01.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235579
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.04.2023 – IV ZB 23/22
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Bußmann, die Richter Dr. Bommel und Rust
am 19. April 2023
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 8. September 2022 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Verkaufs von Nachlassgegenständen im Rahmen einer noch nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft. Mit Beschluss vom 31. Mai 2022 setzte das Nachlassgericht das Verfahren gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 FamFG aus. Der dem Beteiligten zu 1., selbst Rechtsanwalt und seinerseits im Verfahren anwaltlich vertreten, am 2. Juni 2022 zugestellte Beschluss war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, wonach der Beschluss mittels einer binnen einer Frist von einem Monat einzulegenden Beschwerde anfechtbar sei. Mit einem am 30. Juni 2022 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz legte der Beteiligte zu 1. sofortige Beschwerde ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels.
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II. Das Beschwerdegericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1. als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Nachlassgerichts sei nicht ursächlich für die Versäumung der Frist geworden. Ausgehend von einem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand sei diese Belehrung offenkundig falsch gewesen und habe deshalb nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermocht. Dass das Nachlassgericht in der in der Sache die Abhilfe versagenden Entscheidung von einer unverschuldeten Fristversäumung ausgegangen sei, sei ohne Belang.
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III. Die gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat zu Recht die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels beträgt zwei Wochen ab Zustellung ( § 21 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO ) und konnte deshalb durch den am 30. Juni 2022 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz nicht mehr gewahrt werden.
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2. Rechtlicher Prüfung hält auch stand, dass das Beschwerdegericht den Antrag des Beteiligten zu 1. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zurückgewiesen hat. Zwar wird nach § 17 Abs. 2 FamFG ein Fehlen des Verschuldens bei der Versäumung einer gesetzlichen Frist vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlt oder - wie hier - fehlerhaft ist. Erforderlich ist allerdings ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis (vgl. Senatsbeschluss vom 23. November 2011 - IV ZB 15/11 , ZEV 2012, 150 Rn. 10).
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An einem solchen Zusammenhang fehlt es hier mit Blick darauf, dass der Beteiligte zu 1. selbst Rechtsanwalt ist und zudem im Verfahren vor dem Nachlassgericht wie auch im Beschwerdeverfahren anwaltlich vertreten wurde. Auch ein Rechtsanwalt darf zwar grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsmittelbelehrung vertrauen ( BGH, Beschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11 - NJW-RR 2012, 1025 Rn. 9; vgl. auch BVerfG, NJW 2021, 915 [BVerfG 04.09.2020 - 1 BvR 2427/19] Rn. 36). Gleichwohl muss aber von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rec htsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und damit verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Auch in Fällen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kann es daher an der Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung fehlen, wenn die durch das Gerich t erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und deshalb - ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand - nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2012 aaO vgl. ferner BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 - VIII ZB 41/22 Rn. 22, NJW-RR 2023, 427).
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Hieran gemessen ist die vom Nachlassgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht geeignet, bei einem Rechtsanwalt einen nachvollziehbaren Rechtsirrtum hervorzurufen. Bei der Regelung des § 21 Abs. 2 FamFG einschließlich der Verweisung auf die §§ 567 ff. ZPO handelt es sich um Vorschriften, die dem Rechtsanwalt bekannt sein müssen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt Fachanwalt in dem Bereich ist, aus dem das Verfahren stammt. Vielmehr nimmt der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats die für diese Verfahrensart erforderliche verfahrensrechtliche Sachkunde in Anspruch ( BGH, Beschluss vom 25. November 2020 - XII ZB 256/20 , NJW 2021, 784 Rn. 9).
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Die fehlende Ursächlichkeit der fehlerhaften Rechtsmittelbel ehrung folgt hier zudem daraus, dass sich schon aus dem Tenor wie auch aus der Begründung des Beschlusses des Nachlassgerichts ergibt, dass es sich lediglich um eine Zwischenentscheidung handelt, die nicht der regelmäßigen einmonatigen Beschwerdefrist gegen erstinstanzliche Endentscheidungen ( § 63 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 FamFG ) unterliegt (zur entscheidenden Bedeutung des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich der Verneinung der Kausalität einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung für die Versäumung einer Frist bei anwaltlicher Vertretung vgl. OLG Nürnberg NJW 2022, 1182 Rn. 17; OLG Bremen NJW-RR 2021, 1160 Rn. 12; OLG SaarbrückenFamRZ 2013, 1155[juris Rn. 13]). Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ändert hieran nichts, dass sich der hier anzuwendenden Verfahrensordnung keine durchgängige Regelhaftigkeit von Rechtsmittelfristen entnehmen lässt. Vielmehr führt die sich hieraus ergebende Gefahr von Fehlleistungen bei der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung gerade dazu, dass ein Rechtsanwalt diese nicht ohne eigene kritische Würdigung zur Grundlage der Erfüllung seiner Aufgaben in eigenen Angelegenheiten und als Verfahrensbevollmächtigter machen darf.
