· Fachbeitrag · Vertragsrecht
Vorsicht: Wann ein Planer ungewollt die Bauüberwachung übernimmt (und dafür haftet)
von Rechtsanwältin Gabriela Böhm, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht u. a., Partnerin c.r.p. law. partnerschaft mbb, Frankfurt a. M.
| In der Praxis kommt es häufig vor, dass die vertragliche Regelung über den genauen Umfang der Architekten- und Ingenieurleistungen unklar bleibt. Gefährlich wird es, wenn mehrere Planer am Werk sind. Gerade in der Lph 8 stellt sich dann die Frage, ob der nicht mit der Lph 8 beauftragte Planer möglicherweise doch (aufgrund seines Verhaltens) als „konkludent beauftragt“ anzusehen ist und werkvertraglich haftet. Mit einem solchen Fall hat sich jüngst das OLG Oldenburg befasst. PBP bereitet diesen für Sie auf und geht darüber hinaus auf die zugehörige Rechtsprechung ein. |
Risiko „konkludente Beauftragung von Leistungen“
Die konkludente Beauftragung von Architektenleistungen, also durch schlüssiges Verhalten ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung, birgt in der Regel erhebliche Haftungsrisiken für Architekten und Ingenieure. Solche Risiken entstehen insbesondere dann, wenn Sie durch Ihre Handlungen über den ursprünglich vertraglich vereinbarten Umfang hinaus tätig werden, ohne dass diese zusätzlichen Leistungen vertraglich eindeutig geregelt sind. Dies kann zu einer ungewollten Übernahme von zusätzlichen Pflichten führen, insbesondere im Bereich der Bauüberwachung, was rechtliche und finanzielle Folgen nach sich zieht.
Der Fall beim OLG Oldenburg
In dem Fall, der dem OLG Oldenburg vorlag, ging es um die Haftung für Ausführungsmängel. Es stellte sich die Frage, ob der vertraglich mit der Lph 8 beauftragte Architekt allein haftet oder zusätzlich ein Architekt, der arrondierende Leistungen erbracht hatte.
Dessen Architektenvertrag sah lediglich die Genehmigungsplanung, die Ausführungsplanung, den Bauantrag für die Garage sowie die Entwässerungsplanung und den Entwässerungsantrag vor. Die Objektüberwachung (Lph 8 nach § 34 HOAI) war nicht Gegenstand dieses Vertrags. Obwohl der Architekt bestimmte Aufgaben ausgeführt hatte, wie etwa die Bestätigung gegenüber der KfW, wurden diese Tätigkeiten nicht als Bauüberwachungsleistungen gewertet. Das Gericht entschied, dass der Architekt faktisch keine Bauüberwachung durchgeführt hatte.
Auch aus einem weiteren Vertrag zur Erstellung der Statik, der Wärmebedarfsberechnung und des Energieausweises ergebe sich keine Übertragung von Bauüberwachungsaufgaben. Denn diese vertragliche Abrede enthielt keine konkrete Vereinbarung, die über die genannten Leistungen hinausging. Sie beinhaltete insbesondere keine Pflichten im Sinne der Bauüberwachung, wie sie in der Lph 8 der HOAI vorgesehen sind.
Gleiches gelte für die Leistungen, die der Architekt durch die Bestätigungen gegenüber der KfW im Zusammenhang mit einem KfW-Darlehen übernommen hatte. Er hatte unstrittig den KfW-Antrag gestellt und die Bestätigung der Durchführung der Baumaßnahmen gegenüber der KfW unterzeichnet. Diese Tätigkeiten stellten aber keine Bauüberwachungsleistungen im Sinne der Lph 8 dar. Die Pflichten des Architekten hätten sich allenfalls auf die Sicherstellung der KfW-Förderfähigkeit und die Einhaltung der energetischen Anforderungen beschränkt (OLG Oldenburg, Urteil vom 08.11.2022, Az. 2 U 10/22, Abruf-Nr. 243330, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 10.04.2024, Az. VII ZR 226/22).
Vorsicht: Strittiger Leistungsumfang kann zu Haftung führen
Ungeachtet dessen, wie der Fall vor dem OLG Oldenburg ausgegangen ist, sollten Sie sich bewusst machen, was passiert, wenn der vertraglich vereinbarte Leistungsumfang zwischen Ihrem Auftraggeber und Ihnen umstritten ist. Hier erfolgt die Auslegung nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB. Die Willenserklärungen der Vertragsparteien sind dabei nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte auszulegen.
