29.07.2022 · IWW-Abrufnummer 230510
Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 21.06.2022 – 9 U 112/19
1.
Wenn Gewerberäume zum Betrieb eines Geschäfts für Damenbekleidung vermietet werden, ist das Auftreten von Kakerlaken in den Verkaufsräumen ein erheblicher Mangel des Mietobjekts.
2.
Kakerlakenbefall in einem Geschäft für Damenbekleidung kann eine Mietminderung von 30 Prozent rechtfertigen.
In dem Rechtsstreit
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte:
gegen
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
wegen Räumung
hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht Schulte-Kellinghaus als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.04.2022 für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 09.08.2019 - 1 O 1/19 - aufgehoben.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.
Gründe
I.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht von dem Beklagten Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen verlangt.
Der Beklagte mietete im Jahr 2016 Gewerberäume im Anwesen S. 3 in B. zum Betrieb eines Ladengeschäfts für Damenbekleidung. Vermieter war G. B., der bei den Vertragsverhandlungen und bei Abschluss des Mietvertrages von dem Zeugen A. B. vertreten wurde. Das Mietverhältnis begann am 01.09.2016; die Miete betrug 600,00 € Kaltmiete zuzüglich Nebenkostenvorauszahlungen in Höhe von 140,00 €, insgesamt monatlich mithin 740,00 €. Für die Zeit vom 01.09.2016 bis zum 31.08.2017 war eine reduzierte Miete in Höhe von 640,00 € vereinbart.
Es gab einen schriftlichen Mietvertrag (Anlage K 1, I, 9), der am 22.07.2016 für den Vermieter von dem Zeugen A. B. unterschrieben wurde, und am 07.09.2016 vom Beklagten. Der Zeuge A. B. hatte in dem von ihm verwendeten Mietvertragsformular eingetragen, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit laufen sollte, mit der Maßgabe einer Kündigungsfrist von sechs Monaten für jede der Parteien. Nachdem der Zeuge A. B. das von ihm bereits unterzeichnete Vertragsformular an den Beklagten übersandt hatte, wandte sich die für den Beklagten handelnde Zeugin N. an den Zeugen A. B.. Die Zeugin schlug telefonisch mehrere Ergänzungen und Änderungen gegenüber dem vom Zeugen A. B. bereits unterzeichneten Formular vor. Die Zeugen A. B. und N. einigten sich telefonisch auf verschiedene Vertragsänderungen, insbesondere auf die Vereinbarung einer Mietlaufzeit von fünf Jahren mit einer Verlängerungsoption auf weitere fünf Jahre. Die Zeugin N. hielt die telefonischen Vereinbarungen in einem schriftlichen "Nachtrag zum Mietvertrag vom 27.07.2016" fest. Den Nachtrag übersandte sie per Email an den Zeugen A. B., der den auf 01.08.2016 datierten Nachtrag ausdruckte und unterschrieb. Der Zeuge übersandte das von ihm unterzeichnetes Exemplar des Nachtrags an den Beklagten, der seinerseits den Nachtrag unterzeichnete (vgl. die Anlage B 1, I, 125). Ob der Beklagte anschließend ein von ihm unterzeichnetes Exemplar des Nachtrags an den Zeugen A. B. zurückgeschickt hat, ist streitig.
Der Beklagte rügte nach der Übergabe des Mietobjekts an ihn im September 2016 und im weiteren Verlauf der Mietzeit diverse Mängel des Objekts. Im Zusammenhang mit den Mängelrügen kürzte der Beklagte teilweise die Miete.
Ende des Jahres 2017 oder Anfang 2018 verstarb der Vermieter. Erben des Vermieters waren der Zeuge A. B. und Frau I. D.. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13.06.2018 (Anlage K 2, I, 21) kündigte die Erbengemeinschaft das Mietverhältnis. Sie sprachen zum einen eine fristlose Kündigung aus, weil der Beklagte mit den Mietzahlungen für Mai und Juni 2018 im Rückstand sei; hilfsweise erklärte die Erbengemeinschaft eine ordentliche Kündigung zum 31.12.2018 unter Hinweis darauf, dass vertraglich eine Kündigungsfrist von sechs Monaten vereinbart sei.
