· Fachbeitrag · Öffentliche Aufträge
Regierung will § 3 Abs. 7 VgV ändern: Das Aus für die losweise Vergabe von Planungsleistungen?
von Ref. jur., Dipl.-Wirtschaftsing. (FH) Stefan Jungmann, Justiziar Ingenieurkammer Sachsen
| Die Bundesregierung ist dabei, die Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung ‒ VgV) zu ändern. Die Änderung betrifft § 3 Abs. 7 S. 2 VgV ‒ und damit die Möglichkeit, Planungsleistungen getrennt nach Leistungsbilden auszuschreiben. Dieser Absatz soll gestrichen werden, bzw. die Streichung steht unmittelbar bevor. Während sich übergeordnete Stellen (z.B Verbändebündnis) erst seit kurzem öffentlich äußern, legt die Ingenieurkammer Sachsen schon seit einiger Zeit den Finger in die Wunde, zuletzt im Newsletter vom 19.12. Justiziar Stefan Jungmann hat PBP erlaubt, seinen Beitrag „abzudrucken“. |
Ausblick: Möglichkeiten, Grenzen, Risiken
Es ist so gut wie beschlossen, die Möglichkeit nach § 3 Abs. VII S. 2 VgV ‒ Planungsleistungen getrennt nach Leistungsbildern auszuschreiben ‒ wird gestrichen. Entsprechende Bekundungen wurden in den letzten Gesprächen mit den Ministerien mehr als deutlich. Bereits zu Jahresbeginn werde man zur Umsetzung schreiten. So weit so schlecht.
Nun stellt sich aber die Frage, wie es mit der Ausschreibung von Planungsleistungen weitergeht. Es ist mehr als unpraktikabel, kleinteilige Leistungen im mehrstufigen Regelverfahren, Verhandlungsverfahren mit vorangeschaltetem Teilnahmewettbewerb, zu vergeben. Weder die Auftraggeber noch die Büros haben entspreche personelle und monetäre Kapazitäten. Nachfolgend werden die in den letzten Monaten und Wochen diskutierten Vorschläge zusammengetragen und so weit vorliegend, die Ergebnisse der Machbarkeitsprüfung und eine Einschätzung zur Umsetzbarkeit bzw. weiteren Vorgehensweise gegeben.
Sieben denkbare Auswege unter der Lupe
Jungmann skizziert in seinem Aufsatz sieben Auswege und beleuchtet deren Umsetzungs-Chancen:
1. Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV verhindern
Die Europäische Kommission (KOM) hat mehrfach und deutlich zu verstehen gegeben, dass ein Beibehalten ausdrücklich nicht in Frage kommt. Dies ist bereits in der Begründung der Richtlinie zur Geltung gebracht worden. Vielmehr drängt die KOM auf eine möglichst rasche Änderung, ein Abwarten ‒ bis zur nächsten umfangreichen Änderung von GWB und VgV ‒ wird nicht akzeptiert.
Damit ist die Streichung beschlossene Sache, eine Weiterverfolgung dieses Ansatzes kommt nicht in Betracht.
2. Anhebung der EU-Schwellenwerte
Idee: Eine Anhebung der EU-Schwellenwerte. Dies wurde gleichfalls mit der KOM diskutiert. Diese steht diesem Ansinnen genauso ablehnend wie 1.) gegenüber. Die Höhe von 2 Mio. Euro entbehrt jeder Grundlage und der Schwellenwert von 1 Mio. Euro (ca. 20 Prozent des EU-Schwellenwertes für Bauleistungen) bedürfe einer Änderung der EU-Verträge mit Zustimmung aller beteiligten Länder ‒ was perspektivisch nicht vorliegt.
Zur Umsetzbarkeit ist anzumerken, dass hier auch die Gleichbehandlung von Dienstleistungen im Raum steht. Warum sollte für Planungsleistungen ein neuer, eigener Wert festgelegt werden? Die propagierten 20 Prozent sind zudem ein geschätzter und nicht für alle Planungsleistungen gleichzeitig gültiger Wert.
