· Fachbeitrag · Bilanz
Bilanzierung und Bewertung „unfertiger Leistungen“: Das ändert sich in der Bilanz 2015
von Steuerberater Dr. André Brüggemann, Hameln
| Immer mehr (zur Zeit rund 50 Prozent) aller Planungsbüros ermitteln ihre steuerlichen Einkünfte mit Hilfe einer Bilanz. Für all diese ist das Thema „Bilanzierung unfertiger Leistungen“ ein wichtiges. Das gilt umso mehr, als die Finanzverwaltung seit neuestem die Auffassung vertritt, dass der Gewinn eines Planungsbüros nicht erst bei Stellung der Schlussrechnung realisiert ist, sondern bereits, wenn der Anspruch auf Abschlagszahlung entstanden ist ( PBP 7/2015, Seite 17 ). Dies hat natürlich auch Folgen für die künftige Bilanzierung und Bewertung unfertiger Leistungen. |
Bisherige Bilanzierungspraxis hat ausgedient
Bisher waren unfertige Leistungen (= Herstellungskosten bzw. Aufwand für ein noch nicht abgenommenes Projekt) auf der Aktivseite der Bilanz im Umlaufvermögen zu erfassen. Erhaltene Abschlagszahlungen dagegen wurden auf der Passivseite der Bilanz bei den Verbindlichkeiten erfasst.
Nach Ansicht des BFH (Urteil vom 14.5.2014, Az. VIII R 25/11, Abruf-Nr. 142955; PBP 12/2014, Seite 19) und der Finanzverwaltung (BMF, Schreiben vom 29.6.2015, Az. IV C 6 - S 2130/15/10001, Abruf-Nr. 144833) ist es nicht mehr zulässig, erhaltene Anzahlungen auf der Passivseite der Bilanz bei den Verbindlichkeiten zu erfassen, wenn diese auf der HOAI beruhen. Folglich sind auch die zugehörigen unfertigen Leistungen nicht mehr zu bilanzieren, da die (Teil-)Leistung nach der neuesten Auffassung wirtschaftlich als erfüllt gilt.
Die neue Bilanzierung und Bewertung unfertiger Leistungen
Die Position „unfertige Leistungen“ kann künftig also nur noch dann im Jahresabschluss auftauchen, wenn für das jeweilige Projekt bzw. den Projektabschnitt noch keine Abschlagsrechnungen gestellt wurden. Doch wie ist diese Position dann zu bewerten? Es sind zwei Gesetze zu beachten:
- 1. Das Handelsgesetzbuch (HGB): Es richtet sich an alle Kaufleute bzw. Bilanzierer und dient dazu, dass sich Außenstehende (Gläubiger, Banken) über ihre Gewinnermittlung informieren können.
- 2. Das Einkommensteuergesetz (EStG): Es erhält ergänzende Vorschriften für die steuerliche Gewinnermittlung (Finanzamt).
Das BFH-Urteil erging zum Steuerrecht. Ob es auch Auswirkungen auf die Handelsbilanz hat, ist umstritten. So vertritt das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) die Auffassung, dass sich die Urteilsgrundsätze nicht auf die Handelsbilanz übertragen lassen (Schreiben des IDW an das BMF vom 8.4.2015). Trifft das zu, käme es zu einer Abweichung von Handels- und Steuerbilanz wenn Sie die Vorgaben des BFH und BMF befolgen. Bislang konnte dies vermieden werden, indem die Wahlrechte in Handels- und Steuerbilanz gleich ausgeübt wurden.
Die Darstellung und Bewertung in der Handelsbilanz
Gemäß § 255 Abs. 2 HGB sind in die Herstellungskosten (Aktivseite) zwingend Material- und Fertigungskosten sowie zugehörige Gemeinkosten (zum Beispiel Raumkosten, Sachversicherungen, Vorbereitungs- und Kontrollkosten) einzubeziehen. Außerdem können - auf freiwilliger Basis - Kosten der allgemeinen Verwaltung, für soziale Einrichtungen des Unternehmens oder für die betriebliche Altersvorsorge einbezogen werden.
Die Darstellung und Bewertung in der Steuerbilanz
Für die Steuerbilanz sind neben den Material- und Fertigungskosten mit den zugehörigen Gemeinkosten auch zwingend angemessene Kosten der allgemeinen Verwaltung, für soziale betriebliche Einrichtungen und freiwillige soziale Leistungen sowie für die betriebliche Altersvorsorge einzubeziehen (zum Beispiel Aufwendungen für die Geschäftsführung, Kosten für Betriebsrat und Ausbildungen, Essenszuschüsse, Beiträge an Pensionsfonds usw.).
Der Unterschied zur Handelsbilanz: Dort können Sie wählen, ob Sie letztgenannte Kosten in die Bilanz aufnehmen. In der Steuerbilanz haben Sie die Pflicht dazu (R 6.3 Abs. 1 Einkommensteuer-Richtlinien [EStR]). Diese Pflicht besteht seit einer Änderung der EStR durch die Einkommensteuer-Änderungsrichtlinien 2012. Der Gedanke des Gesetzgebers bzw. der Finanzverwaltung dahinter ist offensichtlich: Je mehr Kosten aktiviert werden (müssen) - in diesem Fall in den unfertigen Leistungen i- desto größer wird die Aktivseite der Bilanz im Verhältnis zur Passivseite, somit entsteht bilanziell ein höherer Gewinn und damit eine höhere Steuerbemessungsgrundlage.
