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  • 23.04.2024 · IWW-Abrufnummer 241114

    Oberlandesgericht München: Beschluss vom 30.01.2024 – 33 Wx 191/23 e

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München 

    Beschluss vom 30.01.2024


    Tenor:
    1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts München - Nachlassgericht - vom 08.05.2023, Az. 618 VI 18799/21, wird zurückgewiesen.
    2. Die Beteiligte zu 1 trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
    3. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

    Gründe

    I.

    Der am xx.xx.2021 verstorbene Erblasser war seit xx.xx.2020 in zweiter Ehe mit der Beteiligten zu 1 verheiratet; er verstarb ohne eigene Kinder. Der Beteiligte zu 2 ist der Neffe der ersten Ehefrau des Erblassers, die Beteiligte zu 3 ist die Enkelin des Bruders des Erblassers. Die Beteiligten zu 2 und 3 waren Patenkinder des Erblassers und seiner ersten Ehefrau (verstorben am xx.xx.2016).

    Am xx.xx.2001 errichteten der Erblasser und seine erste Ehefrau ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Darin verfügten sie unter anderem:

    "III.

    Gemeinschaftliches Testament

    Wir treffen im Wege des gemeinschaftlichen Testaments folgende Verfügungen von Todes wegen:

    1) Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben ein. Diese Erbeinsetzung gilt unabhängig davon, ob im Zeitpunkt des Todes des Erstversterbenden Abkömmlinge oder Eltern des Verstorbenen vorhanden sind.

    2) Für den Fall des Todes des Längstlebenden von uns bestimmen wir hiermit als Schlusserben:

    Unsere Patenkinder

    a) [Beteiligter zu 2], geboren am xx.xx.1995, wohnhaft in xxx und

    b) [Beteiligte zu 3], geboren am xx.xx.1995, wohnhaft in xxx

    zu je 1/2 Anteil.

    Zu Ersatzschlusserben berufen wir jeweils die zum Zeitpunkt des Schlusserbfalles lebenden Geschwister der vorgenannten Schlusserben.

    3) Wir treffen die vorstehenden Verfügungen von Todes wegen im Wege des gemeinschaftlichen Testaments. Der Überlebende von uns ist berechtigt, die Schlusserbfolge sowie die Ersatzschlusserbfolge zu ändern, jedoch mit der Einschränkung, dass eine Hälfte des gesamten Nachlasses an Abkömmlinge der Geschwister des Ehemannes und die andere Hälfte des gesamten Nachlasses an die Abkömmlinge der Geschwister der Ehefrau fällt ..."

    Mit notariellem Testament vom 25.11.2019 änderte der Erblasser die vorstehend zitierte Schlusserbenregelung dahin ab, dass statt der Beteiligten zu 3 seine zweite Ehefrau als Erbin zu 1/2 eingesetzt wird.

    Drei handschriftliche Testamente vom 29.07.2020, 30.07.2020 und 12.02.2021 sind von der Beteiligten zu 1 geschrieben und vom Erblasser unterschrieben worden und enthalten die Alleinerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1.

    Der Beteiligte zu 2 beantragte am 31.10.2022 die Erteilung eines Erbscheins für sich und die Beteiligte zu 3 als Miterben zu je 1/2. Die Beteiligte zu 1 widersetzt sich dem und meint, statt der Beteiligten zu 3 sei sie mit notariellem Testament vom 25.11.2019 als Miterbin zu 1/2 neben dem Beteiligten zu 2 eingesetzt worden. Die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 3 sei im gemeinschaftlichen Testament nicht wechselbezüglich verfügt worden.

    Das Nachlassgericht hat dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 im angefochtenen Beschluss vom 08.05.2023 entsprochen (Bl. 79/81 d.A.), der dagegen gerichteten Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 14.06.2023 (Bl. 87/88 d.A.) mit Beschluss vom 18.07.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 92/93 d.A.).

    II.

    Die zulässige Beschwerde erweist sich in der Sache als unbegründet. Das Nachlassgericht hat zutreffend die zur Begründung des Erbscheinsantrags vom 31.10.2022 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind Schlusserben zu je 1/2, da sich die Erbfolge nach dem notariellen Ehegattentestament vom 09.01.2001 richtet. In diesem wurden die Beteiligten zu 2 und 3 wechselbezüglich als Schlusserben nach dem Tod des Letztversterbenden eingesetzt.

    1. Das gemeinschaftliche notarielle Testament vom 09.01.2001 enthält zwar keine ausdrückliche Regelung, ob die Schlusserbeneinsetzung wechselbezüglich und damit bindend ist, § 2271 Abs. 2 BGB. Das Testament ist jedoch dahin auszulegen, dass die Eheleute die Schlusserbeneinsetzung der Patenkinder wechselbezüglich getroffen haben.

