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  • 15.02.2024 · IWW-Abrufnummer 239737

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 19.12.2023 – I-3 Wx 189/23

    1. Ein Widerspruch iSv § 2258 Abs. 1 BGB liegt auch dann vor, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, d.h. abschließend und umfassend, neu geregelt hat.

    2. Im Erbscheinerteilungsverfahren gehen verbleibende Zweifel zu Lasten desjenigen, der einen Widerspruch zwischen dem früheren und einem späteren Testament geltend macht.

    3. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein späteres Testament die Erbfolge vollständig und abschließend neu regelt, sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigen, die Aufschluss über den Testierwillen des Erblassers geben können. Neben dem Wort der zur Beurteilung stehenden testamentarischen Verfügung ist auch der Inhalt früherer Testamente sowie eine dort erkennbare Übung des Erblassers, vollständige Testamente zu errichten, die allenfalls durch Streichungen oder Ergänzungen geändert werden, zu berücksichtigen.


    Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 Wx 189/23

    I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Krefeld ‒ Nachlassgericht - vom 7. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

    II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 350.000,00 € festgesetzt.

    1
    G r ü n d e

    2
    I.

    3
    Die Erblasserin verstarb ledig und kinderlos. Sie hatte zwei Geschwister: den am 21. April 2009 vorverstorbenen Friedrich-Karl ….. und die am 19. September 2020 vorverstorbene Christel …….. Die Beteiligten zu 2. bis zu 4. sind die Kinder von Friedrich-Karl ……. Die Beteiligte zu 1. ist die Tochter des Beteiligten zu 4.

    4
    Die Erblasserin hinterließ vier handschriftliche Testamente.

    5
    Im Testament vom 3. April 2007 setzte die Erblasserin ihre Schwester Christel ….. zu ihrer Alleinerbin ein. Unterhalb des Testaments befindet sich eine auf den 20. April 2007 datierte Ergänzung, die wie folgt lautet:

    6
    „Für den Fall, dass meine Schwester Christel …… das Erbe nicht antreten kann, soll mein Bruder Friedrich-Karl ….., … Alleinerbe meines gesamten Besitzes sein.“

    7
    Die Ergänzung ist durchgestrichen. Oberhalb der Ergänzung findet sich der handschriftliche Vermerk: „Durchgestrichen am 26.4.2009“ und daneben das Wort „ungültig“, das seinerseits durchgestrichen wurde. Am Rand des Schriftstücks neben dem ergänzenden Text steht: „Friedrich-Karl ist am 21.4.2009 gestorben.“

    8
    Mit Testament vom 26. April 2009 erklärte die Erblasserin erneut die Einsetzung ihrer Schwester Christel ..... zu ihrer Alleinerbin. Unterhalb des Testaments brachte sie eine undatierte (und unvollständige) Ergänzung mit folgendem Wortlaut an:

    9
    „Für den Fall, daß meine Schwester Christel ….. das Erbe nicht antreten kann, setze ich meine Großnichte ….. (lies: die Beteiligte zu 1.), … als“

    10
    Mit Testament vom 18. Oktober 2009 erklärte die Erblasserin ein weiteres Mal die Einsetzung ihrer Schwester Christel ..... zu ihrer Alleinerbin. Im Testament heißt es:

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    „Für den Fall, dass meine Schwester Christel …… verstorben ist, setze ich zur Nacherbin meine Großnichte …. (lies: die Beteiligte zu 1.), … ein.“

    12
    Das Testament vom 27. April 2016 lautet wie folgt:

    13
    „Mein Testament

    14
    Ich erkläre, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin.

    15
    Für den Fall meines Todes setze ich, die Unterzeichnende ….., … hiermit meine Schwester Christel ….., … zur Alleinerbin meines gesamten Eigentums ein.

    16
    Ihr gehört damit mein Haus, ….., …..str. …. mit dem dazugehörenden Grundstück und allem, was darinnen ist. Außerdem gehört ihr all mein Geld.

