02.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241295
Landgericht Bonn: Urteil vom 29.06.2023 – 6 S 97/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Bonn
Tenor:
Für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 11.11.2022 (203 C 31/22) abgeändert und das Versäumnisurteil vom 19.08.2022 aufrechterhalten.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Hinsichtlich der Frage, ob eine per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) schriftsätzlich eingereichte Kündigung durch die Weiterleitung durch das Gericht dem Kündigungsempfänger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten formwirksam nach Maßgabe der §§ 568 Abs. 1, 126 Abs. 3, 126a BGB zugegangen ist, wird die Revision zugelassen.
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Gründe:
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I.
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Die Klägerin begehrt als Vermieterin von der Beklagten die Räumung einer in ihrem Eigentum stehenden Mietwohnung nach elektronischer schriftsätzlicher Kündigung.
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Hinsichtlich des Sach- und Streitstands in erster Instanz wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO zunächst auf die tatbestandlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Erstinstanzlich hatte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2022 nicht verhandelt, woraufhin auf Antrag der Beklagten zunächst ein klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen war. Gegen dieses der Klägerin am 22.08.2022 zugestellte Urteil hatte die Klägerin mit am 05.09.2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht hat dann mit dem angefochtenen Urteil das Versäumnisurteil vom 19.08.2022 aufgehoben und die Beklagte - als Gesamtschuldnerin mit A ‒ verurteilt, die von ihr im Haus „B Straße 0, 00000 C“ im 1. Obergeschoss rechts innegehaltene Wohnung, bestehend aus drei Zimmern, Küche, Diele, Bad/WC und Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Zugleich hat es der Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31.05.2023 bewilligt. Das Amtsgericht hat dabei die streitgegenständliche Kündigung in der Einspruchsschrift vom 05.09.2022 für formwirksam befunden und deshalb das Vorliegen eines Kündigungsgrundes gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB wegen unstreitig bestehender Mietzinsrückstände in Höhe von 7.155,40 € angenommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
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Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietwohnung. Sie ist der Ansicht, dass die Kündigung vom 05.09.2022 nicht der Form des § 568 Abs. 1 BGB entspreche und deshalb formunwirksam sei und nimmt insoweit vollumfänglich Bezug auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und die dortigen Beweisantritte.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Versäumnisurteil vom 19.08.2022 aufrechtzuerhalten,
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hilfsweise der Beklagten eine angemessene Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO zu bewilligen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der näheren und weiteren Einzelheiten wird auf die von beiden Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2023 (Bl. 163 f. d. A.) Bezug genommen.
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II.
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Die form- und fristgerecht eingereichte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, weil das Amtsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben hat. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch gemäß § 546 Abs. 1 BGB auf Räumung zu. Im Einzelnen:
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1.
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Die Beklagte ist zwar zunächst ‒ letztlich unstreitig - Partei des Mietvertrags. Bereits der Vortrag der Beklagten zur Begründung des Mietverhältnisses genügt den Anforderungen an ein substantiiertes Parteivorbringen in Bezug auf den Abschluss einer Vereinbarung mit der früheren Vermieterin bzgl. der Begründung eines Mietverhältnisses. Im Übrigen hat die Klägerin in ihrer Einspruchsschrift vom 05.09.2022 die Stellung der Beklagten als Mietmieterin und die daraus folgende Notwendigkeit einer Kündigung auch gegen sie eingeräumt.
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2.
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Das Amtsgericht ist in dem angefochtenen Urteil dann aber rechtsfehlerhaft von der Wirksamkeit der im Anschluss gegenüber der Beklagten ausgesprochenen Kündigungserklärung der Klägerin in ihrer Einspruchsschrift vom 05.09.2022 ausgegangen. Die streitgegenständliche schriftsätzliche Kündigung ist nach Maßgabe der §§ 568 Abs. 1, 126, 126a BGB formunwirksam und damit gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig. Sie ist nicht geeignet, das Mietverhältnis zu beenden und einen Räumungsanspruch zu begründen. Im Einzelnen:
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a)
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Gemäß § 568 Abs. 1 BGB muss die Kündigung des Mietverhältnisses schriftlich erfolgen. Die Schriftform erfordert die eigenhändige Unterschrift oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen unter der Kündigungserklärung, § 126 Abs. 1 BGB. Die schriftliche Form kann auch ‒ wie hier ‒ durch ein elektronisches Dokument ersetzt werden, § 126 Abs. 3 BGB; das Dokument bedarf dann der qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers, § 126a Abs. 1 BGB (Zöller/Althammer, ZPO, § 80 Rn. 8). Anwaltliche Schriftsätze, die gemäß § 130d Satz 1 ZPO im Zivilprozess in der Regel per besonderem elektronischen Postfach einzureichen sind, wahren, sofern sie mit einer qualifiziert elektronischen Signatur versehen sind, gegenüber dem Gericht das Schriftformerfordernis (Geib, in: BeckOGK, BGB § 568 Rn. 27).
