12.11.2001 · IWW-Abrufnummer 011357
Bundesgerichtshof: Urteil vom 20.06.2001 – XII ZR 20/99
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 20/99
Verkündet am:
20. Juni 2001
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Hahne, Sprick, Weber-Monecke und Prof. Dr. Wagenitz
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 17. Dezember 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den Beklagten nach vorzeitiger Beendigung eines Mietverhältnisses auf Schadensersatz wegen entgangener Mietzinsen in Anspruch.
Durch Mietvertrag vom 1. Oktober 1992 vermietete die Grundstücksgesellschaft M. , B. 115, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren einziger Vermögensgegenstand ein Geschäftshaus in M. war, dem Beklagten in dem betreffenden Objekt gelegene Verkaufsräume und Lagerflächen. Das auf die Dauer von fünf Jahren geschlossene Mietverhältnis begann am 1. Oktober 1992. Als Nettokaltmiete war ein Betrag von monatlich 33.000 DM vereinbart. Da es bereits ab September 1994 zu Unregelmäßigkeiten bei der Mietzinszahlung gekommen war und der Beklagte den Mietzins für Februar 1995 nur teilweise und für März und April 1995 überhaupt nicht zahlte, kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis mit Schreiben vom 10. April 1995 wegen Zahlungsverzugs fristlos. Am 9. Mai 1995 schloß sie rückwirkend zum 1. April 1995 mit der bisherigen Untermieterin des Beklagten, der S. GmbH, einen bis zum 31. März 1997 befristeten Mietvertrag über die betreffenden Räume zu einem Nettomietzins von monatlich 18.000 DM.
Durch notariellen Vertrag vom 25. September 1997 trat der einzige Mitgesellschafter des Klägers, P. B. , seine Beteiligung an der Grundstücksgesellschaft M. an den Kläger ab.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Mietdifferenz von monatlich 15.000 DM (33.000 DM abzüglich 18.000 DM) f ür die Zeit von Mai 1995 bis Mai 1996, insgesamt 195.000 DM zuzüglich Zinsen. Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, bei Abschluß des Mietvertrages mit der S. GmbH sei eine Vereinbarung getroffen worden, nach der er aus dem ursprünglichen Mietvertrag nicht mehr in Anspruch genommen werde.
Das Landgericht hat der Klage nach Beweiserhebung bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, daß der Beklagte die behauptete Erlaßvereinbarung nicht bewiesen habe. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten, mit der ausschließlich die Beweiswürdigung des Landgerichts angegriffen worden ist, hat das Berufungsgericht die Klage (insgesamt) abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe einen etwaigen Anspruch auf Ersatz des durch die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses entstandenen Schadens verwirkt. Hierzu hat es im wesentlichen ausgeführt: Den Beklagten habe nach der fristlosen Kündigung die Verpflichtung getroffen, dem Vermieter möglichst schnell einen Nachmieter anzubieten, um den Schaden für sich so gering wie möglich zu halten. Da die Gesellschaft bürgerlichen Rechts bereits am 9. Mai 1995 einen Mietvertrag mit der bisherigen Untermieterin des Beklagten als Hauptmieterin abgeschlossen habe, sei ihm die Möglichkeit genommen worden, selbst einen Nachmieter zu finden, der die früheren Vertragsbedingungen akzeptiert hätte. Darüber hinaus habe der Beklagte, dem der erheblich geringere Mietzins und die gegenüber dem früheren Mietvertrag nur um sechs Monate kürzere Laufzeit des neuen Mietvertrages bekannt gewesen seien, die Gewißheit haben dürfen, daß es sich nicht um eine vorübergehende "Notvermietung" zur Schadensminderung gehandelt habe, sondern er habe von einer langfristigen Neuvermietung ausgehen können sowie davon, daß er deshalb aus dem ursprünglichen Vertrag nicht mehr in Anspruch genommen werde. In diesem Glauben habe er sich siebzehn Monate - bis zu Zustellung des Mahnbescheides im Oktober 1996 - befunden, da bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Zahlungsaufforderung noch eine Ankündigung, ihn auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, erfolgt seien. Im Hinblick auf diese Umstände widerspreche das Schadensersatzverlangen dem Grundsatz von Treu und Glauben; der Kläger habe sein Recht auf Schadensersatz verwirkt. Das für diese Annahme notwendige Zeitmoment sei erfüllt. Die erforderliche Dauer des Zeitlaufs sei abhängig von den Umständen des Einzelfalles. Vorliegend sei von Bedeutung, daß der Beklagte jeden Monat einen Betrag von 15.000 DM hätte aufbringen sollen, ohne dafür eine wirkliche Gegenleistung zu erhalten. Wenn er nach siebzehn Monaten gleichwohl noch in Anspruch genommen werden könne, würde dies zu einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Härte führen. Die hieraus folgende Unzulässigkeit der Rechtsausübung sei von Amts wegen zu prüfen, ohne daß es auf entsprechenden Vortrag des Beklagten ankomme.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Revision rügt zu Recht einen Verfahrensverstoß, weil das Berufungsgericht die Klageforderung als verwirkt angesehen hat, ohne dem Kläger zuvor einen Hinweis auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt zu geben. Nachdem keine der Parteien die Frage der Verwirkung aufgegriffen hatte, sondern ausschließlich der vom Beklagten behauptete Erlaß jeglicher weiterer Forderungen aus dem Mietverhältnis im Streit war und mit der Berufung allein die diese Frage betreffende Beweiswürdigung des Landgerichts angegriffen wurde, hätte das Berufungsgericht den Kläger gemäß § 278 Abs. 3 ZPO auf den Gesichtspunkt einer Verwirkung der Forderung hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, bevor es seine Entscheidung hierauf stützte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 1993 - XI ZR 58/92 - NJW-RR 1993, 569, 570; vom 20. Juni 1990 - VIII ZR 158/89 - NJW 1991, 637, 638 f. und vom 13. Juni 1989 - VI ZR 216/88 - NJW 1989, 2756, 2757). Ohne einen solchen Hinweis, für den sich weder aus dem Sitzungsprotokoll noch aus dem Berufungsurteil etwas ergibt, stellt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts als unzulässige Überraschungsentscheidung dar, mit der der Kläger erkennbar nicht gerechnet hat.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensfehler beruht. Auf einen rechtzeitigen Hinweis hätte der Kläger, wie die Revision ausführt, auf sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug zurückkommen und unter anderem darlegen können, er habe den Schadensersatzanspruch nicht erst im Oktober 1996, sondern bereits in einem vorausgegangenen Rechtsstreit geltend gemacht, in dem er Auffüllung der wegen des bereits ab September 1994 aufgetretenen Zahlungsverzugs des Beklagten in Anspruch genommenen Kaution verlangt habe. Das Landgericht habe in seinem (in erster Instanz in Ablichtung vorgelegten) Urteil vom 19. Juli 1995 der damaligen Klage im wesentlichen stattgegeben und bezüglich des hier streitigen Schadensersatzanspruchs ausgeführt, nach der Kündigung wegen Zahlungsverzugs könnten die Vermieter für die vereinbarte Vertragslaufzeit Schadensersatz in Höhe der Mietzinsdifferenz verlangen.
