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  • 26.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237504

    Landgericht Krefeld: Urteil vom 01.03.2023 – 2 S 27/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Krefeld

    Urteil vom 01.03.2023

    2 S 27/22

    Tenor:

    Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 16.08.2022, Aktenzei-chen 2 C 541/20, abgeändert:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Gründe

    I.

    Die Parteien streiten in zweiter Instanz um die Verpflichtung des Beklagten zur Räumung seiner Woh-nung nach Kündigung des zwischen den Parteien seit dem Jahr 1984 bestehenden Mietverhältnisses durch die klagenden Vermieter.

    Die Kläger stützen ihr Räumungsbegehren auf eine Kündigung des Mietverhältnisses vom 07.10.2020 (Anlage K2), mit dem sie das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß, kündigten. Zur Begründung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses zogen sie ein Schreiben des Beklagten vom 22.09.2020 heran, in dem der Beklagte eine Nebenkostenabrechnung der Kläger für den Zeitraum vom 01.04.2019 bis 31.03.2020 beanstandete und den Klägern strafbares Verhal-ten, insbesondere Betrug, Untreue und Urkundenfälschung vorwarf. Eine erneute Kündigung des Mietverhältnisses sprachen die Kläger mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.02.2022 aus mit der Begründung, der Beklagte störe nachhaltig den Hausfrieden, indem er gegenüber Mitmie-tern erklärt habe, er könne die übrigen Wohnungen im Haus abhören, und zum Beweis dieser Be-hauptung zwei Mitmietern Aufnahmen von Gesprächen aus der Wohnung eines dritten Mitmieters vorgespielt habe.

    Der Beklagte hat sich erstinstanzlich darauf berufen, das von den Klägern als beleidigend empfunde-ne Schreiben rechtfertige keine Kündigung, weil es lediglich sachlich formulierte Beanstandungen ent-halte. Jedenfalls aber liege eine schuldhafte Verletzung von Vertragspflichten nicht vor. Er leide unter einer Persönlichkeitsstörung, die es ihm zumindest erschwere, Kritik zurückhaltend zu äußern. Er sei zudem durch die nach der Kündigung drohende Räumungsverpflichtung psychisch dekompensiert und habe Suizidgedanken. Hinsichtlich der weiter ausgesprochenen Kündigung hat er geltend ge-macht, er habe lediglich zwei Mitmietern Aufnahmen von Gesprächen aus einer Nachbarwohnung vorgespielt, die aufgrund der Lautstärke der geführten Gespräche in seiner Wohnung deutlich zu hö-ren gewesen seien. Weder habe er Abhöreinrichtungen installiert noch seinen Mitmietern gezeigt oder ihnen gegenüber behauptet, Nachbarn abzuhören.

    Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen gemäß § 540 ZPO auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.

    Das Amtsgericht hat den Beklagten durch das angefochtene Urteil zur Räumung verurteilt. Es hat zuvor Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens nebst mündlicher Erläuterung durch Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens zu der Frage, ob der Beklagte an die Schuld-fähigkeit ausschließenden Erkrankungen oder einer Persönlichkeitsstörung leide sowie zu der Frage, welche gesundheitlichen Folgen dem Beklagten im Fall einer Räumung drohen. Zur Begründung des die Räumungsverpflichtung des Beklagten bejahenden Urteils hat das Amtsgericht ausgeführt, die in dem Schreiben des Beklagten vom 22.09.2020 enthaltenen gegen die Kläger erhobenen Vorwürfe rechtfertigten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Annahme der Unzumutbar-keit der Fortsetzung des Mietverhältnisses. Auch die festgestellte besondere Persönlichkeitsstruktur des Beklagten rechtfertige keine andere Beurteilung.

    Gegen dieses Urteil hat der Beklagte form- und fristgemäß Berufung eingelegt. Zur Begründung wie-derholt und vertieft er seinen erstinstanzlichen Vortrag.

    Der Beklagte beantragt,

    das Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 16.08.2022, Az. 2 C 541/20 abzuändern und die Klage ab-zuweisen.

    Die Kläger beantragen,

    die Berufung zurückzuweisen und das angefochtene Urteil aufrechtzuerhalten.

