· Fachbeitrag · Betriebskosten
Einsichtsrecht in Originalbelege als Regel
von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin
| Der Umfang der Kontrollrechte des Mieters im Zusammenhang mit Nebenkostenabrechnungen ist ein Dauerthema in der BGH-Rechtsprechung. Es wird immer wieder versucht, den maßgeblichen § 259 Abs. 1 BGB im Wohnraummietrecht mit Einschränkungen zu versehen, die sich der Vorschrift nun einmal nicht entnehmen lassen. Das hat der BGH bereits wiederholt entschieden. Seine Rechtsprechung hierzu ist nun um eine Facette reicher. Während vor Jahren darum gestritten wurde, ob der Mieter einen Anspruch auf Überlassung von Belegkopien hat, lag dem BGH nun die umgekehrte Konstellation zur Entscheidung vor: Die Mieter wollten die Originale sehen, der Vermieter die Belegeinsicht auf von ihm gefertigte Kopien beschränken. |
Sachverhalt
Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung der Klägerin. Nachdem die Klägerin ihre Klage auf Zustimmung zu einer Anpassung der Miete an die ortsübliche Vergleichsmiete zurückgenommen hat, war Gegenstand des Revisionsverfahrens allein die von den Beklagten erhobene Widerklage, mit der sie Einsicht in die den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2015 bis 2017 zugrunde liegenden Originalbelege verlangen. Die Klägerin hatte den Beklagten Belegkopien übersandt. Das AG hat die Klägerin zur Vorlage der Originalbelege verurteilt, das LG die Widerklage der Mieter abgewiesen. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg (BGH 15.12.21, VIII ZR 66/20, Abruf-Nr. 227249).
Entscheidungsgründe
Der BGH fasst die von ihm längst entwickelten Grundsätze zum Einsichtsrechts des Mieters zusammen, die der Vermieter der von ihm erteilten Nebenkostenabrechnung zugrunde gelegt hat. Die Entscheidung überrascht insofern nicht, denn man sollte meinen, es war eigentlich schon alles gesagt.
MERKE | Zweck der Abrechnung nach § 556 Abs. 3 HS 1 BGB ist es, die Betriebskosten des jeweiligen Abrechnungsjahres zu erfassen, zusammenzustellen und unter Abzug der geleisteten Vorauszahlungen auf die einzelnen Mieter zu verteilen. |
Anspruch auf Einsicht in Originalbelege
Es gilt ‒ wie für jede Abrechnung ‒ § 259 Abs. 1 BGB. Die Abrechnung muss
- aus sich heraus verständlich sein,
- die Einnahmen und Ausgaben zu den umzulegenden Betriebskosten im Abrechnungsjahr geordnet zusammenstellen,
- es dem Mieter ermöglichen, die zur Verteilung anstehenden Kostenpositionen zu erkennen und den auf ihn entfallenden Kostenanteil gedanklich und rechnerisch nachzuprüfen.
Der Wortlaut des § 259 Abs. 1 HS 2 BGB verpflichtet den Rechenschaftspflichtigen ausdrücklich, Belege vorzulegen, soweit sie erteilt zu werden pflegen. Der Formulierung der Vorschrift entnimmt der BGH, dass die Belege in Bezug genommen werden, die der Rechenschaftspflichtige erhalten hat. Das sind Originale und nicht vom Rechenschaftspflichtigen ‒ hier vom Vermieter ‒ gefertigte Kopien. Auch aus dem Zweck der Vorschrift (die Möglichkeit der Überprüfung der ordnungsgemäßen Verwaltung) ergibt sich, dass es um die Originalbelege geht; nur sie sind uneingeschränkt geeignet.
Belege sind vorzulegen, „soweit sie erteilt zu werden pflegen“ (§ 259 Abs. 1 HS 2 BGB). Der BGH bezieht die Formulierung auf den Vorgang, den der Beleg dokumentieren soll (BGH 16.5.17, X ZR 85/14, Abruf-Nr. 195318). Maßgeblich sind daher die Gepflogenheiten im Verhältnis des Vermieters zu seinem Dienstleister, nicht hingegen die von (Groß-)Vermietern gegenüber ihren Mietern.
