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 582 [OLG Karlsruhe 20.12.2002 - 11 Wx 91/01] f; BayObLG FamRZ 1992, 476 f).

    Betrachtet man im vorliegenden Fall den Wortlaut des Ehegattentestamentes, ergibt sich aus der Regelung über die Wiederverheiratung ein Hinweis darauf, dass die Eheleute die Vorstellung hatten, mit diesem Testament auch die Erbfolge nach dem Überlebenden dahin zu regeln, dass die eingesetzten Nacherben insoweit Ersatzerben sein sollen. Denn zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Testamentes gab es allein das Grundeigentum Y, wo die Eheleute aber Miteigentümer waren. Hätten die Eheleute bei Testamentserrichtung die Vorstellung gehabt, dass sie nur die Erbfolge nach dem Erstversterbenden regeln, dann hätte es nahegelegen, hinsichtlich des Grundeigentums anzugeben, dass sich die Bestimmungen dort jeweils nur auf den Miteigentumsanteil des Erstversterbenden beziehen.

    Neben diesem Anhalt aus dem Testamentswortlaut ist zu fragen, ob sich nicht aus den sonstigen Umständen weitere Anhaltspunkte für die seinerzeitige Vorstellung der Ehegatten ergeben. Insoweit kann von Bedeutung sein, wie der jeweilige Überlebende das Testament verstanden hat (so auch im Fall des OLG Frankfurt NJW-RR 2012, 776 ff bei [...] Rn. 25). Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die Erblasserin ausweislich ihres Testamentes aus dem Jahr 2002 ausdrücklich nicht nur geregelt hat, dass das gemeinschaftliche Testament im Übrigen unangetastet bleiben solle, sondern zusätzlich bestimmt hat, dass dies "insbesondere die Schlusserbeneinsetzung meiner beiden Söhne ... zu jeder Hälfte des Nachlasses" betrifft. Die Erblasserin hat in diesem Testament aus dem Jahr 2002 nur Vermächtnisse geregelt und ist im Übrigen ohne weiteres davon ausgegangen und hat bestätigt, dass sie das gemeinschaftliche Testament dahin versteht, dass dort auch eine Regelung der Erbfolge nach ihr selbst als Überlebende enthalten ist, nämlich dahingehend, dass ihre beiden Söhne "Schlusserben" sein sollten.

    Dabei kann sich nicht nur um eine juristische Interpretation des beurkundeten Notars handeln. Diesem lag der Text des Ehegattentestamentes mindestens in Kopie vor und er muss ihn auch ausweislich des übrigen Inhaltes der Urkunde aus dem Jahr 2002 mit der Erblasserin besprochen haben. Die Erblasserin aber hat keine Veranlassung gesehen, 2002 eine Erbeinsetzung zu verfügen, denn sie ist ohne weiteres davon ausgegangen und hat dies ausdrücklich bestätigt, dass die Erbeinsetzung nach ihr - der Überlebenden - eben aus ihrer Sicht schon in dem Testament von 1975 vorhanden war. Das ist ein deutlicher Hinweis auch auf das gemeinschaftliche Verständnis der Eheleute anlässlich der Beurkundung 1975.

    Der Senat kommt mithin bereits im Wege der individuellen Auslegung zu dem Ergebnis, dass sich aus dem Testament von 1975 eine Berufung der beiden Söhne zu Miterben zu je 1/2 nach dem Überlebenden ergibt. Es bedarf mithin nicht der Heranziehung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB, die hier allerdings zu dem gleichen Ergebnis führen würde (für die Anwendbarkeit dieser Norm in derartigen Fallkonstellation vgl. die bereits zitierte obergerichtliche Rechtsprechung und Palandt/Weidlich, BGB, 72. Auflage 2013, § 2102 Rn. 3; Schneider in jurisPK-BGB, 6. Auflage 2012, § 2102 Rn. 6; Litzenburger in Bamberger/Roth, BGB, 2. Auflage 2008, § 2102 Rn. 5).

    3.

    An die Stelle des in dem Testament als Miterben nach dem Überlebenden berufenen, aber wenige Wochen vor dem Tod der Erblasserin vorverstorbenen Sohnes A, wäre dessen einziger Sohn, nämlich der Beteiligte zu 2. (X), nur unter Heranziehung der Auslegungsregel des § 2069 BGB getreten.

    Davon geht der Beteiligte zu 1. in seinem Erbscheinsantrag aus, ebenso das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss. Beide berufen sich ausdrücklich auf die Heranziehung der Auslegungsregel des § 2069 BGB.

