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  • 25.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222578

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Urteil vom 07.12.2020 – 9 U 34/19

    1. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann ihre Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege auf einen Hausmeister delegieren, so dass bei einer Verletzung der Streupflicht der Hausmeister - und nicht die übertragende WEG - haftet.

    2. Nach einer Delegation der Räum- und Streupflicht auf einen Hausmeisterdienst verbleibt der WEG als Grundstückseigentümerin eine Überwachungs- und Kontrollpflicht. Bei der Übertragung des Räum- und Streudienstes auf einen professionellen Hausmeisterdienst darf sich die WEG im Allgemeinen auf eine Erfüllung der Pflichten verlassen, und muss nicht ohne Anlass alle Einzelheiten der Tätigkeit des Hausmeisters kontrollieren.

    3. Beim Sturz einer Fußgängerin auf Glatteis können für eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden. Dies gilt jedoch nur für die Verletzung der Räum- und Streupflicht als solcher, jedoch nicht für die Verletzung einer Überwachungs- und Kontrollpflicht.


    Oberlandesgericht Karlsruhe

    Urteil vom 07.12.2020


    In dem Rechtsstreit
    - Klägerin und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte:
    gegen
    - Beklagte und Berufungsklägerin -
    Prozessbevollmächtigte:
    Streithelfer:
    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Schadensersatzes und Schmerzensgeld

    hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 9. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht xxx als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2020 für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 18.01.2019 - 2 O 206/18 - aufgehoben.
    2. Die Klage wird abgewiesen.
    3. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen, einschließlich der Kosten der Streithelferin, trägt die Klägerin.
    4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.
    5. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe

    I.

    Die Klägerin macht nach einem Sturz auf Glatteis Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.

    Am 24.01.2017 gegen 15:00 Uhr benutzte die Klägerin als Fußgängerin die Kirchplatzpassage in E.. Die Klägerin stürzte auf Schnee- oder Eisglätte und zog sich Verletzungen zu, deren Umfang und Auswirkungen streitig sind. Im Bereich der Unfallstelle befindet sich der von der Klägerin benutzte Weg im Gemeinschaftseigentum der Beklagten, einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In diesem Bereich ist der geteerte Weg auch für Kraftfahrzeuge benutzbar, und dient gleichzeitig als Zufahrt zur Tiefgarage der Beklagten. Mit einer Satzung aus dem Jahr 1989 hat die Stadt E. die Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege, zu denen auch die Kirchplatzpassage und die von der Klägerin benutzte Zufahrt zählen, den Straßenanliegern auferlegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Satzung in der Anlage K 8 verwiesen.

    Die Beklagte hatte bereits seit 1997 sämtliche üblichen Hausmeisterleistungen für die Wohnungseigentümergemeinschaft dem Streithelfer übertragen, der einen Hausmeisterdienst unterhält. Die Aufgaben und Verpflichtungen des Streithelfers sind im schriftlichen Hausmeister-Vertrag (Anlage StV 1 und StV 2) im Einzelnen geregelt. Im Abschnitt "Winterdienst" in diesem Vertrag ist zu den Aufgaben des Streithelfers u. a. festgehalten:

    - Schnee- und Eisräumen in notwendigem Umfang auf den unter Benützung stehenden Verkehrsflächen.
    - Schnee- und Eisräumung auf öffentlichen Gehwegen, soweit der Hauseigentümer im Rahmen der gemeindlichen Verordnung zur Räumung verpflichtet ist (gemäß Ortspolizeiverordnung).
    - Streudienst auf Verkehrsflächen zur Vermeidung von Schnee- und Eisglätte.

    Der Streithelfer ließ den Winterdienst für die Beklagte in der Vergangenheit durch einen Mitarbeiter, den Zeugen W., ausführen.