Der Kläger erwarb im Jahr 2018 das Anwesen S. 3 in B. von der Erbengemeinschaft. Zum 01.08.2018 trat der Kläger als neuer Eigentümer in das Mietverhältnis auf Vermieterseite ein. Im Schriftsatz vom 31.01.2019 (I, 37 ff.) sprach der Kläger gegenüber dem Beklagten eine neue fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges aus. Die neue fristlose Kündigung werde durch Zahlungsrückstände in der Zeit zwischen August 2018 und Januar 2019 gerechtfertigt.
Im Verfahren vor dem Landgericht hat der Kläger von dem Beklagten Räumung und Herausgabe der vermieteten Gewerberäume verlangt, gestützt auf die beiden Kündigungen vom 13.06.2018 und vom 31.01.2019. Der Beklagte sei sowohl aufgrund der beiden fristlosen Kündigungen wegen Zahlungsverzuges zur Räumung verpflichtet, als auch aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 13.06.2018.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zu einer ordentlichen Kündigung seien die Rechtsvorgänger des Klägers nicht berechtigt gewesen, da vertraglich eine Mietlaufzeit von fünf Jahren vereinbart worden sei. Mietrückstände habe es zu keinem Zeitpunkt gegeben, da der Beklagte zur Mietminderung berechtigt gewesen sei. Es habe einen erheblichen Kakerlakenbefall in dem Ladengeschäft gegeben. Außerdem habe der Beklagte, bzw. die für ihn handelnde Zeugin N., schon während der Mietzeit immer wieder diverse andere Mängel gerügt. Entsprechend dem Schreiben der Zeugin N. vom 02.05.2018 (Anlage B 3, I, 131, 133) sei der Beklagte zu einer Mietminderung von 35 % berechtigt gewesen.
Das Landgericht hat in den Terminen vom 13.05.2019 und vom 01.07.2019 mehrere Zeugen zu der Frage des Zustandekommens des Nachtrags vom 01.08.2016 vernommen. Mit Urteil vom 09.08.2019 hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe des Mietobjekts verurteilt. Das Landgericht hat ausgeführt, auf die fristlosen Kündigungen des Klägers und seiner Rechtsvorgänger komme es nicht an. Denn die ordentliche Kündigung des Mietvertrages vom 13.06.2018 sei berechtigt gewesen. Im Mietvertrag sei eine Kündigungsfrist von sechs Monaten vereinbart worden. Der Nachtrag vom 01.08.2016 habe hinsichtlich der Mietlaufzeit nicht zu einer wirksamen Änderung des Vertrages geführt. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass er ein von ihm unterzeichnetes Exemplar des Nachtrags an den Zeugen A. B. zurückgesandt habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten. Er hält daran fest, dass die Kündigungen des Klägers und seiner Rechtsvorgänger nicht wirksam gewesen seien. Er sei zu keinem Zeitpunkt zur Herausgabe und Räumung verpflichtet gewesen. Der Nachtrag vom 01.08.2016 mit einer Mietlaufzeit von fünf Jahren sei wirksamer Bestandteil des Mietvertrages geworden. Der Beklagte ergänzt und erläutert seine ausführlichen erstinstanzlichen Darlegungen zu den Mängeln des Mietobjekts. Wie bereits im Verfahren vor dem Landgericht geltend gemacht, sei er zur Mietminderung berechtigt gewesen. Daher habe es zu keinem Zeitpunkt Zahlungsrückstände gegeben, die eine fristlose Kündigung hätten rechtfertigen können.
Der Beklagte hat zunächst beantragt,
das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 09.08.2019 - Az: 1 O 1/19 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ergänzt sein Vorbringen. Er bestreitet die vom Beklagten geltend gemachten Mietmängel. Wenn und soweit tatsächlich Kakerlaken vorhanden gewesen sein sollten, liege die Verantwortung beim Beklagten. Denn die für den Beklagten handelnde Zeugin N. habe auf den vom Zeugen A. B. angebotenen Einsatz eines Kammerjägers zur Beseitigung von möglichem Ungeziefer verzichtet. Die Zeugin N. sei einverstanden gewesen, dass A. B. wegen möglichen Ungeziefers lediglich ein Schadengel zur Verfügung stellte.
