29.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244506
Landgericht Karlsruhe: Urteil vom 17.05.2024 – 11 S 162/23
1. Prozessführungsbefugnis im WEG-Recht: Aus der Betroffenheit eigener Rechte (hier: allgemeines Persönlichkeitsrecht) können Sondereigentümer gegen andere störende Sondereigentümer weiterhin im Wege der Unterlassungs- oder Beseitigungsklage vorgehen.
2. Der Einbau eines digitalen Türspions in eine Wohnungseingangstür bedarf der Gestattung durch die Gemeinschaft. Dies gilt auch für (einfache) Geräte ohne dauerhafte Speicherungsfunktion und ohne Weitergabemöglichkeit des Signals an andere Geräte.
3. Ein Duldungsanspruch des Störers aus § 1004 Abs. 2 BGB ergibt sich jedenfalls so lange nicht, bis die in der Anbringung des digitalen Türspions liegende bauliche Veränderung nicht genehmigt wurde. Es ist zu erwägen, kann aber dahinstehen, ob eine solche Beschlussfassung eine gesetzliche Duldungspflicht auch im Verhältnis der Sondereigentümer untereinander schaffen könnte.
In dem Rechtsstreit
1) A.
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
2) E.
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte H.
gegen
R.
- Beklagter und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G.
Tenor:
- Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 23.11.2023, Az. 5 C 2308/21 WEG, wird zurückgewiesen.
- Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
- Wegen der Kosten zweiter Instanz ist das landgerichtliche Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.000,00 € festgesetzt.
Gründe
(abgekürzt nach §§ 540, 313a Abs. 1 ZPO)
I.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.
Das Amtsgericht hat den Beklagten zu Recht zur Beseitigung eines digitalen Türspions und zur Erstattung anteilmäßiger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Soweit die Klage erstinstanzlich abgewiesen worden war, war kein Rechtsmittel eingelegt worden.
Die zulässige Klage ist im erstinstanzlich ausgeurteilten Umfang begründet.
a.
Die Kläger sind prozessführungsbefugt.
Soweit das gemeinschaftliche Eigentum betroffen ist, hat materiell-rechtlich jeder Wohnungseigentümer einen eigenen individuellen sachenrechtlichen Anspruch aus § 1004 BGB, dass Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums unterbleiben. § 9a Abs. 2 WEG weist - wie von der Klage berücksichtigt - die Ausübung dieser Ansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu.
Unbenommen bleibt es den Klägern, - so wie hier - aus der Betroffenheit eigener Rechte (hier: allgemeines Persönlichkeitsrecht; zu denken wäre auch an das Recht am eigenen Bild aus § 22 KunstUrhG bzw. das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) gegen den Störer im Wege der Unterlassungs- oder Beseitigungsklage vorzugehen (zur Abgrenzung der Beeinträchtigung der Gemeinschaft und des einzelnen: vgl. Kammer, Urt. v. 07.07.2023, Az. 11 S 46/22; Urt. vom 23.12.2022, Az. 11 S 135/21, ZWE 2023, 167, bestätigt durch: BGH Urt. v. 9.2.2024 - V ZR 6/23, BeckRS 2024, 6395).
b.
Zu Recht hat das Amtsgericht bei Anwendung neuen Rechts den Klägern einen Anspruch auf Beseitigung des digitalen Türspions zugesprochen. Dieser ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG.
Lediglich ergänzend zu den Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts soll erwähnt werden:
Die Kläger sind in einem absoluten Recht (insbesondere: allgemeines Persönlichkeitsrecht) verletzt, das ebenfalls dem Anwendungsbereich des § 1004 Abs. 1 BGB unterfällt (vgl. Grüneberg, BGB, 83. A, 2024, § 1004 Rn. 4).
