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  • 15.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231272

    Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 16.02.2022 – L 11 SF 114/20 EK, U

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landessozialgericht NRW


    Tenor:

    Das beklagte Land wird verurteilt, den Klägern zu 1) bis 4) zur gesamten Hand eine Entschädigung von 1.300 Euro zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23. Mai 2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen das beklagte Land zu 14% und die Kläger gesamtschuldnerisch zu 86%.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert für das Klageverfahren wird auf 9.600,00 Euro festgesetzt.
     
    1
    Tatbestand:

    2
    Die Klägerinnen und der Kläger (im Folgenden: Kläger) begehren Entschädigung wegen Staatshaftung nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Sie machen eine unangemessene Dauer des vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen anhängig gewesenen Verfahrens L 17 U 671/15 geltend.

    3
    Am 16. Februar 2015 erhoben die Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Köln Klage gegen die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft (BG Verkehr). Mit dieser begehrten sie als Mitglieder der Erbengemeinschaft des im November 2014 verstorbenen Herrn A (Versicherter) die Aufhebung der Bescheide der beklagten BG Verkehr vom 7. August 2013 und vom 23. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2014 sowie die Feststellung, dass bei dem Versicherten infolge eines von dem beklagten Unfallversicherungsträger zu entschädigenden Versicherungsfalles nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H. vorgelegen habe. Gleichzeitig beantragten sie die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Klagefrist.

    4
    Mit der nach Zurückweisung der Klage durch das SG (Gerichtsbescheid vom 7. September 2015) am 22. Oktober 2015 zum LSG Nordrhein-Westfalen eingelegten Berufung verfolgten die Kläger ihr Begehren weiter. Mit ‒ den Klägern am 11. Oktober 2019 zugestelltem ‒ Urteil vom 2. Oktober 2019 wies das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 7. September 2015 zurück. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

