12.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123782
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 29.11.2012 – I-10 U 34/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
I-10 U 34/12
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. Februar 2012 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf – Einzelrichterin – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, die in der Anlage zu diesem Urteil rot gekennzeichnete, in dem Gebäude F.Center, K. L. 437- 441/B. 178-180, … gelegene Ladenfläche im Erdgeschoss 1, Ebene 3 („…“), einschließlich der von ihm genutzten Verkehrs- und Gemeinschaftsflächen geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wegen des Räumungsanspruches wird dem Beklagten nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 EUR und wegen der sonstigen Ansprüche gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
I.
Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Räumung der von dem Beklagten im F.-Center in D. zum Betrieb einer Gaststätte („…“) angemieteten Flächen. Wegen der getroffenen Feststellungen, einschließlich der erstinstanzlichen Anträge, wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (GA 147-151). Das Landgericht hat die Räumungsklage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin aufgrund der in § 20 MV enthaltenen „Heilungsklausel“ ebenso wie ihre Rechtsvorgänger verpflichtet gewesen sei, die Einhaltung der Schriftform nachträglich herbeizuführen und vor diesem Zeitpunkt nicht wegen mangelnder Form habe kündigen können. Die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 09.01.2012 sei vorgeschoben und mache der Klägerin die Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Beklagten nicht unzumutbar. Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (GA 151 ff.). Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin mit der sie ihren erstinstanzlich erfolglos gebliebenen Räumungsantrag weiterverfolgt.
Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Landgericht habe die einschlägigen Rechtsnormen nicht zutreffend angewandt. Bereits ihre ordentliche Kündigung wegen eines bestehenden Schriftformmangels habe das Mietverhältnis beendet. Die vertragliche Schriftformheilungsklausel binde jedenfalls nicht einen gemäß § 566 BGB in den Mietvertrag eingetretenen Rechtsnachfolger. Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Berufungsschrift vom 07.05.2012 (GA 192 ff.) verwiesen.
Der Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin entgegen und bittet um Zurückweisung der Berufung. Er macht geltend, dass der Mietvertrag in Bezug auf die angemieteten Flächen keinen Schriftformmangel enthalte und beruft sich im Übrigen darauf, dass sich die Klägerin nach Treu und Glauben nicht auf einen etwaigen Formmangel berufen könne. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 25.06.2012 (GA 244 ff.) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze der Parteien einschließlich der zu den Akten gereichten schriftlichen Unterlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der Beklagte ist gemäß § 546 Abs. 1 BGB im tenorierten Umfang verpflichtet, das Mietobjekt geräumt an die Klägerin herauszugeben, denn bereits die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 30.06.2010 hat das Mietverhältnis der Parteien beendet. Das beruht im Einzelnen auf folgenden Erwägungen:
Die Klägerin war gemäß §§ 1030 Abs. 1, 567 Abs. 1 S. 1, 566 Abs. 1, 550 Satz 2, 580a Abs. 2 BGB berechtigt, das Mietverhältnis mit dem Beklagten wegen eines Schriftformmangels durch ordentliche Kündigung zu beenden. Die ursprüngliche Vermieterin, die A. und S. M. GbR hat ihr Eigentum an dem Mietobjekt an die Fa. P. veräußert. Diese ist gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 BGH an die Stelle der ursprünglichen Vermieterin, der A. und S. M. GbR getreten. Zwar ist Letztere erst nach Abschluss des streitgegenständlichen Mietvertrages durch Umschreibung des Grundbuchs am 05.07.2007 Eigentümerin der Immobilie geworden. Für die nach dem Gesetzeswortlaut erforderliche Identität zwischen Vermieter und Veräußerer genügt es aber, wenn der (spätere) Veräußerer, der zugleich der Vermieter ist, im Verlauf des Mietverhältnisses Eigentümer des Grundstücks wird. Der in § 566 BGB geregelte Eintritt des Erwerbers in ein bestehendes Mietverhältnis dient dem Schutz des Mieters, dem die Mietsache aufgrund wirksamen Mietvertrags überlassen worden ist. Die ihm dadurch vom Vermieter eingeräumte Rechtsstellung - der berechtigte Besitz - soll ihm auch gegenüber einem späteren Erwerber des Grundstücks erhalten bleiben. Auch nach seinem Zweck setzt § 566 BGB deshalb grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Eigentumswechsels ein wirksames Mietverhältnis besteht und sich der Mieter noch im Besitz der Mietsache befindet (BGH, Urt. v. 16.12.2009, VIII ZR 313/08, NJW 2010, 1068 mwN). Das war hier im Zeitpunkt der Veräußerung an die Fa. P. der Fall, sodass diese gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 BGB in den Mietvertrag eingetreten ist. Aufgrund der Nießbrauchsbestellung zugunsten der Klägerin ist diese mit Eintragung am 18.06.2008 gemäß §§ 1030 Abs. 1, 567 Abs. 1 S. 1, 566 Abs. 1 BGB an Stelle der Fa. P. in die Rechte und Pflichten des zwischen A. und S. M. GbR und dem Beklagten abgeschlossenen Mietvertrages eingetreten.