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Neben der Abgabe ist für eine formgerechte schriftliche Kündigung aber auch notwendig, dass der bei Gericht eingegangene, qualifiziert signierte Schriftsatz, der die Kündigung enthält, dem Kündigungsempfänger selbst in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zugeht (AG Hamburg, Urteil vom 25.02.2022 ‒ 48 C 304/21, BeckRS 2022, 3863 Rz. 34, beck-online; Schmidt-Futterer/Streyl, BGB, 15. Aufl., § 568 Rn. 29; Geib, in: BeckOGK, BGB § 568 Rn. 27). Dieser Grundsatz gilt in gleichem Maße für die Schriftform nach § 568 Abs. 1 BGB wie auch für die ersatzweise gemäß § 126a Abs. 3 BGB geltende elektronische Form, weil bei letzterer unter Beibehaltung der für die Schriftform geltenden Grundsätze lediglich die für die Schriftform erforderliche eigenhändige Namensunterschrift bzw. das notariell beglaubigte Handzeichen durch das Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur substituiert wird (vgl. AG Hamburg, Urteil vom 25.02.2022 ‒ 48 C 304/21, BeckRS 2022, 3863 Rz. 35). Entsprechend erfordert auch die Einreichung und Zustellung auf elektronischem Weg den formgemäßen Zugang des qualifiziert elektronisch signierten Schriftsatzes. Die Weiterleitung durch das Gericht an den Kündigungsempfänger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten reicht hierzu selbst dann nicht, wenn der Schriftsatz seitens des Gerichts per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) zugestellt wird, weil die Legitimationswirkung der Absendersignatur nur gegenüber dem Gericht und nicht ‒ wie gesetzlich gefordert ‒ gegenüber dem Empfänger des Schriftstücks besteht (so AG Hamburg, Urteil vom 25.02.2022 ‒ 48 C 304/21, BeckRS 2022, 3863 Rz. 35 f., beck-online ; Geib, in: BeckOGK, BGB § 568 Rn. 27; Schmidt-Futterer/Streyl, BGB, § 568 Rn. 29; Rohlfs, in: Staudinger, BGB, § 568 Rz. 22; aA MüKoBGB/Häublein, 9. Aufl., BGB § 568 Rn. 7; Siegmund, in: Blank/Börstinghaus/Siegmund, 7. Aufl., BGB § 568 Rn. 17).
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b)
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Davon ausgehend war hier die Schriftform nicht gewahrt, weil die Kündigungserklärung der Klägerin vom 05.09.2022 der Beklagten nicht in der gesetzlich vorgesehenen Form gemäß §§ 568, 126, 126a BGB zugegangen ist. Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in seiner Einspruchsschrift vom 05.09.2022 zwar elektronisch per mit besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) eingereichtem Schriftsatz die streitgegenständliche Kündigung gegenüber dem Gericht erklärt. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist dann aber der Schriftsatz erst durch das Gericht selbst elektronisch zugestellt worden (Bl. 117, 137 AG), weshalb die notwendige Legitimationswirkung der Absendersignatur gerade nicht gegenüber der Beklagten eingetreten ist.
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3.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 344 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach den §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
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5.
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Hinsichtlich der von der Kammer verneinten Frage, ob eine per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) schriftsätzlich eingereichte Kündigung durch die Weiterleitung durch das Gericht dem Kündigungsempfänger bzw. dessen Prozessbevollmächtigten formwirksam nach Maßgabe der §§ 568 Abs. 1, 126 Abs. 3, 126a BGB zugegangen ist, wird die Revision zugelassen. Diese Frage hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, weil ihr Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich und unterschiedlich bewertet. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt nicht vor.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 5.000 € festgesetzt.
RechtsgebietKündigungVorschriften§ 126 BGB