    17
    Ich wiederhole, meine Schwester Christel ….. erbt alles, was mir gehört.“

    18
    Am 10. Mai 2021 erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 1. eine umfassende Vorsorgevollmacht.

    19
    Mit notariellem Erbscheinsantrag vom 24. November 2022 (UR-Nr. 124/2022 der Notarin ….. in Berlin) beantragte die Beteiligte zu 1., ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin ausweist.

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    Die Beteiligten zu 2. und 3. sind dem entgegengetreten. Sie haben geltend gemacht, da die Erblasserin im Testament vom 27. April 2016 lediglich ihre Schwester zur Alleinerbin eingesetzt und keine weiteren Verfügungen getroffen habe, habe sie keine Nach- oder Ersatzerbeneinsetzung verfügt. Das Testament sei dahingehend auszulegen, dass die Erblasserin von der im Testament vom 18. Oktober 2009 verfügten Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. Abstand genommen habe. Anderenfalls hätte kein Anlass für die Errichtung des im Übrigen inhaltlich übereinstimmenden Testaments bestanden. Dafür spreche auch, dass die Erblasserin in allen Testamenten relevante Änderungen insbesondere hinsichtlich der Ersatzerbeneinsetzung vorgenommen habe, während die Erbeinsetzung von Christel ….. als Konstante in allen Testamenten vorgesehen gewesen sei. Dass die Erblasserin nach dem Tod von Christel ….. kein neues Testament errichtet habe, könne dahingehend verstanden werden, dass sie ein solches nach dem Tod der von ihr vorgesehenen Erbin nicht mehr benötigte. Es sei danach die gesetzliche Erbfolge anzuwenden.

    21
    Mit Beschluss vom 7. Juni 2023 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Erblasserin habe mit letztwilliger Verfügung vom 27. April 2016 die vorangegangenen Testamente, insbesondere dasjenige vom 18. Oktober 2009, aufgehoben.

    22
    Der Beteiligte zu 4. hat mit notariellem Erbscheinsantrag der Notarin …… in Itzehoe vom 10. Juli 2023 (UR-Nr. …/2023) beim Nachlassgericht Erteilung eines Erbscheins nach gesetzlicher Erbfolge beantragt, der als Erben ausweist die unbekannten Erben des vorverstorbenen Vaters der Erblasserin zu ½ sowie die Beteiligten zu 2. bis zu 4. zu je 1/6.

    23
    Die Beteiligte zu 1. wendet sich im Wege der Beschwerde gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts.

    24
    Mit weiterem Beschluss vom 21. November 2023 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

    25
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

    26
    II.

    27
    Die gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1. hat keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1. mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Die Erbfolge nach der Erblasserin bestimmt sich nicht nach dem Testament vom 18. Oktober 2009, sondern nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge.

    28
    1. Die Beteiligte zu 1. kann die mit ihrem Erbscheinsantrag reklamierte Stellung als Alleinerbin alleine aus dem Testament vom 18. Oktober 2009 herleiten. Ausschließlich in diesem Testament ist angeordnet, dass die Beteiligte zu 1. anstelle der in erster Linie bedachten Schwester der Erblasserin zur Erbfolge berufen sein soll, wenn diese ‒ wie geschehen ‒ vorverstreben sollte.

    29
    2. Das Testament vom 18. Oktober 2009 ist indes von der Erblasserin dadurch vollständig aufgehoben worden, dass sie am 27. April 2016 ein neues Testament errichtet hat, in dem die Beteiligte zu 1. nicht mehr als Ersatzerbe berufen ist.

    30
    a) Gemäß § 2258 Abs. 1 BGB wird durch die Errichtung eines Testaments ein früheres Testament insoweit aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht. Ein derartiger Widerspruch liegt zum einen vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar sind, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen können, sondern sich gegenseitig ausschließen. Er ist zum anderen gegeben, wenn die einzelnen Anordnungen einander zwar nicht entgegengesetzt sind, aber die kumulative Geltung der mehreren Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe. Das ist der Fall, wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt, nämlich abschließend und umfassend (ausschließlich) regeln wollte (BGH, Urteil vom 7.11.1984, IVa ZR 77/83 m.w.N.; BayObLG NJW-RR 2002, 1160).