Der für längere Zeit als ein Jahr geschlossene streitgegenständliche Mietvertrag leidet an einem Schriftformmangel i.S. des § 550 Satz 1 BGB mit der Folge, dass er auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt und – wie hier geschehen - gemäß § 550 Satz 2 BGB mit gesetzlicher Frist, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgelaufen war, gekündigt werden konnte.
Die Schriftform ist gewahrt, wenn alle wesentlichen Vereinbarungen der Parteien hinreichend bestimmbar in eine Urkunde aufgenommen worden sind. Hierzu gehört nach ständiger Rechtsprechung des BGH insbesondere auch der Mietgegenstand. § 550 BGB dient neben einer Sicherstellung der Beweisbarkeit langfristiger Abreden und einer Warnung der Vertragsparteien vor der unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen in erster Linie dazu, einem künftigen potenziellen Grundstückserwerber allein aus der Vertragsurkunde heraus die Möglichkeit einzuräumen, sich über Umfang und Inhalt der auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten zuverlässig zu unterrichten (BGH, Beschl. v. 24.1.2012, VIII ZR 235/11; BGH Urt. v. 24.02.2010, XII ZR 120/06; BGH, Urt. v. 4.04.2007,VIII ZR 223/06). Dazu ist erforderlich, dass sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen - insbesondere über den Mietgegenstand, den Mietzins sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses - aus einer von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Urkunde ergibt. Werden wesentliche vertragliche Vereinbarungen nicht im Mietvertrag selbst schriftlich niedergelegt, sondern in Anlagen ausgelagert, müssen die Parteien die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Wird etwa ein Grundstück vermietet, muss dem Mietvertrag zu entnehmen sein, welcher Teil Gegenstand des Vertrages ist; neben Quadratmeterangaben muss er Anhaltspunkte für eine Bestimmbarkeit des Mietobjekts haben; soweit auf einen Lageplan verwiesen wird, muss dieser Bestandteil des Mietvertrages geworden sein (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.2010, XII ZR 110/08, NZM 2010, 704 mwN; Urt. v. 17.12.2008, XII ZR 57/07, NZM 2009, 198; Urt. v. 2.11.2005, XII ZR 212/03, NJW 2006, 139; Urt. v. 20.12.1989, VIII ZR 203/88, NJW-RR 1990, 270).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zu Recht rügt die Klägerin, dass die vermietete Fläche nicht hinreichend bezeichnet ist. Im Mietvertrag vom 20.05./25.05.2007 ist der Mietgegenstand wie folgt beschrieben: „Räumlichkeiten zur Benutzung als Verkaufs-/Ladenflächen im EG 1. Ebene 3, 75 qm, gemäß dem als Anlage 1 beiliegenden Mietflächenplan“. Aus dem Mietflächenplan (Anlage K 2) ergeben sich aber lediglich klar zuzuordnende Flächen von 11,00 für „Lager“ und 17,37 qm für „Verkauf“, nicht dagegen die darüber hinaus gehende Fläche von ca. 46,63 qm, die den konkreten Umständen nach der Gemeinfläche zuzuordnen sind. Nach dem von der Klägerin in Bezug genommenen Schreiben der Voreigentümerin an einen anderen Mieter v. 14.10.2003 handelt es sich bei den Gemeinschaftsfl ächen nach der Konzeption der Schlemmerpassage als offene markthallenähnliche Gemeinschaftsanlage um Mischflächen, in denen Bestuhlungen aufgestellt werden dürfen. Entsprechend ist es also durchaus denkbar und rechtlich möglich, Teile von diesen in die Mietverträge über die jeweiligen Lokale einzubeziehen. Eine entsprechende Regelung, sei es durch Mietvertrag oder Gestattung, wäre hier auch nötig gewesen, weil sich das Recht des Mieters zur Benutzung der gemieteten Räume