Das Anbringen einer Videokamera, die die Geschehnisse auf Gemeinschaftsflächen aufzeichnet oder einer Attrappe, die den Eindruck erweckt, dies zu tun, kann die betroffenen Nachbarn in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzen (vgl. auch BGH, Urt. v. 8. 4. 2011 - V ZR 210/10, NZM 2011, 512; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.01.2007 - 3 Wx 199/06, BeckRS 2007, 01463; OLG Karlsruhe, Urteil vom 08.11.2001 - 12 U 180/01; LG Darmstadt, Urteil vom 17.03.1999 - 8 O 42/99, NZM 2000, 360; Kammer, Beschluss vom 15.02.2023 - 11 S 157/20). Bei einem Gebäude mit mehreren Wohnungen ist nach der (überwiegend zu Mietsachen ergangenen, auf das Wohnungseigentumsrecht aber übertragbaren) Rechtsprechung die Videoüberwachung des Außenbereichs vor dem Eingang (OLG München, NZM 2005, 668 (669) [OLG München 11.03.2005 - 32 Wx 2/05]; LG Berlin, NZM 2001, 207 [LG Berlin 31.10.2000 - 65 S 279/00]; AG Berlin-Schöneberg, Urt. v. 8.6.2012 - 19 C 166/12, BeckRS 2012, 21995), des Treppenhauses (AG München, Urt. v. 16.10.2009 - 423 C 34037/08, BeckRS 2010, 08929), des Aufzugs (KG, NZM 2009, 736 [KG Berlin 04.08.2008 - 8 U 83/08]), der gemeinschaftlichen Waschküche (OLG Köln, NJW 2005, 2997, 2998 [OLG Köln 05.07.2005 - 24 U 12/05]-f.), der Tiefgarage (OLG Karlsruhe, NJW 2002, 2799; LG München I, Beschl. v. 11.11.2011 - 1 S 12752/11, BeckRS 2012, 01167) und der sonstigen, allgemein zugänglichen Außenbereiche des Gebäudes (OLG Düsseldorf, NJW 2007, 780, 781 [OLG Düsseldorf 05.01.2007 - I-3 Wx 199/06]) grundsätzlich unzulässig (zusammenfassend: Stöber, NJW 2015, 3681, 3684). In derartigen Fällen bedeutet die Videoüberwachung eine ständige Kontrolle der betroffenen Personen in ihrer privaten Lebensführung (BGH, NJW 1995, 1955, 1957 [BGH 25.04.1995 - VI ZR 272/94]).
Auch ein digitaler Türspion mit Kamerafunktion, der den gemeinschaftlichen Hausflur vor der Wohnungstür erfasst, wird in der Rechtsprechung als kritisch angesehen, jedenfalls wenn er nicht nur die Möglichkeit der Aufzeichnung bietet, sondern den Sondereigentümer in die Lage versetzt, auch per Smartphone Bild- und Tonübertragungen zu empfangen bzw. mit einem Einlass begehrenden Klingelnden zu kommunizieren (vgl. AG Bergisch-Gladbach, NJW 2015, 3729 [AG Bergisch Gladbach 03.09.2015 - 70 C 17/15]). Großzügiger entschied das AG Köln im Jahr 1994: In seiner Entscheidung gestattete es der schwer geh- und sehbehinderten Mieterin einer Wohnung in einem Mehrfamilien-Wohnhaus, im Eingangsbereich vor ihrer Wohnung eine Kamera als Ersatz für einen Türspion zu installieren, die allerdings nur den Bereich unmittelbar vor der Wohnungstüre aufnahm (AG Köln, NJW-RR 1995, 1226, 1227 [AG Köln 20.12.1994 - 208 C 57/94]). In einem solchen Fall mag sich das überwiegende Interesse des Überwachenden verfassungsrechtlich ggf. auf den besonderen Schutz von Menschen mit Behinderungen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG stützen lassen (vgl. Stöber, NJW 2015, 3681, 3685).