b) Hiervon abgesehen begegnet das Berufungsurteil aber auch weiteren durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Frage, ob der allgemeine Rechtsgedanke der Verwirkung als eines Unterfalles der unzulässigen Rechtsausübung eingreift, hängt zwar im wesentlichen von den Umständen des Einzelfalles ab. Deren Würdigung ist Sache des Tatrichters und demgemäß in der Revisionsinstanz nur beschränkt überprüfbar (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1988 - XI ZR 19/88 - NJW-RR 1989, 818 m.w.N.). Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist aber rechtsfehlerhaft.
Ein Recht ist verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (st.Rspr., vgl. BGHZ 105, 290, 298).
aa) Hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzung der Verwirkung gilt allgemein der Grundsatz, daß um so seltener Raum für eine Verwirkung sein wird, je kürzer die Verjährungsfrist ist (Senatsurteil vom 9. Dezember 1987 - IVb ZR 99/86 - FamRZ 1988, 478, 480 m.N.). Der hier geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des entgangenen Mietzinses, der darauf gestützt wird, daß der Mieter durch Verzug mit der Mietzinszahlung die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses verursacht hat, unterliegt den für den vereitelten Mietzinsanspruch geltenden Verjährungsvorschriften (BGH, Urteil vom 17. Januar 1968 - VIII ZR 207/65 - NJW 1968, 692, 693). Die Verjährungsfrist beträgt deshalb vier Jahre (§ 197 BGB). Bei den kürzer verjährenden Forderungen des täglichen Lebens und den wiederkehrenden Leistungen kann eine Verwirkung vor Ablauf der Verjährungsfrist aber nur aus ganz besonderen Gründen angenommen werden (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1988 aaO 819). Diesen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Es hat weiter nicht beachtet, daß der Anspruch auf Ersatz des Mietausfalls erst sukzessiv in den Zeitpunkten fällig geworden ist, in denen die jeweiligen Mietzinsraten fällig geworden wären (BGH, Urteil vom 11. Juli 1979 - VIII ZR 183/78 - WM 1979, 1104, 1105). Die Mietdifferenz für Mai 1996, den letzten Monat, für den im vorliegenden Rechtsstreit Schadensersatz verlangt wird, war im Oktober 1996 mithin erst seit ca. fünf Monaten fällig.
Besondere Umstände, die es trotz der geltenden kurzen Verjährungsfrist rechtfertigen würden, eine Verwirkung anzunehmen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Daß der Beklagte - im Falle des Bestehens der geltend gemachten Forderung - jeden Monat einen Betrag von 15.000 DM aufbringen müßte, ohne dafür eine wirkliche Gegenleistung zu erhalten, ist Folge des von ihm geschlossenen befristeten Mietvertrages, den der Kläger wegen des Zahlungsverzugs fristlos kündigen konnte, und stellt deshalb keinen besonderen Grund dar, der die Beurteilung des Anspruchs als verwirkt tragen könnte.
bb) Was das sogenannte Umstandsmoment der Verwirkung anbelangt, ist das Berufungsgericht von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen. Die Annahme, dem Beklagten sei die Möglichkeit genommen worden, selbst einen Nachmieter zu finden, der die Bedingungen des Mietvertrages vom 1. Oktober 1992 akzeptiert hätte, läßt außer Betracht, daß die Vermieterin nach der - unstreitigen - Beendigung des Mietverhältnisses durch die fristlose Kündigung nicht nur berechtigt, sondern unter Schadensminderungsgesichtspunkten auch verpflichtet war, alsbald neu zu vermieten. Weshalb der Beklagte mit Rücksicht auf den Abschluß eines neuen Mietvertrages mit seiner bisherigen Untermieterin und auf die Laufzeit dieses Vertrages davon ausgehen durfte, er werde aus dem früheren Mietvertrag nicht mehr in Anspruch genommen, ist deshalb nicht ersichtlich. Ein Vertrauenstatbestand läßt sich hieraus keinesfalls herleiten. Das gilt erst recht, wenn das Vorbringen des Klägers aus dem ersten Rechtszug berücksichtigt wird, die Mietdifferenz schon 1995 in dem vorausgegangenen Rechtsstreit zur Begründung des fortbestehenden Kautionsanspruches geltend gemacht zu haben.
3. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.