· Fachbeitrag · Gemeinschaftliches Testament
Anfechtung durch den zweiten Ehegatten
von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm
Eine Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament kann durch den zweiten Ehegatten nach Wiederverheiratung angefochten werden, § 2079 BGB (OLG Hamm 28.10.14, 15 W 14/14, n.v., Abruf-Nr. 143633). |
Sachverhalt
Die Beteiligte zu 1 ist die erste Ehefrau (F1) des Erblassers E. Beide errichteten ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und den Sohn zum Erben des Zuletztversterbenden bestimmten. Danach schlossen sie einen Ehevertrag. Am selben Tag fertigten sie auf der Rückseite ihres Testaments einen handschriftlichen und von beiden unterschriebenen Nachtrag mit folgendem Wortlaut: „Unsere vorstehenden umseitigen letztwilligen Verfügungen sollen auch für den Fall der Ehescheidung gelten.“ Die Ehe des E mit F1 wurde geschieden. Der E heiratete die Beteiligte zu 2 (F2). Mit dieser errichtete er ein gemeinsames notarielles Testament, in dem er und F2 vorsorglich alle bisher getroffenen Verfügungen von Todes wegen widerriefen. Der E setzte seinen Neffen zu seinem alleinigen Erben ein und zugunsten der F2 ein Vermächtnis aus. F2 setzte den E zu ihrem Schlusserben ein. Die Erbeinsetzung des E durch F2 und die Vermächtnisaussetzung zugunsten der F2 durch den E sollten wechselbezüglich sein. Der Neffe schlug die Erbschaft aus. F1 beantragte die Erteilung eines Alleinerbscheins. F2 erklärte die Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments des E mit F1 u.a. unter Berufung auf § 2079 S. 1 BGB, weil sie als Pflichtteilsberechtigte übergangen worden sei. Das Nachlassgericht stellte mit dem angefochtenen Beschluss die zur Erteilung des von F1 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen fest. Gegen diese Entscheidung richtet sich erfolgreich die Beschwerde der F2.
Entscheidungsgründe
Das Testament von E und F1 ist unwirksam. Es ist zwar nicht aufgrund der Scheidung unwirksam geworden, obwohl nach § 2077 Abs. 1 BGB der Wille des Erblassers vermutet wird, dass ein den Ehegatten begünstigendes Testament im Scheidungsfall hinfällig sein soll. E und F1 haben aber i.S. von § 2077 Abs. 3 BGB bestimmt, dass das Testament auch bei der Scheidung weiter gelten soll.
E hat die letztwillige Verfügung auch nicht nach dem für den Rücktritt vom Erbvertrag geltenden § 2296 BGB widerrufen, § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Widerruf aller bisherigen Verfügungen von Todes wegen im Testament mit F2 war gem. § 2296 Abs. 2 BGB gegenüber F1 abzugeben. Der Widerruf ist der F1 aber nicht rechtzeitig zugegangen, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB. Wegen der nur auf die Lebzeiten begrenzten Widerrufsmöglichkeit des § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB ist § 130 Abs. 2 BGB bei der Zustellung der Erklärung nach dem Tod des Widerrufenden einschränkend dahin auszulegen, dass die Vorschrift nur solche Fälle erfasst, bei denen sich diese Willenserklärung beim Tod des Erklärenden bereits „auf dem Weg“ zum Adressaten befindet und der Zugang alsbald erfolgt. F2 hat die Widerrufszustellung erst nach dem Tod des E veranlasst.
F2 hat das Testament des E mit F1 aber nach § 2080 Abs. 3, § 2079 S. 1 BGB wirksam angefochten. Die von ihr form- und fristgerecht gegenüber dem Nachlassgericht (§ 2081 Abs. 1 BGB) erklärte Anfechtung führt dazu, dass die Erbeneinsetzung der F1 als von Anfang an nichtig anzusehen ist, § 142 Abs. 1 BGB. Die Anfechtung ist gem. § 2079 S. 1 BGB sachlich begründet. Eine letztwillige Verfügung ist u.a. anfechtbar, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, der erst nach der Errichtung des Testaments pflichtteilsberechtigt geworden ist. So liegt es hier, weil F2 erst durch die Eheschließung mit E pflichtteilsberechtigt geworden ist, § 2303 Abs. 2 BGB. Die Anfechtung ist nach § 2079 S. 2 BGB nur ausgeschlossen, wenn der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde. Diese Vorschrift begründet eine gesetzliche Vermutung dafür, dass der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage den neu hinzugetretenen Pflichtteilsberechtigten nicht übergangen hätte, seine Unkenntnis also kausal für die Verfügung war. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der E, hätte er die Wiederheirat vorausgesehen, die F2 von der Erbfolge hätte ausschließen wollen, selbst wenn er für den Fall der Scheidung seine letztwillige Verfügung hat fortbestehen lassen wollen. F2 ist auch anfechtungsberechtigt, da ihr die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustattenkommt, § 2080 Abs. 1 BGB. Dies ist durch einen Vergleich mit der Rechtslage zu beurteilen, wie sie sich infolge der Anfechtung ergeben würde (BGH NJW 85, 2025). Dafür reicht aus, dass F2 bei Unwirksamkeit des Testaments des E mit F1 als gesetzliche Miterbin berufen ist. Bei Wirksamkeit des Testaments erhielte sie nichts, weil die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung der F1 zur Unwirksamkeit der Vermächtniszuwendung an sie führen würde, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB analog.
Praxishinweis
Zum Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments durch einen Ehegatten ist erforderlich, dass der abwesende andere Ehegatte eine Ausfertigung (nicht Abschrift oder vom Gerichtsvollzieher beglaubigte Abschrift) der Widerrufsverhandlung erhält (BGHZ 31, 5).