25.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231978
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 20.09.2022 – XI ZB 4/22
Zur Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren, ob die Anhörungsrüge, die in der Beschwerdeinstanz zur Abänderung der zunächst vom Beschwerdegericht getroffenen Entscheidung über eine sofortige Beschwerde nach § 99 Abs. 2 ZPO geführt hat, zulässig und begründet war.
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. September 2022 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, den Richter Dr. Grüneberg sowie die Richterinnen Dr. Menges, Dr. Derstadt und Ettl
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 16. Februar 2022 aufgehoben.
Die Anhörungsrüge der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2021 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Der Gegenstandswert beträgt bis zu 2.000 €.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten über die Pflicht zur Tragung der Prozesskosten nach einem Teil-Anerkenntnisurteil.
2
Die Beklagte wurde in einem anderen Rechtsstreit durch ein gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Urteil zur Zahlung von 22.333,20 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Um aus diesem Urteil vollstrecken zu können, ließ die Klägerin der Beklagten eine Prozessbürgschaft der Sparkasse W. (künftig: Sparkasse W.) vom 16. März 2020 über einen Betrag in Höhe von 27.739 € zustellen. Die Beklagte wies diese Bürgschaft wegen unrichtiger Bezeichnung des Bürgschaftsgläubigers zurück. Eine neue Prozessbürgschaft der Sparkasse W. vom 30. März 2020 wurde der Beklagten am 9. April 2020 zugestellt. Auch diese Bürgschaftsurkunde wurde von der Beklagtenseite als ungenügend gerügt, weil sie nicht erkennen lasse, von welchen Mitarbeitern der Sparkasse W. sie unterschrieben worden sei.
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Schließlich kamen die Parteien überein, dass die Beklagte zur Abwendung der Zwangsvollstreckung selbst Sicherheit leistet. Das erfolgte durch Zustellung einer Prozessbürgschaft zur Vollstreckungsabwendung.
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Mit Schreiben vom 8. Mai 2020 teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit, dass die Prozessbürgschaften vom 16. und 30. März 2020 trotz entsprechender Zusage und Klageandrohung weder der Klägerin noch der Sparkasse W. vorlägen. Im letzten Absatz dieses Schreibens heißt es: "Wir können nicht so recht nachvollziehen, welchen Vorteil es Ihrer Mandantin bringt, die Bürgschaften nicht herauszugeben. Sollten diese in Verlust geraten sein, wird darum gebeten, umgehend schriftlich zu bestätigen, dass aus den beiden vorerwähnten Prozessbürgschaften keine Rechte hergeleitet werden."
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Mit weiterem Schreiben vom 23. Juni 2020 an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hin, dass die Bürgschaften trotz mehrfach geäußerter Bitte noch immer nicht im Original an die Sparkasse W. zurückgegeben worden seien. Statt einer Herausgabe bzw. Übersendung an die Bürgin komme auch eine Herausgabe an die Klägerin oder ihren Prozessbevollmächtigten zwecks Weiterleitung an die Bürgin in Betracht. Zur Klaglosstellung werde eine letzte Frist bis zum 30. Juni 2020 gesetzt, um die Bürgschaften herauszugeben oder rechtsverbindlich und vorbehaltlos zu erklären, dass die Beklagte aus den Bürgschaften keinerlei Rechte herleite.
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Nachdem die Gegenseite auf beide Schreiben nicht reagiert hatte, wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit E-Mail vom 14. Juli 2020 erneut an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten. In der E-Mail heißt es unter anderem: "Ich halte einen Rechtsstreit auf Herausgabe für entbehrlich, frage mich aber ernstlich, was Ihre Mandantin damit bezweckt, die Bürgschaften nicht herauszugeben. Die Sparkasse wiederum ist nicht gewillt, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie benötigt zumindest eine Erklärung des beigefügten Musters. Vielleicht können Sie sich trotz Urlaubs dafür einsetzen, dass es hier nicht zu unnötigen Weiterungen kommt."
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Als auch daraufhin nichts geschah, hat die Klägerin im September 2020 Klage auf Herausgabe der Bürgschaft vom 30. März 2020 an die Sparkasse W. und Zahlung von 244,20 € erhoben. Nach Zustellung der Klageschrift hat die Beklagte den Herausgabeanspruch unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt. Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Teil-Anerkenntnisurteil zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde vom 30. März 2020 an die Sparkasse W. verurteilt und die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten. Nachfolgend hat das Amtsgericht mit Schlussurteil die Zahlungsklage abgewiesen und sämtliche Kosten des Rechtsstreits gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO der Beklagten auferlegt, weil die Voraussetzungen des § 93 ZPO nicht vorlägen, da die Beklagte Veranlassung zur Klage gegeben habe.