In diesen Fällen können HOAI-Leistungen konkludent vereinbart sein
Eine konkludente Beauftragung von HOAI-Lph kann sich etwa ergeben, wenn
- der Architekt oder Ingenieur Teilleistungen ausführt, die von der anderen Partei weiterverwendet werden (z. B. zur Bauantragstellung),
- der Bauherr fortlaufend Leistungen akzeptiert, die über die ursprünglich vereinbarten Lph hinausgehen,
- Abschlagsrechnungen für Leistungen gestellt und bezahlt werden, ohne dass eine explizite Vereinbarung über diese Lph besteht.
Die Beweislast liegt hier in der Regel bei Ihnen. Sie müssen darlegen, dass durch das Verhalten des Bauherrn eine entsprechende Beauftragung erfolgt ist und Sie Anspruch auf Honorierung dieser Leistungen haben.
Aufklärungspflichten kennen und wahrnehmen
Eine besondere Bedeutung kommt Ihrer Aufklärungspflicht gegenüber nicht fachkundigen Auftraggebern zu. Als Planer sind Sie verpflichtet, den Auftraggeber sowohl vorvertraglich als auch nach Vertragsschluss über die Möglichkeiten der Leistungsvereinbarung nach HOAI, über die Herausnahme von Grundleistungen oder den Abschluss eines Stufenvertrags aufzuklären (Kniffka, BauR 2015, 883 (893); Fuchs, NZBau 2015, 431). Diese Pflicht betrifft insbesondere den Umfang der erforderlichen Grund- und Besonderen Leistungen, die auf Grundlage der jeweiligen Aufgabenstellung zu erbringen sind. Verletzen Sie Ihre Aufklärungspflicht, kann der Auftraggeber gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 249 BGB einen Anspruch auf Befreiung von nicht erforderlichen Leistungen und deren Vergütungsanteil geltend machen (BGH, Urteil vom 31.01.1962, Az. VIII ZR 120/60).
Die Rechtsprechung hat seit jeher klargestellt, dass die Leistungsbilder der HOAI ohne ausdrückliche Vereinbarung nicht automatisch Vertragsbestandteil sind. Die HOAI selbst stellt lediglich Preisrecht dar (BGH, Urteil vom 24.10.1996, Az. VII ZR 283/95, Abruf-Nr. 97073). Daher werden Grundleistungen oder Besondere Leistungen der HOAI nicht ohne Weiteres Bestandteil eines Architektenvertrags, wenn sie nicht explizit vereinbart wurden. Eine bloße Bezugnahme auf die HOAI ohne nähere Bestimmung der Lph reicht nicht aus, um den gesamten Umfang der Grundleistungen nach den Lph zu schulden.
So vermeiden Sie die konkludente Übernahme von Lph
Architekten und Ingenieure sollten sich der Risiken einer konkludenten Übernahme von ‒ nicht explizit vertraglich vereinbarten ‒ Leistungen bewusst sein.
Beispiele für Haftungsrisiken nach Auslegung des Leistungsumfangs
Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung über die im Einzelnen zu erbringenden Lph, ist nicht nur die Frage des Umfangs der Beauftragung für den Architekten im Hinblick auf seinen Honoraranspruch von erheblicher Bedeutung, sondern auch für den Umfang seiner Haftung:
- Haftung für unzureichende Bauüberwachung:
- Übernimmt ein Architekt Aufgaben bspw. nach der Lph 8, die er nach dem Vertrag nicht schuldet, hat er für schuldhaft verursachte Schäden grundsätzlich einzustehen. Entscheidend ist, dass der Architekt im Rahmen der dann tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben diese auch ordnungsgemäß zu erfüllen hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.10.2014, Az. I-22 U 2/12, Abruf-Nr. 197175; BGH Beschluss vom 20.04.2017, Az. VII ZR 288/14 - NZB zurückgewiesen).
- Besucht der Architekt regelmäßig die Baustelle, nimmt an Baustellenbesprechungen teil, erstellt Protokolle, koordiniert die Parteien und genehmigt Abschlagsrechnungen, kann dies als konkludente Übernahme der Bauüberwachung angesehen werden, auch wenn die genaue Lph nicht schriftlich festgelegt worden war. In einem solchen Fall haftet der Architekt nach §§ 280, 634 BGB für Mängel, die bei ordnungsgemäßer Bauüberwachung hätten vermieden werden können. Auch wer nur aus Gefälligkeit überwachende Architektentätigkeiten ausübt, haftet wie ein vertraglich verpflichteter Architekt (BGH, Urteil vom 11.01.1996, Az. VII ZR 85/95; OLG Köln, Urteil vom 28.09.2005, Az. 11 U 16/05).
