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  • · Fachbeitrag · Verfahrensrecht

    Was tun, wenn ein Grundlagenbescheid im Folgebescheid nicht richtig umgesetzt wurde?

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    | Eine wichtige Änderungsnorm ist § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO. Danach kann ein Steuerbescheid (erstmalig) erlassen, aufgehoben oder geändert werden, wenn ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, (erstmalig) erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Der Beitrag befasst sich mit einigen Grundregeln des Zusammenspiels von Grundlagen- und Folgebescheid und geht dabei auch auf die Frage ein, wie ein Folgebescheid, in dem ein Grundlagenbescheid fehlerhaft umgesetzt wurde, zu ändern ist. Den Abschluss bilden Hinweise zum Rechtsbehelfsverfahren. |

    1. Bindung an den Grundlagenbescheid

    Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist die für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzbehörde verpflichtet, die notwendigen Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Dabei kann die Finanzbehörde den Folgebescheid bereits vor dem Grundlagenbescheid erlassen (§ 155 Abs. 2 AO). Ergeht der Grundlagenbescheid nachträglich, ist der zuvor erlassene Folgebescheid nur insoweit zu ändern, als er dem Grundlagenbescheid nicht entspricht (vgl. BFH 5.8.15, II B 113/14, BFH/NV 15, 1554).

     

    • Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO

    Grundlagenbescheide sind z.B.:

     

    • Feststellungsbescheide (§§ 179 ff. AO)
    • Steuermessbescheide (§ 184 AO)
    • Entscheidungen über den Erlass im Steuerfestsetzungsverfahren (§ 163 AO)
    • Feststellungen nach § 10d Abs. 4 EStG (Feststellung des abzugsfähigen Verlusts)
    • Feststellung des nichtausgleichs- oder abzugsfähigen Verlusts (§ 15a Abs. 4 EStG)
    • Einkommensteuerbescheid im Verhältnis zur Bemessung des Solidaritätszuschlags oder der Kirchensteuer

     

    Keine Grundlagenbescheide sind z.B.:

     

    • Gewerbesteuer-Messbescheid im Verhältnis zu Einkommen- und Körperschaftsteuerbescheid
    • Körperschaftsteuerbescheid einer GmbH hinsichtlich der darin enthaltenen vGA für solche Steuerbescheide, in denen die vGA steuerlich zu berücksichtigen ist
    • Steuerbescheid im Verhältnis zum Haftungsbescheid
    • Gewinnfeststellungsbescheid für die Tochterpersonengesellschaft einer Organgesellschaft gegenüber dem Organträger
    • bei der doppelstöckigen Personengesellschaft der Feststellungsbescheid für die Untergesellschaft im Verhältnis zu den Gesellschaftern der Obergesellschaft
     

    § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO begründet eine „absolute Anpassungsverpflichtung“, d.h. die Vorschrift stellt die Anpassung des Folgebescheids nicht in das Ermessen der Finanzbehörden, sondern bezweckt die Ermittlung und Festsetzung der zutreffenden Steuer. Die materielle Richtigkeit des Folgebescheids hat dabei Vorrang vor der Bestandskraft eines bereits ergangenen Folgebescheids (vgl. z.B. BFH 16.7.03, X R 37/99, BStBl. II 03, 867).

     

    PRAXISHINWEIS | Insofern unterscheidet sich § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO von anderen Änderungsvorschriften, wie z.B. § 173 AO, aufgrund derer die Bestandskraft von Bescheiden nur in genau bezeichneten Ausnahmefällen (z.B. wegen neuer Tatsachen) durchbrochen werden kann.

     

    Anpassungsmaßnahmen nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO dürfen nur innerhalb der Festsetzungsfrist ergehen (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid endet nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids (§ 171 Abs. 10 AO).

    2. Umfang der Anpassung

    Die Aufgabe, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung. Sie reicht nur „soweit“, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids verlangt (vgl. etwa FG Köln 20.6.13, 6 K 2552/10, EFG 13, 1718).

     

    PRAXISHINWEIS | Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf die bloße mechanische Übernahme von Zahlen, sondern fordert, dass der Folgebescheid vollständig und inhaltlich zutreffend an den Regelungsinhalt des Grundlagenbescheids angepasst wird (vgl. FG München 26.10.12, 8 K 636/10, EFG 13, 1197).

     
    • Beispiel

    Dies betrifft z.B. auch die Zuordnung von Einkünften zu einer bestimmten Einkunftsart. Ist eine Zuordnung im Grundlagenbescheid getroffen worden, darf sich das für den Folgebescheid zuständige FA nicht darüber hinwegsetzen.

