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  • · Fachbeitrag · Prozesszinsen

    Kein Zinsanspruch bei Steuerherabsetzung nach Beendigung der Rechtshängigkeit

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, FA Steuerrecht, Magdeburg

    Ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht nicht, wenn eine Steuerherabsetzung erst nach Beendigung der Rechtshängigkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks erfolgt, der im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens angebracht worden war (BFH 29.8.12, II R 49/11, AO-StB 13, 42, Abruf-Nr. 123907).

    Sachverhalt

    Die Klägerin K ist Alleinerbin der 2004 verstorbenen Erblasserin E, mit der sie im Jahr 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen war. Der Beklagte B, das Finanzamt, setzte gegen K Erbschaftsteuer unter Zugrundelegung der Steuerklasse III fest. K erhob Klage und begehrte vor dem FG die Aufhebung des Steuerbescheids und die Anwendung der Steuerklasse I. B erklärte die Steuerfestsetzung durch Bescheid in vollem Umfang für vorläufig. Hintergrund war die anhängige Verfassungsbeschwerde betreffend die Erbschaftsbesteuerung eingetragener Lebenspartner. Die Beteiligten erklärten das Verfahren 2007 übereinstimmend für erledigt.

     

    Nachdem das BVerfG die Erbschaftsbesteuerung eingetragener Lebenspartner für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte, setzte B 2011 die Erbschaftsteuer auf 0 EUR herab und erstattete K die überzahlte Steuer. Den Antrag der K, auf den Erstattungsbetrag Prozesszinsen gemäß § 236 AO festzusetzen, lehnte B ab. Die Klage der K vor dem FG hatte Erfolg (EE 12, 40).

     

    Entscheidungsgründe

    Die Revision des B ist begründet, denn das FG hat zu Unrecht angenommen, dass der Erstattungsanspruch zu verzinsen sei. Gemäß § 236 Abs. 1 S. 1 AO entsteht ein Anspruch auf Zahlung von Prozesszinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Dies setzt voraus, dass der Rechtsstreit kausal für die Steuererstattung war (BFH BStBl II 04, 169).

     

    MERKE | „Durch“ eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung nach § 236 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO wird die Steuer herabgesetzt, wenn das Gericht sie nach § 100 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 FGO niedriger festsetzt. Die Herabsetzung erfolgt „aufgrund“ der gerichtlichen Entscheidung, wenn die Behörde die Steuer nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids durch das Gericht gemäß § 100 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 2 FGO weisungsgemäß festsetzt (BFH BStBl II 88, 600).

     

    Hieran fehlt es. Die Rechtshängigkeit des Verfahrens entfiel bereits 2007 durch die Erledigungserklärungen. Herabsetzungsgrundlage war allein der Vorläufigkeitsvermerk, der einen Änderungsanspruch der K begründete.

     

    Ebenso greift § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht, sodass eine entsprechende Anwendung ausscheidet. Die Norm enthält insoweit eine eigenständige Regelung, als Prozesszinsen auch entstehen, wenn der Rechtsstreit nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, sondern durch die Erledigung der Hauptsache beendet wird. So wird die Anwendbarkeit der Vorschrift auf andere Arten der Beendigung eines Finanzrechtsstreits erweitert.

     

    Achtung |Die Finanzbehörde soll durch § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO gehindert werden, mit einer Änderung des angefochtenen Bescheids vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidung das Entstehen von Prozesszinsen zu verhindern. Die Verweisung auf Abs. 1 hat zur Folge, dass Prozesszinsen nur zuerkannt werden können, wenn der erledigte Rechtsstreit für die Herabsetzung der Steuer ursächlich war und dem prozessualen Begehren des Steuerpflichtigen wegen einer Änderung des Bescheids entsprochen wird (BFH BStBl II 96, 260).

     

    B hatte dem prozessualen Begehren der K während der Rechtshängigkeit nur insoweit entsprochen, als B den angefochtenen Steuerbescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen hatte. Die zur Erstattung führende Änderung ist außerhalb des erledigten Verfahrens erfolgt. Hierzu steht es nicht in Widerspruch, dass ein Anspruch auf Prozesszinsen besteht, wenn ein finanzgerichtliches Verfahren in Hinblick auf ein beim BVerfG anhängiges Musterverfahren gemäß § 74 FGO ausgesetzt und die Steuer später im Rahmen der Fortführung des Verfahrens herabgesetzt wird. In diesem Fall können die Voraussetzungen des § 236 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AO erfüllt sein, weil die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO die Rechtshängigkeit der Klage unberührt lässt (Gräber/Koch, FGO, 7. Aufl., Vor § 74 Rn. 4).

     

    Auch eine analoge Anwendung des § 236 Abs. 1 beziehungsweise Abs. 2 Nr. 1 AO kommt nicht in Betracht. Eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts liegt nicht vor. Der Gesetzgeber hat die Zinspflicht in § 236 Abs. 2 AO auf Tatbestände ausgedehnt, in denen die Steuerherabsetzung nicht unmittelbar durch den gerichtlichen Ausspruch herbeigeführt worden ist. Gemäß § 236 Abs. 5 AO soll eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens unberücksichtigt bleiben. Es kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe nur versehentlich auf die Zubilligung eines Zinsanspruchs für den Fall verzichtet, dass eine Steuerherabsetzung nach Beendigung der Rechtshängigkeit des Gerichtsverfahrens aufgrund eines Vorläufigkeitsvermerks erfolgt.

     

    Praxishinweis

    Durch eine Hauptsacheerledigung drohen Nachteile hinsichtlich möglicher Prozesszinsen. Vorzugswürdig gegenüber der Erledigung der Hauptsache ist daher die Verfahrensaussetzung gemäß § 74 FGO. Diese beseitigt nicht die Rechtshängigkeit der Klage und wahrt die Chance auf Prozesszinsen bei späterer Steuerherabsetzung. Vor Abgabe der Erklärung über die Hauptsacheerledigung ist stets zu prüfen, ob eine Verfahrensaussetzung in Betracht kommt. Das hierfür notwendige Rechtsschutzinteresse für eine Klage entfällt nicht bereits, weil das Finanzamt erst im Klageverfahren den angefochtenen Bescheid wegen aufgeworfener verfassungsrechtlicher Streitpunkte für vorläufig erklärt (BFH 23.12.05, XI B 94/04, BFH/NV 06, 952).

    Quelle: Ausgabe 03 / 2013 | Seite 40 | ID 37482030