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  • 23.07.2010 · IWW-Abrufnummer 102344

    Bundesgerichtshof: Urteil vom 16.06.2010 – VIII ZR 99/09

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
    auf die mündliche Verhandlung vom 14. April 2010
    durch
    den Vorsitzenden Richter Ball,
    die Richterin Dr. Hessel sowie
    die Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 25. März 2009 wird zurückgewiesen.

    Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

    Tatbestand
    Der Beklagte war bis zum 31. Oktober 2008 Mieter einer Wohnung des Klägers in Backnang. Mit Schreiben vom 4. Mai 2007 forderte der Kläger den Beklagten unter Bezugnahme auf den von den örtlichen Interessenvertretern der Mieter und der Vermieter sowie dem Bürgermeisteramt der Stadt Schorndorf - einer Nachbarstadt - erstellten (einfachen) Mietspiegel (Stand: 1. Januar 2007) erfolglos auf, seine Zustimmung zu einer Mieterhöhung zum 1. August 2007 um monatlich 76,69 € zu erteilen.

    Die auf Zustimmung zu der verlangten Mieterhöhung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

    Entscheidungsgründe
    Die Revision hat keinen Erfolg.

    I.

    Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

    Der Kläger habe gemäß § 558 BGB einen Anspruch auf Zustimmung zu der verlangten Mieterhöhung. Das nach § 558a BGB formell wirksame Mieterhöhungsverlangen sei auch materiell begründet. Die tatrichterliche Einordnung der verlangten Miete in die ortsübliche Vergleichsmiete durch das Amtsgericht begegne keinen rechtlichen Bedenken. Der Tatrichter habe unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung die ortsübliche Vergleichsmiete zu bestimmen. In diesem Rahmen könne auch der (einfache) Mietspiegel (§ 558c BGB) der Stadt Schorndorf, einer vergleichbaren Nachbargemeinde von Backnang, Berücksichtigung finden. Bereits vor der Einführung des qualifizierten Mietspiegels (§ 558d BGB) habe in der Rechtsprechung weitgehend Einigkeit geherrscht, dass ein geeigneter Mietspiegel auch ohne zusätzliche Beauftragung eines Sachverständigen zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete herangezogen werden könne. Unbedenklich sei ferner, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige seinem Gutachten keine der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbare Mietobjekte zu Grunde gelegt habe, da das Gutachten nur dazu gedient habe, die Wohnung in den Mietspiegel einzugruppieren, und daher nicht alleinige Schätzgrundlage gewesen sei.

    II.

    Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

    1.

    Rechtsfehlerfrei und von der Revision unangegriffen hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger sein Mieterhöhungsverlangen vorprozessual ordnungsgemäß nach § 558a BGB begründet hat. Insbesondere war die Bezugnahme auf den Mietspiegel der Nachbarstadt Schorndorf gemäß § 558a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2 BGB ausreichend, da für die Stadt Backnang, in der die streitgegenständliche Wohnung liegt, kein Mietspiegel erstellt worden ist. Beide Städte sind nach den Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das Berufungsgericht insoweit Bezug nimmt, vergleichbar. Soweit die Revision rügt, der bloße Hinweis des Berufungsgerichts, beide Gemeinden seien deshalb vergleichbar, weil sie gleich weit von Stuttgart entfernt lägen und jeweils über einen S-Bahn-Anschluss verfügten, genüge für die Vergleichbarkeit nicht, übersieht sie, dass sich die Feststellungen des Amtsgerichts auch auf das gerichtliche Sachverständigengutachten stützen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, das Mietniveau der Städte Backnang und Schorndorf sei vergleichbar.

    2.