    Sie verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und berufen sich zur Begründung ihres Räumungsbegehrens auch auf die weitere Kün-digung vom 16.02.2022.

    II.

    Die zulässige Berufung ist begründet. Der Beklagte ist nicht zur Räumung verpflichtet. Das Mietver-hältnis besteht fort.

    1.
    Die Kündigung der Kläger vom 07.10.2020 hat das Mietverhältnis nicht beendet. Aus dem darin in Bezug genommenen vom Beklagten verfassten Schreiben vom 22.09.2020 ergibt sich unter der hier maßgeblichen Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Inte-ressen keine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses im Sinne von § 543 Ab. 1 S. 2 BGB.

    Zu Recht weist das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass an die Feststel-lung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses ein strenger Maßstab anzulegen ist. Die Grenze für eine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung sieht die Kammer unter Berücksichti-gung dieses geltenden Maßstabes (noch) nicht als überschritten an. Zwar hat der Beklagte in dem in Rede stehenden Schreiben mehrfach den Vorwurf erhoben, die Kläger hätten sich in mehrfacher Hin-sicht strafbar gemacht, indem sie ihn und andere Mieter unter Vorlage gefälschter Belege betrogen und Gelder veruntreut hätten. Inhaltlich wirft der Beklagte den Klägern aber insbesondere Gesetzes-verstöße durch Umlage nicht umlagefähiger oder nicht hinreichend belegter Kosten sowie in Teilen den Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsverbot vor. Dass der Beklagte hieraus fälschlich auf das Vor-liegen strafbarer Handlungen schließt und dies in seinem Schreiben entsprechend formuliert, haben die Kläger nach Auffassung der Kammer in dem konkreten Einzelfall hinzunehmen.

    Dabei ist insbesondere die Tatsache von Bedeutung, dass der Beklagte in dem Schreiben vom 22.09.2020 nicht nur Beleidigungen gegenüber den Klägern äußert, sondern sich andererseits auch sachlich und inhaltlich argumentativ mit der beanstandeten Nebenkostenabrechnung auseinander-setzt. Dass er aus diesen Beanstandungen den unzutreffenden Schluss auf ein strafbares Verhalten der Kläger zieht, ist nach Auffassung der Kammer den bei ihm bestehenden besonderen Persönlich-keitsmerkmalen geschuldet, die sich aus dem erstinstanzlich eingeholten fachärztlichen Gutachten ergeben. Zwar ergibt sich aus den Ausführungen des Gutachters, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beklagte bei Abfassung des Schreibens schuldlos oder nur eingeschränkt schuld-haft gehandelt hat. Dennoch liefert die sachverständige Einordnung des Persönlichkeitsbildes des Klägers eine Erklärung für sein Verhalten. Danach handelt es sich bei dem Beklagten um eine Person mit einer narzisstischen, zwanghaften sowie passiv-aggressiven Persönlichkeitsstruktur, die mit zahl-reichen Persönlichkeitsmerkmalen wie mangelnder Kritikfähigkeit und reduzierter Fähigkeit, sich in die Affektivität anderer Personen einzufinden. Damit einhergehend ist nach den Ausführungen des Gut-achters eine Neigung zu abwertender Kritik anderer, wobei der Gutachter ausdrücklich darauf ver-weist, dass die Art der Äußerungen durch den Beklagten für diesen nicht alternativlos gewesen sei.

    Die Kammer verkennt nicht, dass es auch für die betagten Kläger belastend ist, in der Abwicklung des Mietverhältnisses mit derart schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert zu werden. Zudem hat der Beklagte bis heute jeglichen Ausdruck des Bedauerns seines Verhaltens vermieden. Aus den Ausfüh-rungen des Sachverständigen ergibt sich aber zugleich, dass von dem Beklagten erwartbar ist, derar-tige Ausfälligkeiten in Zukunft zu vermeiden, weil er ungeachtet seiner Persönlichkeit in der Lage ist, auch anders zu handeln und seine berechtigten Interessen ohne beleidigende Inhalte wahrzuneh-men. Zudem ist zu erwarten, dass er zu der Erkenntnis in der Lage ist, dass weitere Beleidigungen gegenüber der Vermieterseite ggf. nicht ohne Folgen für den Bestand des Mietverhältnisses bleiben werden.

