04.12.2007 · IWW-Abrufnummer 073717
Bundesgerichtshof: Urteil vom 17.10.2007 – IV ZR 266/06
Die Unwirksamkeit eines Erbverzichts kann erst dann auf die Auslegungsregeln des § 2350 BGB gestützt werden, wenn die Ermittlung des Willens der Verzichtsparteien ohne Erfolg geblieben ist.
Dabei liegt die Beweislast bei demjenigen, der entgegen den Vermutungen des § 2350 BGB aus einem unbedingten Verzicht Rechte herleiten will.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 266/06
Verkündet am:
17. Oktober 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2007
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. September 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Höhe der dem Kläger zustehenden Pflichtteilsquote.
Der Kläger war 1981 durch Testament zum Alleinerben seines Vaters, des am 29. Dezember 2002 verstorbenen Erblassers, eingesetzt worden. 1987 schloss dieser mit seinem zweiten Sohn, dem Bruder des Klägers, einen notariellen "Erbschafts- und Pflichtteilsverzichtsvertrag". Mit notariellem Erbvertrag vom 11. September 2000 setzte der Erblasser den Beklagten, seinen Cousin, zum Alleinerben ein.
Der Kläger will festgestellt wissen, dass ihm nach seinem Vater ein Pflichtteilsanspruch von 50% zustehe. Der Beklagte ist hingegen der Ansicht, der Kläger sei nur zu 25% pflichtteilsberechtigt, da dessen Bruder aufgrund der Unwirksamkeit seines Verzichts bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen sei (§§ 2310, 2350 BGB).
Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht das stattgebende Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Feststellungsklage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts gebührt dem Kläger nur eine Pflichtteilsquote von 25%, da sein Bruder bei der Berechnung des Pflichtteils nach § 2310 Satz 1 BGB mitzuzählen sei. Dessen Erbverzicht sei bereits wegen der Vermutung des § 2350 BGB unwirksam; dem Tatsachenvortrag des Beklagten zur Unterstützung dieser Vermutung habe daher nicht nachgegangen werden müssen. Der Tatsachenvortrag des Klägers gegen einen Erbverzicht unter der Bedingung seiner Erbeinsetzung sei unbeachtlich, weil es insofern auf den Willen beider Vertragsparteien ankomme, ein entsprechender Wille des Erblassers jedoch nicht festgestellt werden könne. Eine teleologische Reduktion des § 2350 BGB sei nicht geboten. Dessen Schutzzweck ziele darauf, eine ungewollte Begünstigung nachfolgender Erbordnungen oder Dritter durch deren verzichtsbedingtes Nachrücken in die Erbenstellung zu verhindern. Auf den Pflichtteilsverzicht finde § 2350 BGB aber keine Anwendung, da er ausschließlich die erbrechtliche Stellung der Beteiligten betreffe; er diene deshalb nicht der Erhaltung oder Erhöhung von Pflichtteilsansprüchen. Bei einer Pflichtteilsquote von 25% verbleibe es auch, wenn man mit dem Landgericht von einer Unwirksamkeit des Erb-, nicht aber des Pflichtteilsverzichts des Bruders ausgehe. Dass dem Beklagten wirtschaftlich 75% des Nachlasses verblieben, sei nicht Rechtsfolge des Erb-, sondern des Pflichtteilsverzichts.
II. Ob diesen Erwägungen des Berufungsgerichts zu § 2350 BGB beizutreten ist, kann offen bleiben; sie sind nicht entscheidungserheblich. Die von ihm gesehene Zulassungsfrage nach der Reichweite des Schutzzwecks dieser Norm stellt sich nicht. Gleichwohl ist der Senat an die Revisionszulassung gebunden (§ 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Das Berufungsurteil ist schon deshalb aufzuheben, weil das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft auch aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers zu einer Abtretung des Pflichtteilsanspruchs seines Bruders nicht berücksichtigt hat bzw. daran anknüpfenden Hinweispflichten (§ 139 ZPO) nicht nachgekommen ist.
