05.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231606
Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 07.07.2022 – 6 Sa 112/22
Die für ein ganzes Jahr vereinbarte Tantieme, deren Zahlung vom Erreichen eines vorher definierten Zieles abhängig sein soll, ist bei unterjährigem Ausscheiden des/der Arbeitnehmer*in aus dem Arbeitsverhältnis anteilig zu kürzen, selbst wenn der Zeitpunkt, bis zu dem das Ziel zu erreichen war (und erreicht worden ist), vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses bereits verstrichen war.
Inhaltsangabe:
Abgrenzung der Vereinbarung einer Tantieme von der Vereinbarung eines Akkordlohns oder einer Provision.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 12.01.2022 - 2 Ca 1549/21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus einem beendeten Arbeitsverhältnis über die bereits erhaltene variable Vergütung hinaus eine weitere variable Vergütung zusteht. Während die Beklagte die Auffassung vertritt, die variable Vergütung sei anteilig für die Zeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses zu zahlen, begehrt der Kläger die Zahlung des Jahresbetrages in voller Höhe.
Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 01.01.2001 bis zum 31.07.2021 beschäftigt. In der von beiden Parteien unterzeichneten Arbeitsvertragsurkunde findet sich eine Regelung zur Zahlung einer variablen Vergütung. Dort heißt es wörtlich:
Die Gesellschaft zahlt ... pro Geschäftsjahr eine variable Tantieme, deren Höhe die Gesellschaft bestimmt. ... Nach Ausspruch einer durch Herrn H oder durch die Gesellschaft veranlassten Kündigung bestehen Ansprüche auf eine variable Tantieme nur für die Zeit vor Zugang der Kündigungserklärung.
Zwischen den Parteien ist in rechtlicher Hinsicht unstreitig, dass es sich bei dieser Tantieme um reines Entgelt handelt ohne jeden Gratifikationscharakter. Die Parteien schlossen im März 2021 die hier relevante Zielvereinbarung für den Kläger. Grob zusammengefasst ging es dort um zwei individuelle Ziele, denen als Zielerreichungszeitraum die Zeit vom 01.01.2021 bis spätestens 31.07.2021 zugrunde lag, also genau bis zu dem Datum, zu dem der Kläger später aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war. Dabei ist zwischen den Parteien streitig, ob im Rahmen der Gespräche zur Zielvereinbarung der bevorstehende Renteneintritt des Klägers Thema gewesen ist. Jedenfalls erfüllte der Kläger die individuellen Ziele zu 120 %. Mit Schreiben vom 02.07.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, der Kläger erhalte für das Jahr 2021 die Leistungskomponente anteilig für sieben Monate. Die Ergebniskomponente werde am Ende des Geschäftsjahres bewertet und ausgezahlt. Auf dieser Grundlage erhielt der Kläger für das Jahr 2021 eine Gesamttantieme in Höhe von 10.737,30 EUR brutto (= 5.979,25 netto).
Mit der seit dem 13.09.2021 anhängigen Klage hat der Kläger seine Forderung weiter verfolgt, die volle Jahrestantieme in Höhe von insgesamt 18.406,80 EUR brutto zu erhalten. Die bereits gezahlten 5.979,25 netto rechne er auf diesen Betrag an. Zum Zeitpunkt der Zielvereinbarung sei der Zeitpunkt seines rentenbedingten Ausscheidens noch nicht klar gewesen. Den Zeitpunkt habe er seinem Vorgesetzten erst am 20.05.2021 mitgeteilt. Er vertrete die Auffassung, dass ihm die Leistungskomponente in voller Höhe zustehe. Er gehe davon aus, dass die Tantieme-Zahlungen für die erreichten Ziele geleistet würden und nicht für einen bestimmten Zeitraum. Er habe die Ziele erreicht und deshalb stehe ihm der volle Betrag zu. Die arbeitsvertragliche Regelung zur zeitanteiligen Auszahlung könne nur die Ergebniskomponente betreffen und nicht die Leistungskomponente, also den Anteil der von seiner persönlichen Performance abhängig gemacht worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
Die Beklagte hat beantragt,
Zur Verteidigung gegen die Klage hat sie vorgetragen, der Kläger verlange eine Tantieme für nicht erbrachte Leistung, nämlich für die Zeit vom 01.08.2021 bis zum 31.12.2021. Bei der Tantieme handele es sich um eine variable Vergütung, die vom Bestand des Arbeitsverhältnisses und von erbrachter Arbeitsleistung abhängig sei. Da der Kläger nur bis zum 31.07.2021, also bis zum Renteneintritt, Arbeitsleistung erbracht habe, komme ein Tantieme-Anspruch nur in Höhe von 7/12 des vereinbarten Jahresbetrages in Betracht.
Das Arbeitsgericht Bonn hat mit Urteil vom 12.01.2022 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf variable Vergütung (Tantieme) bei einer angenommenen Zielerreichung von über 100 % bestehe nur zeitanteilig für die Monate Januar bis Juli in Höhe von 7/12. Es handele sich bei der Tantieme nämlich um Arbeitsentgelt im vertraglichen Synallagma. Damit sei die Entstehung des Anspruchs nicht nur abhängig von der Zielerreichung sondern auch abhängig von der Erbringung der Arbeitsleistung.
