· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Abrechnung gekündigter Verträge: Fiskus will Umsatzsteuer auf gesamten Rechnungsbetrag
| Das Finanzamt hat eine neue Einnahmequelle entdeckt: Die Umsatzsteuer bei vorzeitig gekündigten Planungsverträgen. Umsatzsteuersonderprüfer stellen sich nämlich urplötzlich auf den Standpunkt, dass Sie auch auf das Honorar für die nicht mehr erbrachten Leistungen Umsatzsteuer berechnen und abführen müssen. Wappnen Sie sich für Betriebsprüfungen und entwerfen Sie Ihre individuelle Abrechnungsstrategie, wenn ein Vertrag in Zukunft gekündigt wird. |
Grundsätzliches zur vorzeitigen Vertragskündigung
Kündigt ein Auftraggeber Ihren Architekten- oder Ingenieurvertrag aus freien Stücken (keine Kündigung aus wichtigem Grund), haben Sie Anspruch auf die komplette vereinbarte Vergütung. Sie müssen sich nur dasjenige anrechnen lassen, was Sie infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung Ihrer Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen haben (§ 649 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]).
Zweigliedrige Honorarrechnung
Folglich wird eine solche Honorarabrechnung in zwei Punkte gegliedert
- 1. Die Honorierung der erbrachten Leistungen
- 2. Die Honorierung der nicht mehr erbrachten Leistungen
Honorargliederung erfolgt auch aus umsatzsteuerlichen Aspekten
Die Aufteilung war unter anderem auch aus umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten relevant. Bisher war nämlich der Stand der Dinge wie folgt: Auf den Honorarbetrag für die erbrachten Leistungen ist Umsatzsteuer aufzuschlagen. Der Honoraranspruch für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen wird dagegen als nicht umsatzsteuerbar behandelt.
Letztere Auffassung basiert auf einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH). Er ist der Auffassung, dass für die Vergütung für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen keine Umsatzsteuer anfällt (BGH, Urteil vom 22.11.2007, Az. VII ZR 83/05; Abruf-Nr. 080224)
Finanzämter wollen BGH-Urteil nicht (mehr) anwenden
Ein Leser hat uns jetzt aber mitgeteilt, dass die Betriebsprüfer des Finanzamts dieses BGH-Urteil nicht (mehr) anwenden wollen. Sie behandeln diese Vergütungsbestandteile vielmehr als umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Eine gesetzliche Fundstelle oder wenigstens ein interner Erlass der Finanzverwaltung, der diese Vorgehensweise decken würde, existiert jedoch nicht.
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Ein Architekt erhält von der Gemeinde einen Auftrag für Architekturleistungen zur Sanierung eines Schulgebäudes. Nach Ausführung der Leistungsphasen (Lph) 1 bis 3 kündigt die Gemeinde den Vertrag. Der Architekt rechnet nach HOAI und § 649 BGB ab und kommt zu folgendem Honoraranspruch:
Das Honorar für die nicht mehr erbrachten Leistungen der Lph 4 bis 9 steht jetzt im Streit. Handelt es sich dabei um eine steuerpflichtige Leistung oder um nicht umsatzsteuerbaren Schadenersatz? |
Zivilrichter beurteilen den Fall anders als die Finanzverwaltung
Dass es hier zu Kontroversen mit dem Finanzamt kommt, liegt daran, dass das Finanzamt den Sachverhalt steuerlich anders beurteilt als es der BGH getan hat. Steuerlich ist für die Umsatzsteuerpflicht eines Vergütungsbestandteils entscheidend, dass ein Leistungsaustausch vorliegt (Abschnitt 1.1 Abs. 1 Satz 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE). Dies ist der Fall, wenn folgende Frage mit ja beantwortet werden kann: „Steht die Vergütung in einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer umsatzsteuerlich relevanten Leistung des Architekten oder Ingenieurs?“
Wichtig | Weil die Vergütung auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistungen umsatzsteuerlich keinem anderen Rechtsverhältnis zugeordnet werden kann, wird der Betriebsprüfer sich an den Wortlaut des UStAE klammern und die für Architekten vorteilhafte BGH-Rechtsprechung ignorieren.
So argumentiert das Finanzamt | So argumentiert der BGH |
Für die noch nicht erbrachten Leistungen muss in der Rechnung Umsatzsteuer ausgewiesen werden. | Für die noch nicht erbrachten Leistungen darf keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden. |
Es liegt kein Schadenersatz vor. Es liegt vielmehr nach Kündigung des Vertrags eine neu definierte Gegenleistung vor. | Es handelt sich um eine Entschädigung. Das wird schon dadurch deutlich, dass die Zahlung auch dann erfolgt, wenn noch gar keine Leistung erbracht wurde. |
So wahren Planungsbüros ihre Rechte
Als Planungsbüro haben Sie verschiedene Möglichkeiten, eine Lösung in einem solchen Streitfall herbeizuführen:
1. Goldener Handschlag im Rahmen der Betriebsprüfung
Die einfachste Lösung, um den Streitfall vom Tisch zu bekommen, ist eine Kompromisslösung im Rahmen einer Betriebs- oder Umsatzsteuerprüfung. Sind außer dem Punkt noch andere Sachverhalte strittig, ist es empfehlenswert, dem Prüfer einen Kompromiss abzuringen. Akzeptieren Sie einen anderen strittigen Punkt und verlangen Sie als Gegenleistung, dass der Prüfer auf das Honorar für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen keine Umsatzsteuer verlangt.