lediglich auf die mit der Benutzung der Geschäftsräume typischerweise verbundenen Umstände bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2006, V ZR 46/06, NJW 2007, 146); die hier erfolgte Nutzung geht darüber hinaus. Welcher Teil der Gemeinschaftsfläche hier vermietet worden ist, ist jedoch weder bestimmt noch bestimmbar. „Bestimmbarkeit" verlangt zwar ein deutlich geringeres Maß an Genauigkeit als der Begriff der Bestimmtheit. Es genügt, dass ein Sachverhalt abstrakt so genau beschrieben ist, dass bei seiner Verwirklichung kein Zweifel für die vertragliche Vereinbarung verbleibt (vgl. BGH, Urt. v. 7.5.2008, XII ZR 69/06, NJW 2008, 2178; Urt. v. 2.11.2005, XII ZR 212/03, MDR 2006, 561; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.5.2010, I–10 U 147/09; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.7.2011, I-24 U 218/10, IMR 2012, 64). Hierfür reicht es aus, dass in einer Ergänzungsvereinbarung oder in einem den alten Mietvertrag ersetzenden Vertrag lediglich die Angabe enthalten ist, der Vertrag betreffe die „bisher vermieteten Räume“ (vgl. BGH, Beschl. v. 23.6.1999, XII ZR 163/97, NZM 1999, 763). Soweit der BGH für die Bestimmbarkeit Feststellungen an Ort und Stelle hat ausreichen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 7.7.1999, XII ZR 15/97, ZMR 1999, 810), lag dem eine Fallgestaltung zugrunde, in der die urspr ünglichen Mietvertragsparteien in einem sich an den ersten Mietvertrag (10.4.1967) anschließenden Folgevertrag (31.8.1978) vereinbart hatten, dass „die vermieteten Räume und Flächen in der vorhandenen Ausstattung zur Verfügung gestellt werden“. Der BGH hat angenommen, dass der Mieter die von ihm innegehaltenen Flächen bei Abschluss des Nachtragsvertrages bereits seit rund zwanzig Jahren nutzte und die Nachtragsvereinbarung zutreffend dahin ausgelegt, dass die bei ihrem Abschluss tatsächlich ausgeübte Nutzung als vertragsgemäß angesehen und fortgesetzt werden sollte. Welche konkreten Räume hiervon betroffen waren, ließ sich danach – bezogen auf das Zustandekommen des Folgevertrages - unschwer an Ort und Stelle feststellen. Eine vergleichbare Regelung enthält der streitgegenständliche Mietvertrag nicht. Weder ist dieser zwischen den ursprünglichen Mietvertragsparteien geschlossen noch nimmt die Beschreibung der Mietflächen in § 2 MV auf eine vorhandene Ausstattung Bezug. Damit fehlen – anders als im Fall des BGH – ausreichende Anhaltspunkte für die Bestimmbarkeit der vermieteten Fläche im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Angesichts dessen ist eine Zeugenvernehmung über den Zustand des Objekts bei Abschluss des streitgegenständlichen Mietvertrages nicht geeignet, die Zweifel an der Festlegung der dem Beklagten vermieteten Flächen auszuräumen. Hieran ändert nichts, dass es auf der Ebene 3 nur die vom Beklagten betriebene Gaststätte gibt. Weder hieraus noch aus dem Grundrissplan noch aus dem von dem Beklagten als Anlage VI 2 vorgelegten Mietflächenplan erschließt sich einem potenziellen Erwerber, dessen Schutz die Bestimmung dient (vgl. BGH, Beschl. v. 24.1.2012, VIII ZR 235/11; BGH Urt. v. 24.02.2010, XII ZR 120/06; Urt. v. 4.04.2007,VIII ZR 223/06; Urt. v. 20.5.1992, XII ZR 77/91, NJW 1992, 3041), welche konkreten Teile der Gemeinflächen von der mietvertraglichen Flächenregelung erfasst sein sollten. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, dass den Vertragsschließenden das Mietobjekt und die tatsächliche Nutzung der Gemeinschaftsflächen durch den Beklagten bekannt waren.