    Vor Heranziehung der Auslegungsregel ist indes zu fragen, ob sich durch individuelle Auslegung ergibt, dass nach dem Willen der testierenden Eheleute anstelle eines vorverstorbenen Kindes dessen Abkömmlinge treten sollen. Die Fragestellung ist hier deshalb von Bedeutung, weil es - wenn die Berufung des Beteiligten zu 2. zum Erben nur auf § 2069 BGB beruht - im Folgenden möglicherweise bei der unten zu diskutierenden Frage der Wechselbezüglichkeit zu einer Kumulation mit der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB kommen könnte, was nach der BGH-Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, nicht möglich ist und zu dem zwangsläufigen Ergebnis führt, dass die letztlich auf Anwendung der Zweifelregel in § 2069 BGB beruhende Berufung des Beteiligten zu 2. nicht wechselbezüglich ist, eine etwa bestehende Bindung der Erblasserin jedenfalls mit dem Tode des Sohnes A in Wegfall gekommen ist, mithin in Bezug auf diese Hälfte ihres Nachlasses wieder Testierfreiheit eintritt und das Testament aus dem Jahr 2010 zur Anwendung kommen würde.

    Durch individuelle Auslegung des Testamentes aus dem Jahre 1975 lässt sich die Berufung des Enkels - nämlich des Beteiligten zu 2. - nicht erkennen. Zwar war der Enkel zu diesem Zeitpunkt bereits geboren, denn sein Geburtsdatum ist der ... 1973 (Bl. 113 d.A.). Indes gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute sich im Testierzeitpunkt 1975 konkrete Vorstellungen darüber gemacht haben, was passieren würde, wenn einer ihrer Söhne vorversterben würde. Das OLG Hamm hat zwar (in FamRZ 2004, 662 f) für eine individuelle Auslegung ausreichen lassen, dass es eine besondere Intensität der familiären Bindungen zwischen den testierenden Großeltern und den Enkelkindern festgestellt hat. Indes greift in solchen Fällen letztlich nur die allgemeine Lebenserfahrung, dass Testierende bei guten familiären Bindungen an Stelle ihres Kindes die Enkelkinder berufen hätten, wenn sie denn von dem Vorversterben ausgegangen wären. Diese allgemeine Lebenserfahrung liegt gerade der Auslegungsregel des § 2069 BGB zugrunde (vgl. ähnlich bereits die Argumentation des OLG Schleswig im Beschluss vom 25. Juni 2010, ZErb 2010, 264 ff mit zustimmender Anmerkung von Lange, jurisPR-FamR 21/2010, Anm. 6).

    4.

    Es ist weiter zu prüfen, ob die Berufung des Beteiligten zu 1. (durch individuelle Auslegung) und des Beteiligten zu 2. (unter Heranziehung von § 2069 BGB) als Erben der Erblasserin in dem Testament von 1975 wechselbezüglich ist und insofern auch eine Bindung der Erblasserin nach den §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB mit dem Tod ihres Ehemannes und ihrer Annahme der Erbschaft eingetreten ist. Das ist aber hinsichtlich des Beteiligten zu 2. nicht der Fall.

    Auch hier ist vorrangig zu fragen, ob sich eine Wechselbezüglichkeit und eine Bindung bereits durch individuelle Auslegung ergibt oder ob sie durch individuelle Auslegung auszuschließen ist. Ausdrücklich ist in dem fraglichen Testament zur Frage der Wechselbezüglichkeit aber nichts erwähnt. Durch individuelle - auch ergänzende Auslegung - lassen sich Wechselbezüglichkeit und Bindung für die Berufung des Beteiligten zu 2. nicht feststellen.

    a.

    Die Beteiligten zu 3. bis 6. sehen einen wesentlichen Hinweis gegen eine von den Erblassern seinerzeit gewollte Wechselbezüglichkeit in der Erklärung der Erblasserin in dem Testament aus dem Jahr 2002. Dort heißt es nämlich, die in dem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen seien nicht wechselbezüglich, weil der länger lebende Ehegatte ohne Zustimmung der Nacherben allein über Grund- bzw. Wohnungseigentum hätte verfügen können sollen. Es komme hinzu, dass im Zweifel solche Erbeinsetzungen nicht wechselbezüglich seien, bei denen nach dem Tode des länger lebenden Ehegatten die gemeinschaftlichen Kinder ohne weitere testamentarische Anordnungen zum Zuge kommen würden.

    Die von den Beteiligten zu 3. bis 6. hier in Bezug genommene Passage ist in der Urkunde von 2002 zwar als Erklärung der erschienen Erblasserin aufgenommen worden. Dieser Erklärung lassen sich aber keine konkreten Hinweise auf gemeinschaftliche Vorstellungen der beiden Ehegatten bei der Testierung 1975 entnehmen. Die in der Erklärung liegende Interpretation ist hinsichtlich der dort genannten angeblichen Zweifelsregel ersichtlich falsch und widerspricht gerade der gesetzlichen Auslegungsregel in § 2270 Abs. 2 BGB. Sie ist aber auch hinsichtlich der Bezugnahme auf die im Testament geregelte Verfügungsmöglichkeit des Überlebenden über Grund- und Wohnungseigentum nicht richtig. Denn diese Passage regelt keine Verfügungsmöglichkeit von Todes wegen und kann deshalb auch nichts darüber aussagen, ob und inwieweit Verfügungen von Todes wegen in dem Ehegattentestament wechselbezüglich sein sollen und eine Bindung des Überlebenden vorliegt. Danach soll der Vorerbe nämlich nur berechtigt sein, "ohne Zustimmung der Nacherben" allein über Grund- bzw. Wohnungseigentum zu verfügen. Diese alleinige Verfügungsberechtigung soll bei Wiederheirat des Überlebenden erlöschen, "d.h. ein Verkauf des Besitzes ohne Zustimmung der Nacherben wird dann ausgeschlossen". Die Wortwahl macht deutlich, dass die Testierenden bei diesen Sätzen betreffend die Verfügungsmöglichkeit des Überlebenden über das Grundeigentum nur eine Verfügung unter Lebenden geregelt haben, nicht aber die Möglichkeit auch einer Verfügung von Todes wegen.

