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  • 24.09.2010 | Räumung

    Teure Selbsthilfe: Hände weg von eigenmächtiger Zwangsräumung

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    1. Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme und das Ausräumen einer Wohnung durch den Vermieter stellen eine unerlaubte Selbsthilfe dar, für deren Folgen der Vermieter verschuldensunabhängig nach § 231 BGB haftet.  
    2. Der Vermieter, der eine Wohnung durch verbotene Eigenmacht in Besitz nimmt, hat sich aufgrund seiner Obhutspflicht nicht nur zu entlasten, soweit ihm die Herausgabe nachweislich vorhandener Gegenstände unmöglich wird oder nachweislich eine Verschlechterung an herauszugebenden Gegenständen eintritt. Er muss auch die Interessen des abwesenden Mieters dadurch wahren, dass er bei Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufstellt und deren Wert schätzen lässt. Kommt er dem nicht nach, hat er zu beweisen, in welchem Umfang Bestand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben des Mieters abweichen, soweit dessen Angaben plausibel sind.  
    (BGH 14.7.10, VIII ZR 45/09 Abruf-Nr. 102780)

     

    Sachverhalt

    Der Kläger war monatelang vermisst. Deswegen wurde seine Wohnung am 23.2.05 polizeilich geöffnet und am 18.3.05 nochmals durchsucht. Die hierüber informierte Beklagte kündigte das Mietverhältnis am 20.4.05 wegen Nichtzahlung der Mieten fristlos. Das Kündigungsschreiben warf sie in den Wohnungsbriefkasten. Am 19.5.05 öffnete sie die Wohnung eigenmächtig und nahm sie in Besitz. Sie entsorgte einen großen Teil der Wohnungseinrichtung. Weitere Gegenstände lagerte sie ein. Es ist streitig, ob alle dort vorgefundenen und nicht entsorgten Gegenstände eingelagert wurden. Der Kläger verlangt - gestützt auf ein Privatgutachten - u.a. für ihm durch Entsorgung oder auf sonstige Weise abhanden gekommene, beschädigte oder verschmutzte Gegenstände Schadenersatz (61.812,65 EUR). Die Instanzgerichte haben die Klage wegen nicht ausreichender Darlegung des Schadens zurückgewiesen. Die Revision hat Erfolg.  

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 1

    Nach der Lektüre der Entscheidung ist jedem Vermieter davon abzuraten, sich den Besitz an vermieteten Wohn- oder Geschäftsräumen ohne vorherige Einholung eines Räumungstitels und Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Wegs der in § 885 ZPO geregelten Herausgabevollstreckung zu verschaffen. Grund: Die nicht durch einen gerichtlichen Titel gedeckte eigenmächtige Inbesitznahme einer Wohnung und deren eigenmächtiges Ausräumen durch den Vermieter stellen grundsätzlich eine verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) und zugleich eine unerlaubte Selbsthilfe i.S. von § 229 BGB dar. Folge: Der Vermieter haftet für deren Folgen nicht nur aus § 280 Abs. 1,§ 823 Abs. 1 und 2 BGB, sondern darüber hinaus sogar verschuldensunabhängig nach § 231 BGB (BGH MK 03, 177, Abruf-Nr. 032448). Das heißt: Jeder Vermieter, der zur Selbsthilfe greift, handelt auf eigene Gefahr und macht sich auch schadenersatzpflichtig, wenn er irrigerweise glaubt, innerhalb der gesetzlichen Grenzen zu handeln. Das gilt selbst, wenn der gegenwärtige Aufenthaltsort des Mieters unbekannt und/oder das Mietverhältnis wirksam gekündigt und dadurch ein vertragliches Besitzrecht des Mieters entfallen ist. Das heißt: Der Vermieter ist auch in diesen Fällen verpflichtet, das gerichtliche Räumungs- und Vollstreckungsverfahren einzuhalten, selbst, wenn die Räumungsklage wegen unbekannten Aufenthalts des Mieters zeitaufwendig öffentlich zugestellt werden muss. Der Hinweis des BGH auf OLG Celle (WuM 95, 188) belegt zudem, dass auch die eigenmächtige Vollstreckung eines rechtskräftigen Räumungsurteils als verbotene Eigenmacht zu qualifizieren ist.  

     

    Die Ersatzpflicht des Vermieters erfasst insbesondere eine eigenmächtige Entsorgung des in Besitz genommenen Hausrats und der sonst in der Wohnung vorgefundenen Gegenstände. Grund: Der Vermieter, der eine Wohnung mittels Selbsthilfe in Besitz nimmt, hat - auch bei unterstellter Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung - für die darin befindlichen Gegenstände eine zumindest nachvertragliche Obhutspflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), welche eine Entsorgung grundsätzlich ausschließt.