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  • 25.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144786

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 18.03.2015 – 4 K 3087/14 Erb

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Düsseldorf

    4 K 3087/14 Erb

    Tenor:

    Der Erbschaftsteuerbescheid des Beklagten vom 10. Juli 2014 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2014 wird aufgehoben.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand:

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    Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des A. Das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen wurde unter dem 14. April 2010 bei dem Amtsgericht … eröffnet.

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    Die Erblasserin B verstarb im Oktober 2010. Sie wurde ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts … vom 27. April 2012 von A allein beerbt. Dieser nahm die Erbschaft im Mai 2012 an.

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    Der Beklagte setzte unter dem 14. Juni 2012 im Hinblick auf diesen Erwerb des A 23.490 € Erbschaftsteuer fest. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde dem Kläger als Insolvenzverwalter des A bekannt gegeben. Außerdem forderte der Beklagte den Kläger zur Zahlung auf. Darüber hinaus meldete der Beklagte den Betrag von 23.490 € am 28. Juni 2012 zur Insolvenztabelle an.

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    Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 14. Juni 2012 Einspruch ein. Er begehrte neben dem Abzug eines sachlichen Freibetrags von 20.000 € die Berücksichtigung weiterer Nachlassverbindlichkeiten.

    6

    Der Beklagte erließ daraufhin unter dem 1. August 2012 einen geänderten Bescheid, in welchem er dem Einspruch im Hinblick auf den begehrten Freibetrag abhalf und 17.490 € Erbschaftsteuer festsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob der Beklagte auf. Allerdings sei der Bescheid wegen möglicher weiterer Nachlassverbindlichkeiten und Erbfallkosten vorläufig nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO), da diese noch nicht abschließend ermittelt worden seien. Dieser Bescheid wurde dem Kläger als Vertreter des A bekannt gegeben und der Kläger zur Zahlung aufgefordert. Die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung minderte der Beklagte unter dem 20. Januar 2014 auf 17.490 €.

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    Nach weiteren Ermittlungen im Zusammenhang mit den geltend gemachten Nachlassverbindlichkeiten erließ der Beklagte unter dem 10. Juli 2014 einen Bescheid über Erbschaftsteuer, in welchem er unverändert 17.490 € Erbschaftsteuer festsetzte. Er erklärte den Bescheid hinsichtlich der Nachlassverbindlichkeiten für endgültig, da die bisher angegebenen Beträge unter dem Pauschbetrag lägen. Kosten der Erben nach dem Tod der Erblasserin seien nicht abzugsfähig. Darüber hinaus sei der Bescheid vorläufig im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängige Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuergesetzes. Auch dieser Bescheid wurde dem Kläger als Insolvenzverwalter des A bekannt gegeben und der Kläger zur Zahlung aufgefordert.

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    Der Kläger legte gegen den Bescheid vom 10. Juli 2014 Einspruch ein. Bei der Erbschaftsteuer handele es sich um eine Insolvenzforderung unabhängig davon, wann diese fällig werde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) seien Nachlassgläubiger genauso wie persönliche Gläubiger als Insolvenzgläubiger zu behandeln, wenn die Erbschaft nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfalle. Sie alle seien aus der Insolvenzmasse zu befriedigen, welche in diesen Fällen aus dem Schuldnervermögen und dem Nachlass bestehe. Denn das neu erworbene Vermögen könne nicht losgelöst von den ihm anhaftenden Verbindlichkeiten betrachtet werden. Auch stelle die Erbschaftsteuer keine Masseverbindlichkeit dar, weil sie nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse begründet worden sei. Vielmehr sei der Schuldner allein für die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft nach § 83 der Insolvenzordnung (InsO) verantwortlich. Hierbei handele es sich um ein höchstpersönliches Recht des Schuldners. Der Tatbestand des § 55 Abs. 1 InsO sei nicht erfüllt, da der Insolvenzverwalter weder ein eigenes Wahlrecht noch die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Schuldner habe. Darüber hinaus sei es nicht zulässig, dass der Beklagte die Erbschaftsteuer einerseits als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet habe und andererseits als Masseverbindlichkeit gegenüber ihm selbst geltend gemacht habe. Schließlich seien die entstandenen Säumniszuschläge aus Gründen der sachlichen Unbilligkeit zu erlassen.