    5
    Das Ausgangsverfahren nahm folgenden Verlauf:

    6
    Datum / Bl. GA / Beteiligter / Aktivität
    16.2.2015 1 Kläger Klageerhebung mit ca. 30 Seiten Anlage
    19.2.2015 35 SG Gerichtliche Verfügung: Anforderung der Klageerwiderung
    4.3.2015 36 Beklagte Klageerwiderung: Antrag auf Klageabweisung, Übersendung der Akten
    6.3.2015 37 SG Umfassender rechtlicher Hinweis des SG; Klage voraussichtlich unzulässig; Anhörung zum Erlass Gerichtsbescheid
    18.3.2015 40 Beklagte Einverständnis zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid
    18.3.2015 40 SG Weiterleitung der Erklärung an Kläger „zur Berücksichtigung“
    23.3.2015 41 Kläger Kläger: Kein Verzicht auf mündliche Verhandlung
    23.3.2015 42 SG Weiterleitung der Erklärung an Beklagte „z. St.“
    7.4.2015 43 Kläger Einverständnis zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid
    8.4.2015 43 R SG Übersendung an Beklagte „z.K.“
    22.4.2015 44 Beklagte Eingang Stellungnahme der Beklagten
    22.4.2015 44 R SG Übersendung an Kl.-Bev. „z.K.“
    28.4.2015 45 ff. Kläger Eingang Stellungnahme d. Klägers mit Beweisantritten
    29.4.2015 47 R SG Übersendung an Beklagte „z. St.“
    11.6.2015 47 R SG Erinnerung der Beklagten
    3.7.2015 48 Beklagte Eingang Stellungnahme der Beklagten
    6.7.2015 49 R SG Übersendung an Kl.-Bev. „z.K. und evtl. St.“
    8.9.2015 51 SG Erlass d. Gerichtsbescheides (Klageabweisung)
    22.9.2015 60 Kläger Zustellung an Kl.-Bev.
    22.10.2015 63 Kläger Einlegung Berufung (ohne Begründung; Antrag auf Akteneinsicht)
    26.10.2015 67 LSG Anforderung Akten vom SG
    24.11.2015 70 Kläger Telefonischer Hinweis des Klägers auf noch nicht erfolgte Akteneinsicht
    24.11.2015 70 LSG Beiziehung der Verwaltungsakten
    4.12.2015 72 Beklagte Erwiderung d. Beklagten; Übersendung der Akten (Bl. 1 bis 305)
    10.12.2015 73 R SG Übersendung der Akten an Kl.-Bev. zur Einsicht
    22.12.2015 76 Kläger Eingang der Berufungsbegründung
    29.12.2015 79 R LSG Übersendung der Berufungsbegründung „z.K/St.“ an Beklagte
    18.1.2016 89 LSG Eingang der Erwiderung d. Beklagten
    18.1.2016 82 LSG Übersendung der Erwiderung an Kl.-Bev. mit ergänzendem richterlichem Hinweis zur voraussichtlichen Erfolglosigkeit der Berufung
    8.2.2016 85 Kläger Anzeige Wechsel des Bevollmächtigten; knappe Stellungnahme zum richterlichen Hinweis; Ankündigung weiterer Stellungnahme
    15.2.2016 88 LSG Übersendung der Stellungnahme an Beklagte „z.K.“
    22.2.2016 89 Kläger Anzeige der Mandatsbeendigung des vormaligen Bevollmächtigten24.2.2016 89 LSG Übersendung der Anzeige an neuen Kl.-Bev. mit kurzem rechtlichen Hinweis
    24.2.2016 91 Kläger Vorlage der Vollmacht
    11.3.2016 93 Kläger Eingang ergänzender Stellungnahme der Kläger
    16.3.2016 99 LSG Übersendung an Beklagte „z.St.“
    22.3.2016 100 Kläger Ergänzender Vortrag d. Kläger
    23.3.2016 102 LSG Übersendung der Stellungnahme an Beklagte „z.K.“
    1.4.2016 103 Beklagte Eingang Stellungnahme der Beklagten
    1.4.2016 103 R LSG Übersendung der Stellungnahme an Kl.-Bev. „z.K.“
    25.6.201 103 R LSG Verfügung „zur Sitzung ET“
    1.8.2016 104 LSG Senatsinterne Änderung der BE-Zuständigkeit
    1.9.2016 105 LSG Senatsinterne Änderung der BE-Zuständigkeit
    13.3.2017 106 Kläger Sachstandsanfrage
    15.3.2017 106 R LSG Zwischennachricht
    29.3.2017 109 LSG Rechtlicher Hinweis auf Unzulässigkeit der Klage, Anregung Berufungsrücknahme
    30.3.2017 111 Kläger Anregung Vergleichsvorschlag
    3.5.2017 113 Kläger Bitte um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung
    8.5.2017 113 R LSG Übersendung an Bekl. „z.K.“
    6.6.2017 114 LSG Verfügung „zur Sitzung VT“
    25.4.2018 115 LSG Erhebung Verzögerungsrüge
    2.5.2018 116 LSG Hinweis, dass derzeit nicht absehbar, wann Entscheidung ergehen werde
    16.1.2019 117 Kläger Antrag auf Akteneinsicht zur Prüfung von Ansprüchen nach § 198 GVG
    21.1.2019 120 LSG Übersendung der Akten an Bevollmächtigten mit Hinweis, dass Terminierung bis Sommer 2019 zu erwarten
    30.1.2019 122 Kläger Rückgabe der Akten
    24.5.2019 123 LSG Anforderung eines Schreibens vom 19.11.2014 von der Beklagten
    27.6.2019 127 f. LSG Übertragungsbeschluss auf Einzelrichter (§ 153 Abs. 5 SGG)
    3.7.2019 131 f. LSG Zustellung der Übertragungsbeschlüsse
    8.8.2019 133 LSG Ladung zum VT
    26.8.2019 140 LSG Anfrage zum Einverständnis zur Entscheidung omV, wegen Wohnsitzes der Kläger in der Türkei
    26.8.2019 141 Kläger Anzeige der aktuellen Anschrift
    3.9.2019 146 Beklagter Einverständnis zur Entscheidung omV
    10.9.2019 147 Kläger Einverständnis zur Entscheidung omV
    2.10.2019 148 LSG Urteil omV; Zurückweisung der Berufung, keine Revisionszulassung
    11.10.2019 163 Kläger Zustellung des Urteils an Kläger

    7
    Am 2. April 2020 haben die Kläger eine Entschädigungsklage (§ 198 GVG) vor dem LSG Nordrhein-Westfalen anhängig gemacht, die dem Beklagten am 22. Mai 2020 zugestellt worden ist (Empfangsbekenntnis Bl. 30 Gerichtsakten). Entschädigungsrechtlich relevante Lücken seien „mindestens“ im Zeitraum vom 25. Februar 2016 bis zum 29. März 2017 im Umfang von 13 Monaten sowie anschließend bis zum 12. August 2019 im Umfang von „knapp 29 Monaten“ eingetreten. Insoweit könne „mit Sicherheit“ festgestellt werden, dass mindestens drei Jahre eines völligen Stillstandes zu beklagen seien. Da das Verfahren insgesamt vier Jahre gedauert habe, seien drei Viertel dessen als „völliger Stillstand schwer verdaulich“.

