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  • 22.06.2022 · IWW-Abrufnummer 229854

    Landgericht Braunschweig: Beschluss vom 21.10.2021 – 8 T 500/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Braunschweig 8. Zivilkammer

    Beschluss vom 21.10.2021


    TENOR

    1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Amtsgerichts ... vom 09.09.2021 aufgehoben.
    2. Der Antrag der Beklagten vom 26.07.2021 auf Aussetzung des Verfahrens wird abgelehnt.
    3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

    GRÜNDE

    I.

    1
    Der Kläger begehrt die vollständige Zahlung einer an die Beklagte ausgekehrten Versicherungsleistung.

    2
    Der Kläger behauptet, alleiniger Erbe seiner am 19.12.2020 verstorbenen Ehefrau Frau G. zu sein. Die Erblasserin schloss vor ihrem Tod eine Sterbegeldversicherung zugunsten der Beklagten ab. Die Versicherungssumme wurde nach dem Versterben von Frau G. in Höhe von 20.575,37 € an die Beklagte ausgekehrten. In diesem Zuge wies die Versicherung darauf hin, dass es sich bei der Auszahlung der Todesfallleistung nicht um die Übermittlung eines Schenkungsangebotes der Versicherungsnehmerin handele. Auf die Aufforderung des Klägers, die Versicherungssumme an ihn auszuzahlen, leitete die Beklagte 18.366,95 € an diesen weiter.

    3
    Zwischen den Parteien steht nunmehr die Erbquote in Streit, wobei die Beklagte behauptet, neben dem Kläger zu 1/4 Erbin zu sein. Dieser Umstand ist auch Gegenstand des beim Amtsgerichts Euskirchen anhängigen Erbscheinsverfahrens. Die Beklagte beantragt in diesem Rahmen, den Antrag des Klägers auf Erteilung eines alleinigen Erbscheines zurückzuweisen und einen Erbschein dahingehend zu erteilen, dass die verstorbene Frau G. zu 3/4 vom Kläger und zu 1/4 von der Beklagten beerbt worden ist.

    4
    Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 beantragte die Beklagtenvertreterin, den vorliegenden Rechtsstreit auszusetzen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Erbscheinsverfahrens vor dem Amtsgericht Euskirchen. Die Beklagtenvertreterin begründet dies mit der Vorgreiflichkeit des Erbscheinsverfahrens.

    5
    Mit Beschluss vom 09.09.2021 setzte das Amtsgericht .. den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Beendigung des Erbscheinsverfahrens vor dem Amtsgericht Euskirchen gemäß § 148 ZPO aus. Zur Begründung führt das Amtsgericht aus, dass die im Erbscheinsverfahren zu klärende Frage, ob eine wirksame Erbeinsetzung des Klägers vorliegt, für das hier zu entscheidende Zivilverfahren vorgreiflich sei. Die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin dürfe eine Tatsachenfragen sein. Etwaige im Erbscheinsverfahren erhobene Beweise führten bereits zur Beweiserleichterung im Zivilprozess und könnten dort verwertet werden.

    6
    Gegen diesen dem Klägervertreter am 13.09.2021 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit beim Amtsgericht ... am 14.09.2021 eingegangenen sofortigen Beschwerde. Zur Begründung führt er aus, dass die Begründung des Amtsgerichts bereits deswegen nicht trage, da das Erbscheinsverfahren kein Rechtsstreit im Sinne der ZPO sei. Es handele sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, welches zudem auf einen Beschluss ziele, welcher aus der Natur der Sache heraus nicht in Rechtskraft erwachsen könne, sodass sich die Frage der Rechtskrafterstreckung nicht stelle. Durch einen Erbschein werde das Erbrecht nicht festgestellt, sondern lediglich aufgrund des zum Zeitpunkt des Beschlusses gegebenen Anscheins ein Dokument erstellt, welches durch seine Legitimationswirkung den Rechtsverkehr mit Bezug auf das Nachlassvermögen ermögliche.

    7
    Mit Beschluss vom 22.09.2021 half das Amtsgericht ... der sofortigen Beschwerde mit der Begründung nicht ab, dass durch die Aussetzung auch eine doppelte Beweiserhebung vermieden werde, und legte die Akten dem Landgericht Braunschweig zur Entscheidung vor.