    Aus der genannten Passage in dem Testament von 2002 ergibt sich mithin kein Anhalt dafür, dass die Eheleute eine Wechselbezüglichkeit der Berufung ihrer beiden Söhne und eine Bindung des Überlebenden nicht gewollt haben.

    b.

    Das Amtsgericht hat argumentiert, dass sich die Wechselbezüglichkeit der "Ersatzerbenregelung" und damit die zwischenzeitlich eingetretene Bindung der Erblasserin "aus der Formulierung zur Wiederheirat" und deshalb in erster Linie aus individueller Auslegung ergeben solle. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Passage über den Fall der Wiederheirat lässt sich nichts Konkretes zum Problem des Ersatzerben entnehmen.

    Allerdings wird im klassischen Fall eines Ehegattentestaments, wo sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben einsetzen, zwischen der Erbeinsetzung des Überlebenden und dessen Schlusseinsetzung der Kinder Wechselbezüglichkeit bereits ohne Heranziehung der Auslegungsregel angenommen (vgl. etwa Schmidt in Erman, BGB, 13. Auflage 2011, § 2270 Rn. 2). Hinsichtlich des Beteiligten zu 2. ist hier aber zu bedenken, dass es sich bei ihm - für den sich eine Berufung zum Ersatzerben nur über § 2069 BGB ergibt, s.o. - um einen Enkel der Eheleute handelt. Insoweit ist kein Anhalt ersichtlich, um über eine individuelle Auslegung zur Wechselbezüglichkeit und Bindung zu kommen. Allerdings folgt dieses Ergebnis aus der Heranziehung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 Hs. 2 Alt. 1 BGB.

    c.

    Damit aber kommt es hinsichtlich des Beteiligten zu 2. zu einer Kumulation der beiden Auslegungsregeln aus § 2270 Abs. 2 BGB und § 2069 BGB, die nach der Rechtsprechung des BGH nicht möglich ist (BGH NJW 2002, 1126 [BGH 16.01.2002 - IV ZB 20/01]; ebenso OLG Schleswig a.a.O.; Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2270 Rn. 10 m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass eine Bindung hinsichtlich der Ersatzerbenberufung des Beteiligten zu 2. nicht vorliegt und die Erblasserin insoweit abweichend vom Ehegattentestament testieren konnte. Mit dem Versterben ihres im Testament genannten Sohnes A wenige Wochen vor ihrem eigenen Tod ist die ursprünglich wechselbezügliche und bindende Verfügung hinsichtlich dieses Sohnes gegenstandslos geworden und hat die Erblasserin ihrer Testierfreiheit wiedererlangt (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2271 Rn. 13).

    Dann aber dürfte - was hier allerdings letztlich nicht weiter zu entscheiden ist - hinsichtlich der Hälfte des Nachlasses der Erblasserin, für die nach dem Ehegattentestament der Beteiligte zu 2. als Ersatzerbe berufen gewesen wäre, das spätere notarielle Testament der Erblasserin aus dem Jahre 2010 mit der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3. bis 6. zum Zuge kommen, so dass sie im Ergebnis von dem Beteiligten zu 1. zu 1/2 und von den Beteiligten zu 3. bis 6. zu je 1/8 beerbt worden ist. Der hier fragliche Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. - Erbschein mit dem Inhalt beantragt, dass der Erblasser von den Beteiligten zu 1. und 2. zu je 1/2 beerbt worden ist - kann jedenfalls keinen Erfolg haben.

    5.

    Die Gerichtskostenfreiheit für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 131 Abs. 3 KostO. Kostenerstattung war unter Heranziehung von § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht anzuordnen. Bei der Ermessensentscheidung war zu berücksichtigen, dass die Beschwerde der Beteiligten zu 3. bis 6. zwar formell Erfolg hat, als der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1. zurückgewiesen worden ist, nicht aber in vollem Umfang in der Begründung insoweit, als die Beteiligten zu 3. bis 6. geltend gemacht haben, sie allein seien Erben der Erblasserin geworden.

    Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren war in Höhe des reinen Nachlasswertes festzusetzen (§§ 131 Abs. 4, 107 Abs. 1 u. 2, 30 KostO). Der reine Nachlasswert von rund 155.000 € ergibt sich aus dem Nachlassverzeichnis der Nachlasspflegerin vom 20. Januar 2013, Bl. 74 ff der Beiakte 33 VI 565/12.

    Vorschriften§ 2069 BGB § 2102 Abs. 1 BGB § 2270 Abs. 2 BGB