Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 06.09.2023 · IWW-Abrufnummer 237241

    Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 12.06.2023 – 3 W 23/23

    Bei einem Mietvertrag, der eine Nutzungsänderung des Mietobjektes vorsieht und hinsichtlich dessen der Vermieter eine Baugenehmigung beschaffen muss, besteht gemäß § 242 BGB ein Anspruch auf Herausgabe einer Kopie der Baugenehmigung durch den Vermieter, damit der Mieter sich selbst davon überzeugen kann, ob nun eine Baugenehmigung erteilt wurde oder nicht und er die Räume entsprechend nutzen kann.


    In Sachen
    ...
    - Kläger und Beschwerdeführer -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ...
    gegen
    ...
    - Beklagter und Beschwerdegegner -
    Prozessbevollmächtigte:
    Rechtsanwälte ...
    hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 3. Zivilsenat -
    durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick, die Richterin am Oberlandesgericht Tournay und die Richterin am Oberlandesgericht Moraht am 12.06.2023
    beschlossen:
    Tenor:

        1.

        Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 27.12.2022 abgeändert.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

        2.

        Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
        3.

        Wert des Beschwerdeverfahrens: bis zu 4.000 €

    Gründe

    I.

    Der Kläger und der Beklagte schlossen am 24. März 2020 rückwirkend zum 01. März 2020 einen Mietvertrag über Flächen im Erdgeschoss, im 1. Obergeschoss und über Nebenflächen im Untergeschoss in der ("Straße" 22) in ("Ort"). Als ausschließlicher Mietzweck war die Nutzung zum Betrieb einer Arztpraxis für konservative Kardiologie und gleichgelagerte Therapieformen vereinbart. Zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses war für das 1. Obergeschoss noch keine Baugenehmigung für die Nutzung als Praxisräume vorhanden.

    In § 2.2. des Mietvertrages verpflichtete sich der Beklagte als Eigentümer und Vermieter deshalb "die Nutzbarkeit der Flächen im 1. Obergeschoss zum vereinbarten Mietzweck bis zum 31. Dezember 2020 zu gewährleisten".

    Die Parteien hatten zunächst den vom Kläger für die Planung seiner Praxis eingesetzten Architekten beauftragt, einen Bauantrag auf Genehmigung der Nutzungsänderung zu stellen. Vor Vertragsschluss wurde daraufhin im Februar 2020 die Nutzungsänderung der Flächen im Erdgeschoss genehmigt. Mit der Erarbeitung des Bauantrags für das 1. Obergeschoss beauftragte der Beklagte eine andere Architektin.

    Der Kläger hat mit der Klage zunächst beantragt, den Beklagten auf Herausgabe einer Kopie der bestandskräftigen Baugenehmigung für das 1. Obergeschoss zum Zwecke der Nutzung als kardiologische Praxis, hilfsweise auf Erwirkung einer solchen zu verurteilen.

    Nachdem der Beklagte gegenüber dem Kläger die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen hat, haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

    Das Landgericht hat mit Beschluss vom 27.12.2022 die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage wäre unbegründet gewesen. Ein Anspruch auf Herausgabe der Baugenehmigung habe dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zugestanden.

    Ein solcher folge nicht unmittelbar aus dem Mietvertrag, insbesondere nicht aus § 2.2. des Vertrages. Dem Wortlaut lasse sich eine solche nicht entnehmen. Der Kläger habe auch kein besonderes Interesse an der Herausgabe, da er Gewährleistungsrechte aufgrund einer fehlenden Baugenehmigung ohnehin nur geltend machen könne, wenn er in seinem vertragsgemäßen Gebrauch tatsächlich eingeschränkt wäre. Dies wäre erst dann der Fall, wenn die Behörde die Nutzung bereits untersagt hätte. Er brauche eine Einsicht in die Genehmigungsunterlagen auch nicht, um seiner mietvertragliche Pflicht auf Erstellung von Flicht- und Rettungswegplänen nachkommen zu können. Ihm habe eine Herausgabepflicht deshalb auch nicht als vertragliche Nebenpflicht (§ 242 BGB) zugestanden. Er habe kein schutzwürdiges Interesse an der Herausgabe. Schließlich sei auch kein Anspruch aus § 810 Fall 1 BGB gegeben.

    Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Erwirkung der erforderlichen Genehmigung habe nicht bestanden. Es sei davon auszugehen, dass der Anspruch durch Erfüllung erloschen sei.

    Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

    Es habe zwar keine ausdrückliche Vereinbarung dahingehend gegeben, dass die bestandskräftige Baugenehmigung herausgegeben werde. Diese Verpflichtung ergebe sich aber aus dem Mietvertrag. Der Beklagte sei nach der ausdrücklichen mietvertraglichen Vereinbarung zur Erwirkung der Genehmigung verpflichtet gewesen. Der Kläger hätte als Mieter die Nutzung des ersten Obergeschosses als Praxis ohne Vorliegen einer Genehmigung gar nicht aufnehmen dürfen, da er sonst eine Ordnungswidrigkeit und/oder Nutzungsuntersagung riskiert hätte. Schon deshalb habe er ein berechtigtes Interesse an einem Nachweis darüber, dass die Genehmigung auch tatsächlich erteilt wurde.

    Auch wäre er, falls eine Genehmigung nicht vorgelegen habe, zur Minderung berechtigt gewesen, was ebenfalls sein Interesse begründet habe.

    II.

    Die nach §§ 567 ff ZPO zulässige Beschwerde des Klägers hat auch in der Sache Erfolg.

    Es entspricht der Billigkeit, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits trägt (§ 91 a ZPO), da die Klage voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

    Der Kläger hatte einen Anspruch auf Vorlage der Baugenehmigung über die Änderung der Nutzung des 1. Obergeschosses. Dieser ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Mietvertrag, aber aus § 242 BGB.