1. a) Der Kläger hat erst- und zweitinstanzlich unter Vorlage einer Kopie eines Abtretungsvertrages vom 28. Juli 2004 vorgetragen, dass sein Bruder den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch an ihn abgetreten habe. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit er eingewendet hat, dass die vorgelegte Abtretungsvereinbarung nicht sämtliche zwischen dem Kläger und seinem Bruder getroffenen Absprachen wiedergebe und die Abtretung tatsächlich entgeltlich erfolgt sei, berührt dies die Wirksamkeit nicht. Damit ist die Abtretung als unstreitig zugrunde zu legen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
b) Im Ansatz zutreffend nimmt das Berufungsgericht in seinem auf den Tatbestandsberichtigungsantrag des Klägers ergangenen Beschluss an, dass der Klageantrag ("Es wird festgestellt, dass dem Kläger ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 50% ... zusteht.") den abgetretenen Pflichtteilsanspruch nicht umfasst. Trotz Abtretung handelt es sich weiterhin um einen Pflichtteilsanspruch des Zedenten. Er steht als geldwerter Zahlungsanspruch mit der Abtretung zwar nunmehr dem Zessionar zu, gleichwohl hat er sich durch die Abtretung nicht in der Person des Klägers in dessen eigenen, originären Pflichtteilsanspruch verwandelt, auf den sich der Klageantrag nach seiner insoweit unmissverständlichen Formulierung allein bezieht.
c) Unzutreffend legt das Berufungsgericht im Weiteren allerdings zugrunde, der Kläger habe "deutlich gemacht, dass es aus seiner Sicht auf die Abtretung gerade nicht ankam". Dass der Kläger fälschlich davon ausging, mit dem gestellten Antrag auch den Pflichtteilsanspruch des Bruders erfasst zu haben, kommt sowohl in seinen gerichtlichen als auch außergerichtlichen Schriftsätzen klar zum Ausdruck. Diesen lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass es dem Kläger zu keinem Zeitpunkt auf die bloße Feststellung einer originären Beteiligungsquote am Nachlass, sondern stets auf das daraus resultierende wirtschaftliche Gesamtergebnis ankam, 50% vom Nachlass zugesprochen zu bekommen, sei es über eine eigene oder eine abgeleitete Pflichtteilsberechtigung, auf die der Kläger hilfsweise seinen Anspruch gestützt hat.
d) Diese offenkundige und - je nach den noch zu treffenden Feststellungen - möglicherweise auch entscheidungserhebliche Diskrepanz zwischen Klageantrag und tatsächlichem Klageziel hätte für das Berufungsgericht Anlass zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO sein müssen (vgl. BGHZ 79, 76, 79; BGH, Urteile vom 12. Juni 1980 - IVa ZR 9/80 - NJW 1980, 2524 unter III; vom 6. Juni 1977 - III ZR 53/75 - WM 1977, 1201 unter 5 b). Das gilt auch bei einer anwaltlich vertretenen Partei, wenn der Anwalt wie hier die Rechtslage ersichtlich falsch beurteilt (BGHZ 163, 351, 361 f.). Bereits dieser Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung des Berufungsurteils.
2. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat mangels Entscheidungsreife verwehrt (§ 563 Abs. 3 ZPO). Es bedarf zunächst weiterer Tatsachenfeststellungen zu den - umstrittenen - beiderseitigen Vorstellungen der Vertragsparteien über Umfang und Wirkung des Erbverzichts insgesamt bzw. eines isolierten Pflichtteilsverzichts. Für das weitere Verfahren weist der Senat dazu auf Folgendes hin:
a) Bei einem unbeschränkten Verzicht nach § 2346 Abs. 1 BGB teilt der Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB) grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Erbverzichts (vgl. Staudinger/Schotten, BGB [2004] § 2350 Rdn. 16; offenbar auch Soergel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2350 Rdn. 2; Tschichoflos in Frieser, KK-Erbrecht § 2350 Rdn. 12; Kretzschmar, Das Erbrecht des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs 2. Aufl. [1913] S. 395 Fn. 22; BGB-RGRK/Johannsen, 12. Aufl. § 2350 Rdn. 5). Die Unwirksamkeit des Erbverzichts hat das Berufungsgericht allerdings vorschnell mit § 2350 BGB begründet. Dieser enthält zwei Auslegungsregeln. § 2350 BGB kann danach erst zur Anwendung kommen, wenn erfolglos versucht wurde, den Willen der beiden Parteien des Verzichtsvertrags zu ermitteln (Staudinger/Schotten, aaO Rdn. 10, 25; Kuchinke in FS Kralik S. 452; MünchKomm-BGB/Strobel, 4. Aufl. § 2350 Rdn. 10). Dabei liegt die Beweislast beim Kläger, da dieser entgegen den Vermutungen des § 2350 BGB aus einem unbedingten Verzicht Rechte herleiten will (vgl. RG LZ 1926, 1006; Erman/Schlüter, BGB 11. Aufl. § 2350 Rdn. 6; Klingelhöffer, Pflichtteilsrecht 2. Aufl. Rdn. 360).