    Die Klägerin hat vorgetragen: Bei dem Sturz am 24.01.2017 habe sie sich eine komplizierte Verletzung am rechten Handgelenk zugezogen. Auch nach zwei Operationen sei ein Dauerschaden verblieben, die Beweglichkeit der rechten Hand sei schmerzhaft eingeschränkt. Die Unfallversicherung der Klägerin gehe von einem Invaliditätsgrad des rechten Armes aufgrund dieser Verletzung von 70 % aus.

    Für den Sturz und die Verletzungsfolgen sei die Beklagte verantwortlich. Denn ihr habe für den Bereich der Unfallstelle die Räum- und Streupflicht oblegen. Zu dem Sturz sei es nur deshalb gekommen, weil die Beklagte am Unfalltag ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei. Es habe eine allgemeine Glättebildung geherrscht, so dass die Beklagte dafür hätte sorgen müssen, dass die Kirchplatzpassage in E. für Fußgänger ohne Sturzgefahr begehbar gewesen wäre. Die Klägerin hat materielle Schadensersatzansprüche in Höhe von 3.195,85 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Außerdem hat die Klägerin mit einem unbezifferten Antrag Schmerzensgeld verlangt, welches nach ihren Vorstellungen mindestens 5.000,00 € betragen sollte.

    Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat mit Nichtwissen bestritten, dass am Unfalltag eine allgemeine Glättebildung als Voraussetzung für eine Streupflicht geherrscht habe. Dennoch sei der Hausmeister- und Reinigungsdienst des Streithelfers am Unfalltag einer möglichen Räum- und Streupflicht ordnungsgemäß nachgekommen. Der Zeuge W. habe im Auftrag des Streithelfers die Unfallstelle schon morgens vor 07:00 Uhr einwandfrei geräumt und gestreut. Die Beklagte, bzw. die für die Beklagte tätige Verwalterin der Wohnungseigentümergemeinschaft, habe keinen Anlass gehabt, zusätzliche Maßnahmen zur Beseitigung einer Glättegefahr zu ergreifen. Üblicherweise werde eine eventuelle Rutschgefahr auf dem Gelände, für welches die Beklagte verantwortlich ist, durch Anwohner der Verwalterin umgehend mitgeteilt. Eine solche Mitteilung habe die Beklagte am Unfalltag vor dem Sturz der Klägerin jedoch nicht erhalten. Im Übrigen hat die Beklagte die von der Klägerin vorgetragenen Verletzungsfolgen und den materiellen Schaden bestritten.

    Mit Grundurteil vom 18.01.2019 hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte am fraglichen Tag ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei. Der Zeuge W. habe die Unfallstelle nicht ordnungsgemäß abgestreut; ohne diese Pflichtverletzung wäre es nicht zum Sturz der Klägerin gekommen. Für die mangelhafte Erfüllung der Streupflicht durch den Zeugen W. sei die Beklagte verantwortlich. Da über die Höhe des materiellen und immateriellen Schadens der Klägerin noch Beweis erhoben werden müsse, sei ein Grundurteil geboten.

    Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 18.02.2019 an das Oberlandesgericht Karlsruhe ist der Streithelfer dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite beigetreten und hat Berufung eingelegt. Die Entscheidung des Landgerichts sei aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen fehlerhaft. Eine Haftung der Beklagten komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte ihre Räum- und Streupflicht für den Bereich der Unfallstelle wirksam auf den Streithelfer delegiert habe. Für die Beklagte sei nach dieser Delegation lediglich eine Kontrollpflicht gegenüber dem Streithelfer verblieben. Eine Verletzung der Kontrollpflicht sei jedoch nicht ersichtlich. Das Landgericht habe zudem keine ausreichenden Feststellungen zu einer allgemeinen Glättebildung am Unfalltag getroffen, so dass auch aus diesem Grund die Verletzung einer Streupflicht nicht in Betracht komme. Die Würdigung der erstinstanzlichen Zeugenaussagen durch das Landgericht sei unzureichend. Hilfsweise wendet der Streithelfer ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin ein. Denn diese habe - wenn man eine Verletzung der Streupflicht unterstellen würde - einen erkennbar spiegelglatten Weg beschritten. Der Streithelfer legt im Berufungsverfahren einen Rapportzettel des Zeugen W. vor, aus dem sich ergebe, dass der Zeuge am 24.01.2017 den Bereich der Zufahrt tatsächlich abgestreut habe (II, 131). Außerdem legt der Streithelfer Lichtbilder vor (II, 137, 139), mit denen demonstriert werden solle, wie generell im Winter im Bereich der Tiefgaragen-Zufahrt zwei Fahrspuren freigehalten und abgestreut seien, um auch Fußgängern ein Begehen der Zufahrt in den Fahrspuren zu ermöglichen.

