· Fachbeitrag · Werkvertragsrecht
BGH: Prüfingenieure werden privatrechtlich tätig statt als Teil der Bauaufsicht
| Auch Prüfingenieure können für eine mangelhafte Planung haften. Das hat der BGH entschieden. Die zuvor herrschende Auffassung, wonach Prüfingenieure lediglich hoheitlich tätig werden und ausschließlich im Rahmen des öffentlichen Baurechts agieren (faktisch als Teil der Bauaufsichtsbehörde), hat damit ausgedient. Erfahren Sie, was die BGH-Entscheidung für die Praxis bedeutet. |
BGH richtet Prüftätigkeit neu aus
Die BGH-Entscheidung erging zur Hessischen Bauordnung (HBO). Der BGH hat Folgendes klargestellt (BGH, Urteil vom 31.3.2016, Az. III ZR 70/15, Abruf-Nr. 185408):
Vertrag zwischen Bauherr und Prüfingenieur ist Werkvertrag
Der vom Bauherrn mit der Prüfung der Standsicherheit nach § 59 HBO 2002 und der Bauüberwachung (§ 73 HBO) beauftragte Sachverständige nimmt kein öffentliches Amt im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG wahr. Zwischen beiden Personen wird ein privatrechtlicher Werkvertrag geschlossen.
Dieser Werkvertrag bezweckt auch den Schutz des Bauherrn (Auftraggebers) vor Schäden aufgrund einer mangelhaften Baustatik. Er dient nicht allein dem Interesse der Allgemeinheit, dass öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bauordnungsrechts eingehalten werden. Er ist nicht lediglich darauf gerichtet, eine Prüfbescheinigung zu erstellen, die gegenüber der Bauaufsichtsbehörde vorgelegt werden kann.
Staatliche Anerkennung des Prüfingenieurs ändert an Werkvertrag nichts
Die Richter haben außerdem festgestellt, dass es der privatrechtlichen Einordnung der Prüftätigkeit nicht entgegensteht, dass die Tätigkeit des Prüfingenieurs durch die Vorschriften des Bauordnungsrechts vorgegeben ist und der Sachverständige hierfür der staatlichen Anerkennung bedarf.
Ist die BGH-Entscheidung auf andere Bundesländer übertragbar?
Die Frage, ob die BGH-Entscheidung auch in anderen Bundesländern gilt, kann nur durch Durchsicht der jeweiligen Landesbauordnungen beantwortet werden.
In der HBO sind § 59 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 und § 73 Abs. 2 S. 1 maßgebend. Befinden sich in anderen Landesbauordnungen identische Regelungen, ist das BGH-Urteil auf diese Landesbauordnungen übertragbar. Bundesweit gilt § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG in dieser Hinsicht, hier ist also kein Abgleich nötig.
Wichtig | Im vorliegenden Fall war auch von Bedeutung, dass diese Prüfung in Hessen vom Bauherrn und nicht von der Bauaufsicht beauftragt wird. Der Bauherr reicht die Prüfbescheinigung dann bei der Bauaufsicht ein. Letztere prüft dann nur, ob aus der Bescheinigung eine ordnungsgemäße Prüfung ersichtlich ist. Fachtechnische Prüfungen übernimmt die Bauaufsicht nicht.
PRAXISHINWEIS | Die BGH-Entscheidung kann dazu führen, dass sich der Auftragsumfang des Tragwerksplaners ändert, etwa was die ingenieurtechnische Kontrolle als Besondere Leistung angeht. Bisher war man davon ausgegangen, dass die ingenieurtechnische Kontrolle des Tragwerksplaners im Auftrag des Bauherrn alle werkvertraglichen Verpflichtungen abdeckt und der Prüfingenieur nur im Auftrag der Bauaufsicht tätig wird. In der Praxis stellt sich deshalb die Frage, ob ein Ingenieurbüro beide Leistungen übernehmen kann oder ob eine Arbeitsteilung sinnvoller ist. |
Alternative 1: Ein Ingenieurbüro übernimmt alles
Ist es also möglich, die ingenieurtechnische Kontrolle der Ausführung des Tragwerks auf Übereinstimmung mit den geprüften statischen Unterlagen (= Besondere Leistung in Lph 8) mit den Leistungen gemäß Bauordnung (Tätigkeit des Prüfingenieurs) fachlich und bürotechnisch zu kombinieren?