    8
    Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass einem SG bei Verfahren durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten einzuräumen sei (Verweis auf Senat, Urteil vom 16. Mai 2018 - L 11 SF 2/17 EK KN -). Ein Abweichen von dieser durchschnittlichen Vorbereitungs- und Bedenkzeit komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht, zumal sich das Berufungsgericht bereits am 29. März 2017 einen umfassenden Eindruck habe verschaffen können. Zudem rechtfertige weder der Umfang der Verfahrensakten einschließlich der Verwaltungsvorgänge des Ausgangsverfahrens noch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten ein Abweichen von der regelmäßigen Verfahrensdauer. Die einzige substanziell relevante Rechtsfrage sei die Einhaltung der Klagefrist gewesen. Auch eingedenk der Sprachschwierigkeiten, eines erfolgten Anwaltswechsels und dem im Verlauf des Ausgangsverfahrens erfolgten Umzug ins Ausland sei die Annahme einer überdurchschnittlichen Verfahrensdauer nicht gerechtfertigt.

    9
    Der Höhe nach könne jeder der Kläger eine Entschädigung von monatlich 1.200,00 Euro pro Jahr der Verzögerung beanspruchen. Da dem Gericht bei durchschnittlichen Fällen eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu einem Jahr einzuräumen sei, erscheine eine Entschädigung in Höhe von 2.400,00 Euro pro Kläger angemessen.

    10
    Die Kläger beantragen,

    11
    das beklagte Land zu verurteilen, an die Kläger zu 1) bis 4) aufgrund der Überlänge des vor dem LSG Nordrhein-Westfalen unter dem Az. L 17 U 671/15 geführten Rechtsstreits eine Entschädigung von jeweils 2.400,00 Euro zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    12
    Das beklagte Land beantragt,

    13
    die Klage abzuweisen.

    14
    Es sei schon nicht auszuschließen, dass die Klage bereits verfristet sei. Die im Berufungsverfahren ergangene Entscheidung sei am 11. November 2019 rechtskräftig geworden. Auch bei rechtzeitigem Eingang der Klage sei die Frage aufzuwerfen, ob sich die Kläger aufgrund einer tatsächlich „demnächst“ erfolgten Zustellung auf eine Rückwirkung berufen könnten.

    15
    Zudem seien entgegen der Auffassung der Kläger in den als inaktiv gerügten Zeiträumen verfahrensfördernde Maßnahmen getroffen worden. So treffe zunächst nicht zu, dass das Ausgangsverfahren in dem Zeitraum vom 25. Februar 2016 bis zum 29. März 2017 nicht aktiv gefördert worden sei. Im Anschluss an die gerichtlichen Verfügungen vom 25. Februar 2016, vom 16. März 2016, vom 23. März 2016 und vom 1. April 2016, mit denen Schriftsätze der Beteiligten wechselseitig übermittelt worden seien, sei nach der der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgenden Auffassung des Senats eine ca. sechswöchige Frist des Abwartens auf eine mögliche Stellungnahme zu berücksichtigen (Verweis auf Senat, Urteil vom 16. Mai 2018 - L 11 SF 2/17 EK KN -).

    16
    Auch das zweite Intervall vom 29. März 2017 bis zum 12. August 2018 sei nicht durchgängig als inaktiv zu bewerten. Hier sei ebenso im Anschluss an die gerichtlichen Verfügungen vom 29. März 2017 und vom 8. Mai 2017 jeweils eine sechswöchige Karenzzeit zu berücksichtigen. Im Januar 2019 seien die Streitakten durch die gewährte Akteneinsicht der richterlichen Bearbeitung entzogen worden. Mit richterlicher Verfügung vom 24. Mai 2019 sei von der beklagten BG das Schreiben vom 19. November 2014 angefordert worden. Nachdem dieses am 6. Juni 2019 eingegangen sei, sei das Verfahren mit Beschluss vom 27. Mai 2019 dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen worden. Auch der Monat der Ladung selbst sei als verfahrensfördernde gerichtliche Aktivität zu würdigen (Verweis auf BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 ‒ B 10 ÜG 7/14 R -), weshalb auch der Monat August 2019 nicht als inaktiv zu bewerten sei.

    17
    Da eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit für jeden Rechtszug gesondert mit jeweils zwölf Monaten anzusetzen sei, müsse der Umstand, dass im erstinstanzlichen Verfahren keine entschädigungsrelevanten Zeiten der Untätigkeit zu verzeichnen seien, bei der Gesamtwürdigung der gerichtlichen Inaktivität berücksichtigt werden. Im Ergebnis verbleibe daher allenfalls ein entschädigungsrechtlich relevanter Zeitraum von sechs Monaten.

    18
    Hinsichtlich der Komplexität des Rechtsstreits sei überdies zu berücksichtigen, dass Wechsel der Berichterstatter erfolgt seien. Dieser Wechsel bewirke eine von den Beteiligten hinzunehmende Einarbeitungszeit. Etwas anderes könne allenfalls gelten, wenn Zuständigkeiten mehrfach wechselten und dies etwa den Schluss zulasse, das Präsidium und/oder die Gerichtsleitung seien nicht in der Lage, nicht nur vorübergehende personelle Engpässe dauerhaft abzufangen.