PRAXISHINWEISE |
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2. Stellen Sie dem Finanzamt ausnahmsweise einmal Fragen
Drehen Sie den Spieß um. Stellen Sie dem Prüfer gezielte Fragen, warum er die BGH-Rechtsprechung ignoriert. Wenn er die Antwort darauf formuliert, wird er möglicherweise ins Grübeln kommen. Drei Fragen könnten den Prüfer zum Umdenken bewegen bzw. seine Kompromissbereitschaft erhöhen:
- 1. Gibt es eine Fundstelle, die es Ihnen verbietet, das BGH-Urteil vom 22.11.2007 anzuwenden (zum Beispiel eine Verwaltungsanweisung)?
- 2. Wenn nein, wie hätte ich meine Rechnung Ihrer Meinung nach stellen müssen? Der BGH verbietet den Ausweis der Umsatzsteuer auf die Vergütung der bis zur Vertragskündigung noch nicht erbrachten Leistungen. Sie fordern mich dagegen auf, Umsatzsteuer auszuweisen.
- 3. Steht der Umsatzsteuer-Anwendungserlass Ihrer Meinung nach über der BGH-Rechtsprechung?
PRAXISHINWEISE |
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3. Sachgebietsleiter hinzuziehen
Blockt der Prüfer dennoch ab, bitten Sie darum, seinen Sachgebietsleiter in die nächste Besprechung einzubeziehen. Weil dieser an einem reibungslosen Ablauf der Prüfung interessiert sein dürfte und mehr Entscheidungskompetenz besitzt, dürfte ein Kompromiss in greifbare Nähe rücken.
4. Übergeordnete Behörde einschalten
Sind sowohl der Prüfer als auch der Sachgebietsleiter des Finanzamts resistent für Ihre Argumente und für einen Kompromiss, gehen Sie einen Schritt weiter. Wenden Sie sich an die Behörde, die dem Finanzamt übergeordnet ist (Oberfinanzdirektion, Landesamt).
PRAXISHINWEIS | Dort sitzen Fachleute für Umsatzsteuerfragen, denen die Problematik sehr wohl bekannt sein dürfte. Bitten Sie um eine schriftliche Stellungnahme und stellen Sie auch dieser Behörde die drei Standardfragen (siehe oben unter 2.). Die Finanzbeamten müssen dann Farbe bekennen und mitteilen, ob Sie entgegen des BGH-Urteils Umsatzsteuer für noch nicht erbrachte Leistungen bei Vertragskündigung durch den Besteller ausweisen müssen oder nicht. |
5. Einspruch einlegen und Klage erheben
Bestätigt die obergeordnete Behörde die Ansicht des Umsatzsteuer- bzw. Betriebsprüfers, sollten Sie gegen nachteilige Umsatzsteuerbescheide Einspruch einlegen. Dann schaltet sich nämlich die eigentlich neutrale Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts ein. Beruft sich der Bearbeiter der Rechtsbehelfsstelle jedoch auch auf den Wortlaut im UStAE, hilft nur noch eine Klage vor dem für Ihr Büro zuständigen Finanzgericht.
So agieren Sie künftig bei vorzeitigen Vertragskündigungen
Wenn Ihnen künftig ein Vertrag vorzeitig gekündigt wird, haben Sie zwei Möglichkeiten:
- 1. Sie lassen alles wie gehabt und berechnen das Honorar für die kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen ohne Umsatzsteuer. Um bei einer Betriebsprüfung nicht vorgehalten zu bekommen, dass der Nichtausweis der Umsatzsteuer einer Steuerhinterziehung gleich käme, sollten Sie auf einem Beiblatt zu Umsatzsteuererklärung darauf hinweisen, dass Sie das Honorar als nicht umsatzsteuerbaren Schadenersatz sehen.
- Wichtig | Taucht dieser Vermerk in der Umsatzsteuererklärung auf, ist natürlich eine nähere Überprüfung durch das Finanzamt programmiert und die oben geschilderten Szenarien nehmen ihren Lauf.
- 2. Sie schlagen, quasi im vorauseilenden Gehorsam, Umsatzsteuer auf. Damit riskieren Sie aber, dass Auftraggeber, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, gegen Ihre Honorarrechnung Sturm laufen.
PRAXISHINWEIS | Diskutieren Sie das Thema und Ihre Strategien am besten mit Ihrem Steuerberater. Leser, die bereits ein Einspruchsverfahren geführt oder die Einschätzung einer übergeordneten Behörde eingeholt haben, bitten wir, uns ihre Erfahrungen mitzuteilen. |
Weiterführender Hinweis
- Beitrag „Gekündigte Planungsverträge: So gehen Sie mit der ungünstigen BGB-Neuregelung um“, PBP 1/2009, Seite 10