    Ebenfalls frei von Rechtsfehlern ist die Beurteilung der materiellen Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens durch das Berufungsgericht. Die Auffassung des Berufungsgerichts, auch nach Einführung des qualifizierten Mietspiegels gemäß § 558d BGB durch das Mietrechtsrechtsreformgesetz vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1149) könne ein einfacher Mietspiegel nach § 558c BGB weiterhin alleinige Grundlage der dem Tatrichter obliegenden Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete sein, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

    a)

    Ist ein formell wirksames Mieterhöhungsverlangen gegeben, so ist vom Tatrichter materiellrechtlich zu überprüfen, ob die konkret von dem Vermieter verlangte Mieterhöhung nach § 558 BGB tatsächlich berechtigt ist, insbesondere ob die neue Miete innerhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt (Senatsurteil vom 20. April 2005 - VIII ZR 110/04, NJW 2005, 2074 unter II 2). Die ortsübliche Vergleichsmiete wird gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 BGB abgesehen, geändert worden sind (§ 558 Abs. 2 BGB). Die ortsübliche Vergleichsmiete ist nach diesen gesetzlichen Vorgaben ein objektiver Maßstab, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgelte darstellen soll (BVerfGE 53, 352, 358). Sie darf im Prozess daher nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben (vgl. BVerfGE 37, 132, 143).

    aa) Ein Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (§ 558d Abs. 1 BGB; qualifizierter Mietspiegel), erfüllt diese Voraussetzungen in besonderem Maße. Deshalb billigt ihm das Gesetz unter den Voraussetzungen des § 558d Abs. 2 BGB im Prozess eine Vermutungswirkung dahin gehend zu, dass die in einem solchen Mietspiegel genannten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben (§ 558d Abs. 3 BGB). Diese Vermutungswirkung kann von dem Prozessgegner nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden (§ 292 Satz 1 ZPO).

    bb)

    Weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien kann jedoch entnommen werden, dass nach der Einführung des qualifizierten Mietspiegels einem (einfachen) Mietspiegel gemäß § 558c BGB kein Erkenntniswert im Prozess mehr zukommen solle. Im Gegenteil spricht die Tatsache, dass der Gesetzgeber den einfachen Mietspiegel nach § 558c BGB auch nach Einführung des qualifizierten Mietspiegels als eine von mehreren tauglichen Grundlagen für ein Mieterhöhungsverlangen beibehalten hat (§ 558a Abs. 2 BGB), dafür, dass auch ein einfacher Mietspiegel im Mieterhöhungsprozess weiterhin taugliche Erkenntnisquelle bei der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann. Dies entspricht - soweit ersichtlich - der überwiegenden Ansicht in Instanzrechtsprechung und Literatur (LG Duisburg, WuM 2005, 460 [LG Duisburg 24.01.2005 - 13 T 9/05]; LG Berlin, GE 2003, 1020; AG Dortmund, WuM 2003, 35; MünchKommBGB/Artz, 5. Aufl., § 558c Rdnr. 5; Staudinger/Emmerich, BGB (2006), § 558b Rdnr. 30; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 9. Aufl., § 558b BGB Rdnr. 109 ff.; Bamberger/Roth/Ehlert, BGB, 2. Aufl., § 558b Rdnr. 27; Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 558b Rdnr. 14; Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rdnr. IV 222; Börstinghaus, NZM 2002, 273, 278; wohl auch Mersson, ZMR 2002, 806, 809).

    Allerdings kommt dem einfachen Mietspiegel angesichts der Wertung des Gesetzgebers nicht die in § 558d Abs. 3 BGB dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung zu. Er stellt jedoch ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben. Diese Indizwirkung besteht auch dann, wenn ein einfacher Mietspiegel nicht von der Gemeinde, sondern gemeinsam von Interessenvertretern der Mieter und der Vermieter erstellt wurde. Solchen von den Interessenvertretern beider Seiten erstellten Mietspiegeln allgemein jegliche Aussagekraft im Erkenntnisverfahren abzusprechen (so AG Frankfurt am Main, NJW-RR 1989, 12 f.; DWW 1991, 54; Börstinghaus, WuM 1997, 421, 423), ist nicht gerechtfertigt. Es liegt vielmehr eher fern anzunehmen, die Interessenvertreter der Vermieter und der Mieter würden einen Mietspiegel erstellen oder billigen, der den Interessen ihrer jeweiligen Mitglieder widerspricht, weil er die ortsübliche Vergleichsmiete, die tatsächlichen Verhältnisse ignorierend, unzutreffend abbildet.