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Gegen diese Kostengrundentscheidung, soweit sie die Kosten aus dem anerkannten Teil des Rechtsstreits betrifft, hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Nach der Erteilung von zwei Hinweisen an die Parteien hat das Landgericht die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 8. Juli 2021 zurückgewiesen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Beklagten auferlegt und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Voraussetzungen des § 93 ZPO lägen nicht vor, da die Beklagte Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben habe, indem sie auf die Schreiben der Klägerin nicht reagiert habe und die Klägerin daher davon habe ausgehen müssen, dass die Beklagte die Bürgschaftsurkunde nicht "freiwillig" herausgeben werde. Zumindest sei es der Beklagten in diesem speziellen Fall aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass es sich bei dem Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde um eine Holschuld handele und es daher für die wirksame Geltendmachung des Herausgabeanspruchs an einer Mitwirkungshandlung der Klägerin gefehlt habe. Denn der Klägervertreter habe dreimal dringend um Herausgabe der Urkunden gebeten, ohne dass hierauf reagiert worden sei, obwohl es im Geschäftsverkehr unüblich sei, Urkunden abzuholen sowie drei Schreiben des Vertragspartners unbeantwortet zu lassen, in denen dieser um Aufklärung und weitere Stellungnahme bitte. Die Rechtsbeschwerde sei nicht zuzulassen, weil es sich um eine Entscheidung handele, die den konkreten Einzelfall betreffe.
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Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO erhoben und die drei Richter, die den Beschluss vom 8. Juli 2021 gefasst haben, wegen Befangenheit abgelehnt.
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Nach Rücknahme des Ablehnungsgesuchs in Bezug auf einen zwischenzeitlich aus der Kammer ausgeschiedenen Richter hat das Landgericht zunächst das Ablehnungsgesuch im Übrigen für begründet erklärt und mit Beschluss vom 16. Februar 2022 (1.) den Beschluss des Landgerichts vom 8. Juli 2021 und die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts, soweit die Kosten des sofortigen Anerkenntnisses betroffen sind, aufgehoben, (2.) die Kosten des Rechtsstreits bezüglich des sofortigen Anerkenntnisses einschließlich des Beschwerdeverfahrens der Klägerin auferlegt und (3.) die Rechtsbeschwerde zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Belang - im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Anhörungsrüge sei zulässig und begründet. Die Kammer sei in ihrem Beschluss vom 8. Juli 2021 richtigerweise von einer Holschuld ausgegangen und habe lediglich aufgrund der besonderen Umstände im vorliegenden Fall eine abweichende Verantwortlichkeit der Beklagten gesehen. Dabei habe sich die Kammer unter anderem auf die Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr und einen etwaigen Handelsbrauch gestützt. Allerdings seien die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss vom 8. Juli 2021 völlig neu und für die Parteien überraschend gewesen. Darin liege ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör, der auch entscheidungserheblich sei. Aufgrund der begründeten Anhörungsrüge sei das Verfahren fortzusetzen und über die ursprüngliche sofortige Beschwerde zu entscheiden. Diese sei zulässig und begründet, da die Beklagte den Herausgabeanspruch sofort anerkannt und durch ihr Verhalten keinen Anlass zur Erhebung der Klage gegeben habe.
12
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie gemäß den Erfordernissen des § 575 Abs. 1 und 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.
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Die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist für den Senat bindend (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO), ohne dass es darauf ankommt, ob das Beschwerdegericht die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO zutreffend beurteilt hat (BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2008 - XI ZB 24/07, WM 2008, 2201 Rn. 9 und vom 27. April 2021 - VIII ZB 44/20, NJW-RR 2021, 737 Rn. 10 mwN) und ob das Verfahren auf die Anhörungsrüge hin fortgesetzt werden durfte. Zwar bindet in Abweichung von § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO eine verfahrensfehlerhaft erfolgte nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde das Rechtsbeschwerdegericht nicht (BGH, Beschlüsse vom 12. März 2009 - IX ZB 193/08, WM 2009, 1058 Rn. 7 ff., vom 28. Februar 2018 - XII ZB 634/17, NJW-RR 2018, 900 Rn. 7 und vom 18. Oktober 2018 - IX ZB 31/18, BGHZ 220, 90 Rn. 7). Das Beschwerdegericht hat aber nicht lediglich eine isolierte Entscheidung über die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde getroffen. Vielmehr hat die Kammer auf die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin das Verfahren fortgeführt, die sofortige Beschwerde in der Sache geprüft, unter Aufhebung der vorherigen Beschlüsse insgesamt eine neue Entscheidung erlassen und dabei die Rechtsbeschwerde zugelassen. Bei dieser Sachlage ist die neue Entscheidung wirksam zur Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht gestellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2018 - V ZB 6/18, WM 2018, 1900 Rn. 4 und vom 18. Oktober 2018, aaO).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerhaft von der Begründetheit der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO ausgegangen.