- Haftung wegen Erweiterung der vertraglichen Pflichten: Übernimmt der Architekt (ggf. aus Gefälligkeit) zusätzliche Aufgaben (Abstimmung mit Fachplanern, Prüfung technischer Änderungen), ohne dass diese Leistungen explizit beauftragt wurden, kann der Bauherr später argumentieren, dass der Architekt die Verantwortung für diese Bereiche übernommen hat und bei Fehlern haftet, obwohl dies nicht ausdrücklich vereinbart war (OLG Celle, Urteil vom 19.06.2001, Az. 16 U 260/00; OLG Frankfurt, Urteil vom 29.09.2010, Az. 15 U 63/08, Abruf-Nr. 110696).
- Haftung wegen fehlender Dokumentation und Beweislast: Ein weiteres Risiko der konkludenten Beauftragung liegt in der fehlenden Dokumentation der erbrachten Leistungen. Da keine schriftliche Vereinbarung über die erweiterten Aufgaben besteht, trägt der Architekt die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass diese Leistungen nicht Teil des ursprünglichen Vertrags waren. Diese Beweislast kann insbesondere dann problematisch sein, wenn der Bauherr nachträglich Ansprüche geltend macht. In solchen Fällen könnte das Gericht auf Grundlage des Verhaltens der Parteien eine konkludente Beauftragung annehmen. So entschied u. a. das OLG Karlsruhe, dass die Verwertung von Planungen und Entwürfe des Architekten, z. B. für einen Bauantrag, ohne dass eine ausdrückliche Vereinbarung über die Lph besteht, eine konkludente Beauftragung der Lph 1 bis 4 nach HOAI darstellen kann (OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.09.2004, Az. 17 U 191/01, Abruf-Nr. 051846; rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 14.04.2005, Az. VII ZR 241/04).
- Haftung nach faktischer Koordination mit Fachplanern: Wird der Architekt regelmäßig in technische Abstimmungen eingebunden und übernimmt faktisch die Koordination zwischen Bauunternehmen und Fachplanern, haftet er wie ein Bauüberwacher.
- Haftung wegen zusätzlicher Übernahme energetischer Prüfungen: Ein Energieberater, der im Rahmen von KfW-Förderungen zusätzliche Aufgaben wie die Überprüfung der energetischen Maßnahmen übernimmt, haftet wie ein Bauüberwacher (LG Koblenz, Urteil vom 01.03.2013, Az. 8 O 134/12, Abruf-Nr. 131972).
Auslegungsthema vermeiden
Die obige Rechtsprechungsliste zeigt eindringlich, dass eine klare vertragliche Abgrenzung der Lph essenziell ist, um Haftungsrisiken zu minimieren. Durch unklare Verträge oder Ihr übermäßiges Engagement kann schnell der Eindruck entstehen, dass Sie Bauüberwachungsaufgaben übernommen haben ‒ mit weitreichenden rechtlichen Konsequenzen. Drei Dinge sind deshalb für die Praxis wichtig:
- Klare vertragliche Regelungen: Achten Sie darauf, den genauen Umfang Ihrer Leistung im Vertrag festzuhalten, insbesondere wenn Sie nicht mit der Bauüberwachung beauftragt wurden.
- Dokumentation: Stellen Sie sicher, dass alle Tätigkeiten, die über die vereinbarten Leistungen hinausgehen, dokumentiert und durch den Bauherrn schriftlich bestätigt werden.
- Vermeidung von Zusatzaufgaben ohne klare Beauftragung: Seien Sie vorsichtig bei der Übernahme von Aufgaben, die über Ihre Planungsaufgaben hinausgehen, wie die Koordination oder Kontrolle von Bauleistungen.
FAZIT | Die konkludente Beauftragung von Architekten- und Ingenieurleistungen sollte vermieden werden, da sie unklare rechtliche Verhältnisse schafft und erhebliche Haftungsrisiken birgt. Bemühen Sie sich stets um eine eindeutige vertragliche Regelung ihrer Leistungen und lassen Sie alle zusätzlichen Tätigkeiten, die über den ursprünglichen Auftrag hinausgehen, schriftlich fixieren. Eine genaue Dokumentation der erbrachten Leistungen schützt sowohl vor ungerechtfertigten Vergütungsansprüchen als auch vor einer ungewollten Haftung für nicht vereinbarte Leistungen. |