    Der Streithelfer beantragt,

    die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Freiburg - 2 O 206/18 - vom 18.01.2019 abzuweisen.

    Die Beklagte ergänzt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht sich im Übrigen den Sachvortrag des Streithelfers im Berufungsverfahren voll umfänglich zu eigen.

    Sie beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Freiburg aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

    Die Klägerin verteidigt das Urteil des Landgerichts. Das Landgericht habe zu Recht eine Verletzung der Streupflicht angenommen. Entgegen der Darstellung des Streithelfers habe es im Bereich der Tiefgaragen-Zufahrt keine abgestreuten Fahrspuren gegeben, welche die Klägerin hätte gefahrlos benutzen können. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Lichtbilder (II, 137, 139) entsprächen nicht dem Zustand der Zufahrt am Tag des Unfalls.

    Entgegen der Auffassung des Streithelfers und der Beklagten habe diese ihre Räum- und Streupflicht nicht wirksam auf den Streithelfer delegiert. Der Streithelfer hätte zudem eine Erfüllung der Streu- und Räumpflicht nicht einem Dritten, dem Zeugen W., überlassen dürfen. Wenn man eine Delegation der Streu- und Räumpflicht annehmen würde, sei zumindest ein Verstoß der Beklagten gegen ihre Kontroll- und Überwachungspflicht anzunehmen. Denn die Beklagte habe sich durch ihre Verwalterin am Unfalltag nicht darüber vergewissert, inwieweit die Unfallstelle ordnungsgemäß abgestreut war. Die Feststellungen des Landgerichts zu einer die Streupflicht auslösenden allgemeinen Glättebildung seien nicht zu beanstanden. Fürsorglich beruft sich die Klägerin zum Beweis der Glättebildung auf eine weitere Zeugin. Ein Mitverschulden der Klägerin komme nicht in Betracht. Denn diese habe die Glätte erst bemerkt, als sie schon mittendrin gestanden sei.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und des Streithelfers wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Der Klägerin steht nach ihrem Sturz vom 24.01.2017 kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gegen die Beklagte zu.

    1. Die Berufung der Beklagten, eingelegt durch den Schriftsatz des Streithelfers vom 18.02.2019, ist zulässig.

    a) Ein Streithelfer kann im Zivilprozess die Einlegung eines Rechtsmittels für die unterstützte Hauptpartei mit der Erklärung des Beitritts in einem Schriftsatz verbinden (vgl. Zöller/Althammer, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 66 ZPO Rn. 15).

    b) Ein Streithelfer kann ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil nicht im eigenen Namen einlegen, sondern nur im Namen der unterstützten Partei (vgl. Zöller/Althammer, a. a. O., § 67 ZPO Rn. 10). Der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers hat die Rechtsmitteleinlegung wie folgt formuliert:

    ... zeigen wir unter anwaltlicher Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung an, den Streithelfer ... zu vertreten, in dessen Namen wir dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite beitreten und gegen das Grund-Urteil des Landgerichts Freiburg i. Br. - 2 O 206/18 - vom 18.01.2019 Berufung einlegen.

    Im Berufungsschriftsatz wird gleichzeitig auf die beigefügte beglaubigte Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils hingewiesen. Diese Erklärung ist dahingehend auszulegen, dass die Rechtsmitteleinlegung im Namen der Beklagten erfolgen sollte.