PRAXISHINWEIS | Die Wirtschaft hat gegen diese Verschärfung mit Erfolg protestiert. Das BMF hat nämlich eine Übergangsregelung erlassen. Es hat nichts dagegen, wenn die ursprüngliche Regelung (R 6.3 Abs. 4 EStR 2008) bis zu einer Neuverabschiedung der EStR weiterhin angewendet wird. Diese Altregelung entspricht im Prinzip der handelsrechtlichen Vorschrift, das heißt auch bei der steuerlichen Bilanzierung besteht bis auf Weiteres ein Wahlrecht (BMF, Schreiben vom 25.3.2013, IV C 6 - S 2133/09/10001 :004, Abruf-Nr. 144977). |
Konkrete Vorbereitung Ihres Jahresabschlusses 2015
Für die Vorbereitung Ihres Jahresabschlusses 2015 und die Bilanzierung unfertiger Leistungen 2015 heißt das konkret:
- Prüfen Sie, für welche Projekte bzw. Teilleistungen Abschlagszahlungen vereinnahmt wurden. Für diese kommt eine Bilanzierung unfertiger Leistungen nach der neuen Rechtsprechung zumindest in der Steuerbilanz nicht mehr in Frage.
- Prüfen Sie, welche Kosten in Projekten angefallen sind, für die Sie noch keine Abschlagszahlung erhalten haben. Dies sind neben den oben genannten zum Beispiel auch Kosten der Mängelbeseitigung, Fahrtkosten zum Auftraggeber und zur Baustelle, Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall der jeweiligen Projektmitarbeiter und andere.
- Nutzen Sie dafür die Möglichkeiten Ihrer Projektmanagementsoftware oder bitten Sie Ihren Steuerberater, eine Kostenstellenrechnung einzurichten.
- Aus steuerlicher Sicht kann es sinnvoll sein, die alte Regelung anzuwenden, also möglichst wenig der genannten Aufwendungen (freiwillig) in den unfertigen Leistungen zu erfassen. Dadurch ist der Aktivposten „unfertige Leistungen“ relativ kleiner. Das bewirkt auf der Passivseite der Bilanz (bilancia = Waage) einen kleineren Gewinn und somit eine geringere Steuerbemessungsgrundlage.
- Eine andere Strategie ist zu empfehlen, wenn Verhandlungen mit Geldgebern oder eine Büroveräußerung anstehen. Hier kann es ratsam sein, (freiwillig) möglichst viele Aufwendungen in den unfertigen Leistungen zu erfassen. Dadurch wird der Aktivposten „unfertige Leistungen“ größer, entsprechend weisen Sie auf der Passivseite auch einen höheren Gewinn aus. Das deutet auf ein leistungsstarkes Unternehmen hin und beeinflusst die Kreditwürdigkeit oder den Kaufpreis positiv.
- Prüfen Sie außerdem, ob für eine noch offene Abschlagszahlung eine Forderung zu bilanzieren ist: Ist eine Abschlagszahlung nach den neuen BFH-Grundsätzen verdient (also die zugehörige Teilleistung erbracht) und die Zahlung zum Bilanzstichtag fällig aber noch nicht geleistet, dann liegen die Voraussetzungen einer Forderung vor, die mit ihren „Anschaffungskosten“ zu aktivieren ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Gemeint ist hier der Nennwert, also die vertraglich vereinbarte Höhe.
PRAXISHINWEIS | Prüfen Sie, ob Sie künftig von dem Problem nicht mehr betroffen sind. Das Bürokratieabbaugesetz, das am 2. Juli im Bundestag beraten worden ist, sieht nämlich unter anderem vor, dass die Schwellenwerte für die handels- und steuerrechtlichen Aufzeichnungs- und Buchführungspflichten (§§ 241a HGB und 141 AO) um 20 Prozent angehoben werden. Büros bis zu 600.000 Euro Umsatz (bisher 500.000 Euro) bzw. 60.000 Euro Gewinn (bisher 50.000 Euro) wären dann von der Buchführungs- bzw. Bilanzierungspflicht befreit. Sie könnten zur Einnahmen-Überschussrechnung wechseln. Aber Achtung: Wenn Sie trotz Wegfall der Pflicht weiterhin freiwillig bilanzieren, müssen Sie sich an die gesetzlichen Vorschriften halten. |
Weiterführende Hinweise
- Beitrag „Abschlagsforderung führt zu Gewinnrealisierung: So wirkt sich das BFH-Urteil auf Ihre Bilanz aus“, PBP 7/2015, Seite 17
- BMF-Schreiben zur Gewinnrealisierung bei Abschlagsrechnungen nach § 8 HOAI bzw. 632 BGB, pbp.iww.de, Abruf-Nr. 144833