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  • 30.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239363

    Verfassungsgerichtshof Sachsen: Beschluss vom 30.08.2023 – Vf. 40-IV-23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Verfassungsgerichtshof Sachsen 

    Beschluss vom 30.08.2023

    Vf. 40-IV-23 (HS)

    In dem Verfahren
    über die Verfassungsbeschwerde
    des Herrn K., vertreten durch den Betreuer M.,
    Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt xxx,
    hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes xxx, den Richter xxx, die Richterinnen xxx, xxx und die Richter xxx,xxx, xxx, xxx und xxx am 30. August 2023 beschlossen:

    Tenor:

    Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

    Gründe

    I.

    Mit seiner am 24. Juli 2023 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. Februar 2023 (146 C 757/22) sowie den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 26. Juni 2023 (4 S 88/23).

    Der Beschwerdeführer ist seit 2010 Mieter einer Wohnung der S. GmbH (im Folgenden: Vermieterin). Nach am 7. Januar 2022 erteilter Abmahnung wegen Lärmstörungen wurde das Mietverhältnis gegenüber dem Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2022, gekündigt und eine Frist zur Räumung der Wohnung bis zum 11. Februar 2022 gesetzt.

    Mit Schreiben vom 4. März 2022 erhob die Vermieterin beim Amtsgericht Dresden Klage auf Herausgabe und Räumung der Wohnung und erklärte erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. November 2022. Zur Begründung führte sie neben anhaltenden konkret bezeichneten Lärmstörungen an, dass der Beschwerdeführer Beschädigungen an der Mietsache vorgenommen, Beauftragten der Vermieterin Zutritt zur Wohnung verweigert sowie diese bedroht habe. Die Vermieterin wiederholte die Erklärung der fristlosen Kündigung, hilfsweise fristgemäßen Kündigung zum 31. März 2023, mit Schreiben vom 28. Juni 2022.

    Mit angegriffenem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 9. Februar 2023 wurde der Beschwerdeführer verurteilt, die Wohnung zu räumen und an die Vermieterin herauszugeben; ihm wurde eine Räumungsfrist bis zum 30. April 2023 gewährt. Das Mietverhältnis sei aufgrund der fristlosen Kündigung vom 28. Juni 2022 beendet worden. Die vorausgegangene Kündigung aus der Klageschrift sei als Abmahnung im Sinne des § 543 Abs. 3 BGB zu werten. Der Beschwerdeführer habe ungeachtet vorheriger Abmahnungen den Hausfrieden und seine Nachbarn derart systematisch, wiederholt und nachhaltig gestört, dass der Vermieterin eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er leide unter einer psychischen Krankheit im Sinne des Betreuungsrechts, weswegen die Geschäftsfähigkeit und die Fähigkeit zur freien Willensbildung aufgehoben seien, fehle es an der gebotenen Substanz. Er habe nicht dargelegt, seit wann er an welcher psychischen Erkrankung leide. Nicht jede psychische Erkrankung beeinträchtige zu jeder Zeit die Geschäftsfähigkeit. Überdies hänge das Durchgreifen der fristlosen Kündigung nicht davon ab, dass der in den Kündigungen beschriebene Sachverhalt im Sinne eines schuldhaften Verhaltens vom Beschwerdeführer zu vertreten sei, sodass auch Mietverhältnisse mit psychisch kranken oder schuldunfähigen Mietern nach § 543 Abs. 1 BGB fristlos gekündigt werden könnten, wenn sich aus der Gesamtschau ergebe, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach allen Umständen nicht mehr zumutbar sei. So liege der Fall hier, nachdem der als Zeuge vernommene Nachbar vor den durch den Beschwerdeführer verursachten Lärmbelästigungen "die Flucht ergriffen" habe und umgezogen sei.

    Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht Dresden mit angegriffenem Beschluss vom 26. Juni 2023 unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 23. Mai 2023 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Soweit der Beschwerdeführer einwende, das Amtsgericht habe seinen Gesundheitszustand nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt, habe die Kammer im Hinweisbeschluss bereits ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine ausreichenden Tatsachen zu seinem Gesundheitszustand, seinen Einschränkungen und den Hindernissen, die die Suche nach einer neuen Wohnung bedingten, vorgetragen habe. Der Verweis auf den Grad der Behinderung und die Beiziehung der Betreuungsakte genügten nicht, um von seiner Schuldunfähigkeit auszugehen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass bereits bei der Begründung des Mietverhältnisses eine psychische Erkrankung vorgelegen habe, die im Zeitraum von 2010 bis 2021 keinen Anlass gegeben habe, eine Abmahnung oder Kündigung auszusprechen. Die Kündigung psychisch kranker oder schuldunfähiger Mieter sei problematisch, aber nicht ausgeschlossen. Zwar sei eine fristlose Kündigung in der Regel nur gerechtfertigt, wenn der Gekündigte den Kündigungsgrund schuldhaft verursacht habe, denn ein schuldloses Verhalten könne bei verständiger Würdigung der Umstände nicht zu einer nachhaltigen Vertrauensstörung führen. Dies gelte jedoch nicht absolut, weil die Vertrauensstörung nicht der einzige Grund sei, aus dem eine Vertragsfortsetzung unzumutbar sein könne. Bei Schuldlosigkeit müsse das Maß des Zumutbaren in einer Weise überschritten sein, dass die fehlende oder eingeschränkte Verantwortlichkeit des Mieters zurücktrete. Im Rahmen dieser Abwägungen seien die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, und die daraus folgende erhöhte Toleranzbereitschaft ebenso zu beachten wie die Folgen einer Vertragsfortsetzung für den Vermieter. Anderseits seien die Folgen einer Vertragsbeendigung für die nicht oder nur eingeschränkt verantwortlichen Mieter zu bedenken, wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche oder eine Suizidgefährdung. Auch wenn man unterstelle, die psychische Erkrankung des Beschwerdeführers führe dazu, dass er nicht in der Lage sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen, sei hier die Zumutbarkeitsgrenze deutlich überschritten, denn das störende Verhalten des Beschwerdeführers zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten führe dazu, dass sich andere Mieter des streitgegenständlichen Objekts gestört fühlten und das Mietverhältnis beendet hätten. Die Vermieterin habe dargelegt, dass eine Neuvermietung der angrenzenden Wohnungen zum Beschwerdeführer nicht habe erfolgen können, weil das störende Verhalten auch nach Ausspruch der Kündigungen fortgesetzt werde. Dies führe zu finanziellen Belastungen der Vermieterin, die der Beschwerdeführer aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht auszugleichen vermöge. Überdies gehe die Häufigkeit und die Intensität der Störungen insbesondere in den Nachtstunden über das normale Maß der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter hinaus.

    Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots gemäß Art. 18 Abs. 1 SächsVerf i.V.m. dem Staatsziel aus Art. 7 Abs. 2 SächsVerf sowie der Rechtsschutzgarantie aus Art. 38 SächsVerf. Im Hinblick auf die spezifischen Belange behinderter Menschen habe das Sozialstaatsprinzip besonderen Ausdruck in der Staatszielbestimmung des Art. 7 Abs. 2 SächsVerf gefunden. Die Unterstützung behinderter Menschen könne auch darin bestehen, dass ordentliche Gerichte die Anforderungen bei der Darlegungs- und Beweislast einer behinderten Partei nicht überspannen dürften. Diese Grundsätze seien durch das Amtsgericht und das Landgericht verkannt worden, indem sie insbesondere im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau nach § 543 BGB keinerlei Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und einer daraus gegebenenfalls resultierenden Schuldunfähigkeit getroffen hätten. Das Amtsgericht habe hierzu erstmals im Endurteil weitergehenden Vortrag gefordert. Das Landgericht habe übersehen, dass er aufgrund seiner Erkrankung selbst keine Angaben zu seinem Gesundheitszustand machen könne. Dem bereits in der ersten Instanz unterbreiteten Beweisangebot, ein Sachverständigengutachten zum Gesundheitszustand einzuholen, sei keines der Gerichte nachgegangen. Ohne Feststellungen hierzu sei eine ordnungsgemäße Gesamtschau nach § 543 BGB unmöglich. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes erfordere es auch, dass ihm keine Nachteile daraus resultieren dürften, dass er selbst aus eigenen Kräften nicht in der Lage sei, darzulegen, in welchem Gesundheitszustand er sich derzeit befinde, ob sich dieser verschlechtert habe und aus welchem Grund es zu einer Häufung von Ruhestörungen gekommen sei. Die Anforderungen an substantiierten Sachvortrag könnten daher nicht so hoch wie bei nichtbehinderten Parteien angesetzt werden und es müsse auch eher einem Beweisangebot nachgegangen werden.