    Die Auslegung von Prozesserklärungen hat sich an dem Grundsatz auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage des Erklärenden entspricht. Zur Auslegung kann das der Rechtsmittelschrift beigefügte erstinstanzliche Urteil herangezogen werde. Aus dem Urteil ergibt sich, dass das Landgericht zum Nachteil der Beklagten entschieden hat, so dass nur eine Rechtsmitteleinlegung durch die Beklagte (bzw. für die Beklagte) in Betracht kommt. Durch den Beitritt im Schriftsatz vom 18.02.2019 hat der Streithelfer gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass er die Beklagte im Prozess unterstützen will. Schließlich ergibt sich das Interesse des Streithelfers an einem Rechtsmittelerfolg des Beklagten aus dem im Urteil des Landgerichts vom 18.01.2019 wiedergegebenen Sachverhalt. Da die Beklagte zur Erfüllung der Räum- und Streupflicht den Haumeisterdienst des Streithelfers in Anspruch genommen hat, muss der Streithelfer mit einem Regressanspruch der Beklagten rechnen, wenn das erstinstanzliche Grundurteil bestehen bleibt. Der Umstand, dass die Rechtsmittelschrift des Streithelfers keinen ausdrücklich formulierten Hinweis auf eine Berufung "im Namen des Beklagten" enthält, ist unter diesen Umständen unschädlich. Bei verständiger Würdigung des Berufungsschriftsatzes in Verbindung mit dem vorgelegten erstinstanzlichen Urteil ist nicht zweifelhaft, dass eine Rechtsmitteleinlegung im Namen der Beklagten erfolgen sollte (vgl. zur Auslegung eines Rechtsmittels in ähnlichen Fällen BGH, NJW 1999, 1554 [BGH 15.12.1998 - VI ZR 316/97]; OLG Köln, Urteil vom 30.06.2014 - 19 U 159/13 -, zitiert nach Juris; OLG Köln, MDR 2016, 610).

    c) Wird das vom Streithelfer eingelegte Rechtsmittel mit einer Beitrittserklärung verbunden, muss die Erklärung gleichzeitig den Anforderungen für den Beitritt gemäß § 70 ZPO entsprechen (vgl. Zöller/Althammer, a. a. O., § 66 ZPO Rn. 15; BGH, Transportrecht 2019, 39; OLG Hamm, Beschluss vom 25.09.2017 - 18 U 69/17 - zitiert nach Juris). Der Schriftsatz des Vertreters des Streithelfers vom 18.02.2019 entspricht diesen Anforderungen.

    Der Schriftsatz enthält zwar keinen ausdrücklichen Hinweis auf das Interesse des Streithelfers (§ 70 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO). Das für den Beitritt erforderliche Interesse des Streithelfers lässt sich dem Schriftsatz jedoch im Wege der Auslegung entnehmen. An die Darlegung des Interesses sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Transportrecht 2019, 39). Das Interesse des Streithelfers am Ausgang des Rechtsstreits kann sich bereits aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben, wenn der Streithelfer danach gewärtig sein muss, dass er von der unterstützten Hauptpartei in Regress genommen wird, wenn die Entscheidung des Landgerichts rechtskräftig wird (vgl. BGH, a. a. O.). Aus der vom Streithelfer für die Beklagte übernommenen Räum- und Streupflicht ergibt sich ein möglicher Regressanspruch der Beklagten. Der maßgebliche Sachverhalt lässt sich dem vom Streithelfer vorgelegten Urteil des Landgerichts entnehmen. Dies reicht für eine bestimmte Angabe des Interesses im Sinne von § 70 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO aus (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11.05.2000 - I ZB 26/99 -, zitiert nach Juris; BGH, Transportrecht 2019, 39).