Der Beklagte hat das Mietobjekt nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils geräumt und an den Kläger herausgegeben. Der Kläger hat daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich dem nicht angeschlossen; er hält an seinem Antrag auf Klageabweisung fest.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Der Senat hat zur Frage des Kakerlakenbefalls die Parteien informatorisch angehört und verschiedene Zeugen vernommen. Insoweit wird auf die Protokolle vom 14.12.2021 und vom 29.04.2022 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
1. Die Kündigungen vom 13.06.2018 und vom 31.01.2019 haben das Mietverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet. Es bestanden zum Zeitpunkt beider Kündigungen keine Mietrückstände, die eine fristlose Kündigung hätten rechtfertigen können. Denn der Beklagte war auf Grund von Mängeln des Mietobjekts zur Minderung berechtigt. Die ordentliche Kündigung vom 13.06.2018 war unberechtigt, weil mietvertraglich im Nachtrag zum Mietvertrag vom 01.08.2016 eine Mietlaufzeit von fünf Jahren vereinbart war. Die Klage war mithin von Anfang an unbegründet. Durch die Räumung und Herausgabe der Mieträume an den Kläger nach dem erstinstanzlichen Urteil vom 09.08.2019 ist daher keine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten. Auf die Berufung des Beklagten ist die Klage abzuweisen.
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts waren die Rechtsvorgänger des Klägers am 13.06.2018 zu einer ordentlichen Kündigung nicht berechtigt. Nach den mietvertraglichen Vereinbarungen war eine Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten nicht möglich. Denn die Vertragsparteien hatten eine Mietlaufzeit von fünf Jahren vereinbart.
a) In dem vom Zeugen A. B. unterzeichneten Mietvertragsformular war zunächst die Möglichkeit einer Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten vorgesehen. Diese Regelung wurde im Telefongespräch zwischen dem Zeugen A. B. und der Zeugin N., welches dem Nachtrag vom 01.08.2016 unmittelbar vorausging, dahingehend abgeändert, dass eine Mietlaufzeit von fünf Jahren mit einer Verlängerungsoption festgelegt wurde. Die telefonische Einigung wurde in dem Schriftstück vom 01.08.2016, welches die Zeugin N. aufgesetzt hat, dokumentiert. Der Nachtrag wurde zunächst von dem Zeugen A. B. für die Vermieterseite unterschrieben und anschließend, nachdem er das Schriftstück an den Beklagten gesandt hatte, von diesem (vgl. I, 71 und I, 125). Aus diesem unstreitigen Ablauf ergibt sich die Vereinbarung einer Mietlaufzeit von fünf Jahren.
b) Die gemäß § 550 Satz 1 BGB erforderliche Schriftform bei einem Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr ist eingehalten. Maßgeblich sind die Grundsätze entsprechend der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 07.03.2018 (NJW 2018, 1540 [BGH 07.03.2018 - XII ZR 129/16]). Es reicht aus, dass die maßgebliche Urkunde, welche die mündliche Vereinbarung dokumentiert hat, von beiden Vertragspartnern unterzeichnet wurde. Jede Partei hat die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. Sowohl der für den früheren Vermieter handelnde Zeuge A. B. als auch der Beklagte waren im Besitz einer Urkunde. Es reicht aus, dass die im Besitz des Beklagten befindliche Urkunde von beiden Vertragspartnern unterzeichnet war, während sich im Besitz des Zeugen A. B. möglicherweise nur ein Exemplar der von ihm selbst unterzeichneten Urkunde befand. Auf die Frage, ob ein (auch) von dem Beklagten unterzeichnetes Exemplar der Urkunde dem Zeugen A. B. zugegangen ist, kommt es entgegen der Auffassung des Landgerichts daher nicht an (vgl. BGH, a. a. O.).
c) Das im Besitz des Zeugen A. B. verbliebene Exemplar des von beiden Vertragspartnern unterzeichneten Mietvertrages enthält in § 8 Abs. 2 eine nachträgliche handschriftliche Eintragung: "Nachtrag vom 27.07.2016 ist fester Bestandteil für diesen". Diese nachträgliche Eintragung entsprach der telefonischen Absprache zwischen dem Zeugen A. B. und der Zeugin N.. Da der Nachtrag bereits aus anderen Gründen den Anforderungen gemäß § 550 Satz 1 BGB entspricht, kann dahinstehen, ob (bei eventuellen formalen Mängeln des Nachtrags) die handschriftliche Bezugnahme in § 8 Abs. 2 des Mietvertrages auch für eine Einhaltung der Schriftform im Sinne von § 550 Satz 1 BGB ausreichend gewesen wäre (vgl. zur Einhaltung der Schriftform gemäß § 550 Satz 1 BGB in verschiedenen Fällen Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage 2022, § 550 BGB Rn. 8, Rn. 15 ff.).