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Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht die Versagung der Wiedereinsetzung auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das Beschwerdegericht hat die Anforderungen an ein faires Verfahren bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in Fällen, in denen die Fristversäumnis auf Fehlern des Gerichts beruht, nicht überspannt. Der hier zur Beurteilung stehende Sachverhalt ist aus mehreren Gründen nicht mit demjenigen vergleichbar, der der von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2021, 915 [BVerfG 04.09.2020 - 1 BvR 2427/19] ) zugrunde lag. Anders als dort haben hier weder das Nachlassgericht noch das Beschwerdegericht durch ihre nachfolgende Sachbehandlung den Beteiligten zu 1. oder seine Verfahrensbevollmächtigten in ihrem Irrtum über die tatsächlich zutreffende Rechtsbehelfsfrist bestärkt (vgl. BVerfG aaO Rn. 31). Weiter war zur Aufklärung des Rechtsirrtums des Beteiligten zu 1. und seiner Verfahrensbevollmächtigten nicht erforderlich, sich mit der Auslegung von § 21 Abs. 2 FamFG in Rechtsprechung und Literatur zu befassen. Dass das Rechtsmittel gegen den Aussetzungsbeschluss nach § 21 Abs. 1 FamFG die sofortige Beschwerde ist, die einer zweiwöchigen Beschwerdefrist unterliegt, folgt ohne weiteres aus dem Gesetz. Einer Einsichtnahme in einschlägige Kommentarliteratur (vgl. hierzu BVerfG aaO Rn. 37) bedurfte es hier gerade nicht. Deshalb handelt es sich auch nicht um eine ungewöhnliche verfahrensrechtliche Situation, die nicht sicher richtig zu beantwortende Zweifelsfragen aufgeworfen hat, wodurch ausnahmsweise eine Ursächlichkeit zwischen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung und Versäumung der Frist auch bei anwaltlicher Beratung bejaht werden könnte (vgl. hierzu OLG Frankfurt NJW 2012, 3250 [juris Rn. 6]; OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2012 - 14 WF 149/12 , juris Rn. 4). Soweit die Rechtsbeschwerde meint, auch "von der Sache her" dränge sich nicht gerade auf, dass sich der Gesetzgeber im Falle eines das Verfahren aussetzenden Beschlusses für eine besondere Eilbedürftigkeit einer Entscheidungsanfechtung entschlossen habe, lässt sie außer Betracht, dass auch § 252 ZPO und damit mit der Zivilprozessordnung eine weitere grundlegende Verfahrensordnung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Anordnung der Aussetzung des Verfahrens vorsieht.
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3. Ohne Relevanz ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde, dass das Nachlassgericht unter Beibehaltung seines Rechtsstandpunktes in der Sache in seiner Nichtabhilfeentscheidung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt hat. Zu Recht hat das Beschwerdegericht insoweit darauf verwiesen, dass diese Entscheidung allein dem Gericht obliegt, welches über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat (§ 19 Abs. 1 FamFG). Dies aber ist jedenfalls im Fall der Nichtabhilfe in der Sache das Beschwerdegericht, so dass die Entscheidung des Nachlassgerichts zur Wiedereinsetzung gegenstandslos ist. Die von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betrifft den hier zu beurteilenden Verfahrensgang nicht. Zwar ist richtig, dass die Sache in der Form, die diese durch die (Teil -)Nichtabhilfeentscheidung erhalten hat, beim Beschwerdegericht anfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - XII ZB 243/19 , MDR 2020, 1527 Rn. 12). Dies gilt aber allein für Sachentscheidungen des Ausgangsgerichts, nicht dagegen für solche prozessualen Entscheidungen, die ihm durch eine entgegenstehende gesetzliche Regelung vorenthalten sind.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Bußmann Dr. Bommel Rust