    2. Die Berufung ist auch begründet.

    a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Klägerin am 24.01.2019 gegen 15:00 Uhr in E. auf der Kirchplatzpassage wegen Glätte gestürzt ist. Die Feststellungen des Landgerichts sind nicht zu beanstanden, und werden von der Beklagten und vom Streithelfer im Berufungsverfahren insoweit nicht angegriffen. Ebenso ist im Berufungsverfahren außer Streit, dass die Klägerin durch den Unfall entsprechend den Feststellungen des Landgerichts verletzt wurde; lediglich Umfang und Auswirkungen der Verletzungen sind streitig. Für die Unfallstelle oblag der Beklagten als Grundstückseigentümerin auf Grund der Streupflicht-Satzung der Stadt E. eine Räum- und Streupflicht. Denn bei der Kirchplatzpassage in E. und der angrenzenden Zufahrt der Beklagten handelt es sich um eine dem öffentlichen Fußgängerverkehr gewidmete Fläche.

    b) Die Klägerin kann gegen die Beklagte jedoch keinen Anspruch wegen einer Verletzung der Räum- und Streupflicht geltend machen. Denn die Beklagte hat die den Grundstückeigentümer treffende Räum- und Streupflicht wirksam auf den Streithelfer delegiert.

    In der Rechtsprechung zu § 823 Abs. 1 BGB ist anerkannt, dass Verkehrssicherungspflichten auf einen Dritten übertragen werden können. Erforderlich ist eine klare Absprache, die die Sicherung der Gefahrenquellen zuverlässig garantiert. Aus der Absprache muss sich ergeben, dass der Dritte die Verantwortung für die zunächst den Übertragenden treffenden Verkehrssicherungspflichten in vollem Umfang übernimmt (vgl. Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage 2020, § 823 BGB Rn. 50 mit Rechtsprechungsnachweisen). Eine solche Übertragung der Räum- und Streupflichten auf den Streithelfer ergibt sich aus dem Hausmeister-Vertrag, welchen die Beklagte mit dem Streithelfer abgeschlossen hat. In diesem Vertrag ist geregelt, dass der Streithelfer nicht nur für den internen Bereich der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern auch für öffentlich zugängliche Wege für den Winterdienst verantwortlich sein sollte, soweit eine Verpflichtung der Hauseigentümer auf Grund kommunaler Vorschriften besteht. Damit hat die Beklagte die zunächst sie selbst treffenden Räum- und Streupflichten vollständig auf den Streithelfer übertragen, und gleichzeitig dafür gesorgt, dass bei Pflichtverletzungen der Streithelfer von einem Dritten wegen Verletzung der Räum- und Streupflicht in Anspruch genommen werden kann. Die Übertragung der Räum- und Streupflicht im Winter von einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf einen professionellen Hausmeisterdienst ist ein typischer Fall einer zulässigen Delegation der Verkehrssicherungspflicht (vgl. OLG Karlsruhe - 14. Zivilsenat -, NJW-RR 2009, 882; OLG Karlsruhe - 7. Zivilsenat -, Urteil vom 28.03.2012 - 7 U 104/11 -, zitiert nach Juris).

    c) Da die Beklagte die Räum- und Streupflicht wirksam auf den Streithelfer delegiert hat, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht darauf an, ob und wieweit am 24.01.2017 aufgrund einer sogenannten allgemeinen Glättebildung Maßnahmen des Verkehrssicherungspflichtigen zur Gefahrenabwehr im Bereich der Unfallstelle notwendig gewesen waren. Es kann im Rahmen der Entscheidung über die Klage gegen die Beklagte dahinstehen, ob und inwieweit der Streithelfer, bzw. der für ihn tätige Mitarbeiter, eine mögliche Räum- und Streupflicht am 24.01.2017 ausreichend erfüllt hat. Es bedarf daher auch keiner Stellungnahme des Senats zu den Einwendungen der Beklagten und des Streithelfers gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung.

    d) Eine Haftung des Grundstückseigentümers wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht kann allerdings auch bei einer Übertragung der Räum- und Streupflicht noch in Betracht kommen, wenn Überwachungs- und Kontrollpflichten verletzt werden (vgl. Palandt/Sprau, a. a. O., § 823 BGB Rn. 52). Eine solche Pflichtverletzung der Beklagten lässt sich jedoch nicht feststellen.