    Der Verfassungsgerichtshof lehnte den gleichzeitig mit der Verfassungsbeschwerde gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 3. August 2023 - Vf. 41-IV-23 (e.A.) - ab.

    Das Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung hat Gelegenheit gehabt, zum Verfahren Stellung zu nehmen.

    II.

    Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den Begründungsanforderungen aus Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf, § 27 Abs. 1 und § 28 SächsVerfGHG entspricht.

    1. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf i.V.m. § 27 Abs. 1 und § 28 SächsVerfGHG ist eine Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung eigener Grundrechte aus der Verfassung des Freistaates Sachsen darlegt. Hierzu muss er den Lebenssachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, aus sich heraus verständlich wiedergeben und im Einzelnen aufzeigen, welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme nicht gerecht werden soll (SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Oktober 2022 - Vf. 15-IV-21; Beschluss vom 23. Februar 2010 - Vf. 114-IV-09; st. Rspr.).

    Wird ein Grundrechtsverstoß durch Verletzung des von den Fachgerichten auszulegenden und anzuwendenden Rechts gerügt, ist darüber hinaus darzulegen und zu begründen, dass und wodurch der Richter die Bedeutung verfassungsbeschwerdefähiger Rechte für den seiner besonderen fachlichen Kompetenz zugewiesenen Normenbereich verfehlt, etwa die Grundrechtsrelevanz der von ihm zu entscheidenden Frage überhaupt nicht gesehen, den Gehalt des maßgeblichen Grundrechts verkannt oder seine Auswirkungen auf das einfache Recht in grundsätzlich fehlerhafter Weise missachtet hat (SächsVerfGH, Beschluss vom 18. August 2022 - Vf. 71-IV-21; Beschluss vom 11. April 2018 - Vf. 160-IV-17; st. Rspr.).

    2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeschrift nicht gerecht.

    Diese berücksichtigt an keiner Stelle die umfangreichen Ausführungen des Landgerichts zu den besonderen - aus den Grundrechten erwachsenden erhöhten - Voraussetzungen einer Kündigung psychisch kranker oder schuldunfähiger Mieter. Überdies setzt sich der Beschwerdeführer nicht mit der durch das Landgericht vorgenommenen Abwägung im angegriffenen Beschluss - unter Einbeziehung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG - auseinander, dass selbst bei Unterstellung der Schuldlosigkeit des Beschwerdeführers aufgrund seiner psychischen Erkrankung hinsichtlich der Häufigkeit und der Intensität der Störungen die Zumutbarkeitsgrenze dessen überschritten sei, was das normale Maß der erhöhten Toleranzbereitschaft gegenüber einem psychisch kranken Mieter verlange. Vielmehr beschränkt er sich auf die Wiederholung der eigenen abweichenden einfach-rechtlichen Auffassung, ohne sich auf verfassungsrechtlicher Ebene konkret mit den angegriffenen Entscheidungen zu befassen. Eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz sowie des Gleichbehandlungsgebots wird lediglich behauptet, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den hierzu entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben erfolgt.

    III.

    Der Verfassungsgerichtshof ist zu dieser Entscheidung einstimmig gelangt und trifft sie daher durch Beschluss nach § 10 Abs. 1 SächsVerfGHG i.V.m. § 24 BVerfGG.

    IV.

    Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG).

    RechtsgebietWohnraummieteVorschriften§ 522 ZPO