     

    2.1 Folgen einer fehlerhaften Auswertung des Grundlagenbescheids

    Der Grundlagenbescheid soll dem Folgebescheid in verbindlicher Weise bestimmte Besteuerungsgrundlagen zuführen. Solange diese Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid nicht (oder nicht vollständig) berücksichtigt sind, ist die dem Grundlagenbescheid zugedachte Aufgabe nicht erfüllt (BFH 29.6.05, X R 31/04, BFH/NV 05, 1749 m.w.N.).

     

    PRAXISHINWEIS | Hat das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt einen ihm bereits bekannten Grundlagenbescheid übersehen oder fehlerhaft ausgewertet, muss es den Folgebescheid nach Maßgabe des Grundlagenbescheids erstmals erlassen oder einen erlassenen Folgebescheid ändern.

     

     

    2.2 Zutreffende Steuerfestsetzung im Folgebescheid

    § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO bezweckt nicht nur die mechanisch zutreffende Übernahme des Inhalts eines Grundlagenbescheids, sondern die Festsetzung der sich unter Berücksichtigung des Grundlagenbescheides ergebenden zutreffenden Steuer. Auch hierauf erstreckt sich die aus § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ergebende Anpassungsverpflichtung der für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzbehörde (siehe BFH 10.6.99, IV R 25/98, BStBl. II 99, 545).

     

    • Beispiel

    Nach Auffassung des FG Münster darf das Finanzamt auf Grundlage dieser BFH-Rechtsprechung einen Einkommensteuerbescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen aus dem Grundlagenbescheid zwar zutreffend übernommen wurden, aber die Steuer - wegen der fehlerhaften Anwendung des § 351 bzw. 177 AO (Rechtsfehlerkompensation) - zu niedrig festgesetzt hatte, erneut aufgrund desselben Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ändern (FG Münster 26.8.14, 2 K 406/12 E, EFG 15, 1584; Rev. BFH: X R 18/15).

     

    2.3 Ermittlungen des für den Folgebescheid zuständigen FA

    Ist ein bestimmter Sachverhalt Gegenstand eines Feststellungsverfahrens, so ist die für den Folgebescheid zuständige Finanzbehörde durch die Bindungswirkung an den Feststellungsbescheid gehindert, abschließend eigene Ermittlungen anzustellen. Erst die Aufhebung des Feststellungsbescheids (Grundlagenbescheid) erlaubt es dem Finanzamt, das den Folgebescheid zu erlassen hat, den Sachverhalt selbstständig zu ermitteln, um den Folgebescheid entsprechend zu erlassen oder zu ändern.

     

    • Beispiel

    Eigene Ermittlungen sind auch zulässig bei Erlass eines negativen Feststellungsbescheids oder bei einzelnen negativen Feststellungen (FG Düsseldorf 9.7.09, 16 K 2010/08, E EFG 09, 1902; zu den Rechtsfolgen der Aufhebung von Feststellungsbescheiden s. BFH 19.8.09, I R 23/08, BFH/NV 09, 1961).

     

    2.4 Kein Vorbehalt der Nachprüfung im endgültigen Folgebescheid

    Wird ein endgültiger Folgebescheid wegen Ergehens oder wegen Änderung des Grundlagenbescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, so darf der geänderte Folgebescheid nicht unter Vorbehalt der Nachprüfung gestellt werden (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 14).

    3. Anfechtungsmöglichkeiten

    Lehnt es die Finanzbehörde ab, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, so ist der Einspruch gegeben, gegen die negative Einspruchsentscheidung die Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO). Der Anpassungsbescheid selbst ist ebenfalls mit dem Einspruch anfechtbar.

     

    Nach erfolglosem Einspruchsverfahren ist die Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) zulässig. In diesem Rechtsbehelfsverfahren sind die Voraussetzungen der Korrektur nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO zu prüfen. Dies gilt auch für die Frage, ob der Grundlagenbescheid wirksam geworden ist (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rz. 14 m.w.N.).

     

    PRAXISHINWEIS | Häufiger Praxisfehler: Die Anpassung des Folgebescheids kann nicht mit der Begründung angefochten werden, die Besteuerungsgrundlagen seien im Grundlagenbescheid unzutreffend festgestellt worden. Dieser Einwand kann nur im Einspruchs- bzw. Klageverfahren gegen den Grundlagenbescheid selbst erhoben werden (§ 351 Abs. 2 AO; § 42 FGO). Es kann nur die Rechtsverletzung der unzutreffenden Anpassung gemacht werden.

     

    War der Folgebescheid vor seiner Anpassung bereits unanfechtbar, kann er nur in den Grenzen der § 351 Abs. 1 AO, § 42 FGO angefochten werden („nur soweit die Änderung reicht“).

    Quelle: ID 43729991