Vom Kläger hierzu angebotene Beweise hat das Berufungsgericht mit unzutreffender Begründung nicht erhoben. Seine Annahme, der Kläger habe lediglich behauptet, dass (nur) der Bruder von einem unbedingten Verzicht ausgegangen sei, reißt in unzulässiger Weise eine einzelne Aussage des Klägers aus ihrem Zusammenhang. Sein Gesamtvortrag im Wechselspiel mit dem Vortrag des Beklagten lässt keinen Zweifel daran, dass er zum übereinstimmenden Willen beider Verzichtsvertragsparteien Beweis antreten wollte. Das Berufungsgericht wird deshalb den dazu angebotenen Beweisen nachzugehen haben.
b) Sollte eine Überzeugungsbildung danach nicht möglich sein, stünde auch nach der vom Berufungsgericht nachvollziehbar erwogenen Anwendung des § 2350 BGB noch nicht fest, dass dem Bruder ein Pflichtteilsanspruch zusteht. Vielmehr stellte sich dann im Rahmen des § 139 BGB, der auf den Verzicht als Rechtsgeschäft unter Lebenden Anwendung findet (Palandt/Edenhofer, BGB 66. Aufl. § 2346 Rdn. 2), die Frage, ob die Parteien des Verzichtsvertrags bei Unwirksamkeit eines Gesamtverzichts nicht zumindest einen isolierten Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) gewollt hätten (vgl. BGHZ 146, 37, 47; 107, 351, 355 f.; 105, 213, 220 f.). Darüber eröffnete sich die Möglichkeit, einen unwirksamen Erbverzicht i.S. des § 2346 Abs. 1 als einen Pflichtteilsverzicht i.S. des § 2346 Abs. 2 BGB aufrecht zu erhalten. Dies hängt davon ab, welche Entscheidung die Parteien des Verzichtsvertrages bei Kenntnis der Sachlage nach Treu und Glauben und bei vernünftiger Abwägung getroffen hätten (BGH, Urteil vom 30. Januar 1997 - IX ZR 133/96 - WM 1997, 625 unter B III 2 c m.w.N.). Beide Parteien haben hierzu bereits Beweis angetreten. Die Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass ein isolierter Pflichtteilsverzicht auch ohne den unwirksamen Erbverzicht vorgenommen worden wäre, liegt dabei beim Beklagten (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1985 - IVa ZR 266/83 - NJW-RR 1986, 346 unter IV 3). In diesem Zusammenhang wird sich das Berufungsgericht auch - ggf. nach ergänzendem Parteivortrag - mit der Wirkung einer für den Pflichtteilsverzicht evtl. gezahlten Abfindung zu befassen haben (vgl. Kuchinke, aaO S. 453; jurisPK-BGB/Hau, 3. Aufl. § 2350 Rdn. 3; Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB § 2350 Rdn. 7; Soergel/Damrau, aaO Rdn. 7; Staudinger/Schotten, aaO Rdn. 25).
c) Eine solche Beweisaufnahme wäre auch außerhalb des vom Berufungsgericht gezogenen Anwendungsbereichs des § 2350 BGB notwendig, um die Vereinbarung eines dann in Betracht kommenden gewöhnlichen bedingten Erbverzichts nachzuvollziehen (vgl. Staudinger/Schotten, aaO Rdn. 5). Erst wenn auch insoweit keine Überzeugungsbildung möglich sein sollte, kann die Rechtsfrage nach einer teleologischen Reduktion des § 2350 BGB, die das Berufungsgericht zur Revisionszulassung veranlasst hat, entscheidungserheblich werden.