· Fachbeitrag · Notarielle Räumungsunterwerfung
Sind die Kosten bei Mischmietverhältnissen für die sprichwörtliche Katz?
von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf
§§ 794 Abs. 1 Nr. 5 und 721 Abs. 1 ZPO sind bei Mischmietverhältnissen über Wohn- und Geschäftsräume auch anzuwenden, wenn und soweit das Mietobjekt vertragsgemäß nur teilweise bzw. untergeordnet zu Wohnzwecken genutzt wird (OLG Oldenburg 22.7.14, 12 U 46/14, Abruf-Nr. 143305). |
Sachverhalt
Die Kläger haben von dem Beklagten ein Wohn- und Geschäftshaus zu Wohnzwecken und gewerblichen Zwecken gemietet. Die Wohnfläche des Objekts beträgt 277,75 m2, die Geschäfts- und Lagerfläche 717,62 m2. Durch notarielles Schuldanerkenntnis vom 8.11.12 unterwarfen sie sich gegenüber dem Beklagten wegen Mietrückständen sowie wegen eines Anspruchs auf Räumung des Mietobjekts der sofortigen Zwangsvollstreckung. Mit Schreiben vom 4.4.13 kündigte der Beklagte wegen Nichteinhaltung der notariellen Vereinbarung vom 8.11.12 durch die Kläger und darüber hinaus aufgelaufener Mietrückstände das Mietverhältnis fristlos. Er ließ sich eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde vom 8.11.12 erteilen und beauftragte den Gerichtsvollzieher mit der Zwangsräumung des Mietobjekts. Das LG hat die Räumungsvollstreckung aus der notariellen Urkunde antragsgemäß für unzulässig erklärt. Die Berufung hat keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe/Praxishinweis
Gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus einer Urkunde statt, die von einem deutschen Notar innerhalb der Grenzen seiner Befugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommen wurde, wenn sich der Schuldner in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat und die Urkunde über einen Anspruch errichtet ist, der einer vergleichsweisen Regelung zugänglich ist und der nicht den Bestand eines Mietverhältnisses über Wohnraum betrifft. Hierunter fallen vorrangig Räumungs- und Herausgabeansprüche (BT-Drucksache 13/341, S. 20 ff).
Wichtig | Ansprüche, die den Bestand eines Wohnraummietverhältnisses betreffen, können nicht wirksam in einer notariellen Urkunde tituliert werden.
Die Möglichkeit der Räumungs- und Herausgabevollstreckung aufgrund einer notariellen Urkunde wird im Schrifttum als eine wichtige Möglichkeit des Vermieters herausgestellt, die aufgrund des Zeitfaktors zur Erlangung vollstreckbarer Titel verbundenen Risiken zu verringern (Moeser in Geschäftsraummiete, 3. Aufl., Kap. 12, Rn. 8). Die Entscheidung des OLG Oldenburg gibt für den Bereich der Mischmietverhältnisse Anlass, die Schaffung notarieller Räumungstitel infrage zu stellen.
Die h.M. (Zöller/Stöber, 30. Aufl. § 794 ZPO, Rn. 26; MüKo/Wolfsteiner, ZPO, 4. Aufl. § 794, Rn. 214; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 72. Aufl. § 794 ZPO, Rn. 22; Bub/Treier/Drettmann, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., I Rn. 168, 175) differenziert gestützt auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anwendung von Wohn- oder Gewerberaummietrecht in Mischmietverhältnissen nach der sog. Schwerpunkttheorie (zuletzt BGH MK 14, 202, Abruf-Nr. 142468). Das heißt: Eine Titulierung nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ist nur ausgeschlossen, wenn die Nutzung des Objekts zu Wohnzwecken den Schwerpunkt des betroffenen Mietverhältnisses bildet. Hiernach wäre auf das streitgegenständliche, nach den vertraglichen Grundlagen und dem Wohn- und Nutzflächenverhältnis vorrangig auf gewerbliche Zwecke ausgerichtete Mietverhältnis der Parteien Gewerberaummietrecht anzuwenden. Folge: Der Räumungsanspruch konnte nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO tituliert werden.
Demgegenüber vertritt das OLG Oldenburg nun die Auffassung, dass die Schwerpunkttheorie im Rahmen des Vollstreckungsrechts, namentlich in Bezug auf die Bestimmung des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (ebenso wie auf § 721 Abs. 1 ZPO) keine Anwendung findet. Das heißt: Die Bestimmungen der §§ 794 Abs. 1 Nr. 5 und 721 Abs. 1 ZPO sind entgegen der h.M. bei Mischmietverhältnissen über Wohn- und Geschäftsräume uneingeschränkt auch anzuwenden, wenn das Mietobjekt vertragsgemäß nur teilweise bzw. untergeordnet zu Wohnzwecken genutzt wird. So begründet das OLG seine Auffassung:
- Im Vollstreckungsrecht muss aufgrund des bezweckten Schutzes des Mieters vor einem kurzfristigen Verlust seines Wohnraums und der damit verbundenen Gefahr der Obdachlosigkeit eine generelle Absicherung in allen, also auch in nur anteiligen Wohnraummietverhältnissen gewährt werden.
- Für eine solche umfassende Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf alle Wohnraummietverhältnisse, also auch auf Mischmietverhältnisse über (nicht trennbare) Wohn- und Gewerberäume, spricht dabei neben dem Mieterschutz insbesondere die tatsächliche Umsetzung im Vollstreckungsverfahren. Im Fall der Vollstreckung eines Räumungstitels aus § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bei einem Mischmietverhältnis würde die Anwendung der Schwerpunkttheorie dazu führen, dass es grundsätzlich dem mit der Vollstreckung beauftragten Gerichtsvollzieher obläge, im Vorfeld einer Räumung zu klären, ob das betroffene Objekt nach dem Vertragszweck überwiegend zu Wohn- oder zu gewerblichen Zwecken genutzt wird.
- Da die Entscheidung über die vorrangige Nutzungsart eines Mietobjekts nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) eine umfassende, alle auslegungsrelevanten Umstände berücksichtigende Einzelfallprüfung erfordert, müsste der Gerichtsvollzieher im Rahmen der Vollstreckung daher eigenständig einen sich nicht aus dem Titel selbst ergebenden Sachverhalt ermitteln. Derartige Aufgaben gehören unzweifelhaft nicht in das Vollstreckungsverfahren, sondern in ein gerichtliches Erkenntnisverfahren.
Insbesondere das letzte Argument wiegt schwer. Damit scheidet die sich (auch) auf Wohnraum erstreckende notarielle Urkunde vom 8.11.12 wegen Verstoßes gegen § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO als Grundlage einer Räumungsvollstreckung aus. Die zugelassene Revision ist nach Auskunft des BGH nicht eingelegt.