    19
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Entschädigungsklageverfahrens sowie den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten betreffend das unter den Az. S 16 U 57/15 (SG Köln) bzw. L 17 U 671/15 (LSG Nordrhein-Westfalen) geführte Ausgangsverfahren Bezug genommen.

    20
    Entscheidungsgründe:

    21
    Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.

    22
    Für die auf die Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtete Klage wegen überlanger Dauer des vor dem LSG NRW unter dem Az. L 17 U 671/15 geführten Verfahrens (A.) ist das LSG NRW zuständig (B.). Die Klage ist zulässig (C.) und teilweise begründet (D.).

    23
    A. Streitgegenstand der Entschädigungsklage ist der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Geldentschädigung i.H.v. jeweils 2.400 Euro wegen überlanger Dauer des vor dem LSG NRW unter dem Az. L 17 U 671/15 geführten Berufungsverfahrens. Potentiell entschädigungspflichtig ist zwar gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG der gesamte Zeitraum eines Gerichtsverfahrens von dessen Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Die von den Klägern im Rahmen ihrer Dispositionsbefugnis (vgl. § 123 SGG) vorgenommene Begrenzung der Entschädigungsklage auf den Ausgleich des ihnen infolge der unangemessenen Dauer des Berufungsverfahrens entstandenen Nachteils ist prozessrechtlich jedoch zulässig. Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier des Berufungsverfahrens - stellt einen abtrennbaren Teil des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens dar (vgl. BSG, Urteil vom 27. März 2020 - B 10 ÜG 4/19 R -, SozR 4-1720 § 198 Nr. 19, juris-Rn. 11).

    24
    B. Für die Entscheidung über die Klage ist das LSG NRW erstinstanzlich zuständig. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet das Land für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Landes eingetreten sind. Für Klagen auf Entschädigung gegen das Land ist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Für sozialgerichtliche Verfahren ergänzt § 202 Satz 2 SGG diese Regelung dahin, dass die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198 bis 201 GVG) u.a. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden sind, dass an die Stelle des OLG das LSG und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt. Hieraus folgt die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts, weil das der Entschädigungsklage zugrunde liegende Ausgangsverfahren im Bezirk des LSG NRW (§ 20 Abs. 1 Justizgesetz NRW) geführt wurde.

    25
    C. Die auf die Zahlung einer angemessenen Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.

    26
    I. Die Kläger verfolgen ihre Klageansprüche in zulässiger Weise im Wege der subjektiven Klagehäufung (§ 74 SGG i.V.m. § 60 Zivilprozessordnung <ZPO>). Ob ihnen, wie sie geltend machen, tatsächlich Einzelansprüche zustehen oder nur ein einziger Entschädigungsanspruch zur gesamten Hand, ist keine Frage der Zulässigkeit der Klage, sondern der Begründetheit. Insbesondere kommt es auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Vorliegens einer aus den Klägern bestehenden Erbengemeinschaft an dieser Stelle nicht an. Da die für das Vorliegen der Erbengemeinschaft maßgeblichen Tatsachen sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage erheblich sind (doppelrelevante Tatsachen), sind diese grundsätzlich erst bei der Prüfung der Begründetheit festzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 2001 - B 4 RA 64/99 R - SozR 3-1500 § 54 Nr. 45 ‒ juris-Rn. 17 m.w.N.).

    27
    II. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG statthaft (hierzu BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 ff. - juris-Rn. 15; BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 - juris- Rn. 20; jeweils m.w.N.). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG); einer vorherigen außergerichtlichen Geltendmachung bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 1/13 -, juris, Rn. 19).

    28
    III. Die Kläger haben die Wartefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Hiernach kann die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (zur Wartefrist als Sachurteilsvoraussetzung: BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4 - juris-Rn. 17). Die Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) haben die Kläger am 25. April 2018 wirksam (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG) erhoben worden. Bezogen hierauf haben die Kläger die Klage nach Ablauf der Wartefrist erhoben (vgl. § 94 Satz 2 SGG).

    29
    IV. Die Klagefrist nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist gewahrt. Hiernach muss die Klage spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Die im Ausgangsverfahren ergangene Entscheidung wurde am 11. November 2019 rechtskräftig. Die Klagefrist endete damit am 11. Mai 2020 (§ 90, § 64 SGG). Die Entschädigungsklage ist am 2. April 2020, vor Fristablauf, beim LSG NRW anhängig geworden, was ausreicht. Auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage gemäß § 94 Satz 2 SGG durch Zustellung beim Beklagten kommt es für die Klagefrist dagegen nicht an (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 ‒ B 10 ÜG 1/19 R ‒ BSGE 131, 153 ff. ‒ juris-Rn. 16).

