13.01.2016 · IWW-Abrufnummer 146143
Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 25.11.2015 – 5 U 779/15
BGB §§ 242, 2050 Abs. 3, 2057, 2303, 2315, 2325
ZPO §§ 138, 139, 253, 301, 322, 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 3 ZPO
(Auskunftsanspruch des Erben über lebzeitige Zuwendungen an den Pflichtteilsberechtigten; Unzulässigkeit eines Teilurteils über Pflichtteil und erste Stufe der Auskunftswiderklage des Erben)
1.
Über lebzeitige, auf den Pflichtteil anzurechnende Zuwendungen ist der Pflichtteilsberechtigte dem Erben in entsprechender Anwendung von § 2057 BGB auskunftspflichtig (gegen OLG München 14 U 3585/12 und OLG Köln 1 U 56/13). Schöpft der Erbe seine Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich solcher Zuwendungen aus, muss der Pflichtteilsberechtigten seinerseits wegen der ihn treffenden Auskunftspflicht substantiiert erwidern (Anschluss an BGH IV ZR 91/09).
2.
Tritt der Erbe der Zahlungsklage des Pflichtteilsberechtigten mit einer Stufenwiderklage entgegen, mit der er auf der ersten Stufe Auskunft über lebzeitige anzurechnende Zuwendungen des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten verlangt, darf über diesen Streitstoff nicht durch Teilurteil entschieden werden.
Oberlandesgericht Koblenz
Urt. v. 25.11.2015
Az.: 5 U 779/15
In dem Rechtsstreit
XXX
gegen
XXX
wegen Erbrechts und Auskunft
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
sowie die Richter am Oberlandesgericht ...
im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzschluss am 13. November 2015 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Teilurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 29. Mai 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben. Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger erhebt Pflichtteilsansprüche. Der Beklagte begehrt im Wege der Stufenwiderklage auf erster Stufe die Erteilung einer Auskunft über anzurechnende lebzeitige Zuwendungen.
Der Kläger ist der einzige Sohn der am 17. Mai 2013 verstorbenen Waltraud S. (Erblasserin). Der Beklagte war der Ehemann der Erblasserin und ist gemeinsam mit der nach Erlass eines Teilanerkenntnisurteils nicht mehr am Rechtsstreit beteiligten Beklagten zu 2) Erbe.
Der Kläger verlangt unter Aufstellung des um die Nachlassverbindlichkeiten bereinigten Nachlasses einen Pflichtteil von 1/4 des Nachlassvermögens.
Der Beklagte ist dem - zunächst durch tatsächlichen Vortrag, später durch Erhebung der Stufenwiderklage - mit dem Einwand entgegen getreten, der Kläger müsse sich lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin nach § 2315 BGB anrechnen lassen.
Der Kläger hat erstinstanzlich einen auf 18.946,75 € bezifferten Pflichtteil nebst Zinsen, der Beklagte mit seiner Widerklage auf erster Stufe die Auskunftserteilung über sämtliche Zuwendungen seitens der Erblasserin in Form eines geschlossenen Verzeichnisses beantragt. Hinsichtlich des weiteren tatsächlichen Vortrags sowie der konkret gestellten Anträge wird auf das angefochtene Teilurteil verwiesen.
Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag des Klägers stattgegeben und über die Stufenwiderklage dahin entschieden, dass ein Auskunftsanspruch des Beklagten nicht bestehe. Zur Begründung hat das Landgericht darauf verwiesen, der Kläger habe das Nachlassvermögen zutreffend berechnet; nach § 2315 BGB anrechnungspflichtige Zuwendungen seien nicht gegeben. Insoweit fehle es an hinreichendem Vorbringen des Beklagten. Der mit der Stufenwiderklage auf erster Stufe geltend gemachte Auskunftsanspruch bestehe nicht, da der Kläger im Prozess durch die Mitteilung, keine anrechnungspflichtigen Zuwendungen empfangen zu haben, den Auskunftsanspruch erfüllt habe. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf das angefochtene Teilurteil vom 29. Mai 2015 Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Zur Begründung führt er aus, das vom Landgericht erlassene Teilurteil sei unzulässig, da es wegen der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen mit § 301 Abs. 1 ZPO nicht zu vereinbaren sei. Darüber hinaus habe das Landgericht in unzulässiger Weise durch eine Parteivernehmung Beweis erhoben. Der Auskunftsanspruch hinsichtlich der Zuwendungen durch die Erblasserin sei keineswegs erfüllt. Hinsichtlich der weiteren Angriffe gegen die Entscheidung des Landgerichts wird auf die Berufungsbegründung vom 15. September 2015 verwiesen.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 29. Mai 2015 verkündeten Teilurteils des Landgerichts Mainz den Auskunftsantrag zu Ziff. 1 der Widerklage zuzusprechen und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Insoweit wird auf die Berufungserwiderung vom 12. November 2015 Bezug genommen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg. Das angegriffene Teilurteil ist nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen.