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    Der Beklagte wies den Einspruch mit Entscheidung vom 25. August 2014 als unbegründet zurück. Es bestehe schon eine Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit nach § 351 Abs. 1 AO, da der angefochtene Bescheid einen bestandskräftigen Bescheid geändert habe und bei dieser letzten Änderung nur der Umfang der Vorläufigkeit neu bestimmt worden sei. Eine andere Änderungsvorschrift der AO sei nicht einschlägig. Im Übrigen seien Steueransprüche, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahren begründet worden seien, Masseforderungen im Sinne des § 55 InsO und durch Steuerbescheide mit Leistungsgebot geltend zu machen. Entsprechendes gelte bei einem Erbanfall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Erbschaftsteuer werde zur Zeit der Annahme der Erbschaft Masseverbindlichkeit. Damit entstehe sie erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

    10

    Mit seiner Klage trägt der Kläger ergänzend vor: Das im Erbschaftsteuerbescheid berücksichtigte Grundvermögen habe einen viel geringeren Wert von max. 33.750 €. Darüber hinaus sei der Bescheid auch rechtswidrig, weil der Beklagte die Erbschaftsteuer sowohl als Insolvenzforderung als auch als Masseverbindlichkeit geltend gemacht habe.

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    Der Kläger beantragt,

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    den Erbschaftsteuerbescheid des Beklagten vom 10. Juli 2014 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2014 aufzuheben.

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    Der Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

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    Er wiederholt und vertieft im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, dass der Rechtsprechung des BGH nichts zu Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zu entnehmen sei.

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    Entscheidungsgründe:

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    Die Klage hat Erfolg.

    18

    Die erhobene Anfechtungsklagte ist statthafte Klageart nach § 40 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), auch wenn die Frage der Nichtigkeit des angefochtenen Bescheides im Raum steht. Ein Steuerbescheid ist unwirksam, wenn es sich bei den Steuerforderungen - wie der Kläger vorträgt - um Insolvenzforderungen handelt, die zur Tabelle angemeldet werden müssten (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 18. Dezember 2002 I R 33/01, BStBl II 2003, 630). Die Erhebung einer Anfechtungsklage trotz etwaiger Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist aber anerkannt, weil durch die vom Finanzgericht ggf. auszusprechende Aufhebung der Rechtsschein einer wirksamen Verwaltungsentscheidung beseitigt werden kann (BFH, Beschluss vom 16. September 2004 VII B 20/04, BFH/NV 2005, 231). Darüber hinaus ist die Erhebung einer Anfechtungsklage trotz etwaiger Nichtigkeit auch aus anwaltlicher Vorsicht sinnvoll, sollte das Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass zwar keine Nichtigkeit, aber eine Rechtswidrigkeit des Bescheides anzunehmen ist.

    19

    Die Klage ist auch begründet.

    20

    Der Erbschaftsteuerbescheid des Beklagten vom 10. Juli 2014 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. August 2014 ist jedenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1, 1. HS FGO), er ist im vorliegenden Fall sogar nichtig.

    21

    Bei der Erbschaftsteuer handelt es um keine Masseforderung im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO (a.A. Niedersächsisches Finanzgericht - FG -, Urteil vom 12. Juli 2013 - 3 K 436/12, EFG 2013, 1985; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Auflage 2014, 281 f.; Windel, in Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Auflage, § 83 Rn. 6 ff.), sondern um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO. Wie oben bereits ausgeführt, sind Insolvenzforderungen aber nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend zu machen. Ein gegenüber dem Insolvenzverwalter erlassener Steuerbescheid ist unwirksam.

    22

    Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründeten Verbindlichkeiten, die nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens gehören.

    23

    Die Erbschaftsteuer ist vorliegend nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters, sondern durch Erbanfall kraft Gesetzes nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit dem Tod der Erblasserin nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) entstanden. Wie der Kläger vorträgt, ist darüber hinaus die Annahme der Erbschaft nach § 83 Abs. 1 S. 1 InsO ein höchstpersönliches Recht des Schuldners.