    30
    D. Die auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klage ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

    31
    I. Das beklagte Land ist für die Entschädigungsklage nach § 200 Satz 1 GVG passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von unangemessener Verfahrensdauer bei seinen Gerichten entstehen.

    32
    II. Die nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erforderliche Verzögerungsrüge ist am 25. April 2018 erhoben worden.

    33
    III. Die Dauer des Verfahrens L 17 U 671/15 LSG NRW war im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessen.

    34
    1. Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung bildet die Bestimmung der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierten Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens (zur Prüfungssystematik vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 ff. ‒ juris-Rn. 23 ff.).

    35
    a) Das Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG beginnt nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG mit dessen Einleitung, also dem Moment des Eintritts der Rechtshängigkeit (§ 94 Satz 1 SGG), und endet mit dem rechtskräftigen Abschluss, d.h. dauert bis zum Ablauf einer eventuellen Rechtsmittelfrist (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 - juris-Rn. 24 m.w.N.). Kleinste relevante Zeiteinheit ist der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 4).

    36
    b) Dieser Maßstab gilt auch, wenn - wie hier - der Entschädigungsanspruch auf einen Teilzeitraum des Gesamtverfahrens beschränkt wird. Materiell-rechtlicher Bezugsrahmen eines derart beschränkten Begehrens bleibt gleichwohl das gesamte gerichtliche Verfahren (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1/13 D - NVwZ 2014, 1523 ff. - juris-Rn. 12 m.w.N.).

    37
    c) Nach diesen Maßgaben begann das Ausgangsverfahren mit Einreichung der Klage beim SG am 16. Februar 2015 und endete mit Eintritt der Rechtskraft der am 11. Oktober 2019 zugestellten Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober 2019. Dieser insgesamt 57 Kalendermonate umfassende Zeitraum ist als materiell-rechtlicher Bezugsrahmen der Entschädigungsklage zugrunde zu legen.

    38
    2. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens in kalendermonatsgenauer Betrachtung an den von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz <GG>) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) auszulegen und zu vervollständigen sind (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 10  juris-Rn. 27; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 25). Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich infolgedessen gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), ergänzend zudem der Prozessleitung des Ausgangsgerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 ‒ B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 34 m.w.N.).

    39
    a) Das Ausgangsverfahren, in dem die Feststellung streitig war, ob dem Versicherten aufgrund eines Arbeitsunfalls am 3. August eine Rente nach einer MdE von 80 v.H. (statt 40 v.H.) zustand, ist durchschnittlich schwierig gewesen und hatte für die klagende Erbengemeinschaft eine durchschnittliche wirtschaftliche Bedeutung. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

    40
    b) Eine den Klägern zuzurechnende Verzögerung des erstinstanzlichen Ausgangsverfahrens ist nicht ersichtlich.

    41
    c) Mit Blick auf die Prozessleitung des Ausgangsgerichts lassen sich im zweitinstanzlichen Verfahren 31 Monate an "inaktiven Zeiten" feststellen, wobei auch hier wiederum als kleinste relevante Zeiteinheit ein Kalendermonat zu berücksichtigen ist (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 34).

    42
    aa) Ein erster Inaktivitätszeitraum von 9 Monaten ist im Zeitraum von Juni 2016 bis Februar 2017 festzustellen. Mit richterlicher Verfügung vom 1. April 2016 wurde der Schriftsatz der beklagten BG vom 30. März 2016 an die Klägerin übermittelt und dem Unfallversicherungsträger antragsgemäß ein erbetener Schriftsatz durch das Gericht zugeleitet. Dieser Verfahrensimpuls rechtfertigte ein Abwarten in einem zeitlichen Umfang von sechs Wochen, da das Gericht davon ausgehen durfte, dass die beklagte BG die Übersendung zum Anlass nehmen würde, ergänzend vorzutragen. Im Monat Juni 2016 ist die Sache lediglich gerichtsintern „zum Erörterungstermin“ verfügt worden. Nach senatsinternen Wechseln der Zuständigkeit der Berichterstatter ergingen Ende März 2017 richterliche Hinweise zur Rechtslage, mit denen die Abgabe einer verfahrensbeendigenden Erklärung angeregt wurde.

    43
    bb) Ein weiteres Inaktivitätsintervall von 19 Monaten begann im Juni 2017, nachdem zuvor mit richterlicher Verfügung vom 8. Mai 2017 die Erklärung der Klägerin vom 3. Mai 2017 „zur Kenntnis“ an den Beklagten übermittelt wurde. Angesichts des Inhalts dieser Erklärung, mit der die Klägerin lediglich bekundet hatte, dass sie die rechtlichen Hinweise des Gerichts nicht teilten und um Anberaumung eines Verhandlungstermins bat, bestand aus Sicht des Senats nach der Anfang Mai 2017 erfolgten Übersendungsverfügung für das Ausgangsgericht kein Anlass, etwa sechs Wochen abzuwarten. Angesichts des Inhalts des Schriftsatzes vom 3. Mai 2017 lag nicht nahe, dass die beklagte BG tatsächlich ergänzend vortragen würde. Dieser Inaktivitätsintervall endete mit Ende des Monats Dezember 2018, nachdem zuvor lediglich Zwischennachrichten erteilt wurden.

