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  • · Fachbeitrag · Coronapandemie

    Erste Grundsatzentscheidung: Mietzahlung bei coronabedingter Geschäftsschließung

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | Die kurzfristig behördlich angeordneten Betriebsuntersagungen und -beschränkungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie entzogen und entziehen noch immer vielen ‒ nicht allen ‒ Gewerbemietern von einem Tag auf den anderen weitgehend ersatzlos die Basis dafür, Einnahmen zu erzielen. Die Grundlage des Vertragsverhältnisses, sein Zweck, steht in Frage. Die Situation führte, ausgelöst durch den ersten Lockdown ab Mitte März 2020, zu einer Diskussion über die rechtlichen Voraussetzungen bzw. die rechtliche Begründbarkeit einer (gerechten) Risikoverteilung zwischen Mieter und Vermieter und beschäftigt seitdem auch die Rechtsprechung. Nun hat der BGH eine erste Grundsatzentscheidung getroffen. |

    Sachverhalt

    Die Beklagte ist seit 2013 Mieterin von Räumlichkeiten und Parkplätzen der Klägerin. Die Vermietung erfolgte ausschließlich zur gewerblichen Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Wegen der sich im März 2020 in Deutschland ausbreitenden COVID-19-Pandemie erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt im März 2020 Allgemeinverfügungen (nachfolgend: Schließungsanordnungen), aufgrund derer die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt vom 19.3. bis 19.4.20 schließen musste. Für den Monat 4/20 zahlte die Beklagte keine Miete; die folgenden Mietzahlungen erbrachte sie vollständig. Das LG hat die Beklagte uneingeschränkt verurteilt, die Miete für 4/20 (7.854 EUR) zu zahlen. Das OLG hat die Verurteilung auf 3.720,09 EUR reduziert und die Klage i. Ü. abgewiesen. Begründung: Infolge der pandemiebedingten staatlichen Schließungsanordnung sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i. S. v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde. Die Revisionen beider Parteien führten zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 12.1.22, XII ZR 8/21, Abruf-Nr. 226898).

    Entscheidungsgründe

    Der BGH hat entschieden: Eine Geschäftsschließung aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme/Anordnung zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie kann einen Anspruch des Mieters von Gewerberäumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage begründen. Er folgt zunächst der vom OLG sowie der in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretenen Ansicht, dass der zeitlich begrenzt geltende Art. 240 § 2 EGBGB keine abschließende Sondervorschrift ist, um Rechte und Pflichten der Mietvertragsparteien zu regeln. Die Norm soll ihrem Wortlaut und Zweck nach allein das Kündigungsrecht des Vermieters beschränken; sie sagt nichts zur Höhe der Miete.

     

    Ebenso zu Recht hat das OLG ‒ so der BGH ‒ die umstrittene Frage der Mietminderung nach § 536 Abs. 1 BGB verneint, denn die auf den landesrechtlichen Allgemeinverfügungen beruhende Betriebsschließung habe nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i. S. d. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB geführt.

     

    MERKE | Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch des Mietobjekts entgegenstehen, begründen nach dem BGH nur einen Sachmangel, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters ihre Ursache haben (BGH 2.11.16, XII ZR 153/15, Abruf-Nr. 190401). Das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt bei Gewerberäumen grundsätzlich der Mieter (Rauchverbot: BGH 13.7.11, XII ZR 189/09, Abruf-Nr. 112816). Mit coronabedingten Schließungsanordnungen verbundene Gebrauchsbeschränkungen knüpfen nicht an die konkrete Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage der Mietsache an, sondern an den Geschäftsbetrieb des Mieters. Das Mietobjekt als solches steht trotz Schließungsanordnung für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung; auch die faktische Verhinderung des Zugangs potenzieller Kunden zu den Mieträumen beruht nicht auf baulichen Gegebenheiten, sondern auf einem Öffnungsverbot, soweit das Geschäft nicht zu einer der vorgesehenen Ausnahmen zählte.

     

    Störung der Geschäftsgrundlage

    Der BGH bestätigt schließlich den Ansatz des OLG zu einem möglichen Anspruch des Gewerbemieters, die Miete wegen Störung der („großen“) Geschäftsgrundlage anzupassen, nicht aber die Feststellungen des OLG zur Vertragsanpassung selbst: Nach § 313 Abs. 1 BGB kann eine solche verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Die „große“ Geschäftsgrundlage betrifft dabei die Erwartung der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde.

     

    Der BGH sieht durch die vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ‒ Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen sowie die damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ‒ die „große“ Geschäftsgrundlage berührt. Sie wurde hier dadurch gestört, dass die Beklagte aufgrund der Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal für einen Monat schließen musste.

     

    Beachten Sie | Nach Art. 240 § 7 EGBGB wird bei Gewerbemietverhältnissen vermutet, dass sich ein Umstand i. S. d. § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn das Mietobjekt für den Betrieb des Mieters infolge staatlicher Pandemie-Maßnahmen nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar ist. Der Regelungsgehalt (und „Wert“) der Vorschrift ist äußerst begrenzt, denn dieses (reale) Element des § 313 Abs. 1 BGB kann in den Fällen coronabedingter Geschäftsschließungen ohnehin unproblematisch bejaht werden (vgl. zur Kritik: Brinkmann/Thüsing, NZM 21, 5; Römermann, NJW 21, 265; BeckOGK/Siegmund, 1.10.21, EGBGB Art. 240 § 7 Rn. 5 ff.). Die Vorschrift erklärt sich vor allem als politisches Signal aus der Situation unmittelbar vor dem zweiten Lockdown Ende 2020 heraus (BT-Drucksache 19/21981), ist als (gewollte) Klarstellung wohl aber überflüssig. Das bestätigt nun auch der BGH.