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a) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts, auf die Anhörungsrüge der Beklagten hin das Verfahren fortzuführen, ist vom Rechtsbeschwerdegericht daraufhin zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2016 - IX ZR 197/15, WM 2016, 2147 Rn. 8 ff. und Beschluss vom 24. Februar 2022 - V ZB 59/21, NJW-RR 2022, 805 Rn. 7 mwN).
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b) Die Anhörungsrüge der Beklagten ist gemäß § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft gewesen, weil der Beschluss vom 8. Juli 2021, mit dem die sofortige Beschwerde der Beklagten nach § 99 Abs. 2 ZPO gegen die Entscheidung des Amtsgerichts über die Kosten des anerkannten Klageantrags zurückgewiesen worden ist, unanfechtbar war. In Bezug auf eine solche Entscheidung ist im Gesetz eine Rechtsbeschwerde nicht vorgesehen und das Beschwerdegericht hatte die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO). Die Beklagte hat die Anhörungsrüge auch form- und fristgemäß eingelegt (§ 321a Abs. 2 Satz 1, 4 und 5 ZPO).
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c) Allerdings hat das Beschwerdegericht zu Unrecht angenommen, der Beschluss vom 8. Juli 2021 verletze den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise.
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aa) Das Beschwerdegericht ist in diesem Beschluss in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Beklagten und den Ausführungen im ersten Hinweisschreiben vom 17. Mai 2021 davon ausgegangen, dass es sich bei dem Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde um eine Holschuld handelt und die Beklagte sich hier mit ihrer Herausgabepflicht nicht in Schuldnerverzug befunden hat, weil die Klägerin nicht nachgefragt hat, wann sie die Urkunde abholen könne, und auch nicht angeboten hat, die Kosten und die Gefahr der Rücksendung zu tragen.
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bb) Die Ausführungen in dem Beschluss vom 8. Juli 2021 zu den Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr und einem etwaigen Handelsbrauch waren nicht völlig neu und für die Parteien überraschend. Denn bereits im ersten Hinweisschreiben vom 17. Mai 2021 hatte das Beschwerdegericht darauf abgestellt, dass es gerade im Geschäftsverkehr völlig unüblich sei, Urkunden abzuholen, und sich deshalb die unterbliebene Reaktion der Beklagten auf das Herausgabeverlangen als treuwidrig darstellen könnte, zumal beide Parteien Kaufleute seien und es im Geschäftsverkehr unüblich sei, drei Schreiben des Vertragspartners unbeantwortet zu lassen und diesen dadurch in die Kosten eines Prozesses zu treiben. Im zweiten Hinweisschreiben vom 9. Juni 2021 hat das Beschwerdegericht erneut darauf abgestellt, dass auf drei Schreiben nicht reagiert worden sei, obwohl erkennbar gewesen sei, dass die Klägerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter keine Erklärung dafür gehabt habe, dass die Urkunde nicht, wie im Geschäftsverkehr heute üblich, übersandt worden sei.
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Soweit in dem Beschluss vom 8. Juli 2021 zusätzlich ausgeführt wird, dass die Beklagte gemäß § 346 HGB auf Gewohnheiten und Gebräuche im Handelsverkehr Rücksicht zu nehmen hatte, handelt es sich nur um eine sprachliche Ergänzung der Erwägungen aus den beiden vorherigen Hinweisschreiben, aber nicht um ein neues Argument.
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cc) Das Beschwerdegericht hat mit seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 auch kein weiteres Vorbringen der Beklagten gehörswidrig übergangen.
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Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, NJW 2021, 50 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 1. April 2014 - XI ZR 276/13, WM 2014, 989 Rn. 12 und vom 23. August 2016 - VIII ZR 79/15, ZfBR 2016, 783 Rn. 2 ff., jeweils mwN). Art. 103 Abs. 1 GG schützt aber nicht davor, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt, etwa weil es nach Ansicht des erkennenden Gerichts für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist (BVerfGE 96, 205, 216; BVerfG, NJW 2015, 1746 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 1. April 2014 - XI ZR 171/12, BKR 2014, 295 Rn. 11). Ferner gibt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf, dass sich das Gericht mit dem Vorbringen einer Partei in der Weise auseinandersetzt, die sie selbst für richtig hält, oder dass das Gericht ihrer eigenen rechtlichen Würdigung folgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - IX ZR 32/10, juris Rn. 4, vom 21. April 2016 - I ZB 7/15, WM 2016, 1710 Rn. 22 und vom 23. August 2016, aaO Rn. 3 sowie Urteil vom 15. Februar 2017 - VIII ZR 284/15, juris Rn. 18, jeweils mwN).