    44
    cc) Ein Inaktivitätszeitraum von weiteren 3 Monaten lag zudem nach Rücklauf der Akten (Eingang 30. Januar 2019) im Zeitraum von Februar 2019 bis April 2019 vor. Das beklagte Land hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Ausgangsgericht die Verfahrensführung im Januar 2019 infolge des Akteneinsichtsgesuch der Klägerin entzogen war. Im Mai 2019 erfolgte eine richterliche Anfrage an die beklagte BG, die dazu diente, die Entscheidungsreife herbeizuführen.

    45
    dd) Hinsichtlich des Monats Juli 2019 ist dagegen nicht von einer Inaktivität auszugehen. Zwar ist mit Ausnahme des Abwartens des Rücklaufs der Zustellnachweise für den zuvor erlassenen Beschluss nach § 153 Abs. 5 SGG kein weiterer Verfahrensimpuls erfolgt, bis im August 2019 die Ladung zum Verhandlungstermin erfolgte. Allerdings erfolgte das vom Ausgangsgericht praktizierte Vorgehen, mit der Ladung zum Verhandlungstermin abzuwarten, bis die erforderlichen Zustellnachweise bzgl. des Übertragungsbeschlusses aktenkundig sind, im Rahmen seiner richterlichen Unabhängigkeit bei der Verfahrensgestaltung. Unter Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsfreiraums bei der Verfahrensführung kommt ein Entschädigungsanspruch dann in Betracht, wenn sich die Inaktivität sachlich nicht mehr rechtfertigen lässt und einen Verstoß gegen die richterliche Grundpflicht zur stringenten und beschleunigten Verfahrensgestaltung darstellt (BSG, Urteil vom 3. September 2014 ‒ B 10 ÜG 12/13 R ‒ a.a.O. ‒ juris-Rn. 49 zu einer zweijährigen Inaktivität des Ausgangsgerichts wegen des Abwartens von Ermittlungen im Parallelverfahren). Dafür ist hier indessen nichts ersichtlich.

    46
    ee) Weitere Inaktivitätszeiten sind nicht festzustellen. Es ergeben sich mithin insgesamt 31 Monate (9 Monate plus 19 Monate plus 3 Monate).

    47
    3. Die sodann in einem dritten Schritt vorzunehmende abschließende Gesamtbetrachtung und -würdigung der tatsächlichen verfahrens-, sach- und personenbezogenen Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Verhältnisses der für eine längere Verfahrensdauer einerseits und der für eine beschleunigte Erledigung andererseits sprechenden Gesichtspunkte und ihrer Einordnung in den menschen- und grundrechtlichen Wertungsrahmen führt zu einer unangemessenen Dauer des gesamten Verfahrens im Umfang eines Monats.

    48
    a) Die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei ist den Ausgangsgerichten eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten je Instanz zuzubilligen, die für sich genommen noch nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer führt (BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R - a.a.O. - juris-Rn. 33; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - Rn. 43 ff.; jeweils m.w.N.). Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung, sondern kann auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen oder in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 45; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 5 - juris-Rn. 47: jeweils m.w.N.). Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf Monaten muss nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden können (BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - a.a.O - juris-Rn. 34; Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O. - juris-Rn. 50).

    49
    b) Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ist hiernach von den Bearbeitungslücken im Ausgangsverfahrens vor dem SG (insgesamt 31 Monate) die im Regelfall zustehende zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit in Abzug zu bringen, sodass ein Zeitraum unangemessener Verfahrensdauer von 19 Monaten verbleibt. Zwar kann die regelmäßig zwölfmonatige Vorbereitungs- und Bedenkzeit ‒ je nach Sachverhalt ‒ auch kürzer sein (hierzu auch Röhl, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 198 Rn. 79 m.w.N.). Hierfür bestehen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Zwischen den Beteiligten ist diese Frage auch nicht umstritten. Auch das beklagte Land hat ausgeführt, dass es (auch) für das Berufungsverfahren eine zwölfmonatige Vorbereitungszeit in Ansatz bringt.

    50
    c) Die somit verbleibenden 19 Monate sind im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das erstinstanzliche Verfahren um (weitere) sechs Monate zu reduzieren.