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    Im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 55 Abs. 1 InsO kommt auch nur eine enge Auslegung der Vorschrift in Betracht. Denn die Einordnung als Masseverbindlichkeit soll der ordnungsgemäßen Verfahrensabwicklung und Verteilung der Insolvenzmasse dienen (Bundesgerichtshof ‑ BGH ‑, Urteil vom 2. Februar 2006 IX ZR 46/05, NJW-RR 2006, 989). Die Begünstigung der Massegläubiger durch Vorwegbefriedigung nach § 53 InsO soll überhaupt erst ermöglichen, dass Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossen und Leistungen zur Insolvenzmasse erbracht werden (Hefermehl, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2013, § 55 Rn. 1). Das passt gerade nicht zum vorliegenden Fall des Erbanfalls kraft Gesetzes.

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    Ebenso wenig ist der Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO einschlägig, welcher gegenseitige Verträge und ungerechtfertigte Bereicherungen der Masse erfasst.

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    Für dieses Ergebnis und eine Einordnung als Insolvenzforderung (so auch Wittkowski/Kruth, in Nerlich/Römermann, InsO, § 83 Rn. 5; Schumann, in Münchener Kommentar zur InsO, § 83 Rn. 6) spricht auch das vom Kläger zitierte Urteil des BGH vom 11. Mai 2006 (IX ZR 42/05, BGHZ 167, 352; im Ergebnis wohl auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 IX ZR 30/12, NJW 2014, 391). Vor dem Hintergrund des § 35 InsO unterscheidet der BGH auch im Fall des Erbanfalls während des Insolvenzverfahrens nicht zwischen den Vermögensmassen sowie den Nachlass- und Eigengläubigern des Erben bzw. Schuldners. Mit den Nachlassverbindlichkeiten bezieht der BGH danach auch diejenigen Verbindlichkeiten mit ein, die nach § 1967 Abs. 2 BGB den Erben als solchen treffen, insbesondere auch die Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten, Vermächtnissen und Auflagen. Entsprechendes gilt damit auch für die erst mit dem Erbanfall entstehende Erbschaftsteuer, wenn man diese als Nachlassverbindlichkeit einordnet (für die ErbSt als Nachlassverbindlichkeit im Ergebnis BFH, Urteil vom 28. April 1992 VII R 33/91, BFHE 168, 206, BStBl II 1992, 781; BFH, Urteil vom 11. August 1998 VII R 118/95, BFHE 186, 328, BStBl II 1998, 705; Loose, in Tipke/Kruse, AO, § 251 Rn. 137; a.A. FG Münster, Urteil vom 30. April 2014 - 3 K 1915/12 Erb, EFG 2014, 1363; zum Meinungsstand Otte, in Staudinger, BGB, § 1967 Rn. 33). Selbst wenn man die Erbschaftsteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit einordnen will, kommt man zu keinem anderen Ergebnis. Die Erbschaftsteuerforderung kann jedenfalls im Nachlassinsolvenzverfahren zur Insolvenzmasse angemeldet werden, da der Nachlass nach § 20 Abs. 3 ErbStG für die Steuer der am Erbfall Beteiligten zumindest bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft haftet (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 IX ZR 30/12, NJW 2014, 391). Es besteht eine Art Gesamtschuld zwischen der Eigenverbindlichkeit des Erben und der Mithaftung des Nachlasses (Otte, in Staudinger, BGB, § 1967 Rn. 33). Für die Zeit nach der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Erbschaftsteuer nicht um eine Forderung handelt, deren Anmeldung im Nachlassinsolvenzverfahren gesetzlich ausgeschlossen ist und dass die Feststellung, ob die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft beendet ist, der Disposition der Beteiligten unterliegt (zum Ganzen siehe BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 IX ZR 30/12, NJW 2014, 391).

    27

    Anders als der Beklagte meint, kommt es auf die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO im vorliegenden Fall nicht an. Denn ein nach § 124 Abs. 3 AO nichtiger Verwaltungsakt entfaltet keine Rechtswirkungen (dazu im Einzelnen Ratschow, in Klein, AO, 12. Auflage 2014, § 125 Rn. 7) und kann mithin auch nicht unanfechtbar im Sinne dieser Vorschrift geworden sein.

    28

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 S. 3 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    29

    Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen.

    RechtsgebieteAO, InsOVorschriften§ 351 Abs. 1 AO; § 55 Abs. 1 InsO