    Bei der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen ist gegenüber den Interessen der Kläger zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis mit dem Beklagten seit 1984 und damit seit Jahr-zehnten besteht und keine Aspekte vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, aus denen sich ergibt, dass es in dieser Zeit zu Schwierigkeiten in der Abwicklung des Mietverhältnisses oder zu weiterem beleidigendem Verhalten gekommen ist. Der Beklagte hat zudem die von ihm erhobenen Vorwürfe nur gegenüber den Klägern und nicht öffentlich geäußert.

    Zu berücksichtigen sind weiter die für den Beklagten von dem etwaigen Verlust seiner Wohnung aus-gehenden Folgen. Nach dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten besteht bei dem Beklagten seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung, die zur Folge hat, dass er im Fall einer Räumung mit einer affektiven Dekompensation mit Agitiertheit, Ängstlichkeit und der Zunahme bereits bestehender psy-chosomatischer Beschwerden reagiert und sich eine depressive Affektstörung manifestiert, was eine Suizidgefahr einschließt. Wie der Gutachter unter Bezugnahme auf ältere Arztberichte insbesondere aus den Jahren 2007 und 2009 eingehend begründet hat, bedeutet das Beibehalten der jetzigen Wohnung für den Beklagten als Rückzugsort eine Stabilisierung seines Zustandes unter Beibehaltung seiner Selbstständigkeit, während deren Entzug gegen den Willen des Beklagten wegen der Befürch-tung der Obdachlosigkeit voraussichtlich zu der Gefahr einer wesentlichen Verschlechterung seines Zustandes führt. Wie der Sachverständige zudem ausgeführt hat, besteht bei dem Beklagten auch keine nachhaltige Möglichkeit erfolgreicher Therapie.

    Nach der erforderlichen Interessenabwägung sieht daher die Kammer die Fortsetzung des Mietver-hältnisses nicht als unzumutbar an.

    2.
    Die weitere Kündigung der Kläger vom 16.02.2022 hat gleichfalls das Mietverhältnis nicht beendet. Die Kündigung wegen Störung des Hausfriedens und daraus folgender Unzumutbarkeit der Fortset-zung des Mietverhältnisses setzt eine vorangegangene Abmahnung voraus (vgl. Schmidt/Futterer, Mietrecht, 15. Aufl., § 569 BGB Rn. 47). Eine solche Abmahnung ist nicht erfolgt. Sie war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Dem Beklagten wird insoweit vorgeworfen, er habe Mitmietern erklärt, er könne Gesprächen aus anderen Wohnungen abhören, während der Beklagte erklärt, lediglich die Mitmieter darauf hingewiesen zu haben, dass Nachbarn Gespräche so laut führten, dass er in seiner Wohnung hiervon habe Tonaufnahmen fertigen können. Auch wenn die Darstellung der Kläger zu-trifft, wäre eine Abmahnung des Beklagten hinsichtlich dieses Fehlverhaltens nicht entbehrlich gewe-sen. Das ist gem. § 543 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB nur dann der Fall, wenn die Pflichtverletzung, wegen derer die Kündigung erfolgt, so schwer wiegt, dass die Vertrauensgrundlage des Mietverhältnisses durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann oder wenn sie offensichtlich keinen Er-folg verspricht oder die sofortige Kündigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen und im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung geboten ist. Das sieht die Kammer nicht als gegeben an. Auch die Kläger behaupten nicht, der Beklagte sei tatsächlich in der Lage, Mieter aus anderen Wohnungen im Haus abzuhören. Der Vortrag des Beklagten, wonach die Nachbarn in ihrer Wohnung so laut gesprochen haben, dass er in seiner Wohnung einen Mitschnitt habe anfertigen können, ist nicht bestritten. Wenn er diesen Mitschnitt anderen Mitmietern vorspielt, ist das kein Verhalten, dass eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigt.

    3.Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Streitwert für das Berufungsverfahren: 3.720,00 €.

    RechtsgebietWohnraummieteVorschriften§ 543 BGB