PRAXISTIPP | Ein besonderes Interesse an der Einsichtnahme in die Originalbelege oder gar einen begründeten Verdacht in Bezug auf vorgelegte Belegkopien muss der Mieter nicht darlegen. Wie bei jeder Abrechnung genügt auch im Fall der Betriebskostenabrechnung das allgemeine Interesse des Mieters, die Tätigkeit des abrechnungspflichtigen Vermieters zu kontrollieren (zuletzt: BGH 7.2.18, VIII ZR 189/17 [Einzelverbrauchsdaten anderer Nutzer des Mietobjekts]; 9.12.20, VIII ZR 118/19 [zu den Zahlungsbelegen des Vermieters]; 27.10.21, VIII ZR 102/21 und VIII ZR 114/21). Das Einsichtsrecht lässt sich nicht mit der Begründung einschränken, der Organisationsaufwand für die Einsicht in den Geschäftsräumen des Vermieters bzw. der von ihm beauftragten Hausverwaltung sei immens. Auch wenn die Übersendung von Kopien für beide Seiten komfortabel sein mag, setzt diese ‒ so der BGH ‒ das Einverständnis des Mieters voraus. |
Überlassung von Kopien ‒ für beide Seiten nur im Ausnahmefall
Vor Jahren wurde über den Anspruch des Mieters auf Übersendung von Kopien gestritten (BGH 8.3.06, VIII ZR 78/05, Abruf-Nr. 060768). Ein solcher Anspruch besteht nur ausnahmsweise nach Treu und Glauben, § 242 BGB, wenn dem Mieter die Einsichtnahme in die Originalbelege nicht zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit, also sein Interesse an der Übersendung von Kopien, muss der Mieter darlegen und im Zweifel beweisen. Dagegen ist das Einsichtsrecht in die Originalbelege als Anspruch ausgestaltet, § 259 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BGB.
Was für den Mieter gilt, ist auch zugunsten des Vermieters zu berücksichtigen. So kann es in Betracht kommen, dass der Anspruch des Mieters nach § 242 BGB auf die Überlassung von Kopien oder Scanprodukten beschränkt wird. Ob dies ausnahmsweise der Fall ist, muss der Tatrichter im Einzelfall entscheiden. Voraussetzung ist nach dem Rechtsgedanken des § 126b S. 2 Nr. 2 BGB stets, dass die zur Verfügung gestellten Kopien die dokumentierten Erklärungen unverändert wiedergeben können, so der BGH. Zweifel an der Authentizität und Unverfälschtheit gehen zulasten des Vermieters.
PRAXISTIPP | Der BGH deutet mögliche Ausnahmefälle an, in denen der Vermieter ausnahmsweise nicht die Einsicht in die Originalbelege schuldet:
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Abschließend streift der BGH ‒ veranlasst durch die Hilfsbegründung des LG ‒ auch das Schikaneverbot (§ 226 BGB). Die „Hürde“ des § 226 BGB ist hoch: Die Voraussetzungen sind erst bzw. nur gegeben, wenn die Geltendmachung des Einsichtsrechts keinen anderen Zweck als die Schädigung des Vermieters haben könnte, wenn der Rechtsausübung ein schutzwürdiges Eigeninteresse der Beklagten nicht zugrunde läge oder wenn das Einsichtsrecht nur geltend gemacht würde, um ein anderes, vertragsfremdes oder unlauteres Ziel zu erreichen. Das LG hat § 226 BGB angenommen, ohne dazu tragfähige Feststellungen getroffen zu haben. Der (schlichten) Bewertung musste der BGH mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht folgen.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung bestätigt einmal mehr, dass der Streit um Papierbelege weitgehend ausgefochten ist und pragmatische Lösungen lohnen. Interessant sind die Hinweise des BGH in Richtung Digitalisierung der Belegführung (auch) bei den Betriebskosten. Hier deuten sich Spielräume an, die für beide Miet‒vertragsparteien vorteilhaft sein können. Werden die Belege elektronisch systematisch erfasst und gespeichert, ist ‒ von Ausnahmen abgesehen ‒ auch die Belegeinsicht einfacher zu gestalten. Voraussetzung: Der Vermieter mag sich „in die Karten“ schauen lassen und der Mieter einfach nur kontrollieren.