    1.1. Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLG, Beschluss vom 17.03.2005, 1Z BR 106/04, FamRZ 2005, 1931 m.w.N). Ob Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 BGB vorliegt, ist nicht generell zu bestimmen, sondern muss für jede einzelne Verfügung nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 2084 BGB) gesondert geprüft und bejaht werden (BGH, Urteil vom 16.06.1987, IVa ZR 74/86, juris; OLG München, 31 Wx 83/09, FamRZ 2010, 1846; Krätzschel in: Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Auflage 2022, § 11 Rn. 12 ff.).

    Maßgeblich ist allein der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGH, Urteil vom 26.09.1990, IV ZR 131/89, NJW 1991, 169; BayObLG, Beschluss vom 24.04.1997, 1Z BR 234/96, juris Rn. 16; OLG München, 31 Wx 139/13, juris Rn. 10).

    Auch notarielle Urkunden sind zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens der Auslegung zugänglich (BGH, Urteil vom 06.12.1989, IVa ZR 59/88, NJW-RR 1990, 391; Senat, 33 U 6666/21, ZEV 2022, 659).

    Bei der Auslegung muss das Gericht auch Umstände außerhalb der Testamentsurkunde heranziehen. Wenn der (mögliche) Wille des Erblassers in dem Testament auch nicht andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen ist, ist der unterstellte, aber nicht formgerecht erklärte Wille des Erblassers unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 19.06.2019, IV ZB 30/18, juris Rn. 16 f. m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 18.12.2003, 1Z BR 130/02, juris Rn. 25). Es müssen daher wenigstens Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sein, die im Zusammenhang mit den sonstigen heranzuziehenden Umständen außerhalb des Testaments den entsprechenden Willen des Erblassers erkennen lassen (BGH, a.a.O.).

    Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht. Diese Auslegungsregel ist erst dann heranzuziehen, wenn nach Überprüfung aller inner- und außerhalb des Testaments liegenden Umstände verbleibende Zweifel nicht zu beseitigen sind (BayObLG, Beschluss vom 17.03.2005, 1Z BR 106/04, FamRZ 2005, 1931).

    1.2 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat keine Zweifel, dass das gemeinschaftliche Testament vom 09.01.2001 so auszulegen ist, dass die Beteiligten zu 2 und 3 durch die Ehegatten wechselbezüglich als Schlusserben eingesetzt wurden.

    1.2.1. Der Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments spricht bereits dafür, dass die Testierenden von Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung ausgingen.

    Als Schlusserben werden "unsere" Patenkinder bestimmt, ohne dass eine Zuordnung eines Patenkinds zu einem der Testierenden erfolgt, etwa nach den familiären Beziehungen oder Stämmen. Entsprechend findet sich im Vortrag der Beteiligten auch kein Hinweis darauf, dass einer der Ehegatten nur für ein Patenkind als Pate bestimmt worden wäre oder sich nur einem Patenkind verbunden fühlte. Die Einsetzung ist damit als gemeinsamer Willen der Eheleute, die beiden Patenkinder gemeinsam als Schlusserben einzusetzen, auszulegen.

    Weiter wird in Ziffer III.3) des Testaments vereinbart, die vorstehenden Verfügungen "im Wege des gemeinschaftlichen Testaments" zu treffen. Diese nochmalige Betonung deutet darauf hin, dass die Testierenden auf die damit verbundene Bindung hinweisen wollten, wofür auch der sich direkt anschließende Satz spricht, worin die (genau begrenzte) Abänderungsbefugnis der Schlusserbfolge und der Ersatzschlusserbfolge geregelt wird. Zwar verfügten die Testierenden hier vor einem Notar, so dass auch explizit auf die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen hätte hingewiesen werden können. Auch führt die Beschwerdeführerin zutreffend aus, dass im gemeinschaftlichen Testament sowohl einseitige als auch wechselbezügliche Verfügungen möglich sind. Doch zeigt auch die nicht weiter begründete Wiederholung der Tatsache "Wir treffen die vorstehenden Verfügungen von Todes wegen im Wege des gemeinschaftlichen Testaments" in der notariellen Urkunde, dass die notarielle Bearbeitung mit einer gewissen Ungenauigkeit erfolgte.

    Auch die Ersatzschlusserbenregelung spricht dafür, dass die Eheleute hier an die Person ihrer Patenkinder anknüpfen und nicht ihre jeweiligen Familienstämme bedenken wollten: Nicht etwa die Geschwister der Eheleute, also die älteste Generation des jeweiligen "Stammes", sondern die Geschwister der Patenkinder werden ersatzweise eingesetzt, so dass zugunsten der Generation der Nichten/Neffen bzw. sogar (im Falle der Beteiligten zu 3) Großnichten/Großneffen verfügt wird.