3. Beide fristlose Kündigungen waren unwirksam. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung wegen Mietrückständen lagen nicht vor.
a) Die fristlose Kündigung vom 13.06.2018 wurde darauf gestützt, dass die Mieten für Mai und Juni 2018 im Rückstand seien. Dies war jedoch nicht zutreffend.
Der Beklagte hatte für die Monate September 2017 bis April 2018 unstreitig jeweils 640,00 € anstelle der im Mietvertrag (ab September 2017) vorgesehenen Miete von 740,00 € bezahlt. Der Beklagte war in der Zeit ab September 2017 zu einer Mietminderung von mindestens 30 %, also monatlich mindestens 222,00 €, berechtigt (zur Mietminderung siehe unten 4.). Das heißt, dass der Beklagte ab September 2017 lediglich (maximal) 518,00 € Miete zu zahlen hatte. Da bis April 2018 keine Mietrückstände entstanden sind (ob der Beklagte zu einer Rückforderung der überzahlten Beträge berechtigt war, ist vorliegend unerheblich), war die am 03.04.2018 unter Vorbehalt geleistete Zahlung in Höhe von 800,00 € (vgl. die unstreitige Aufstellung I, 175) auf die Mieten für Mai und Juni 2018 zu verrechnen. Damit war die Miete für Mai 2018 in Höhe von 518,00 € vollständig bezahlt. Der Restbetrag aus der Zahlung vom 03.04.2018 war auf die Junimiete 2018 zu verrechnen, so dass zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung vom 13.06.2018 (höchstens) ein Rückstand für Juni 2018 in Höhe von 236,00 € bestand. Damit lagen die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gemäß § 2 Abs. 5 des Mietvertrages (§ 543 Abs. 2 Ziffer 3 BGB) am 13.06.2018 nicht vor.
b) Auch zum Zeitpunkt der Kündigung vom 31.01.2019 bestand kein Zahlungsrückstand, der eine fristlose Kündigung hätte rechtfertigen können. Für die in der Kündigungserklärung angegebenen Monate August 2018 bis Januar 2019 schuldete der Beklagte auf Grund der berechtigten Mietminderung in Höhe von mindestens 222,00 € monatlich (siehe oben) insgesamt höchstens 3.108,00 € (sechs Monate zu je 518,00 €). Gezahlt wurden für diese Monate vom Beklagten mindestens 2.420,00 € (vgl. die Aufstellung des Klägers in der Kündigung vom 31.01.2019). Mithin bestand zum Zeitpunkt der Kündigung ein Mietrückstand von (höchstens) 688,00 €. Dieser Betrag lag unter der vertraglich vereinbarten Miete von 740,00 €, so dass auch am 31.01.2019 die Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 5 des Mietvertrages (bzw. § 543 Abs. 2 Ziffer 3 BGB) nicht vorlagen. Bezugsgröße für die Frage, ob der Rückstand eine Monatsmiete überstieg - oder die Höhe von zwei Monatsmieten erreichte - ist nicht die (geschuldete) geminderte Miete, sondern die vertraglich vereinbarte Miete von 740,00 € (vgl. BGH, NJW 2018, 939 [BGH 27.09.2017 - VIII ZR 193/16]). Da die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung bereits nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht vorlagen, kann dahinstehen, ob und inwieweit in der Aufstellung des Klägers vom 31.01.2019 alle auf den maßgeblichen Zeitraum von August 2018 bis Januar 2019 zu verrechnenden Zahlungen des Beklagten vollständig berücksichtigt sind.
4. Der Beklagte war jedenfalls ab September 2017 bis zur Räumung und Herausgabe der Räume gemäß § 536 Abs. 1 BGB zu einer Mietminderung von mindestens 30 %, also in Höhe von mindestens monatlich 222,00 €, berechtigt.
a) Es gab in den angemieteten Räumen einen erheblichen Kakerlakenbefall. Der Beklagte, die Zeuginnen N. und M., sowie der Zeuge K., beobachteten tagsüber im Ladengeschäft immer wieder einzelne Kakerlaken, die sich in der Regel schnell bewegten. Wenn die Zeugen das Ladengeschäft bei Dunkelheit betraten (zum Beispiel morgens im Winter oder bei nächtlichen Anlieferungen von Waren) waren besonders viele Kakerlaken zu sehen. Es wurden mindestens gelegentlich auch Kakerlaken in der Umkleidekabine des Bekleidungsgeschäfts oder in einem Schrank festgestellt. Bis zur Räumung und Herausgabe des Objekts hat sich an der Kakerlakensituation nichts Wesentliches geändert.