Die mangelnde Bestimmbarkeit führt zur Formunwirksamkeit des Vertrages. Bei der mitbenutzen Gemeinschaftsfläche handelt es sich nicht nur um eine unwesentliche Nebenfläche, sondern um einen wesentlichen Bestandteil des Mietobjekts. Anders als ein mitvermieteter Kellerraum mit nur untergeordneter Bedeutung (vgl. BGH, Urt. v. 12.3.2008, VIII ZR 71/07, NJW 2008, 1661) und anders als bei der eingeräumten Mitbenutzung von Freiflächen auf einem Grundstück zu Rangierzwecken (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.2000, XII ZR 133/98, NZM 2001, 43) war die hier fragliche Fläche zur Aufstellung von Tischen und Stühlen für den Betrieb der Gaststätte und damit die Nutzung des Mietobjekts essenziell und wesentlich.
Die Berufung auf die fehlende Schriftform ist entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht treuwidrig. Grundsätzlich darf sich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten. Die Berufung auf den Formmangel verstößt in der Regel nicht gegen § 242 BGB, da durch die Form ein nicht am Vertrag beteiligter Dritter geschützt werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 2.11.2005, XII ZR 233/03, ZMR 2006, 116). Nur ausnahmsweise, wenn die Nichtigkeit des Vertrages zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf den Formmangel zu berufen. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn bei Formnichtigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (BGH, Urt. v. 25.7.2007, XII ZR 143/05, NZM 2007, 730; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2011, I-10 U 66/11). Keiner dieser Ausnahmetatbestände liegt hier vor.
Die allgemeine salvatorische Klausel in § 20 Nr. 3 MV kann schon deshalb nicht zur Nachholung der fehlenden Schriftform verpflichten, weil die fehlende Schriftform nicht zur Unwirksamkeit des Mietvertrages führt (vgl. BGH, Urt. v. 25.7.2007, XII ZR 143/05; Senat, Urt. v. 20.10.2011, I-10 U 66/11). Dass der Mietvertrag vor der Kündigung auch von der Klägerin zunächst anstandslos durchgeführt worden ist, macht die auf den Formmangel gestützte vorzeitige Kündigung nicht treuwidrig. Aus dem Umstand, dass die Parteien ihren Pflichten aus dem Mietvertrag über einen längeren Zeitraum bis zu der ordentlichen Kündigung durch eine Partei nachgekommen sind, lässt sich nicht herleiten, sie hätten darauf vertrauen können, der Vertragspartner werde nicht von der besonderen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch machen, die das Gesetz vorsieht, wenn die Schriftform nicht eingehalten ist (BGH, Urt. v. 5.11.2003, NJW 2004, 1103 - XII ZR 134/02; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2011, I-10 U 66/11).
Soweit nach der Rechtsprechung des BGH treuwidrig handelt, wer eine später getroffene Abrede, die lediglich ihm vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem ihm inzwischen lästig gewordenen Mietvertrag zu lösen (vgl. Urt. v. 19.9.2007, XII ZR 198/05, NJW 2008, 365), liegen diese Voraussetzungen ersichtlich nicht vor.
Auch § 20 Nr. 2 MV verpflichtet die Klägerin nicht zur Nachholung der Schriftform. Darin werden die Parteien verpflichtet, bei Nichteinhaltung der Schriftform dieses Vertrages diese nachträglich herbeizuführen und vor diesem Zeitpunkt nicht wegen der mangelnden Form zu kündigen. Vergleichbare Heilungsklauseln, teilweise auch Nachhol-, Schriftformvorsorge-, Schriftformerhaltungs-, Schriftformsanierungs- oder Vorsorgeklauseln genannt, finden sich – mit wechselnden Formulierungen – vor allem in aktuellen gewerblichen Miet- und Pachtverträgen. Die umstrittene Frage, ob sie einer Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB standhalten (bejahend: KG, Urt. v. 13.11.2006, 8 U 51/06; OLG Köln, Urt. v. 23.09.2005, GuT 2006, 14 - 1 U 43/04; OLG Düsseldorf, Beschl. V. 11.05.2004, DWW 2004, 224 - I-24 U 264/03; OLG Celle, Urt. v. 22.07.2004, 13 U 71/04; a.A.: Gerber ZfIR 2008, 632; Leo NZM 2006, 815) und ob sie – ihre Wirksamkeit unterstellt - eine der originären Vertragsparteien nach Treu und Glauben hindern können, den Mietvertrag unter Berufung auf den Schriftformmangel zu kündigen (verneinend OLG Rostock, Urt. v. 10.07.2008 NJW 2009, 445 - 3 U 108/07; Erman/Lützenkirchen, 13. Aufl., § 550 BGB, Rn. 27; dagegen OLG Naumburg, Urt. v. 26.7.2012, NZM 2012, 808 − 9 U 38/12; OLG Köln, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.), bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn die streitgegenständliche Heilungsklausel bei entsprechender Fassung im Verhältnis der ursprünglichen Vertragsparteien zueinander als wirksam zu behandeln und die Berufung auf die fehlende Schriftform deshalb als treuwidrig zu behandeln wäre, kann sich der Beklagte hierauf gegenüber der Klägerin nicht berufen.