    31
    b) So liegt der Fall hier. Die Erblasserin hat mit ihrem Testament vom 27. April 2016 ihre Erbfolge abschließend und umfassend neu geregelt, wodurch sie auch die in der letztwilligen Verfügung vom 18. Oktober 2009 enthaltene Ersatzerbenberufung der Beteiligten zu 1. aufgehoben hat.

    32
    aa) Bereits Wortlaut und Inhalt des Testaments vom 27. April 2016 sprechen dafür, dass die Erblasserin mit der letztwilligen Verfügung ihre Erbfolge vollständig neu geregelt hat. Das Schriftstück ist mit „Mein Testament“ überschrieben und umfasst seinem Inhalt nach eine vollständige testamentarische Anordnung, nämlich die Erbeinsetzung der Schwester Christel ……. Das Testament enthält an keiner Stelle auch nur den geringsten Anhalt, dass daneben noch die Ersatzerbenbestellung der Beteiligten zu 1. vom 18. Oktober 2009 Bestand haben sollte.

    33
    bb) Gegen den Willen zur Fortgeltung der Ersatzerbenbestimmung spricht vielmehr die Tatsache, dass die Erblasserin im Jahr 2016 ein neues Testament errichtet hat, in dem sie zwar die Erbeinsetzung ihrer Schwester wiederholt, die Benennung eines Ersatzerben aber unterlassen hat. Wäre es im April 2016 der Wille der Erblasserin gewesen, die Beteiligte zu 1. unverändert als Ersatzerbin der Schwester Christel …… einzusetzen, hätte es einer neuen letztwilligen Verfügung ganz offensichtlich nicht bedurft. Die Erblasserin hätte vielmehr ihr Testament vom 18. Oktober 2009 unverändert bestehen lassen können. Dass sie dies nicht getan, sondern am 27. April 2016 eine neue testamentarische Verfügung getroffen hat, zwingt zu dem Schluss, dass die Erblasserin ihre Erbfolge abweichend von der bislang getroffenen Anordnung regeln und die Beteiligte zu 1. nicht mehr als Ersatzerbin berufen wollte.

    34
    Soweit die Erblasserin in ihrem Testament vom 27. April 2016 ihr Vermögen näher umschrieben hat (Hausgrundstück …..straße ….. in ……., Geld), kommt dem rechtlich keine Bedeutung zu. Insbesondere lässt sich daraus nicht folgern, dass das Testament am 27. April 2016 nur deshalb neu formuliert worden ist, um den Nachlass grob zu skizzieren, und die Erblasserin im April 2016 an der Ersatzerbenstellung der Beteiligten zu 1. festhalten wollte. Die Abfassung der Testamente vom 3. April 2007, 26. April 2009, 18. Oktober 2009 und 27. April 2016 belegt im Gegenteil, dass die Erblasserin ihren letzten Willen stets vollständig und umfassend zu Papier gebracht und allenfalls mit Einschüben und Streichungen gearbeitet hat. In keinem einzigen Fall hat sie ihren letzten Willen nur unvollständig niedergelegt. Für die Testamente vom 3. April 2007, 26. April 2009 und 18. Oktober 2009 bezweifelt auch die Beschwerde diesen Befund nicht, und es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund für das Testament vom 27. April 2016 etwas Anderes gelten könnte.

    35
    cc) Umstände, die eine abschließende und umfassende testamentarische Verfügung vom 27. April 2016 in Frage stellen könnten, liegen nicht vor.