1. Das Landgericht hat durch ein unzulässiges Teilurteil über den Pflichtteilsanspruch sowie den vom Beklagten erhobenen Auskunftsanspruch entschieden, weshalb die Sache nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO zurückzuverweisen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Teilurteil gemäß § 301 ZPO nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über die sonstigen Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Dies gilt auch, soweit es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht gemäß § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Demnach ist der Erlass eines Teilurteils bereits dann unzulässig, wenn in dem Teilurteil eine Rechtsfrage entschieden wird, die für die weitere Entscheidung durch Schlussurteil neu zu entscheiden sein wird (vgl. zum Ganzen BGH, NJW 2004, 1452 [BGH 25.11.2003 - VI ZR 8/03]; BGH, NJW 2009, 2814 [BGH 22.07.2009 - XII ZR 77/06]; BGH, NJW 2013, 1009 [BGH 30.11.2012 - V ZR 245/11]).
Eine solche Gefahr besteht hier. Diese resultiert daraus, dass das Landgericht über den erhobenen Pflichtteilsanspruch bereits unter Ablehnung anzurechnender Zuwendungen abschließend entschieden hat, zugleich aber über die vom Beklagten erhobene Widerklage nur hinsichtlich des Auskunftsanspruchs. Über die Berechtigung des vom Kläger erhobenen Pflichtteilsanspruchs kann jedoch erst dann entschieden werden, wenn über die vom Beklagten erhobenen Rechte zur Ermittlung der anrechnungspflichtigen Zuwendungen abschließend befunden wurde. Das Argument des Klägers, der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen stehe bereits entgegen, dass "lediglich" eine Stufenwiderklage erhoben worden sei, kann daher nicht überzeugen; die vorliegend auf der Hand liegende Widerspruchsgefahr bezüglich bloßer Urteilselemente genügt.
b) Wegen der festgestellten Unzulässigkeit des Teilurteils nach § 301 ZPO sieht sich der Senat veranlasst, von seiner Zurückverweisungsbefugnis nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO Gebrauch zu machen. Ein Antrag ist insoweit nach § 538 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht erforderlich.
c) Von einer eigenen Sachentscheidung hat der Senat abgesehen. Zwar kann das Berufungsgericht im Falle eines unzulässigen Teilurteils den ganzen Rechtsstreit an sich ziehen und durch einheitliches Urteil entscheiden (vgl. nur Zöller/Heßler, ZPO, § 538 Rn. 55 m.w.N.). Dies ist jedoch nur ausnahmsweise sachgemäß. Regelmäßig ist eine Zurückverweisung angezeigt, damit nicht der gesamte nach dem Teilurteil anhängig gebliebene Prozess erst in der zweiten Instanz beginnt (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 379 [BGH 12.01.1994 - XII ZR 167/92]). Vorliegend spricht für die Zurückverweisung, dass vorrangig über die mit der Stufenklage verfolgten Ansprüche auf den ersten beiden Stufen durch eigenständige Teilurteile zu entscheiden ist, bevor über den Pflichtteilsanspruch des Klägers entschieden werden kann. Es erscheint nicht sachgemäß, über diese Ansprüche stufenweise in zweiter Instanz ohne die Möglichkeit eines Rechtsmittels zu entscheiden. Hinzu tritt, dass für den Auskunftsanspruch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Erben ein Anspruch auf Auskunftserteilung gegen den Pflichtteilsberechtigten hinsichtlich der vom Erblasser erhaltenen Zuwendungen besteht, wobei im Ergebnis dahinstehen kann, ob dieser Anspruch auf eine entsprechende Anwendung von § 2057 BGB (vgl. etwa MünchKommBGB/Ann, 6. Aufl. 2013, § 2057 BGB, Rn. 4; Palandt/Weidlich, 74. Aufl. 2015, § 2057 BGB, Rn. 1; Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2. Aufl. 2014, § 2057 BGB, Rn. 3) oder § 242 BGB (vgl. Staudinger/Otte, Neubearb. 2015, § 2315 BGB, Rn. 53) ergibt. Anderes lässt sich auch nicht aus einer Entscheidung des OLG München herleiten, nach der einem Alleinerben im Zusammenhang mit einer Ausgleichung nach § 2316 BGB kein Auskunftsanspruch gegen den Pflichtteilsberechtigten analog § 2057 BGB zustehen soll (vgl. OLG München, NJW 2013, 2690), da der Bundesgerichtshof offenbar von einer entsprechenden Auskunftspflicht ausgeht (vgl. BGH, NJW 2010, 3023, 3025 [BGH 27.01.2010 - IV ZR 91/09]).