Das Vorhandensein von Ungeziefer im Ladengeschäft stellt einen Mangel des Mietobjekts dar. Der Mieter eines Ladengeschäfts braucht nicht damit zu rechnen, dass sich in den Geschäftsräumen Kakerlaken aufhalten. Er ist nicht verpflichtet, eine solche Situation hinzunehmen. Für die Feststellung eines Mangels im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB kommt es auf die Ursachen des Kakerlakenbefalls nicht an; es kommt auch nicht darauf an, ob und inwieweit den Vermieter ein Verschulden trifft.
Der Senat hält eine Minderungsquote von mindestens 30 % für angemessen. Die Tauglichkeit der Geschäftsräume zum vertraglich vereinbarten Zweck, nämlich dem Betrieb eines Bekleidungsgeschäfts, war erheblich herabgesetzt. Kundinnen und Kunden erwarten in einem Bekleidungsgeschäft in Deutschland keine Kakerlaken. Der Beklagte musste damit rechnen, dass Kundinnen jederzeit Kakerlaken wahrnehmen würden; es gab mehrere Kundinnen, die eine Kakerlake sahen. Für den Ruf eines Bekleidungsgeschäfts kann es erhebliche Nachteile verursachen, wenn Kundinnen Kakerlaken sehen. Das gilt in besonderem Maße in einer Kleinstadt wie B., in der damit zu rechnen ist, dass sich der Ungezieferbefall herumspricht. Nach den im Internet verfügbaren Informationen ist bei Kakerlaken zudem mit der Möglichkeit von Fraßschäden an Kleidungsstücken zu rechnen. Der wirtschaftliche Wert der Geschäftsräume war für den Betrieb des Ladengeschäfts unter diesen Umständen nach Auffassung des Senats um mindestens 30 % gemindert (vgl. zur Minderungsquote bei Geschäftsräumen Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 536 BGB Rn. 33 mit Nachweisen; vgl. zur Mietminderung bei Schabenbefall in Gewerberäumen auch KG Berlin, Urteil vom 17.05.2001 - 20 U 8310/98 - zitiert nach Juris).
b) Die Feststellungen des Senats zum Kakerlakenbefall im Mietobjekt beruhen auf den Angaben des Beklagten und den Angaben der Zeuginnen N., M., No. und des Zeugen K.. Nach dem persönlichen Eindruck bei der Vernehmung bestanden an der Glaubwürdigkeit der Zeugen keine Zweifel. Der Kakerlakenbefall wurde detailreich geschildert. Der Beklagte, der Zeuge K. und die Zeuginnen N. und M. waren im Bekleidungsgeschäft tätig und hielten sich oft in den Räumen auf. Die Angaben korrespondieren mit den von der Zeugin N. aufgenommenen Lichtbildern von den festgestellten Tieren. Die Darstellung der Zeugen korrespondiert zudem mit den schriftlich dokumentierten wiederkehrenden Rügen der Zeugin N. gegenüber dem Zeugen A. B.. Nach den Angaben der Zeugen steht fest, dass es bis zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Räumlichkeiten keine nennenswerte Veränderung im Kakerlakenbefall gab. Auch das vom Zeugen A. B. zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung gestellte Schabengel, das von den Zeuginnen N. und M. in den Räumen angewendet wurde, hat die Situation nicht verändert.
c) Die Feststellungen des Senats zum Kakerlakenbefall werden zudem gestützt durch die eigenen informatorischen Angaben des Klägers. Der Kläger hat im Termin vom 14.12.2021 angegeben, er habe nach Herausgabe der Räume durch den Beklagten "ein Kakerlakenproblem im Hinterhof" festgestellt. Dies ist ein zusätzliches Indiz für die Richtigkeit der Angaben der vom Beklagten gestellten Zeugen. Die vom Kläger geäußerte Auffassung, die Kakerlaken hätten nicht in die (ebenerdigen) Räume gelangen können, wenn Fenster und Türen geschlossen gewesen seien, erscheint wenig plausibel.