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Nach diesen Maßgaben beruht der Beschluss vom 8. Juli 2021 nicht auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, auch wenn er nicht auf alle Argumente der Beklagten im Einzelnen eingeht.
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Das Beschwerdegericht hat in diesem Beschluss das Vorbringen der Beklagten zutreffend dahingehend zusammengefasst, dass es im Rahmen von § 93 ZPO allein darauf ankomme, ob sich die Beklagte bei Einreichung der Klage in Schuldnerverzug befunden habe. Dagegen hat das Beschwerdegericht - anders als von der Anhörungsrüge geltend gemacht - nicht angenommen, aus einem Bauvertrag ergebe sich eine Aufklärungspflicht darüber, dass es sich bei der Verpflichtung zur Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde um eine Holschuld handele, oder die Beklagte sei verpflichtet gewesen, der Klägerin Rechtsrat zu erteilen. Das Beschwerdegericht ist nur von einer aus den geschäftlichen Gepflogenheiten folgenden nachvertraglichen Obliegenheit der Beklagten ausgegangen, auf die wiederholten Schreiben der Klägerin nicht einfach zu schweigen, sondern sich dazu zu äußern, aus welchem (tatsächlichen) Grund sie bisher die Bürgschaftsurkunde nicht an die Sparkasse W. geschickt hat, beispielsweise durch eine kurze Rückmeldung der Beklagten selbst oder ihres Prozessbevollmächtigten, dass die Urkunde zur Abholung bereitgehalten werde.
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Das Berufungsgericht war ferner nicht gehalten, sich ausdrücklich mit dem Urteil des LG Berlin vom 19. Juni 2013 (85 S 70/13, juris) auseinanderzusetzen, da im dortigen Verfahren ein Schadensersatzanspruch aus Verzug, gerichtet auf Erstattung von Avalkosten, in Rede stand, während es vorliegend darum geht, ob die Beklagte Veranlassung zur Herausgabeklage im Sinne von § 93 ZPO gegeben hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt eine Partei Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO, wenn ihr Verhalten vor dem Prozess aus der Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (BGH, Urteil vom 27. Juni 1979 - VIII ZR 233/78, WM 1979, 884, 885 sowie Beschlüsse vom 8. März 2005 - VIII ZB 3/04, NJW-RR 2005, 1005, 1006 und vom 16. Januar 2020 - V ZB 93/18, NJW 2020, 1442 Rn. 8). Diese Voraussetzung ist - entgegen der Argumentation der Beklagten - nicht pauschal mit dem Schuldnerverzug gemäß § 286 BGB gleichzusetzen, sondern es können auch die weiteren Umstände des Einzelfalls von Bedeutung sein (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 1966 - II ZR 176/63, WM 1966, 577, 580, vom 27. Juni 1979, aaO S. 885 f. und vom 22. März 1989 - VIII ZR 154/88, NJW 1989, 1673, 1675 sowie Beschlüsse vom 3. März 2004 - IV ZB 21/03, WM 2004, 833, 834, vom 16. Mai 2006 - XI ZB 20/05, juris Rn. 8, vom 30. Mai 2006 - VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57 Rn. 10 f. und vom 16. Januar 2020, aaO Rn. 8 f.).
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dd) Schließlich beruht auch die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss vom 8. Juli 2021 nicht auf einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, sondern nur auf einer abweichenden rechtlichen Beurteilung des Beschwerdegerichts. Denn dieses hat darauf abgestellt, dass die Entscheidung den konkreten Einzelfall betreffe und deshalb keine grundsätzliche Bedeutung habe.
29
d) Für die Begründetheit der Anhörungsrüge unerheblich ist, ob die rechtliche Würdigung des Beschwerdegerichts im Beschluss vom 8. Juli 2021 im Übrigen rechtsfehlerhaft oder sogar - wie von der Beklagten mit der Anhörungsrüge geltend gemacht - nicht nachvollziehbar, denkgesetzwidrig und willkürlich ist. Denn § 321a ZPO eröffnet ausschließlich die Möglichkeit, einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör geltend zu machen, während andere Rechtsverletzungen nach § 321a ZPO nicht gerügt werden können (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. April 2016 - IX ZR 197/15, WM 2016, 2147 Rn. 13, 22 mwN und vom 23. August 2016 - VIII ZR 79/15, ZfBR 2016, 783 Rn. 2).
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