Vorteil: Nur ein Ingenieurbüro ist auf der Baustelle tätig
Diese Lösung hätte den Vorteil, dass nur ein Ingenieurbüro auf der Baustelle kontrollierend tätig ist. Das setzt aber voraus, dass das Büro die Nachweisberechtigung nach Landesbauordnung besitzt. Nur diese Büros sind berechtigt, entsprechende Prüfbescheinigungen für die Bauaufsicht auszustellen.
Büro muss Nachweisberechtigung nach Landesbauordnung besitzen
Nachfolgend ist anhand der HBO dargestellt, welche Punkte neben der Vor-Ort-Kontrolle noch wichtig sind:
- Bei der Kontrolle des Prüfingenieurs können Proben von Bauprodukten, auch aus fertigen Teilen der baulichen Anlage, zu Prüfzwecken entnommen werden.
- Die Bauaufsichtsbehörde kann verlangen, dass Bescheinigungen, Bestätigungen oder sonstige Erklärungen der Hersteller bzw. sachkundigen Lieferer von Anlagen und Einrichtungen, vorgelegt werden, dass die Anlagen und Einrichtungen ordnungsgemäß beschaffen sind. Sie kann die Bauüberwachung (des Prüfingenieurs) auf diese Leistungen beschränken.
- Im Zuge der Kontrolle durch den Prüfingenieur ist jederzeit Einblick in Genehmigungen, Zulassungen, Prüfzeugnisse, Übereinstimmungserklärungen, Übereinstimmungszertifikate, Überwachungsnachweise, Zeugnisse und Aufzeichnungen über die Prüfungen von Bauprodukten, in die Bautagebücher und andere vorgeschriebene Aufzeichnungen zu gewähren. Diese Anforderung sollte außerdem in die Bauverträge der Firmen aufgenommen werden, die das relevante Tragwerk errichten.
Was zusätzlich zu regeln ist
Übernimmt ein Büro sowohl die ingenieurtechnische Kontrolle als auch die Leistungen des Prüfingenieurs, muss auch noch eine sinnvolle Vergütungsregelung getroffen werden. Die HOAI regelt dazu nichts (ingenieurtechnische Kontrolle ist Besondere Leistung). Inwieweit andere Gebührenregelungen für Prüfingenieur-Leistungen greifen, ist je Bundesland geregelt.
Außerdem gilt: Die Organisation und Aufgabenverteilung bei der Ingenieurtechnischen Kontrolle sollte nicht ohne Beteiligung der Bauüberwachung (Lph 8 bei der Objektüberwachung) geregelt werden.
Alternative 2: Arbeitsteilung
Die Alternative besteht darin, wie bisher arbeitsteilig vorzugehen. Dann führt der nachweisberechtigte Ingenieur die Kontrollen durch, die gegenüber der Bauaufsicht zu bescheinigen sind. Das Ingenieurbüro, das den Standsicherheitsnachweis erstellt hat, übernimmt die ingenieurtechnische Kontrolle für die Leistungen, die der Bauherr werkvertragsrechtlich in Auftrag gibt.
Auch eine Arbeitsteilung bedarf klarer Regeln
Wird eine Arbeitsteilung vereinbart, sollte die Zusammenarbeit zwischen dem Prüfingenieur und dem Tragwerksplaner gut abgestimmt sein, um Überschneidungen oder Planungs- bzw. Überwachungslücken zu vermeiden. Optimal ist es, wenn sich die beiden Beteiligten darauf verständigen,
- wer jeweils welche Planungsinhalte im Rahmen seiner ingenieurtechnischen Kontrollen überwacht (= Klärung der Leistungsschnittstellen),
- dass Termine gegenseitig und mit dem Objektüberwacher (Lph 8 der Objektüberwachung) abgestimmt werden,
- dass die Dokumentation der Kontrollen fachtechnisch einheitlich und koordiniert erfolgt, und sich alle Beteiligten über die Kontrollergebnisse und etwaige Handlungsempfehlungen unverzüglich unterrichten,
- dass jeder der Beteiligten über den Gesamtumfang der ingenieurtechnischen Kontrollen jederzeit informiert ist,
- wer welche Handlungsoptionen hat (z. B. Empfehlung einer Mangelrüge an die ausführende Firma oder bei Mangelrügen mit Nachfristsetzungen).