    51
    aa) Auch wenn der Entschädigungsanspruch allein bezüglich der Dauer des Verfahrens in nur einer von mehreren Instanzen geltend gemacht wird, bleibt sein materiellrechtlicher Bezugsrahmen das gesamte sozialgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit. Daher können, wenn Zeiten fehlender Verfahrensförderung in den Verantwortungsbereich des Gerichts fallen, diese in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden. Mithin ist zu prüfen, ob durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige Überlänge in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert worden ist (BSG, Urteile vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - a.a.O., Rn. 43; B 10 ÜG 9/13 R - a.a.O. - Rn. 43, B 10 ÜG 12/13 R - a.a.O. - Rn. 51; B 10 ÜG 2/14 R - a.a.O. - Rn. 44).

    52
    bb) Hiervon ausgehend sind die Inaktivitätszeiten des Verfahrens vor dem LSG NRW aufgrund des sehr zügig geführten Verfahrens vor dem SG zu mindern. Insoweit hält der Senat eine Anrechnung der Hälfte der vom SG nicht verbrauchten Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten für angemessen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass das Berufungsgericht die Verfahrensführung des Vordergerichts kennt und auf erstinstanzlich aufgelaufene Verzögerungen ggfls. durch beschleunigte Verfahrensförderung reagieren kann, weshalb die volle Anrechnung der verbleibenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit nicht interessengerecht erscheint. Eine derartige „Steuerungsmöglichkeit“ hat das Vordergericht im umgekehrten Fall nicht, was in derartigen Konstellationen eine vollständige Anrechnung der nicht verbrauchten Vorbereitungs- und Bedenkzeit des Berufungsgerichts rechtfertigt.

    53
    IV. Die Erbengemeinschaft hat infolge der unangemessenen Dauer des Verfahrens einen Nachteil erlitten. Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lang gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung widerlegen, sind nicht erkennbar und von dem Beklagten nicht vorgetragen worden. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch die bloße Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist im vorliegenden Fall nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

    54
    V. Der sich aufgrund dessen ergebende Entschädigungsanspruch beläuft sich auf 1.300 Euro. Die Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG beträgt 1.200,00 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG), folglich 100 Euro pro Monat. Etwas anderes gilt nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG nur, wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist, wofür hier jedoch keine Anhaltspunkte bestehen. Ausgehend von einer unangemessenen Verfahrensdauer von 13 Monaten, die nach Anrechnung der Hälfte der vom SG nicht ausgeschöpften Vorbereitungs- und Bedenkzeit (sechs Monate) verbleibt, ergibt sich somit ein Entschädigungsbetrag von 1.300 Euro.

    55
    VI. Dieser Entschädigungsbetrag steht indessen den Klägern als Mitglieder Erbengemeinschaft lediglich einmal, nämlich zur gesamten Hand zu. Soweit die Kläger weitergehend Zahlung an jeden einzelnen von ihnen verlangen, ist die Klage dagegen abzuweisen.

    56
    1. Anspruchsberechtigt ist nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wer „als Verfahrensbeteiligter“ infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. „Verfahrensbeteiligter“ in diesem Sinne ist nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG u.a. jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens, wobei mit dem „Gerichtsverfahren“ das Ausgangsverfahren gemeint ist (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 ‒ B 10 ÜG 8/13 R ‒ a.a.O. ‒ juris-Rn. 28), in dem der Entschädigungsanspruch ausgelöst worden ist, hier also das Verfahren L 17 U 671/15.

    57
    a) In diesem Verfahren beteiligt waren nicht die einzelnen Kläger des vorliegenden Verfahrens, sondern die aus ihnen bestehende Erbengemeinschaft. Die Klägerin zu 1) und die übrigen Kläger haben, wie sich aus dem gemeinschaftlichen Erbschein des AG Brühl vom 26. Januar 2015 ergibt, den verstorbenen Versicherten zu 1/2 bzw. 1/6 beerbt. Gemäß der in § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) angeordneten Gesamtrechtsnachfolge ist damit das Vermögen des Versicherten mit der Folge auf sie übergegangen, dass der Nachlass ihr gemeinschaftliches Vermögen geworden ist (§ 2032 Abs. 1 BGB) und sie dementsprechend eine Erbengemeinschaft bilden. Diese Erbengemeinschaft ist im Ausgangsverfahren als Klägerin aufgetreten: So hat ihr ‒ auch im vorliegenden Verfahren tätiger ‒ Prozessbevollmächtigter die Berufung (ebenso wie zuvor die Klage gemäß Klageschrift vom 15. Februar 2015) nicht nur ausdrücklich im Namen „der Erbengemeinschaft“ erhoben (Berufungsschriftsatz vom 22. Oktober 2015). Vielmehr hat er die Frage, ob der Erbengemeinschaft - und nicht allein der Klägerin zu 1) ‒ das geltend gemachte Feststellungsinteresse am Vorliegen einer höheren MdE zusteht, sogar in den Mittelpunkt seines Berufungsvortrags gerückt.