    Ob die Indizwirkung eines einfachen Mietspiegels im Einzelfall zum Nachweis der Ortsüblichkeit der verlangten Miete ausreicht, hängt davon ab, welche Einwendungen der auf Zustimmung zur Mieterhöhung in Anspruch genommene Mieter gegen den Erkenntniswert der Angaben des Mietspiegels erhebt. Trägt der Mieter etwa substantiiert vor, den Verfassern des Mietspiegels habe es an der erforderlichen Sachkunde gefehlt oder sie hätten sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder der Mietspiegel beruhe auf unrichtigem oder nicht repräsentativem Datenmaterial, wird der Tatrichter dem nachzugehen haben. Verbleiben danach Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels, so ist die Indizwirkung erschüttert. In diesem Fall ist es Sache des Vermieters als Anspruchsteller, für seinen Vortrag, die von ihm verlangte neue Miete liege innerhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, anderweit Beweis anzutreten.

    b)

    Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Ortsüblichkeit der vom Kläger geforderten Miete rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Mietspiegel, auf den er sein Mieterhöhungsverlangen stützt, ist für das Gebiet der Stadt Schorndorf von dem Haus-/Wohnungs- und Grundeigentümerverein Schorndorf und Umgebung e.V., dem Deutschen Mieterbund - Mieterverein Waiblingen und Umgebung e.V. (Beratungsstelle Schorndorf) und dem Bürgermeisteramt der Stadt Schorndorf gemeinsam erstellt worden. Die Beteiligung der örtlichen Interessenvertreter einerseits der Mieter-, andererseits der Vermieterseite spricht nach der Lebenserfahrung bereits dafür, dass der Mietspiegel die örtliche Miet- situation nicht einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet. Durch die Beteiligung des Bürgermeisteramts der Stadt Schorndorf wird diese Erfahrungstatsache noch zusätzlich gestützt. Unter diesen Umständen ist die Tatsache, dass dieser Mietspiegel für Vergleichswohnungen Mieten in der vom Kläger verlangten Höhe als ortsüblich ausweist, ein Indiz dafür, dass die vom Kläger verlangte erhöhte Miete auch für den vergleichbaren Mietmarkt der Stadt Backnang im Rahmen der ortsüblichen Miete liegt.

    Die gegen diesen Mietspiegel erhobenen, von der Revision erneut aufgegriffenen Einwendungen des Beklagten in den Tatsacheninstanzen können die Indizwirkung des Mietspiegels nicht erschüttern, denn sie erschöpfen sich in der unsubstantiierten Behauptung, der Mietspiegel sei "ohne Erhebung von Daten erstellt und nur ausgehandelt sowie unter Beobachtung statistischer Werte des Bundesamtes ausgelotet und einvernehmlich festgelegt" worden.

    Dem weiteren Vortrag des Beklagten, für Wohnungen in Backnang seien gegenüber den Mieten in der Stadt Schorndorf Abschläge in Höhe von 5 % bis 7 % zu machen, musste das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision nicht nachgehen, da geringfügige Schwankungen der Entgelte in der im Mietspiegel genannten Spanne der Vergleichsmiete berücksichtigt sind.

    Auch die weitere Rüge der Revision, die Einordnung der streitgegenständlichen Wohnung durch den Sachverständigen in die ortsübliche Vergleichsmiete sei nicht nachvollziehbar, geht fehl. Der Sachverständige hat die an den Beklagten vermietete Wohnung begutachtet, nach anerkannten Wohnwertkriterien bewertet und in den Mietspiegel eingeordnet.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 558 BGB § 558a BGB § 558c BGB § 558d BGB § 560 BGB