Gegen dieses ihm am 25.01.2022 (*) zugestellte Urteil hat der Kläger am 23.01.2022 Berufung eingelegt und er hat diese am 02.03.2022 begründet.
Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe die arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Zahlung einer Tantieme falsch ausgelegt. Insbesondere seien die vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen (1 AZR 412/09; 10 AZR 793/11; Köln 4 Sa 51/18) nicht auf den hier zu betrachtenden Fall anwendbar. Der Vertragsklausel über die Tantieme-Zahlung zufolge sei die durchgehende Erbringung der Arbeitsleistung bis zum Ende des Jahres keine Voraussetzung für die Zahlung der Tantieme. Wenn es um die "gemäß Zielvereinbarung erbrachte Arbeitsleistung" gehe, dann sei die Erfüllung der vereinbarten Ziele durch entsprechende Arbeit als Voraussetzung ausreichend. Dafür spreche auch der Zweck der Zielvereinbarung, den Arbeitnehmer zu motivieren: Wenn die vereinbarten Ziele bis zum 31.07. des laufenden Jahres erfüllt sein sollten (wie hier) und wenn sie bis zum 31.07. erfüllt seien (wie hier), dann könne das Tantieme-Versprechen für den Rest des Jahres keine Motivationswirkung mehr entfalten. Daraus folge für ihn, dass er die gesamte Jahres-Tantieme fordern könne, wenn er alle vereinbarten Ziele erreicht habe.
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte beantragt,
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf diese Begründung wird Bezug genommen und hier nicht noch einmal wiederholt, sondern lediglich in eine Richtung fokussiert, nämlich in die Richtung des Wortlauts des Gesetzes.
Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsschrift sind nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen, als das vom Arbeitsgericht erkannte Ergebnis. Denn auch nach den Darlegungen der Beklagten geht es hier nicht um die Vereinbarung eines Akkordlohns oder einer Provision, also um eine Vergütungsform, die zu zahlen wäre, wenn eine bestimmte Anzahl oder ein bestimmter Geschäftsabschluss erreicht worden wäre; es geht vielmehr um die Vereinbarung einer Tantieme. Dabei ist in rechtlicher Hinsicht zwischen den Parteien unstreitig, dass mit dem Versprechen dieser Tantieme nicht etwa eine Gratifikation vereinbart worden ist, um eine Betriebstreue zu belohnen oder zu schaffen, auch geht es nicht um die Vereinbarung einer Zahlung mit Mischcharakter, also um eine Zahlung mit zumindest anteiligem Gratifikationszweck, sondern es geht unstreitig um reines Entgelt. Voraussetzung für einen Anspruch auf Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis nach § 611 a Abs. 2 BGB ist zunächst ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit einem ausdrücklich erklärten oder schlüssig zum Ausdruck gebrachten Versprechen einer Zahlung von Arbeitsentgelt und schließlich der Eintritt der Fälligkeit nach § 614 Satz 2 BGB. Wird die nach § 611 a Abs. 1 BGB von der Arbeitnehmerin oder vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsleistung nicht erbracht, dann entfällt der Gegenanspruch. Letzteres ergibt sich unter Berücksichtigung des Fixschuldcharakters der höchstpersönlich zu erfüllenden Arbeitspflicht im laufenden Arbeitsverhältnis aus § 275 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 326 Abs. 1 BGB und für das beendete Arbeitsverhältnis ergibt sich dies aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. eben jenem § 611a Abs. 2 BGB, dem zufolge der Bestand des Arbeitsverhältnisses Voraussetzung für den Zahlungsanspruch ist.
Das Vorstehende bedeutet im Ergebnis, dass ein arbeitsvertraglich versprochener Jahresentgeltbetrag um 5/12 zu kürzen ist, wenn fünf Monate im Bezugsjahr keine Arbeitsleistung erbracht wird oder im gleichen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis nicht mehr bestand. Genauso hat es hier die Beklagte getan. Dass der besagte Entgeltanspruch im vorliegenden Fall vereinbarungsgemäß von einer weiteren Voraussetzung abhängig ist, nämlich von der Zielerreichung, ändert am Kürzungstatbestand um 5/12 des Vollanspruchs nichts. Vielmehr ist der Verbleibende, hier von der Beklagten ausgezahlte und deshalb nicht im Streit befindliche Anteil von 7/12 seinerseits nicht einfach auszuzahlen sondern davon abhängig, dass die Ziele wie vereinbart am 31. Juli, also bereits nach Ablauf von 7/12 des Bezugszeitraumes erreicht worden sind. Das hat hier der Kläger unter Einsatz seiner Erfahrung, seiner Qualifikation und seiner bis zuletzt bestehenden Motivation unstreitig geschafft. Nur deshalb steht ihm der von der Beklagten ausgezahlte (7/12-)Betrag in Höhe von 10.737,30 EUR brutto zu - aber kein Betrag über diesen hinaus.
III. Nach allem bleibt es somit bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.