    Schließlich ergibt sich auch aus der eng formulierten Regelung der Abänderungsbefugnis in Ziffer III.3) S. 2, dass die Schlusserbeneinsetzung sich nicht - wie die Beschwerdeführerin meint - auf die gegenseitige Einsetzung von Familienstämmen beschränkt und der eine Ehegatte letztlich kein Interesse an der Einsetzung des Stammes des Ehegatten hatte: Das gemeinschaftliche Testament räumt dem überlebenden Ehegatten keine Abänderungsbefugnis außerhalb des Kreises der Abkömmlinge der Geschwister der Ehegatten ein. Auch hier wird also wieder an die Generation der Abkömmlinge der Geschwister angeknüpft. Der Sinn und Zweck dieser Abänderungsbefugnis ist, den überlebenden Ehegatten zu binden und auf den Kreis der Abkömmlinge der Geschwister der Ehegatten festzulegen, und zwar bezüglich des gesamten Nachlasses und in exakter Höhe des hälftigen gesamten Nachlasses. Eine Aufsplittung des Willens der Ehegatten, nur an den jeweils "eigenen Stamm" zu denken, so dass keine Begrenzung der Verfügungsmöglichkeiten hinsichtlich des "anderen Stammes" gewollt sei, ergibt sich daraus gerade nicht.

    Die notarielle Verfügung des Erblassers vom 25.11.2019 zugunsten der Beteiligten zu 1 überschreitet diesen engen Abänderungskorridor eindeutig.

    Die Vermutungen der Beschwerdeführerin über die vom Erblasser gewollte Bindung und dessen Gespräch am 25.11.2019 mit dem beurkundenden Notar sind für die Auslegung des übereinstimmenden Willens der Testierenden bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments am 09.01.2001 nicht relevant.

    1.2.2. Auch der Gesamtzusammenhang des gemeinschaftlichen Testaments spricht für eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3. Die allgemeine Lebenserfahrung, dass ein Ehegatte seinem Partner regelmäßig das Recht belassen will, Verfügungen zugunsten dessen eigener Verwandten, mit denen der Ehegatte selbst nicht verwandt ist, zu ändern (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Auflage 2024, § 2270 Rn. 6 m.w.N.), ist hier gerade nicht einschlägig.

    Durch die Verfügung zugunsten "unserer Patenkinder" und einer sehr engen Abänderungsbefugnis im Korridor der Abkömmlinge der Geschwister, d.h. der Generation der Patenkinder (s.o.), kommt der Gesamtzusammenhang zum Ausdruck, dass die Ehegatten hier die Schlusserbenstellung beider Patenkindern anknüpfen wollten, ohne nach Familienstämmen zu differenzieren.

    1.2.3. Die Systematik des gemeinschaftlichen Testaments ist anhand der - jeder Zweifelsregel oder allgemeinen Lebenserfahrung vorgehenden (vgl. insofern OLG Düsseldorf, I-3 Wx 82/21, juris Rn. 36 m.w.N.) - konkreten Auslegung des Willens der Ehegatten hier an der Patenschaft und zugunsten der Patenkinder festzumachen (s.o.), nicht an den Familienstämmen. Anders als die Beschwerdeführerin meint war es hier nach oben Genannten gerade nicht "wie üblicherweise" für den erstversterbenden Ehegatten unerheblich, wen der überlebende Ehegatte als Erben einsetzt.

    1.3. Auf die Zweifelsregel in § 2270 Abs. 2 BGB kommt es hier nicht mehr an, da bereits durch die Auslegung der Wille der Testierenden eindeutig ermittelt werden kann. Insofern kommt es entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin hier nicht darauf an, ob die Beteiligten zu 2 und 3 zum Erblasser bzw. seiner ersten Ehefrau verwandt oder sonst nahestehend waren. Dass allein die Patenschaft noch nicht genügt, um als besonders nahestehend im Sinne von § 2270 Abs. 2 BGB zu gelten (vgl. OLG Köln, I-2 Wx 259/22, juris Rn. 17), ist hier gerade nicht von Relevanz.

    2. Das notarielle Testament vom 25.11.2019 ist insoweit unwirksam, als die wechselbezügliche Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 abgeändert wird, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Die Voraussetzungen von § 2271 Abs. 2 S. 2, §§ 2294, 2336 BGB sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

    3. Die von der Beschwerdeführerin vorgelegten weiteren handschriftlichen Testamente vom 29.07.2020, 30.07.2020 und 12.02.2021 sind nicht formwirksam errichtet worden, § 2247 Abs. 1 BGB.

    III.

    Da die Beschwerde ohne Erfolg bleibt, fallen die gerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin zur Last, §§ 84, 80 FamFG. Für die Anordnung der Kostenerstattung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten sieht der Senat keine Veranlassung.

    Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt bis zur Festsetzung des Geschäftswertes durch das Nachlassgericht vorbehalten. Der Geschäftswert wird hier auf den noch festzustellenden Nachlasswert (§ 40 GNotKG) festzusetzen sein, da die Beschwerdeführerin durch die Beschwerde wirtschaftlich das Interesse verfolgt, Alleinerbin nach dem Erblasser zu sein (§ 61 Abs. 1 GNotKG).

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 2270 BGB, § 133 BGB