Der Umfang der Auskunft muss - wie auch hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nach § 2057 BGB anerkannt - alle für und gegen eine Ausgleichungspflicht sprechenden Umstände enthalten. Anzugeben sind alle wertbildenden Faktoren, der Zeitpunkt der Zuwendung und etwaige Anordnungen des Erblassers. Insoweit erstreckt sich die Auskunftspflicht nicht auf sämtliche Zuwendungen. Allerdings darf es auch nicht der subjektiven Einschätzung des Auskunftsverpflichteten überlassen bleiben, welche Zuwendungen er als anrechnungspflichtig einschätzt (vgl. hierzu näher Burandt/Rojahn/Flechtner, Erbrecht, § 2057 BGB, Rn. 7 m.w.N.).
In zeitlicher Hinsicht lässt sich der Entscheidung des Landgerichts nicht hinreichend klar entnehmen, ob dieses eine Begrenzung der Auskunftspflicht auf Zuwendungen in den letzten zehn Jahren bejaht. Eine entsprechende Eingrenzung gilt nach § 2325 Abs. 3 BGB lediglich für pflichtteilsergänzungsrelevante Zuwendungen. Für die hiervon zu unterscheidende Anrechnung nach § 2315 BGB besteht diese zeitliche Grenze hingegen nicht.
Hiervon ausgehend genügen die Auskünfte des Klägers, er habe von der Erblasserin keine Zuwendungen mit der Bestimmung erhalten, sich diese auf einen Pflichtteil anrechnen zu lassen, nicht für eine ausreichende Auskunft. Der Beklagte hat konkrete Zuwendungen in den Raum gestellt. Insoweit muss sich der Kläger hinreichend - nach Maßgabe der obigen Ausführungen - erklären. Hierzu ist er nicht nur aufgrund des mit der Widerklage erhobenen Auskunftsanspruchs, sondern auch wegen seiner insoweit bestehenden - inhaltlich deckungsgleichen - sekundären Darlegungslast gehalten (vgl. BGH, NJW 2010, 3023 [BGH 27.01.2010 - IV ZR 91/09]).
Da es an einer Auskunftserteilung fehlt, kann der Senat das angefochtene Teilurteil auch nicht teilweise hinsichtlich der Abweisung des Auskunftsantrags des Beklagten aufrecht erhalten.
3. Soweit der Kläger den Rechtsstreit aufgrund einer Teilzahlung durch die frühere Beklagte zu 2) in der Berufungserwiderung teilweise für erledigt erklärt hat, ist dies für die Zurückverweisung der Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils ohne Bedeutung, weshalb eine Erklärung des Beklagten hierzu im weiteren Verfahren vor dem Landgericht erfolgen kann.
4. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nach § 21 Abs. 1 S. 1 GKG nicht erhoben. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht vorbehalten. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 18.946,75 € festzusetzen, da die mit der Widerklage verfolgten Ansprüche zu keiner Werterhöhung führen (§ 45 Abs. 1 GKG).
Verkündet am 25.11.2015