    8
    Die Kammer hat die Parteien im Beschwerdeverfahren eingebunden. Der Klägervertreter merkt in seiner Stellungnahme an, dass der Erbschein nicht in Rechtskraft erwachsen könne. Die Beklagte schloss sich den Gründen des Aussetzungsbeschlusses an.

    9
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.

    II.

    10
    Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

    11
    Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

    12
    Die Aussetzung nach genannter Vorschrift ist somit immer dann möglich, wenn ein anderer anhängiger Rechtsstreit vorgreiflich ist. Vorgreiflichkeit ist dann gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt. Rechtsverhältnis in diesem Sinne ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen bzw. Gegenständen. Die Entscheidung im ausgesetzten Verfahren muss mindestens zum Teil vom (Nicht-) Bestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen, dessen Feststellung Gegenstand des anderen Prozesses ist. Erforderlich ist also, dass das in Rede stehende Rechtsverhältnis von den Parteien im anderen Prozess nicht nur geltend gemacht und in das Verfahren eingeführt worden ist, sondern dass aller Voraussicht nach dort auch mit einer Entscheidung hierüber zu rechnen ist. (BeckOK ZPO/Wendtland, 42. Ed. 1.9.2021, § 148 Rn. 6 mit entsprechenden Nachweisen)

    13
    Mit dem Erbscheinsverfahren liegt kein vorgreifliches Rechtsverhältnis vor (Horn/Kroiß Testamentsauslegung, § 29 Gerichtliche Entscheidung im Erbscheinsverfahren, Rn. 48). Die Entscheidung im Erbscheinsverfahren hat keine präjudizielle Wirkung auf das streitige Verfahren. Das Prozessgericht kann von den Feststellungen des Nachlassgerichts abweichen (Horn/Kroiß ebenda, Rn. 49, m.w.N; Uricher, Erbrecht, § 6 Erbscheinsverfahren, Rn. 147). Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, wenn die in dem anderen Prozess zu treffende Entscheidung auf das vorliegende Verfahren lediglich Einfluss, wie zum Beispiel auf die Beweiswürdigung, ausüben kann. § 148 ZPO stellt nicht auf bestehende sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren ab, sondern darauf, ob die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses die Entscheidung in dem anderen Prozess rechtlich beeinflussen kann (BeckOK ZPO/Wendtland, 42. Ed. 1.9.2021, § 148 Rn. 7 m.w.N.). Aus diesem Grund folgt die Kammer nicht dem OLG München (OLG München, Beschluss vom 11-11-1994 - 15 W 1742/94, NJW-RR 1995, 779f.), das in einer entsprechenden Konstellation eine Vorgreiflichkeit mit dem Argument bejahte, dass durch einen ausgefertigten Erbschein die Beweisführung im Zivilrecht aufgrund der Vermutung des § 2365 BGB erleichtert werde. Soweit in dieser Entscheidung darüber hinaus darauf abgehoben wird, dass durch die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens überflüssiger Mehraufwand verhindert würde, ist dem entgegenzuhalten, dass das Gesetz eine Aussetzung allein aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht vorsieht (BeckOK ZPO/Wendtland, 42. Ed. 1.9.2021, § 148 Rn. 7 m.w.N.). Aus gleichem Grund kann die vom Amtsgericht ... angeführte Beweiserleichterung durch im Erbscheinsverfahren erhobener Beweise und die Vermeidung einer doppelten Beweiserhebung die Aussetzung des hiesigen Verfahrens nicht rechtfertigen.

    14
    Ein angerufenes Prozessgericht kann das Verfahren daher nicht bis zum Abschluss des Erbscheinsverfahrens wegen § 148 ZPO aussetzen (KG OLGZ 75, 355; OLG Köln OLGZ 1986, 210; Dresden OLG-NL 94, 243; Uricher, Erbrecht, § 6 Erbscheinsverfahren Rn. 147; Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021 Rn. 14, ZPO § 148 Rn. 14; Zöller/Greger, 33. Aufl. 2020, § 148 Rn. 9).

    15
    Der Beschluss des Amtsgerichts ... vom 09.09.2021 war daher aufzuheben und der Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens abzulehnen.

    16
    Aufgrund der abweichenden Entscheidung des OLG München war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

    RechtsgebietZPOVorschriften§ 148 ZPO