Im konkreten Fall hat die beklagtenseits verbaute Kamera im digitalen Türspion zwar keine dauerhafte Speicherungsfunktion und das Signal kann auch nicht an andere Geräte weitergegeben werden. Es kommt indes nicht darauf an, ob im Rahmen der Dogmatik des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Fallgruppe des "Schutzes des eigenen Bildes" betroffen ist (hierzu: Grüneberg, BGB, 83. A, 2024, § 823 Rn. 120 ff.). Daran könnten hier angesichts der fehlenden Konservierung der Aufnahme Zweifel bestehen. Denn jedenfalls ist selbst von einer vorübergehenden, automatisch vergänglichen Aufnahme die Fallgruppe der "Achtung der Privatsphäre" (vgl. Grüneberg, BGB, 83. A, 2024, § 823 Rn. 113) betroffen, wenn - wie hier in Gestalt des gemeinschaftlichen Flures/ Treppenhauses - die o.g. räumlichen Bereiche der Wohnanlage betroffen sind.
Ein Abwehrrecht aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG zugunsten der einzelnen Sondereigentümer besteht angesichts der aufgezeigten Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jedenfalls solange, bis nicht durch Beschluss die bauliche Veränderung legitimiert wird. Hier liegt insbesondere nicht der Fall vor, dass die bauliche Veränderung keinerlei Auswirkungen auf die Kläger hat. Ein Wohnungseigentümer bleibt zur selbständigen Ausübung des Anspruchs befugt, wenn eine nicht gestattete bauliche Veränderung zu einer nicht duldungspflichtigen Störung der (nicht gemeinschaftsbezogenen) Rechte des Sondereigentümers führt (vgl. Bärmann/Suilmann, 15. Aufl. 2023, WEG § 14 Rn. 83).
Die Wohnungseingangstür gehört zum Gemeinschaftseigentum (vgl. BGH, Urteil v. 25.10.2013 ? V ZR 212/12, ZWE 2014, 81). Deren Veränderung durch Austausch des Türspions hätte der Gestattung durch die Gemeinschaft bedurft (vgl. Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 20 Rn. 106), zumal - wenn wie hier - erhebliche Rechte der anderen Wohnungseigentümer betroffen sind.
Ein Duldungsanspruch des Beklagten aus § 1004 Abs. 2 BGB ergibt sich jedenfalls so lange nicht, bis die in der Anbringung des digitalen Türspions liegende bauliche Veränderung nicht genehmigt wurde (zur Funktion einer solchen Beschlussfassung im Sinne der Schaffung einer gesetzlichen Duldungspflicht: Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 20 Rn. 108 und 160). Im Rahmen dieser Beschlussfassung bzw. deren gerichtlicher Kontrolle können dann ggf. die jeweiligen Rechte und Interessen der verschiedenen Wohnungseigentümer, insbesondere auch das Argument der Sehbeeinträchtigung des Beklagten, gegeneinander abgewogen werden. In nicht wenigen Wohnanlagen sind digitale Türspione verbreitet und es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Ermessensfreiheit der Eigentümerversammlung so weit geht, die Nutzung dieser technischen Fortentwicklung für einzelne oder für alle zuzulassen.
c.
Wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wird auf das auch insoweit zutreffende Urteil des Amtsgerichts verwiesen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die erstinstanzliche Nebenintervention betraf den Berufungsgegenstand nicht.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat - da in Abgrenzung zu § 708 Nr. 10 ZPO eine nicht-vermögensrechtliche Streitigkeit gegeben ist - ihre Grundlage in §§ 709 Satz 1, 2 ZPO, wobei zu berücksichtigen ist, dass nur hinsichtlich der Prozesskosten Geldbeträge zu vollstrecken sind, im Übrigen jedoch tatsächlichen Handlungen verlangt werden. Die Sicherheitsleistung für die Vollstreckung aus dem amtsgerichtlichen Urteil richtet sich nach dem korrekten Ausspruch für die erste Instanz, der bis zur Rechtskraft fortgilt (arg. e contr. § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO). Aus dem (bestätigenden) Berufungsurteil selbst können nur die Kosten des Rechtsmittels vollstreckt werden.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO.
Der Streitwert wird in Anlehnung an die Festsetzung in erster Instanz bestimmt.