3. Losweise Vergabe
Idee: Planung und Bau addieren. Hierbei würden die Planungs- und Bauleistungen vor Projektbeginn addiert und sollte der Wert dann unter 5,382 Mio. Euro netto bleiben, getrennt losweise ausgeschrieben werden. Weitere Vorgehensweise: Umsetzbarkeit prüfen, ggf. Anfrage bei der KOM.
Offene Punkte, die zu klären sind: keine Schaffung eines Umgehungstatbestands. § 3 Abs. 2 VgV sagt nämlich: „Die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts darf nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung zu umgehen.“
Vorliegend: Addition von Auftragswerten (Planung und Bau) mit der Folge: keine EU-weite Ausschreibung, anschließend aber losweise Trennung. Zustimmung der Bauwirtschaft ‒ immerhin geben diese rund 1 Mio. Euro Auftragswert an die Planer ab und sind damit eher im EU-Verfahren ‒ folglich für alle Lose. Aber: welches (Vergabe-)Verfahren gilt dann für die Planungsleistung? Plausible Auftragswertschätzung der Bauleistung vor der grundlegenden Planung kaum realisierbar.
4. Rahmenvertrag / Rahmenvereinbarungen
Idee: Langfristige Bindung von Büros. Die Vergabestelle schreibt einmal EU-weit Rahmenverträge oder Rahmenvereinbarungen (Unterschied!) aus und schließt mit den besten fünf (vielleicht auch zehn) Planungsbüros entsprechende Übereinkommen ab.
Folge: Mindestens die nächsten vier Jahre werden Aufträge nur innerhalb des „Siegerpools“ vergeben. Büros außerhalb haben keine Möglichkeit der Beteiligung an diesen Vergaben. Büros mit einem Rahmenvertrag sind je nach Vertragsinhalt mit Anzeige durch den Auftraggeber zur Leistungserbringung verpflichtet (Kapazitätsproblem).
5. Generalplaner (GP) / Generalübernehmer (GÜ)
Idee: Verzicht auf Losweise Vergabe. Zu dieser Lösung gibt es bereits einige Befürworter. Zur Minimierung des Aufwands beim Auftraggeber werden GP oder sogar GÜ ausgeschrieben. Vorteil: Ein Verfahren für die Planungsleistung bzw. das Projekt. Nachteil: Kleine und mittelständische Büros können bei großen Projekten nicht partizipieren und sind selbst bei kleineren Projekten angehalten, Bietergemeinschaften / Arbeitsgemeinschaften mit den entsprechenden Haftungsrisiken zu bilden
6. Zuweisung der Planungsleistung zum Anhang XIV der Richtlinie ‒ Besondere und soziale Dienstleistungen § 130 GWB
Idee: Nutzen des vorhandenen Systems Anhang XIV. Eine bisher wenig betrachtete Lösung stellt die Betrachtung der Planungsleistung als eine besondere Dienstleistung nach § 130 GWB i. V. m. Anhang XIV der Richtlinie dar. Grundgedanke des § 130 GWB ist die Binnenmarktrelevanz. Neben der Auswirkung der Binnenmarktrelevanz nach „unten“ ‒ Beachtung der EU-Richtlinien unterhalb der EU-Schwellenwerte bei Aufträgen, die per se ein grenzübergreifendes Interesse hervorrufen1 ‒ gibt es auch die Binnenmarktrelevanz nach „oben“. Die EU hat in der Richtlinie in Art. 74 eine Gruppe von Leistungen definiert, die erst ab einem wesentlich höherem Schwellenwert ein grenzübergreifendes Interesse hervorrufen. Üblicherweise sind dies ortsgebundene Leistungen wie das Beherbergungsgewerbe. Zusätzlich dazu hat der EuGH in regelmäßiger Rechtsprechung Anforderungen an die Binnenmarktrelevanz definiert. Dazu zählen unter anderem die örtliche Gebundenheit der Leistung sowie der Sprach- und Rechtsrahmen.
