19.09.2013 · IWW-Abrufnummer 132942
Oberverwaltungsgericht Lüneburg: Beschluss vom 09.07.2013 – 8 ME 86/13
Die - weder zu rechtfertigende noch zu bagatellisierende - häusliche Gewalt zwischen Eheleuten lässt nach dem Ableben eines Ehegatten die Totenfürsorge für den hinterbliebenen Ehegatten nicht als eine schlechthin unerträgliche und unverhältnismäßige Verpflichtung erscheinen, die eine ungeschriebene Ausnahme von der gesetzlich auferlegten Bestattungspflicht und eine daran anknüpfende Kostenverlagerung auf die Allgemeinheit rechtfertigen könnte.
OVG Niedersachsen
09.07.2013
8 ME 86/13
Gründe
Der im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes obsiegenden Antragstellerin ist auf ihren Antrag für das Beschwerdeverfahren nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu ändern. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2013 wiederhergestellt, soweit die Klage sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Aufforderung zur Urnenbeisetzung richtet, und angeordnet, soweit die Klage sich gegen die Androhung der Ersatzvornahme richtet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Ist - wie hier - die sofortige Vollziehung von der Behörde den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügend angeordnet worden, so setzt die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das vorrangig öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 - 2 BvR 821/04 -, NJW 2004, 2297, 2298; Beschl. v. 11.2.1982- 2 BvR 77/82 -, NVwZ 1982, 241; BVerwG, Beschl. v. 9.9.1996 - 11 VR 31.95 -, NVwZ-RR 1997, 210).
So verhält es sich hier. Die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2013, mit dem sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Beisetzung der Urne mit der Asche ihres verstorbenen Ehemannes bis zum 6. März 2013 durch Beauftragung eines Bestattungsunternehmens aufgefordert worden ist, hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Rechtsgrundlage des Bescheides vom 7. Februar 2013 ist § 11 Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) i.V.m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 12 Abs. 5, 9 Abs. 2 Satz 4 Bestattungsgesetz (BestattG).
Hiernach ist - soweit die allgemeine Pflicht zur Bestattung einer Leiche durch eine Feuerbestattung erfüllt werden soll und die verstorbene Person bereits eingeäschert und die Asche in einer Urne aufgenommen wurde - der Ehegatte der verstorbenen Person verpflichtet, die Urne mit der Asche innerhalb eines Monats nach der Einäscherung auf einem Friedhof beizusetzen zu lassen. Diese Pflicht darf die für den Sterbe- oder Auffindungsort zuständige Gemeinde durch einen auf § 11 Nds. SOG gestützten (Grund-)Verwaltungsakt konkretisieren und im Wege des Verwaltungszwangs nach den Bestimmungen im 6. Teil 1. Abschnitt des Nds. SOG durchsetzen (vgl. Senatsurt. v. 10.11.2011 - 8 LB 238/10 -, [...] Rn. 34).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Ehemann der Antragstellerin ist am 20. Januar 2013 verstorben. Der Leichnam wurde am 6. Februar 2013 eingeäschert. Die Urne mit der Asche des Verstorbenen war daher von der Ehegattin des Verstorbenen, der Antragstellerin, innerhalb der im Bescheid festgesetzten Frist bis zum 6. März 2013 beizusetzen.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, im vorliegenden Fall sei aufgrund jahrelanger Bedrohungen und gewalttätiger Angriffe des verstorbenen Ehemannes eine Ausnahme von der grundsätzlichen Bestattungspflicht der Antragstellerin zu machen, teilt der Senat nicht.
Der Gesetzgeber hat Ausnahmen von der Bestattungspflicht nach § 8 Abs. 1 und 3 BestattG nicht vorgesehen. Ob zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung des Bestattungspflichtigen eine ungeschriebene Ausnahme etwa dann angezeigt ist, wenn sich der Verstorbene wegen einer schweren Straftat zu Lasten des Bestattungspflichtigen strafbar gemacht hat (vgl. Senatsbeschl. v. 8.1.2013 - 8 ME 228/12 -; v. 4.4.2008 - 8 LA 4/08 -, [...] Rn. 5 (offengelassen); Hessischer VGH, Urt. v. 26.10.2011 - 5 A 1245/11 -, [...] Rn. 31 f. (bejaht) jeweils m.w.N.), bedarf keiner Entscheidung. Denn ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Nach den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung ist der verstorbene Ehemann der Antragstellerin wegen Körperverletzung zu ihren Lasten durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 17. Oktober 2006 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt worden. Der verstorbene Ehemann der Antragstellerin hatte diese in alkoholisiertem Zustand auf der Straße angeschrien und sie immer wieder gegen Oberkörper und Gesicht geschlagen, sie zu Boden gerissen, am Arm über den Asphalt gezerrt und weiter nach ihr getreten, bis Passanten ihn schließlich von der Antragstellerin trennen konnten. Weitere Misshandlungen konnten nur mit Mühe und durch entschlossenes Dazwischentreten von Passanten abgewendet werden. Darüber hinaus ist gegen den verstorbenen Ehemann der Antragstellerin durch Beschluss des Amtsgerichts B. - Familiengericht - vom 27. November 2012 eine sog. Gewaltschutzanordnung ergangen. Die Antragstellerin hatte glaubhaft gemacht, jahrelang massive Übergriffe durch ihren Ehemann erlitten zu haben, die öfter zur Notwendigkeit ärztlicher Behandlungen geführt hätten.
