21.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145589
Oberverwaltungsgericht Niedersachsen: Beschluss vom 11.09.2015 – 1 ME 118/15
1. Eine Nutzungsuntersagung für vermietete Räume ist unter dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr jedenfalls dann regelmäßig an den unmittelbaren Nutzer, d.h. den Mieter bzw. Pächter zu richten ist, wenn nicht nur eine künftige Vermietung, sondern auch die gegenwärtige Nutzung unterbunden werden soll.
2. Eine Inanspruchnahme des Eigentümers gemäß § 56 Satz 1 NBauO ist aber dann möglich, wenn die unmittelbaren Nutzer der Räume ständig wechseln bzw. die einzelnen Nutzer der Bauaufsichtsbehörde unbekannt bleiben (im Anschluss an Senat, Beschl. v. 24.6.2013 1 ME 52/13 , V. n. b.; Beschl. v. 28.8.2014 1 ME 91/14 , V. n. b.).
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss vom 11.09.2015
1 ME 118/15
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 14. Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8.640,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Verfügung des Antragsgegners, die ihm die Vermietung von baurechtlich nicht genehmigten Dachgeschosszimmern an ausländische Arbeitnehmer untersagt.
Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einer ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle bebauten Grundstücks C. 3 in A-Stadt-D. (Flurstück E., Flur F., Gemarkung A-Stadt). Teil der im Außenbereich liegenden Hofstelle ist ein ehemaliges Betriebsleiterwohnhaus, dessen Erdgeschoss und erstes Stockwerk als Unterkünfte für ausländische Arbeitnehmer bzw. Asylbewerber vermietet sind; für diese Nutzung liegt seit kurzem eine Baugenehmigung vor. Das Dachgeschoss dient ausweislich der Baugenehmigung vom 20. April 1983 lediglich als nicht ausgebauter Bodenraum. Eine von dem Antragsteller beantragte Umnutzung in Arbeitnehmerunterkünfte lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27. Februar 2015, dessen Bestandskraft zwischen den Beteiligten in Streit steht, aufgrund planungsrechtlicher Unzulässigkeit ab; zugleich ordnete er den Rückbau an.
Bei einer Ortsbesichtigung im März 2013 stellte der Antragsgegner erstmals fest, dass der Antragsteller das Dachgeschoss auf rund 136 qm ausgebaut und dort sieben Schlafräume mit 13 Betten sowie zwei Bäder eingerichtet hatte. Die Räume waren zum damaligen Zeitpunkt ebenso wie die Räume im Erd- und ersten Obergeschoss mit weiteren 15 Betten an Arbeitnehmer aus dem ehemaligen Jugoslawien vermietet.
Unter dem 10. Mai 2013 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer beabsichtigten Nutzungsuntersagung an.
Der Antragsteller bat daraufhin um nachträgliche Genehmigung der Umnutzung; am 18. November 2013 ging ein entsprechender Bauantrag bei dem Antragsgegner ein. Im Oktober und November 2014 kam es zu Beschwerden aus der Nachbarschaft; daraufhin teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass eine Genehmigung des Dachgeschossausbaus nicht möglich sei; zugleich kündigte er erneut eine Nutzungsuntersagung an. Der Antragsteller bat um Aufschub zwecks Ermittlung der Kosten eines Rückbaus.
Nach deren Fertigstellung untersagte der Antragsgegner mit Verfügung vom 12. Februar 2015 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung sowie Zwangsgeldandrohung die weitere Nutzung bzw. Vermietung des Dachgeschosses, forderte eine später bis zum 15. Mai 2015 aufgeschobene Nutzungsaufgabe sowie eine Kündigung der bestehenden Mietverträge. Zur Begründung bezog er sich auf die formelle Rechtswidrigkeit der Dachgeschossnutzung sowie - im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit - die formelle Ordnungsfunktion des Bauordnungsrechts. An die vom Antragsteller mitgeteilten Mieter ergingen unter dem 21. April 2015 jeweils mit sofortiger Vollziehbarkeit versehene, mittlerweile bestandskräftige Duldungsverfügungen.