Planungsleistungen unterliegen einem hohen eindeutigen (d. h. mit definierten Begriffen) Kommunikationsaufwand ‒ in Deutsch - und der Kenntnis von Bauordnungs- und Bauplanungsrecht nebst weiteren Rechtsgebieten u.a. dem Vergaberecht. Nicht zuletzt wird vom Planer eine hohe und regelmäßige Anwesenheit vor Ort erwartet. Für die Erbringung dieser besonderen Leistungen sieht die EU einen wesentlich höheren Schwellenwert ‒ 750.000 Euro netto ‒ vor. Damit wären nach der überschlägigen Rechnung die Planungsleistungen für Bauprojekte bis rund 3,75 Mio. Euro vom Europarecht ausgenommen. Die Statistiken werden zeigen, dass das Interesse bei Aufträgen bis zu diesem Umfang im anderssprachigen Ausland im Promillebereich liegt.
Vorteil: Die EU-Verträge, respektive die Richtlinien, müssen nicht geändert werden. Nachteil: Die EU muss überzeugt werden, die Planungsleistungen in den Katalog des Anhangs XIV mit aufzunehmen.
7. Wenn Punkte 1 bis 6 scheitern
Positiv gedacht brauchen die unter 1. bis 6. erläuterten Alternativen, sofern Sie überhaupt umsetzbar sind, mindestens eines ‒ Zeit. Soweit bekannt, steht die Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV jedoch unmittelbar bevor. Weder für Auftraggeber noch für Auftragnehmer ist es zumutbar, alle Leistungen in Losen europaweit auszuschreiben. Daher noch ein Gedanke dazu, wie es trotzdem funktionieren kann:
Idee: Nutzen der vorhandenen Bandbreite des Vergaberechts
- Teillösung a: Unbestritten ist es möglich, § 3 Abs. 9 VgV einen Bagatellwert i. H. v. insgesamt 20 Prozent des Gesamtwerts der addierten Planungsleistung dem Europarecht zu entziehen. Damit wären kleinteilige Aufträge wie Vermessungsleistungen nach wie vor nach nationalen Vorschriften zu vergeben. Zu beachten: Die zweite Voraussetzung ist, dass der Einzelauftrag 80.000 Euro netto nicht überschreitet.
- Teillösung b: Der Öffentliche Auftraggeber ist nicht auf das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb beschränkt, sondern kann sich immer des Offenen Verfahrens bedienen. D. h., die Verfahrensdauer reduziert sich wesentlich und kann auf (zzgl. Verwaltungslaufzeit) knapp drei Monate reduziert werden. Einhergehen muss diese Lösung mit standardisierten Prozessen und Vergabeunterlagen inkl. Formularen wie Vertragsmustern sowie einem wettbewerbskonformen Wertungsschema. Da die gesamte Vergabe im Europarecht per se elektronisch abläuft, werden Zeitverluste durch analoge Prozesse vermieden. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist es möglich, den Prozess in einem zumutbaren zeitlichen, personellen und monetären Umfang durchzuführen.
FAZIT | Es wurden verschiedene, in alle Richtungen gedachte, Lösungsansätze eruiert. Dem ersten Prüfen nach sind sie leider nur begrenzt umsetzbar. Einigen hat die KOM bereits widersprochen, andere sind mit dem Gedanken der Förderung Klein- und mittelständischer Planungsbüros kaum vereinbar. Ob und wenn ja, welcher Ansatz funktioniert, wird 2023 in Erfahrung gebracht werden können. |
Weiterführende Hinweise
- Resolution der kommunalen Spitzenverbände und Verbände der planenden Berufe: https://www.vbi.de/wp-content/uploads/2022/12/Resolution-Verbaendegespraech_Schreiben-BAK-und-kommunale-Spitzenverbaende-an-BMWK-und-BMWSB_web.pdf