Mit einer solchen Abstimmung und lückenlosen Dokumentation einschließlich Austausch von Unterlagen wird gewährleistet, dass die Kontrolle auf der Baustelle koordiniert und abgestimmt erfolgten. Für alle Beteiligten ist es von Bedeutung, dass klar geregelt wird, wer welche Planungsinhalte auf der Baustelle prüft.
Verbindung zur Bauüberwachung
Ergeben sich aus der Tätigkeit des Tragwerksplaners und / oder des Prüfingenieurs fachtechnische, organisatorische oder terminliche Konsequenzen für das Projekt, muss die Bauüberwachung (Objektplanung Lph 8) unverzüglich unterrichtet werden. Die Bauüberwachung kann dann den Bauherrn unterrichten und weitere Koordinierungsmaßnahmen treffen (sollte einzelvertraglich vereinbart werden). Drohen terminliche Folgen, muss schnell gehandelt werden, in der Regel als Empfehlung an den Bauherrn.
PRAXISHINWEIS | Nachweisberechtigte Ingenieurbüros, die Kontrollen erbringen, die bei der Bauaufsichtsbehörde zu bescheinigen sind, sollten prüfen, ob sie rein werkvertragliche Leistungen erbringen wollen. Damit an dieser Stelle keine Kommunikationslücken entstehen, ist zu vereinbaren, wer die Schnittstelle (= Informationsweitergabe) koordiniert, wenn zwei Ingenieurbüros eingeschaltet sind. |
Handlungsempfehlungen für Alternativen 1 und 2
Egal, welche Alternative gewählt wird: Regeln Sie in beiden Fällen, wie die Kommunikation untereinander, innerhalb des Planungs- und Überwachungsteams und gegenüber dem Bauherrn stattfindet. Klären Sie, wer gegenüber den weiteren Projektbeteiligten und dem Bauherrn federführend Beratungsleistungen übernimmt. Diese Regelungen können Sie auch nach Vertragsabschluss im Zuge der Vorbereitung der Auftragsabwicklung treffen.
PRAXISHINWEIS | PBP empfiehlt, dass der Objektplaner bzw. die Objektüberwachung die fachtechnische, terminliche und organisatorische Koordination beider Ingenieurbüros (Arbeitsteilung) oder des Ingenieurbüros (Alternative 1) übernimmt. Ziel muss sein, dass im Ergebnis kein zusätzlicher Arbeitsaufwand entsteht, sondern Synergieeffekte genutzt und eine deutlich höhere Qualitätssicherung erreicht werden. |
Im Ergebnis wird sich dadurch neben der erhöhten Sicherheit auch eine gesteigerte Effizienz bei der Bauüberwachung ergeben, weil der Objektplaner bzw. Bauüberwachung sich darauf verlassen darf, dass die ingenieurtechnische Kontrolle lückenlos und fachgerecht erfolgt.
FAZIT | Das BGH-Urteil führt in nicht wenigen Fällen zur Neuordnung der ingenieurtechnischen Kontrolle von Tragwerken. Es sollte auf jeden Fall einzelfallbezogen abgewogen werden, wie am sinnvollsten vorgegangen wird. Im Rahmen der Aufsicht kontrolliert die Bauaufsichtsbehörde (in Hessen) grundsätzlich nur, ob die erforderlichen Bescheinigungen des Nachweisberechtigten vorliegen. In die inhaltliche Prüfung steigt die Behörde in der Regel nicht ein. Der privatrechtlichen Einordnung der Prüftätigkeit des nach der HBO 2002 vom Bauherrn beauftragten Sachverständigen steht nicht entgegen, dass diese Tätigkeit durch die Vorschriften des Bauordnungsrechts vorgegeben ist.
Sicher ist in jedem Fall, dass die Qualität steigt und im Ergebnis kein Zusatzhonorar anfällt. Es erfolgt lediglich eine organisatorische Verschiebung in Richtung Qualitätskontrolle (= werkvertragliche Ausrichtung der Leistungen der Nachweisberechtigten). Denn Kontrollen, die bisher im öffentlichen Auftrag der Bauaufsicht durchgeführt worden sind, unterfallen nun dem Werkvertragsrecht. |