    aa) Wenn eine Fußgängerin im Winter bei Glatteis stürzt, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Anscheinsbeweis Anwendung finden, der für eine unfallursächliche Verletzung der Räum- und Streupflicht ausreichen kann (vgl. BGH, NJW 2009, 3302 [BGH 26.02.2009 - III ZR 225/08]; Senat, DWW 2016, 181). Der Anscheinsbeweis kann jedoch nur Anwendung finden, soweit es um eine Verletzung der Streu- und Räumpflicht als solche geht. Wird - wie vorliegend - die Räum- und Streupflicht auf einen Hausmeisterdienst übertragen, kommt ein Anscheinsbeweis für die Verletzung einer Kontroll- und Überwachungspflicht nicht in Betracht. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass bei der Verletzung einer Räum- und Streupflicht durch einen Hausmeisterdienst typischerweise gleichzeitig der Auftraggeber Überwachungs- und Kontrollpflichten verletzt hat (vgl. OLG Hamm, MDR 2012, 465 [OLG Hamm 16.01.2012 - I-6 U 206/11]).

    bb) Der Inhalt von Überwachungs- und Kontrollpflichten bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf einen Dritten richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Es kommt insbesondere darauf an, welche Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten bestehen. Bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf ein Fachunternehmen darf sich der Übertragende im Allgemeinen auf deren Erfüllung verlassen und muss nicht ohne konkreten Anhalt alle Einzelheiten kontrollieren (vgl. Palandt/Sprau, a. a. O., § 823 BGB Rn. 52 mit Rechtsprechungsnachweisen).

    Von diesen Erwägungen ausgehend kann von der Beklagten als Wohnungseigentümergemeinschaft und von der von ihr beauftragten Verwalterin nicht verlangt werden, dass im Winter ständig kontrolliert wird, inwieweit Glättebereiche ordnungsgemäß abgestreut werden. Bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist in der Regel davon auszugehen, dass die Wohnungseigentümer, bzw. die Bewohner des Hauses, selbst ein starkes Interesse daran haben, dass im Winter keine gefährlichen Glättebildungen auf den von den Bewohnern benutzten Flächen vorhanden sind. Es ist daher grundsätzlich zu erwarten, dass gefährliche Glättebildungen und mögliche Unzulänglichkeiten in der Tätigkeit eines Hausmeisterdienstes von den Bewohnern umgehend der Verwalterin mitgeteilt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die maßgeblichen Flächen - wie vorliegend - nicht nur dem öffentlichen Fußgängerverkehr, sondern gleichzeitig dem Verkehr der Bewohner der Wohnungseigentumsanlage dienen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft und die Verwalterin können daher im Winter im Regelfall davon ausgehen, dass eine ausreichende Kontrolle des Winterdienstes durch die Bewohner stattfindet, die an einer sofortigen Beseitigung von Glättestellen interessiert sind, wenn nicht ausreichend geräumt oder gestreut wird. Mithin war die Beklagte, durch die für sie handelnde Verwalterin nicht verpflichtet, im Laufe des 24.01.2017 zu kontrollieren, ob und inwieweit der Streithelfer seiner Räum- und Streupflicht nachgekommen war. Unter den gegebenen Umständen war die Beklagte auch nicht zu regelmäßigen Kontrollen des Winterdienstes verpflichtet. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beklagte Hinweise auf eine unzuverlässige Tätigkeit des Streithelfers beim Winterdienst erhalten hätte, oder, wenn sie am 24.01.2017 in der Zeit vor dem Sturz der Klägerin Hinweise von einem Bewohner auf eine nicht ausreichende Wahrnehmung der Streupflicht durch den Streithelfer erhalten hätte. Dafür ist jedoch nichts ersichtlich und von der Klägerin nichts vorgetragen.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

    4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die für die Entscheidung des Senats maßgeblichen Rechtsfragen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt.

    RechtsgebietWohnungseigentumVorschriftenBGB § 823 Abs. 1