     

    Folgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

    Der Wegfall der Geschäftsgrundlage allein berechtigt jedoch nicht dazu, den Vertrag anzupassen. Weitere Voraussetzung ist nach § 313 Abs. 1 BGB (a. E.), dass es dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, nicht zugemutet werden kann, am Vertrag festzuhalten.

     

    MERKE | Nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse rechtfertigt eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung (§ 313 Abs. 3 BGB). Erforderlich ist, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Ist dem Mieter ein Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miethöhe unter Abwägung aller Umstände ‒ auch der vertraglichen Risikoverteilung ‒ zumutbar, kommt eine Vertragsanpassung zu seinen Gunsten nicht in Betracht (BGH 3.12.14, XII ZB 181/13, Abruf-Nr. 174348; 1.2.12, VIII ZR 307/10).

     

    Das ‒ hier betroffene ‒ Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter der Mieter. Eine zeitlich befristete Betriebsschließung aufgrund einer hoheitlichen Pandemie-Maßnahme geht ‒ so der BGH ‒ jedoch über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus und kann ihm nicht einseitig aufgebürdet werden. Durch die Coronapandemie habe sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung nicht erfasst werde, soweit ‒ wie vor der Pandemie regelmäßig ‒ eine entsprechende vertragliche Regelung dazu fehlt.

     

    Auch das führt nicht dazu, dass der Mieter stets eine Mietanpassung für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf ‒ wie auch sonst ‒ einer umfassenden Abwägung, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu beachten sind. Eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, berücksichtigt nicht die Anforderungen des § 313 Abs. 1 BGB, auf den im Übrigen auch Art. 240 § 7 Abs. 1 EGBGB (nur) verweist.

     

    Beachten Sie | Die vorzunehmende Abwägung setzt Feststellungen zu den Nachteilen voraus, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind, aber auch zu den finanziellen Vorteilen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile oder einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung erlangt hat. Außer Betracht bleiben hingegen staatliche Unterstützungen, die auf der Basis eines Darlehens gewährt wurden, denn durch sie wird keine endgültige Kompensation erlittener Umsatzeinbußen erreicht.

     

    MERKE | Die Darlegungs- und Beweislast für die Nachteile, die ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind und ihm eine vollständige Zahlung der Miete für diesen Zeitraum unzumutbar machen, trägt der Mieter. Er muss daher einen etwaigen Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung für das konkrete Mietobjekt vortragen (und unter Beweis stellen); auf einen möglichen Konzernumsatz kommt es nicht an, so der BGH (unter Hinweis auf Streyl, NZM 20, 817). Konkret darlegen und im Zweifel beweisen muss der Mieter auch, welche zumutbaren Anstrengungen er mit welchem Ergebnis unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet er, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er im Zweifel (auch) beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat; gelingt ihm das nicht, muss er sich so behandeln lassen, als hätte er sie erhalten. Behauptet hingegen der Vermieter, dass die vom Mieter geltend gemachten Verluste nicht pandemiebedingt sind, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast.

     

    Unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG München vom 17.2.21 (32 U 6358/20) erinnert der BGH daran, dass die gebotene Abwägung eine Berücksichtigung der Interessen des Vermieters verlangt. Auch der Vermieter kann ‒ ggf. ohne das Angebot staatlicher Hilfen ‒ in wirtschaftliche Schieflagen geraten, etwa, weil ihm die (Miet-)Einnahmen wegbrechen. Das OLG München berücksichtigt im Rahmen der Abwägung, dass die Beklagte Teil eines Unternehmens mit rund 2600 Filialen in Deutschland und 26.000 Mitarbeitern ist, die Konzernmutter der Beklagten auch Supermärkte und Baumärkte betreibt. Diese waren bekanntermaßen von Schließungsanordnungen ausgenommen. Das OLG München hat im Ergebnis entscheidend darauf abgestellt, dass der Gesetzgeber mit dem WStFG (Wirtschaftsstabilisierungsfondsgesetz) auch den Rahmen für Unterstützungsleistungen für (große) Unternehmen ‒ wie die Beklagte in dem Fall ‒ geschaffen hat. Diese hat aber noch nicht einmal vorgetragen, solche überhaupt beantragt zu haben.

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung bestätigt nun höchstrichterlich: Wir bewegen uns mit der Pandemie und ihren Folgen im Anwendungsbereich des § 313 Abs. 1 BGB. Die Vertragsanpassung ist aber kein Selbstläufer! Es genügt also nicht, sich auf die Pandemie zu berufen. Es muss genau hingesehen, vorgetragen und ggf. Beweis erhoben werden. Die Entscheidung ‒ weniger als ein Jahr nach Verkündung des Urteils des OLG Dresden ‒ ist in der nach wie vor belastenden Pandemiesituation ein wertvoller Beitrag zur Rechtssicherheit in einem Bereich, der oft die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Betroffenen berührt.

     

    MERKE | Am 26.1.22 hat sich der (u. a.) für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH mit der Frage befasst, ob einem Versicherungsnehmer Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der von ihm betriebenen Gaststätte zustehen (IV ZR 144/21). Am 3.3.22 hat der für das Amts- und Staatshaftungsrecht zuständige III. Zivilsenat über einen Anspruch wegen der Schließung eines Gastronomiebetriebs aufgrund der brandenburgischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 und COVID-19 vom 22.3.20 verhandelt (III ZR 79/21). Wir werden hierüber berichten.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2022 | Seite 44 | ID 47979796