Das hier zu Tage getretene Fehlverhalten des verstorbenen Ehemannes der Antragstellerin ist weder zu rechtfertigen noch zu bagatellisieren. Es war für die Antragstellerin offensichtlich mit jahrelangen Erniedrigungen sowie körperlicher und psychischer Gewalt verbunden, ohne dass sie die Kraft gefunden hätte, sich von ihrem verstorbenen Ehemann zu lösen. Trotz der Beeinträchtigungen der psychischen und physischen Integrität der Antragstellerin vermag der Senat in dem Fehlverhalten des verstorbenen Ehemannes aber keine schweren Straftaten zu erkennen, welche die Totenfürsorge als eine für die Antragstellerin schlechthin unerträgliche und unverhältnismäßige Verpflichtung erscheinen lassen würden und eine ungeschriebene Ausnahme von der gesetzlich auferlegten Bestattungspflicht und daran anknüpfende Kostenverlagerung auf die Allgemeinheit rechtfertigen könnten (vgl. auch Senatsbeschl. v. 19.12.2012 - 8 LA 150/12 - (körperliche Misshandlung der Kinder durch den Verstorbenen; körperliche Misshandlung der Ehefrau und Bedrohung mit dem Tod durch den Verstorbenen); v. 4.4.2008, a.a.O., Rn. 2 und 5 (körperliche Misshandlung der Kinder durch die Verstorbene)).
Weitergehende allgemeine Billigkeitserwägungen sind bei der Durchsetzung der Bestattungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BestattG und bei der Heranziehung zu Bestattungskosten auf der Grundlage § 8 Abs. 4 BestattG grundsätzlich nicht anzustellen (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 8.1.2013 - 8 ME 228/12 - m.w.N.). Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, bestehen angesichts der damit verbundenen Kostenbelastung für den herangezogenen Bestattungspflichtigen nicht (Senatsbeschl. v. 30.7.1010 - 8 PA 151/10 -; v. 4.4.2008, a.a.O., Rn. 4; vgl. Stelkens/Seifert, Die Bestattungspflicht und ihre Durchsetzung, in: DVBl. 2008, 1537, 1539 f.). Denn es handelt sich um keine abschließende Entscheidung über die tatsächliche Kostenbelastung des Bestattungspflichtigen, da er entweder Rückgriff bei einem Erben nach § 1968 BGB oder einem anderen gleichrangig Bestattungspflichtigen nach §§ 426 BGB, 8 Abs. 4 Satz 2 BestattG nehmen kann und (hilfsweise) bei einer Unzumutbarkeit der Kostentragung zudem die Möglichkeit der Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger nach § 74 SGB XII eröffnet ist (vgl. BSG, Urt. v. 29.9.2009 - B 8 SO 23/08 R -, [...] Rn. 16 f., wonach bei Ermittlung der Unzumutbarkeit nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bestattungspflichtigen zu berücksichtigen ist, sondern auch solche Umstände, die im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, etwa die Nähe und Beziehung des Verstorbenen zum Bestattungspflichtigen). Auf letztgenannte Möglichkeit ist die Antragstellerin durch die Antragsgegnerin bereits im angefochtenen Bescheid ausdrücklich hingewiesen worden.
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht auch die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Februar 2013 angeordnet, soweit die Klage sich gegen die Androhung der Ersatzvornahme richtet. Die Androhung der Ersatzvornahme findet in §§ 64 Abs. 1 und 3 Satz 1, 65 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1, 70 Abs. 1-4 Nds. SOG eine Rechtsgrundlage und weist zur Rechtswidrigkeit führende Fehler nicht auf.