    58
    b) Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG mit der Verwendung des Begriffs „Beteiligter“ allein auf die formale Beteiligtenstellung gemäß § 69 SGG abstellt, es also ausreichen lässt, dass der Betreffende als Kläger, Beklagter oder Beigeladener im Sinne dieser Bestimmung aufgetreten ist, oder ob zusätzlich zu verlangen ist, dass auch die Beteiligtenfähigkeit im Sinne von § 70 SGG bestanden hat. Denn die Erbengemeinschaft ist als nicht rechtsfähige Personenvereinigung im Sinne von § 70 Nr. 2 SGG fähig, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein (BSG, Beschluss vom 1. August 1958 - 1 S 3/58 - SozR Nr. 8 zu § 70 SGG, SozR Nr. 3 zu § 58 SGG, juris, Rn. 2; BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 - B 10 LW 2/09 R - SozR 4-5868 § 1 Nr. 8, Rn. 10; vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 22. November 2021 - B 11 SF 18/21 S - juris, Rn. 1).

    59
    c) Ohne Bedeutung ist, dass sowohl das SG als auch das LSG im Rubrum ihrer Entscheidungen des Ausgangsverfahrens ‒ unzutreffend ‒ nicht die Erbengemeinschaft, sondern die einzelnen Erben als Kläger aufgeführt haben. Denn „Kläger“ im Sinne von § 69 Nr. 1 GVG und damit Beteiligter im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ist, wer in der Klage- bzw Berufungsschrift als solcher bezeichnet ist (Pitz in jurisPK-SGG, 2017, § 69 Rn. 7 m.w.N.). Auf die Beteiligtenbezeichnung in Instanz beendenden Entscheidungen kommt es dagegen nicht an. Etwas anderes gilt allenfalls dann, wenn es im laufenden Verfahren zu einer subjektiven Klageänderung kommt. Dafür ist hier indessen nichts ersichtlich.

    60
    2. Die Anspruchsberechtigung der Erbengemeinschaft ‒ und nicht der einzelnen Erben ‒

    61
    als Beteiligter im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GVG hat zur Folge, dass der Anspruch der Erbengemeinschaft nur als Gesamthandsgemeinschaft im Sinne von § 2032 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu im Einzelnen Otto in jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, § 2032 Rn. 25 ff.) zusteht. Insofern kann für den Entschädigungsanspruch nach den oben dargelegten Grundsätzen nichts anderes gelten als für den im Ausgangsverfahren ebenfalls seitens der Gesamthandsgemeinschaft verfolgten Anspruch. Der Fall liegt daher anders als etwa bei Entschädigungsansprüchen mehrerer in einem Verfahren klagender Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch, die von vornherein eigene Ansprüche verfolgen und dementsprechend auch individuelle Entschädigungsansprüche gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG haben können.

    62
    3. Der Umstand, dass die Kläger trotz entsprechenden richterlichen Hinweises ihre Entschädigungsklage nicht auf eine solcher der Erbengemeinschaft „umgestellt“ haben, führt nicht dazu, dass ihnen keinerlei Ansprüche zustünden. Da die Erbengemeinschaft als solche zwar beteiligungs-, aber nicht rechtsfähig ist, können die Kläger als Angehörige der Erbengemeinschaft ihre Ansprüche auch einzeln verfolgen (vgl. auch die speziell für Nachlassforderungen geltende Bestimmung des § 2039 BGB). Der Antrag auf Zahlung an die Gesamthandsgemeinschaft als „minus“ ist dabei in dem (allgemeinen) Leistungsantrag enthalten (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juli 1996 - 1 RS 2/94 - SozR 3-8260 § 8 Nr. 1, SozR 3-1300 § 31 Nr. 12, Rn. 22), ohne dass es einer Antragsänderung bedürfte.

    63
    VII. Der für den immateriellen Nachteil zuerkannte Entschädigungsbetrag ist in entsprechender Anwendung der § 288 Abs. 1, § 291 Satz 1 BGB ab Eintritt der Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr. 4 ‒ juris-Rn. 61; BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1/13 D ‒ juris-Rn. 46), wobei auch der Zinsanspruch den Klägern zur gesamten Hand zusteht. Der Lauf des Zinsanspruchs beginnt in entsprechender Anwendung von § 187 Abs 1 BGB erst mit dem der Zustellung an den Beklagten folgenden Tag (BSG, Urteil vom 9. April 2019 ‒ B 1 KR 5/19 R ‒, BSGE 128, 65 ff. ‒ juris-Rn. 39, m.w.N.), hier ab dem 23. Mai 2020.

    64
    E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 i.V.m. § 159 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

    65
    F. Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

    66
    G. Die Festsetzung des Streitwertes folgt § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.