Ob einer formularmäßigen Heilungsklausel auch gegenüber dem Erwerber des Grundstücks Bindungswirkung zukommt, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt. In der veröffentlichten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat sich soweit ersichtlich bisher nur der 24. Zivilsenat des OLG Düsseldorf (a.a.O.) der Frage ausdrücklich angenommen und hierzu - ohne Entscheidungserheblichkeit für den konkreten Streitfall - ausgeführt, der Einwand der Treuwidrigkeit wirke grundsätzlich nur zwischen den Vertragsparteien, im Regelfall nicht gegenüber einem Grundstückserwerber, der nach § 571 BGB a.F. in den Mietvertrag eintrete. Dieser könne sich deshalb grundsätzlich auch dann auf den Formmangel berufen, wenn dies dem Vermieter nach § 242 BGB wegen der vereinbarten Schriftformnachholklausel verwehrt wäre. Demgegenüber werden im mietrechtlichen Schrifttum unterschiedliche Lösungsansätze vertreten.
Teilweise wird eine grundsätzliche Bindung auch des Grundstückserwerbers an eine solche Vereinbarung bejaht, da diese als sich aus dem Mietverhältnis ergebende Verpflichtung und Berechtigung gemäß § 566 BGB auf den Erwerber übergehe (z. B. Lindner-Figura in Geschäftsraummiete, 3. Aufl., Kap. 6 Rdn. 62; Palandt/Weidenkaff, 71. Aufl., § 550 BGB, Rn. 12; Kreikenbohm/Niederstetter NJW 2009, 406; Möller, ZfIR 2008, 87; Wichert, ZMR 2006, 257). Dieser könne sich zudem über die Nachholpflicht aus dem Vertrag informieren (Fischer-Dieskau/Franke, Wohnungsbaurecht, 191. Erg.-Lfg., § 550 BGB, Anm. 13.1/5; Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn. I 145).
Andere Autoren nehmen an, eine Heilungsklausel, die in ihrer Wirkung nicht auf die ursprünglichen Vertragsparteien beschränkt sei, sondern auch den Erwerber binden solle, sei in jedem Fall unwirksam, weil andernfalls der Schutzzweck des § 550 BGB unterlaufen würde (z. B. Bamberger/Roth, 3. Aufl., § 550 BGB, Rn. 17; MünchKomm/Bieber, 6. Aufl., § 550 BGB, Rn. 20; Staudinger/Emmerich, 2011, § 550 BGB, Rn. 47; Ghassemi-Tabar/Leo, AGB im Gewerberaummietrecht, Rn. 383; Ingendoh, AnwZert MietR 24/2009, Anm. 2; Timme/Hülk NZM 2008, 764; Leo, NZM 2006, 815).
Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Heilungsklauseln, die auch den Erwerber verpflichten, an der Nachholung der fehlenden Schriftform mitzuwirken, verstoßen gegen den Schutzzweck des § 550 BGB und sind deswegen gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1, 310 Abs. 1 BGB unwirksam. § 550 BGB will in erster Linie sicherstellen, dass ein späterer Grundstückserwerber, der kraft Gesetzes auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt (§ 566 Abs. 1 BGB), dessen Bedingungen aus dem schriftlichen Vertrag ersehen kann. Dazu ist erforderlich, dass sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen - insbesondere über den Mietgegenstand, den Mietzins sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses - aus einer von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Urkunde ergibt (BGH, Urt. v. 2.6.2010, XII ZR 110/08; BGH, Urt. v. 24.2.2010, XII ZR 120/06; BGH, Urt. v. 7.5.2008, XII ZR 69/06). Fehlt es hieran, wird zwar die Wirksamkeit des Vertragsschlusses nicht tangiert. Der Schriftformverstoß hat aber nach § 550 Satz 2 BGB zur Folge, dass der Vertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Damit soll sichergestellt werden, dass der Erwerber, dem die notwendige Kenntnis von den wesentlichen Vertragsbedingungen nicht aus der Vertragsurkunde vermittelt wird, sich vorzeitig aus dem Vertrag lösen kann und hieran nicht länger als ein Jahr gebunden ist. Hierzu in Widerspruch steht eine Heilungsklausel, die den Erwerber entgegen dem Regelungszweck des Gesetzes zwingt, an der Nachholung der Schriftform mitzuwirken. Sie führt zu einer von ihrem Schutzzweck nicht gedeckten faktischen Bindung des Erwerbers an die wegen des Formmangels nicht wirksam vereinbarte Laufzeit des Vertrages. Denn dieser könnte sich, solange der Mieter seine Mitwirkung an der Nachholung der Form nicht verweigert, nicht durch ordentliche Kündigung aus der langfristigen Bindung lösen (Siering, Die Auswirkungen des § 550 BGB auf die Gestaltungspraxis von Immobilientransaktionen, Hamburg/Kiel 2010, S. 151, 152; Staudinger/Emmerich, a.a.O.). Hieran ändert nichts, dass sich der Erwerber durch Einsicht in den Mietvertrag Kenntnis von der Heilungsklausel verschaffen kann. Er weiß dann zwar, dass er sich bei einem Schriftformmangel an dessen formgerechter Nachholung beteiligen soll. Die Kenntnis des Formmangels selbst wird ihm durch die Klausel aber nicht verschafft. Das ist mit dem Schutzzweck des § 550 BGB nicht zu vereinbaren (Streyl, NZM 2009, 261; Robles y Zepf/Piepers, ZfIR 2010, 569). Hierin liegt zugleich eine unangemessene Benachteiligung i.S. des § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB, die zur Unwirksamkeit der Heilungsklausel insgesamt führt und auf die sich auch die Klägerin berufen kann. Eine geltungserhaltene Reduktion ist bei einer - wie hier - nicht zwischen den ursprünglichen Mietparteien und dem Erwerber differenzierenden Klausel ausgeschlossen. Zwar hat die Klägerin das Grundstück nicht durch Veräußerung i.S. des § 566 BGB, sondern durch Einräumung des Nießbrauchs gemäß § 1030 BGB erworben. Als Nießbrauchsberechtigte steht sie jedoch gemäß § 567 Abs. 1 BGB einem rechtsgeschäftlichen Erwerber gleich, sodass sie in den Schutzzweck des § 550 BGB einbezogen ist.
Ist die Heilungsklausel in § 20 Nr. 2 MV danach aber unwirksam, ist die Klägerin nicht aus Treu und Glauben gehindert, das Mietverhältnis mit dem Beklagten durch ordentliche Kündigung zu beenden. Dies gilt selbst dann, wenn der Klägerin, wie der Beklagte geltend macht, der konkrete Formverstoß vor Bestellung des Nießbrauchsrechts bekannt gewesen sein sollte. Dass die Ausübung des Kündigungsrechts zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, ist weder festgestellt noch dem Sachvortrag des Beklagten zu entnehmen. Für die Annahme einer Existenzvernichtung fehlen greifbare Anhaltspunkte.
Ist das Mietverhältnis danach durch ordentliche Kündigung beendet worden, kommt es auf die Frage nach der Wirksamkeit der von der Klägerin ausgesprochenen fristlosen Kündigungen nicht an.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung i. S. des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu der Frage zu, ob die formularmäßige Klausel in einem gewerblichen Mietvertrag, „Die Parteien verpflichten sich, bei Nichteinhaltung der Schriftform dieses Vertrages die Schriftform nachträglich herbeizuführen sowie bei Veränderungen alles zu unternehmen, um dem Schriftformerfordernis zu genügen und vor diesem Zeitpunkt nicht wegen der mangelnden Form zu kündigen“, wegen Verstoßes gegen § 550 gemäß § 307 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam und die Klägerin deshalb nicht nach § 242 BGB gehindert ist, sich auf den Schriftformmangel zu berufen.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO für die Zulassung der Revision nicht vor.
Streitwert: bis 18.000,00 €