Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Schenkungsteuerrecht

    „Kinder der Kinder“ sind nur die Enkel

    von RA und Notar a.D. Jürgen Gemmer, Fachanwalt Steuerrecht, Magdeburg

    | Urenkeln steht bei der Ermittlung einer Schenkungsteuer jedenfalls dann lediglich der Freibetrag in Höhe von 100.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zu, wenn Eltern und Großeltern noch nicht vorverstorben sind. Dies hat der BFH entschieden. |

    Sachverhalt

    Eine Urgroßmutter (UG) übertrug ihren beiden Urenkeln (UE) ein Grundstück. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte bei der Schenkungsteuer jeweils einen Freibetrag von 100.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Die UE machten den Freibetrag von jeweils 200.000 EUR nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG geltend und erhoben Klage, über die noch nicht entschieden ist. Zugleich stellten sieeinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Dieser wurde sowohl vom FA als auch vom Finanzgericht abgelehnt. Die beim BFH erhobene Beschwerde blieb erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Es bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass für den Erwerb bei einem Urenkel jedenfalls dann lediglich ein Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in Höhe von 100.000 EUR steuerfrei bleibt, wenn Angehörige der dazwischenliegenden Generationen noch leben (BFH 27.7.20, II B 39/20 (AdV), Abruf-Nr. 218445).

     

    Wörtliche und systematische Auslegung

    Nach Wortlaut und Systematik des ErbStG meint der Begriff „Kinder“ in § 16 Abs. 1 ErbStG eindeutig nicht Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge, sondern Kinder. Das gilt im Fall des § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch für die doppelte Verwendung des Wortes „Kinder“, sodass „Kinder der Kinder“ ausschließlich die Enkel, nicht die Urenkel sind. Soweit § 16 Abs. 1 ErbStG drei Mal (zweimal in Nr. 2, einmal in Nr. 3) die Wendung „Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2“ verwendet, ist dies nicht anders denkbar. Kinder in diesem Sinne sind die Kinder und Stiefkinder. Denn die Stiefkinder sind der tragende Grund dafür, im Rahmen von § 16 Abs. 1 ErbStG nicht allein von Kindern, sondern von Kindern im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 zu sprechen. Kindeskinder oder weitere Abkömmlinge können in dieser Wendung mit dem Begriff „Kinder“ nicht gemeint sein, da diese die Steuerklasse I nicht auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG, sondern auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 3 ErbStG erhalten. Andernfalls liefe die zuletzt genannte Vorschrift ins Leere.

     

    Differenzierung zwischen Abkömmlingen und Kindern

    Es ist auch ausgeschlossen, den in der Wendung „Kinder der Kinder“ in § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG an erster Stelle benutzten Begriff „Kinder“ nicht im ursprünglichen Sinne des Wortes, sondern als „Kindeskinder“ oder „Abkömmlinge“ o. Ä. zu verstehen. Die Differenzierung in § 15 Abs. 1 Steuerklasse I ErbStG zwischen Nr. 2 (Kinder) und Nr. 3 (Abkömmlinge der in Nr. 2 genannten Kinder) zeigt stattdessen, dass der Gesetzgeber den Begriff „Kinder“ zielgenau eingesetzt hat. Meinte er sämtliche nachfolgenden Generationen in direkter Linie, hätte er den Begriff „Abkömmlinge“ verwendet. Meinte er jedoch lediglich die Kinder der Kinder, hat er dies auch so formuliert. Es ist keingesetzestechnischer Anknüpfungspunkt ersichtlich, dem Begriff „Kinder“ punktuell ein anderes Verständnis beizulegen. Dem Einwand, die Gleichstellung aller Abkömmlinge hinsichtlich der Steuerklasse in § 15 Abs. 1 ErbStG müsse auch zu einer Gleichstellung in § 16 Abs. 1 ErbStG führen, steht bereits entgegen, dass § 16 Abs. 1 ErbStG zwischen verschiedenen Erwerbergruppen trotz gleicher Steuerklasse ausdrücklich differenziert, und zwar insbesondere auch zwischen verschiedenen Gruppen von Abkömmlingen.

     

    Überspringen einer oder mehrerer Generationen

    Steuerklassen und Freibeträge beruhen auf dem typisierten Grundmodell, dass jede Generation jeweils zwei Kinder hat, was die Verdoppelung der Anzahl der Abkömmlinge in jeweils einer Generation zur Folge hat. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig und systemgerecht, wenn sich die weitere Halbierung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG in § 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG mit einem weiteren Schritt in der Generationenfolge deckt.

     

    Es ist auch nicht ersichtlich, dass die von den UE begehrte Auslegung dem Zweck der Freibeträge entspräche. Vielmehr hätte die Gewährung gleicher Freibeträge auch bei Überspringen einer oder mehrerer Generationen eine Vervielfältigung der Freibeträge und damit gemessen an der Konzeption des Gesetzes eine Überbegünstigung zur Folge.

    Relevanz für die Praxis

    Die abweichenden Auffassungen in der Kommentarliteratur werden vom BFH abgelehnt. Er weist allerdings darauf hin, dass das Meinungsbild in den Kommentaren auch nicht einheitlich ist und keineswegs feststeht, ob die entsprechenden Ausführungen die aktuelle Gesetzeslage betreffen oder es sich um Überlegungen im Hinblick auf eine bessere Sachgerechtigkeit handelt.

     

    Der BFH hat in dem AdV-Verfahren, bei dem eine Streitsache grundsätzlich nur einer summarischen Prüfung unterzogen wird, bereits sehr deutlich seine Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht. Dennoch bleibt die endgültige Entscheidung einem Revisionsverfahren vorbehalten. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie das FG in dem Klageverfahren entscheidet und ob dagegen Revision eingelegt wird. Bis dahin sollten entsprechende Fälle offengehalten werden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, Stand 01.04.18, § 16 ErbStG Rz 89
    • Eisele in Kapp/Ebeling, § 16 ErbStG, Rz 8
    • von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl., § 16 Rz 23.
    Quelle: Ausgabe 12 / 2020 | Seite 201 | ID 46964845