Dem gegen die Nutzungsuntersagung gerichteten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht Oldenburg mit Beschluss vom 14. Juli 2015 insoweit stattgegeben, als dem Antragsteller die Kündigung der Mietverträge aufgegeben worden war. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt und ausgeführt, die Nutzung des Dachgeschosses als Arbeitnehmerunterkunft sei formell baurechtswidrig und aufgrund planungsrechtlicher Hindernisse nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Den Antragsteller als Eigentümer habe der Antragsgegner aufgrund der regelmäßig wechselnden Nutzer des Gebäudes zu Recht in Anspruch genommen. Der weiteren Verfügung, die Mietverträge zu kündigen, habe es hingegen nicht bedurft.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angegriffenen Beschlusses. Im Gegenteil teilt der Senat die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass sowohl die Nutzungsuntersagung als auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu beanstanden sind. Zu dem Beschwerdevorbringen ist Folgendes auszuführen:
Unerheblich ist der Einwand des Antragstellers, tatsächlich habe die Familie seines Bruders die Hofstelle bis März 2010 bewirtschaftet und bewohnt. Offensichtlich genehmigungsfähig wird die Umnutzung dadurch nicht. Es mag zwar sein, dass die Frage, ob § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB zugunsten des Dachgeschossausbaus eingreift, der neuerlichen Prüfung bedarf, soweit darüber nicht bestandskräftig entschieden ist. Die Richtigkeit der knappen Begründung auf Seite 3 des Bescheids vom 27. Februar 2015, die lediglich für das Dachgeschoss eine Anwendbarkeit der Vorschrift verneint, ist zweifelhaft. Auf der Hand liegt die Genehmigungsfähigkeit gleichwohl nicht. Hinzu kommt: Da es sich gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 NBauO 2012 um einen Sonderbau handelt, ist eine umfassende Prüfung im Verfahren nach § 64 NBauO 2012 geschuldet. Dabei bedürfen insbesondere der Brandschutz und die Rettungswege einer vertieften Betrachtung nach dem Maßstab, der bei Beherbergungsbetrieben anzulegen ist.
Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller gegen seine Inanspruchnahme als Eigentümer gemäß § 56 Satz 1 NBauO. Zu Recht weist er zwar darauf hin, dass eine Nutzungsuntersagung für vermietete Räume unter dem Gesichtspunkt der effektiven Gefahrenabwehr jedenfalls dann regelmäßig an den unmittelbaren Nutzer, d.h. den Mieter bzw. Pächter zu richten ist, wenn - wie hier - nicht nur eine künftige Vermietung, sondern auch die gegenwärtige Nutzung unterbunden werden soll. Etwas anderes gilt allerdings - das Verwaltungsgericht hat das zutreffend ausgeführt - dann, wenn die unmittelbaren Nutzer der Räume ständig wechseln bzw. die einzelnen Nutzer der Bauaufsichtsbehörde unbekannt bleiben. Ein solcher Fall liegt regelmäßig bei der Nutzung von Räumen zu Zwecken der Prostitutionsausübung (vgl. Senat, Beschl. v. 24.6.2013 - 1 ME 52/13 -, V. n. b.; Beschl. v. 28.8.2014 - 1 ME 91/14 -, V. n. b.), im Einzelfall aber auch bei der kurzzeitigen Überlassung an Arbeitnehmer vor. Ein Melderegisterauszug vom 27. März 2015 weist für das gesamte Gebäude insgesamt 123 verschiedene Nutzer seit dem 1. Januar 2011 aus. Die im Verfahren vorgelegten neun Mietverträge, die für die Dachgeschossnutzung geschlossen sein sollen, dies aber nicht kenntlich machen, waren bei Bescheiderlass gerade einmal vier bis fünf Monate alt. Vor diesem Hintergrund war der Antragsgegner nicht gehalten, die einzelnen Nutzer in Anspruch zu nehmen; einer effektiven Gefahrenabwehr entsprach es angesichts der unübersichtlichen Nutzersituation vielmehr, die Verfügung an den Antragsteller zu richten. Die Duldungsverfügungen stellen sicher, dass der Antragsteller der Verfügung tatsächlich nachkommen kann. Auf die Frage, über welche Möglichkeiten der Umquartierung der Antragsteller verfügt, kommt es deshalb nicht an.
Zu Unrecht meint der Antragsteller, es fehle an einem öffentlichen Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Tatsache, dass zwischen der erstmaligen Feststellung der ungenehmigten Nutzung und der Nutzungsuntersagung nahezu zwei Jahre vergangen sind, führt nicht dazu, dass die ungenehmigte Nutzung nunmehr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin hinzunehmen ist. Im Gegenteil besteht das öffentliche Interesse, eine solche Nutzung und damit eine Besserstellung des Schwarzbauers zu verhindern, unvermindert fort. Hinzu kommt, dass das Zuwarten des Antragsgegners maßgeblich im Interesse des Antragstellers erfolgte, der einen Bauantrag stellen bzw. Unterlagen vorlegen wollte. Eine solche bürgerfreundliche Verfahrensführung wendet sich jedenfalls dann nicht gegen die Bauaufsichtsbehörde, wenn diese ihre Rechtsauffassung - wie hier - stets klar zum Ausdruck bringt. Das Vorbringen des Antragstellers, der Antragsgegner habe damit auch in Bezug auf die Dachgeschossnutzung einen Vertrauenstatbestand geschaffen, ist fernliegend; im Gegenteil hat der Antragsgegner stets unmissverständlich zu verstehen gegeben, bei unveränderter Sachlage gegen die Dachgeschossnutzung einschreiten zu wollen. Eine mögliche Nutzbarkeit auch des Dachgeschosses zur Unterbringung von Flüchtlingen lässt das öffentliche Interesse an der Einhaltung des öffentlichen Baurechts ebenfalls nicht entfallen.
Soweit sich der Antragsteller gegen die Vollziehungsfrist wendet, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Dem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, welche Bedenken der Antragsteller hegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).