    36
    (1) Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Erblasserin im Oktober 2009 die Bestimmung eines Ersatzerben grundsätzlich für sinnvoll erachtet hat und ferner unterstellt, dass sie dieser Auffassung auch noch Ende April 2016 war, rechtfertigt sich daraus nicht die Annahme, die Erblasserin habe am 27. April 2016 ihren letzten Willen nur unvollständig zu Papier gebracht und ergänzend an der Ersatzerbenbenennung der Beteiligten zu 1. vom 18. Oktober 2009 festhalten wollen. Denn die Erblasserin hatte bereits in der Vergangenheit ein Testament ohne eine Ersatzerbenbestimmung errichtet. Nachdem sie die Erbsatzerbenberufung ihres Bruders Friedrich-Karl …… am 26. April 2009 gestrichen hatte, hat sie in ihrem Testament vom selben Tag zunächst nur ihre Schwester Christel ….. zur Alleinerbin berufen. Die Beteiligte zu 1. hat die Erblasserin erst Monate später ‒ wahrscheinlich am 18. Oktober 2009 ‒ als Ersatzerbin bestimmt. Nichts deutet darauf hin, dass die Erblasserin bei Abfassung ihres Testaments vom 27. April 2016 nicht in gleicher Weise verfahren ist und einstweilen von der Benennung eines Ersatzerben abgesehen hat. In diesem Fall hätte die Erblasserin ihren letzten Willen am 27. April 2016 vollständig und abschließend niedergelegt und sich ‒ wie schon in April 2009 ‒ nur vorbehalten, gegebenenfalls später einen Ersatzerben zu berufen.

    37
    (2) Gegen eine abschließende und umfassende testamentarische Verfügung vom 27. April 2009 spricht ebenso wenig, dass die Erblasserin die Ersatzerbenbestellung der Beteiligten zu 1. in dem Testament vom 18. Oktober 2009 nicht gestrichen, sondern stattdessen ein neues Testament errichtet hat. Zwar war ‒ wie die Testamente vom 3. April 2007 und 26. April 2009 belegen ‒ der Erblasserin bekannt, dass der Inhalt eines privatschriftlichen Testaments durch Einschübe und Streichungen rechtswirksam verändert werden kann. Das schließt es aber nicht aus, seinen geänderten letzten Willen alternativ durch die Errichtung eines vollständig neuen Testaments zum Ausdruck zu bringen. Es handelt sich dabei um eine ganz naheliegende Möglichkeit der Testamentsänderung, die auch einem juristischen Laien vertraut ist. Nichts deutet darauf hin, dass die Erblasserin dieses landläufige Wissen nicht besaß. Vielmehr ist die Erblasserin selbst in dieser Art und Weise verfahren, indem sie die Ersatzerbenberufung der Beteiligten zu 1. zunächst als Ergänzung ihres Testaments vom 26. April 2009 begonnen und sodann unter dem 18. Oktober 2009 durch die Errichtung eines vollständig neuen Testaments umgesetzt hat.

    38
    (3) Der Umstand, dass die Erblasserin ihre Testamente vom 18. Oktober 2009 und 27. April 2016 zusammen aufbewahrt hat, lässt nicht den Schluss zu, dass an der Ersatzerbenberufung vom 18. Oktober 2009 festgehalten werde. Die Aufbewahrung des „überholten“ Testaments vom 18. Oktober 2009 kann viele Gründe habe. Das zeigt schon die Tatsache, dass auch die früheren Testamente vom 3. April 2007 und 26. April 2009 noch vorhanden und vom Amtsgericht eröffnet worden sind.

    39
    (4) Unergiebig ist schließlich die Tatsache, dass die Erblasserin der Beteiligten zu 1. im Mai 2021 eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt hat. Tragfähige Rückschlüsse auf den letzten Willen der Erblasserin bei Abfassung des Testaments am 27. April 2016 lassen sich daraus schon wegen der erheblichen Zeitdifferenz von knapp fünf Jahren nicht ziehen.

    40
    III.

    41
    Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich. Die Pflicht zur Tragung der Gerichtskosten folgt bereits aus §§ 25 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG. Für die Anordnung einer Erstattung der außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgesichtspunkten nach § 81 Abs. 1 FamFG besteht keine Veranlassung.

    42
    Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor.

    43
    Die Wertfestsetzung stützt sich auf §§ 40 Abs. 1 Nr. 2, 61 GNotKG und beruht auf den Angaben der Beteiligten zu 1. in ihrem Erbscheinsantrag.