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  • · Fachbeitrag · Verfahrensrecht

    Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse und das daraus resultierende Haftungsrisiko

    von RA Christoph Gahle, Eggesiecker und Partner, Köln

    | Kaum ein Thema beschäftigt die Gerichte so sehr wie die Sozialversicherungspflicht von (Gesellschafter-)Geschäftsführern, mitarbeitenden Familienangehörigen und Freelancern. Dabei geht es neben der Frage, wie der Status der betroffenen Person im Einzelfall zu beurteilen ist, immer häufiger um die Problematik, unter welchen Voraussetzungen sich Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse auf den einmal festgestellten Status auswirken. Steuerberater setzen sich hier oft dem Vorwurf aus, ihrer Hinweis- und Aufklärungspflicht trotz Kenntnis der veränderten Umstände nicht nachgekommen zu sein. |

    Geltungsdauer von Statusfeststellungsbescheiden

    Statusfeststellungsbescheide sind - sofern sie nicht ausnahmsweise auf einen konkreten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraum beschränkt werden - sogenannte Verwaltungsakte mit Dauerwirkung. Solche Verwaltungsakte erschöpfen sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Sach- und Rechtslage, sondern entfalten auch über den Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe hinaus rechtliche Bindungswirkung. Die unbefristet zukunftsorientierte Bindungswirkung wird durch § 48 SGB X eingeschränkt. Diese Vorschrift erlaubt die Aufhebung eines Dauerverwaltungsaktes unter anderem, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Veränderung eingetreten ist. Dabei kann die Aufhebung auch mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen - insbesondere dann, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgegebenen Pflicht zur Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

     

    Derartige Informationspflichten finden sich verstreut über die verschiedenen Sozialgesetzbücher, z.B. in § 28o SGB IV, § 206 SGB V oder § 196 SGB VI. Grobe Fahrlässigkeit liegt bereits dann vor, wenn das Unterlassen einer geschuldeten Mitteilung dazu führt, dass frühere Angaben unvollständig oder unrichtig werden (BSG 1.6.06, B 7a AL 76/05 R, Urteil unter www.dejure.org). Dabei kommt es für das Kennen oder Kennenmüssen dieser Umstände gemäß § 166 BGB nicht auf die Person des Betroffenen oder deren Auftraggeber, sondern auf die Person ihres Vertreters - mithin häufig des Steuerberaters - an (SG Aachen 10.10.03, S 8 RA 26/03, Urteil unter www.dejure.org).

    Änderung der tatsächlichen Verhältnisse

    Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde den Verwaltungsakt unter den nun objektiv gegebenen Verhältnissen nicht mehr hätte erlassen dürfen. Das ist anhand des materiellen Rechts zu beurteilen (BSG 6.3.03, B 11 AL 39/02 R; SG Aachen 27.11.09, S 6 R 217/08; Urteile unter www.dejure.org). Unerheblich ist damit, ob die Statusentscheidung ihrerseits bereits rechtmäßig oder rechtswidrig war (BSG 19.7.10, B 8 SO 22/10 B, Urteil unter www.dejure.org). Es kommt nur darauf an, dass sich die nach materiellem Recht bei Erlass der Entscheidung zu berücksichtigenden tatsächlichen Verhältnisse im Vergleich zu den neuen Verhältnissen derart verändert haben, dass der Ausgangsbescheid seine Existenzberechtigung verliert.

    Bedeutung in der Praxis

    Gemäß § 7 SGB IV erfordert die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status von (Gesellschafter-)Geschäftsführern und mitarbeitenden Familienangehörigen eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls. Dementsprechend hat die Rechtsprechung in unzähligen Entscheidungen zahlreiche Kriterien entwickelt, die im Rahmen einer würdigenden Betrachtung zur Abgrenzung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses von einer selbstständigen Tätigkeit heranzuziehen sind. Gerade das Fehlen eindeutiger und unmissverständlicher gesetzlicher Statusvoraussetzungen und die Vielfalt der in das Abwägungsergebnis einzustellenden Indizien im Einzelfall führen dazu, dass nahezu jede Veränderung des Beschäftigungsverhältnisses eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse i.S. von § 48 SGB X darstellt.

     

    Dabei beschränkt sich der Anwendungsbereich des § 48 SGB X nicht nur auf die Herbeiführung eines Statuswechsels, wenn sich die Verhältnisse derart geändert haben, dass die frühere Entscheidung bereits nach damals geltender Auffassung nicht mehr haltbar ist. Vielmehr dient § 48 SGB X den Behörden auch zur Korrektur von durch die zwischenzeitliche Rechtsprechungsentwicklung überholten Entscheidungen. Letzteres hat folgende Konsequenz: Auch die Änderung solcher Umstände, die unter isolierter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechungsmaßstäbe im Einzelfall keine Auswirkungen hätte (wie z.B. eine nur unerhebliche Modifizierung des Verhältnisses zwischen Festgehalt und erfolgsabhängiger Vergütung oder eine für die Bewertung der Stimmrechtsmacht unerhebliche Anteilsverschiebung), kann zu einer Aufhebung nach § 48 SGB X führen, wenn sich im Zeitraum zwischen Altentscheidung und Veränderung bzw. Aufhebungsentscheidung ein statusrelevanter Rechtsprechungswandel vollzogen hat.

    Haftungsrisiken für Steuerberater

    Es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH 29.5.08, IX ZR 222/06, Abruf-Nr. 082052; OLG Düsseldorf 31.8.07, I-23 U 18/07, Urteil unter www.dejure.org), dass Steuerberater immer dann eine umfassende Statusprüfungs- und Beratungspflicht trifft, wenn sie mit der Lohnbuchführung betraut sind und die Berechnung der konkret anfallenden Sozialversicherungsbeiträge schulden. Daneben dürften sie als Ausfluss der von ihnen zu beachtenden Nebenpflichten aber auch dann auf Schadenersatz haften, wenn sie außerhalb des konkreten Mandats anhand der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen auf eine offenkundige Statusproblematik stoßen bzw. stoßen mussten.

     

    MERKE | Ohne regelmäßige Schulungen der mit entsprechenden Fällen betrauten Mitarbeiter und organisatorische Vorkehrungen, die sicherstellen, dass statusrelevante Informationen abgefragt, erfasst und ordnungsgemäß verarbeitet werden, lässt sich das Haftungsrisiko nicht in den Griff bekommen.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2014 | Seite 80 | ID 42566807