    1.

    § 242 BGB dient als Grundlage für Auskunftsansprüche- und Rechenschaftsansprüche, soweit nicht - wie hier der Fall - einzelne Anspruchsgrundlagen in der Kodifikation vorhanden sind. Die Rechtsprechung gewährt auf Basis des § 242 BGB im Einzelfall Auskunftsansprüche, wenn eine besondere rechtliche Beziehung zwischen dem Auskunftsfordernden und dem Inanspruchgenommenen besteht und wenn es das Wesen des Rechtsverhältnisses mit sich bringt, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang seiner Rechte im Ungewissen, der Inanspruchgenommene aber in der Lage ist, die verlangte Auskunft unschwer zu erteilen (so BGH NJW 1980, 2463 [BGH 07.05.1980 - VIII ZR 120/79]). Jede Partei ist nach Treu und Glauben verpflichtet, die andere über ihr bekannte Umstände aufzuklären, die für das Zustandekommen des Vertrages, seine ordnungsgemäße Durchführung oder überhaupt für die Erreichung des Vertragszwecks von entscheidender Bedeutung sind (BGH NJW 2010, 3362 [BGH 11.08.2010 - XII ZR 192/08]). "Ob" und "Wie" der Auskunftserteilung unterliegen einer umfassenden Zumutbarkeits- und Interessenabwägung. Entstehen bei Vertragsdurchführung bestimmungsgemäß bei einer Partei Unterlagen, an deren Kenntnis der andere ein schutzwürdiges Interesse hat, so hat diese einen Anspruch auf Vorlegung und Einsicht (Jauernig/Mansel, 18. Aufl. 2021, BGB, § 242, Rn 22).

    2.

    Nach den genannten Grundsätzen war der Beklagte hier aus Treu und Glauben verpflichtet, die Baugenehmigung vorzulegen und damit nachzuweisen, dass die Nutzungsänderung genehmigt worden ist.

    a)

    Der Senat geht zwar nicht davon aus, dass das Nichtvorliegen der Genehmigung den Kläger berechtigt hätte, die Miete zu mindern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes können auch behördliche Gebrauchshindernisse und - beschränkungen die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch in einer Weise aufheben oder mindern, dass sie einen Mangel im Sinne von § 536 BGB begründen. Diese Voraussetzung ist aber regelmäßig erst dann erfüllt, wenn die zuständige Behörde die Nutzung bereits untersagt hat (BGH, XII ZR 77/12, Urteil vom 20.11.2013). Dies ist hier nicht geschehen. Der Kläger hat unabhängig vom Vorliegen der Genehmigung die Räumlichkeiten zum vereinbarten Zweck genutzt. Dementsprechend kann er sich auch nicht darauf berufen, er habe deshalb ein Interesse an der Einsicht in die Genehmigung, um überprüfen zu können, ob und in welcher Höhe ihm Rückforderungsansprüche zustehen.

    b)

    Der Kläger hatte aber dennoch ein berechtigtes Interesse an der Vorlage der Genehmigung.

    Zwischen den Parteien bestand eine Sonderverbindung aufgrund des Mietvertrages. Bei Mietvertragsabschluss bestand die Genehmigung unstreitig noch nicht. Im Mietvertrag hat sich der Beklagte ausdrücklich zur Beschaffung der Nutzungsänderungsgenehmigung binnen einer bestimmten Frist verpflichtet. Nach § 59 BbgBauO ist bei der Nutzungsänderung von baulichen Anlagen eine Baugenehmigung verpflichtend. Nach § 83 Abs. 2 Satz 1, Abs 3 BbgBauO darf eine bauliche Anlage erst nach Anzeige der beabsichtigen Aufnahme der Nutzung benutzt werden. Nach § 85 BbgBauO ist es eine Ordnungswidrigkeit, eine bauliche Anlage ohne die erforderliche Baugenehmigung (§ 59 Abs 1 BbgBauO) zu nutzen. Die Verschaffung der Genehmigung und deren Erteilung war damit ersichtlich ein für den Vertrag und dessen Durchführung wesentlicher Umstand. Für den Kläger war es - für den Beklagten erkennbar - nach Ablauf der vereinbarten Frist von entscheidender Bedeutung, Kenntnis darüber zu erlangen, dass und in welchem Umfang eine Baugenehmigung für die Nutzung der Räume als Praxis erteilt worden ist. Es war ihm nicht zuzumuten, nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Beschaffungsfrist im Ungewissen darüber belassen zu werden, ob die öffentlichen rechtlichen Vorschriften für eine Nutzung der Räume zum vertraglich vereinbarten Zweck eingehalten wurden, wenn er - als Nutzer der Räume - ohne das Vorliegen der Genehmigung ordnungswidrig handelte. Er musste sich auch nicht auf die - für ihn nicht nachprüfbare - Erklärung des Beklagten, die Unterlagen lägen vor, verlassen. Gewissheit darüber, ob der Beklagte tatsächlich seine Verpflichtung eingehalten hat, konnte er nur durch eine Einsicht in die Genehmigung erlangen. Es war auch für den Beklagten auch zumutbar, diese vorzulegen. Es ist kein besonderes Interesse des Beklagten an der Geheimhaltung der Unterlagen, die ein Vorhaben genehmigen sollten, dass im Interesse beider Parteien lag, ersichtlich. Die Vorlage der Genehmigung wäre dem Beklagten unschwer möglich gewesen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

    Die Festsetzung des Beschwerdewerts richtet sich nach der Höhe der erstinstanzlich entstandenen Kosten, berechnet nach dem vom Ausgangsgericht festgesetzten Streitwert von 8.550 €.