d) Die Angaben der vom Kläger benannten Zeugen, die keine Kakerlaken wahrgenommen haben, stehen den Feststellungen nicht entgegen. Wenn ein Zeuge zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einem Besuch im Ladengeschäft keine Kakerlaken sieht, ist dies kein unmittelbarer Widerspruch zu den Angaben anderer Zeugen, die zu anderen Zeiten Kakerlaken gesehen haben. Es kommt hinzu, dass die vom Kläger benannten Zeugen jeweils nur kurzzeitig im Mietobjekt waren (wie der Zeuge A. B., der Makler Ba., der Fliesenleger J. A., der Zeuge L. oder die Lebensgefährtin des Klägers, V. A.). Dabei ist es auch denkbar - und nachvollziehbar -, dass diese Zeugen bei ihren kurzen Aufenthalten weniger aufmerksam im Hinblick auf einen möglichen Kakerlakenbefall waren, als die Zeuginnen und Zeugen, die beim Aufenthalt und bei der Arbeit in den Geschäftsräumen ständig oder immer wieder mit dem Kakerlakenproblem konfrontiert waren.
e) Der Kläger hat im Termin vom 29.04.2022 - insoweit im Unterschied zu seinen informatorischen Angaben im Termin vom 14.12.2021 (siehe oben) - Zweifel geäußert, ob es sich bei den auf den vorgelegten Lichtbildern erkennbaren Tieren und bei den von den Zeugen beobachteten Tieren tatsächlich um Kakerlaken gehandelt hat, oder ob es sich nicht um andere - ähnlich aussehende - Tiere gehandelt haben könnte. Für die Entscheidung des Senats ist diese Frage nicht von Bedeutung. Es steht fest, dass es sich um Kakerlaken-ähnliche oder Schaben-ähnliche Tiere gehandelt hat, die bei einem Bekleidungsgeschäft in Deutschland üblicherweise als Ungeziefer bezeichnet und behandelt werden. Das Ausmaß der Minderung des Nutzungswertes für den Beklagten war durch den Ungezieferbefall beeinträchtigt, unabhängig von einer exakten biologischen Bestimmung der Tierart.
5. Gründe, die zu einem Minderungsausschluss führen könnten, liegen nicht vor.
a) Die Zeugin N. hat den Zeugen A. B. als Vertreter der Vermieterseite frühzeitig auf den Schädlingsbefall aufmerksam gemacht, und die Mängelrügen später immer wieder wiederholt, auch nach der zwischenzeitlichen Anwendung eines Schabengels. Die Vermieterseite hatte aufgrund ihres Informationsstandes die Möglichkeit, Maßnahmen zur Mangelbeseitigung zu treffen.
b) Es lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte oder die für ihn handelnde Zeugin N. eine Mangelbeseitigung durch den Zeugen A. B. verhindert hätten. Der Zeuge A. B. hat zwar angegeben, er habe ausdrücklich den Einsatz eines professionellen Kammerjägers angeboten, was von der Zeugin N. jedoch abgelehnt worden sei, weil sie das Zur-Verfügung-Stellen eines Schabengels für ausreichend gehalten habe. Die Ehefrau des Zeugen A. B., die Zeugin N. D., hat die Angaben des Zeugen A. B. zwar bestätigt. Den Angaben dieser beiden Zeugen stehen jedoch die Angaben der Zeugin N. entgegen, der Zeuge A. B. habe keineswegs den Einsatz eines Kammerjägers angeboten. Nach dem persönlichen Eindruck war die Zeugin N. jedenfalls nicht weniger glaubwürdig, als die Zeugen A. B. und N. D.. Unter diesen Umständen ist eine sichere Feststellung, ob der Zeuge A. B. tatsächlich den Einsatz eines Kammerjägers angeboten hat, und ob dieser Einsatz von der Zeugin N. abgelehnt wurde, nicht möglich. Auch ein Missverständnis in den von den Zeugen angegebenen Gesprächen lässt sich nicht sicher ausschließen. Aus Beweislastgründen ist eine Feststellung, dass die Zeugin N. dem Einsatz eines Kammerjägers widersprochen hat, daher nicht möglich. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Zeuge A. B. nach dem erfolglosen Einsatz des Schabengels ohnehin verpflichtet gewesen wäre, sich um andere, wirkungsvolle Maßnahmen zur Schädlingsbekämpfung zu kümmern.
6. Der Beklagte hat im Rechtsstreits eine größere Zahl weiterer Mängel vorgetragen, die teilweise streitig sind. Auch diese weiteren Mängel kommt es nicht an, da bereits die Feststellungen zum Kakerlakenbefall eine Mietminderung von mindestens 30 % rechtfertigen, die zur Klageabweisung führt (siehe oben).
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.
Schulte-Kellinghaus Richter am Oberlandesgericht
Hinweis:
Verkündet am 21.06.2022
RechtsgebietMietminderung