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  • · Fachbeitrag · Honorararzt

    Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit eines Honorararztes in einer Klinik

    von RA Philip Christmann, FA MedR, Berlin/Heidelberg, www.christmann-law.de

    Maßgeblich für die Sozialversicherungspflicht sind die vertragliche Ausgestaltung und der Wille der Vertragsparteien, tatsächliche Freiheiten des Honorararztes bei der Gestaltung seiner Dienste, das Auftreten des Honorararztes gegenüber Sozialversicherung und FA sowie die Tatsache, dass Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung nicht eindeutig überwiegen. Andere, sonst im Rahmen der Abgrenzung zwischen freier und abhängiger Beschäftigung maßgebliche Abgrenzungskriterien sind im Fall der honorarärztlichen Tätigkeit nicht eindeutig und damit im Ergebnis irrelevant (SG Braunschweig 25.7.14, S 64 KR 412/13).

     

    Sachverhalt

    Ein seit 2002 von der Renteversicherungspflicht befreiter Facharzt für Chirurgie arbeitete an verschiedenen Krankenhäusern als Honorararzt. Vermittelt durch die über das Internet tätige Agentur Hire a Doctor schloss er 2011 mit dem Krankenhaus (der späteren Klägerin) mehrere Verträge über honorarärztliche Tätigkeit in der Notaufnahme der dortigen Klinik für Chirurgie ab. Die schriftlichen Verträge sind jeweils explizit als Honorararztvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und nicht als Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen worden.

     

    • Wichtige vertragliche Regelungen laut Sachverhalt
    • Nach § 1 des Vertrags führt der Arzt die erteilten Aufträge des Krankenhauses in eigener Verantwortung aus, wobei er zugleich die Interessen des Krankenhauses zu berücksichtigen hat.

     

    • Der Honorararzt machte von seinen Freiheiten und Möglichkeiten der selbstständigen Tätigkeit ausgiebig Gebrauch.

     

    • Die von ihm geleisteten Dienste dauerten durchschnittlich 15 Stunden pro Einsatztag.

     

    • Während der gesamten Einsatzzeit stellte die Klägerin dem Beigeladenen eine angemessene Unterkunft zur Verfügung.

     

    • Der Honorararzt rechnete seine Tätigkeit mit dem Krankenhaus auf Stundenbasis (70 EUR/Std.) ab.

     

    • Insgesamt zahlte das Krankenhaus dem Honorararzt für die von ihm angegebenen 77 Einsatztage 84.735 EUR Honorar und der Onlineärztevermittlung Hire a Doctor 10.083,47 EUR Vermittlungsprovision.
     

    Eine Anmeldung zur Sozialversicherung ist nicht erfolgt und gegenüber dem FA war der Arzt unbeanstandet als Selbstständiger gemeldet. Auch trat der Arzt gegenüber dem FA als Selbstständiger auf.

     

    Das Krankenhaus beantragte 2012 nach einer Betriebsprüfung die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status des Honorararztes. Die Beklagte beschied, dass die Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde. Dagegen legte das Krankenhaus Widerspruch ein, der abgelehnt wurde. Das Krankenhaus klagte gegen den Bescheid.

     

    Anmerkungen

    Das SG Braunschweig hob den Bescheid der Beklagten auf und stellte fest, dass die Tätigkeiten des Honorararztes in dem Krankenhaus keine abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen darstellen:

     

    • Vertragswille der Beteiligten:Entscheidend ist, dass laut Vertrag zwischen Honorararzt und Krankenhaus ein Weisungs- und Direktionsrecht des Krankenhauses grundsätzlich nicht gegeben ist. Denn nach § 1 des Vertrags führt der Honorararzt die erteilten Aufträge des Krankenhauses in eigener Verantwortung aus, wobei er zugleich die Interessen des Krankenhauses zu berücksichtigen hat. Wie sich aus der schriftlichen Vertragsgestaltung ergibt, waren sich die Vertragsparteien darüber einig, dass die Tätigkeit ausdrücklich nicht als abhängige Beschäftigung, sondern als selbstständige Tätigkeit ausgestaltet wurde. Die Verträge wurden jeweils explizit als Honorararztvertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer und nicht als Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen.

     

    • Tatsächliche Vertragsdurchführung:Das Vertragsverhältnis wurde auch als freies Honorararztverhältnis gelebt. Der Honorararzt hat von den vertraglich eingeräumten Freiheiten bezüglich Lage und Länge der Dienste (bis zu 15 Stunden pro Einsatztag), der Höhe des ausgehandelten Stundenhonorars und des Gesamthonorars Gebrauch gemacht. Das Krankenhaus hat den Honorararzt nicht zur Sozialversicherung angemeldet und ihn gegenüber dem FA unbeanstandet als Selbstständiger gemeldet. Der Honorararzt trat gegenüber dem FA als Selbstständiger auf.

     

    PRAXISHINWEIS | Das SG Braunschweig weist darauf hin, dass es keine sozialversicherungsrechtlichen Normen gibt, die dieser Praxis honorarärztlicher Tätigkeit in einem Krankenhaus entgegenstehen. Mittlerweise arbeiteten fast alle Krankenhäuser in Deutschland mit dem hier zur Prüfung stehenden Modell. Es sei dem Krankenhaus nicht verwehrt, ärztliche Leistungen auf dem freien Markt einzukaufen. Ob dies berufs- oder zulassungsrechtlich oder in sonstiger Weise problematisch sei, ist hier nicht von Belang.

     

    Auch sei eine eindeutige sozialversicherungsrechtliche Zuordnung für einzelne Berufsbilder nicht (mehr) möglich. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Einordnung der honorarärztlichen Tätigkeiten fänden sich in der Rechtsprechung alle Varianten von Entscheidungen.

     
    • Keine überwiegenden Anzeichen für eine abhängige Beschäftigung: Auszugehen ist grundsätzlich vom hier erklärten Willen der Vertragsparteien, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ausdrücklich nicht gewollt zu haben. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis kann, ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen, demnach nur dann vorliegen, wenn entgegen dem Willen der Vertragsparteien die tatsächlichen Umstände für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechen. Das ist nur dann der Fall, wenn die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung eindeutig überwiegen.

     

    Das kann hier schon deshalb nicht festgestellt werden, weil es kein einziges Kriterium gibt, welches in diesem Fall eindeutig für eine abhängige Beschäftigung oder für eine selbstständige Tätigkeit spricht:

     

    • Uneindeutige Abgrenzungskriterien (SG Braunschweig)

    Im Ergebnis sieht das SG Braunschweig folgende Abgrenzungskriterien hier als nicht eindeutig an:

     

    • Eingliederung in den Krankenhausbetrieb (insbesondere Erfassung des Honorararztes im Dienstplan) und Weisungsgebundenheit: Der Dienstplan dient nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Information aller Beteiligten. Sowohl Arbeitnehmer als auch Selbstständige müssen sich nach Vorgaben des Dienstherren richten. Der Chefarzt hatte sicher ein Letztentscheidungsrecht in der Sache (Art der Ausführung). Keinesfalls aber ein durchsetzbares Weisungsrecht hinsichtlich Zeit und Dauer der Ausführung. Der Ort der Ausführung der Tätigkeit war nicht durch den Chefarzt vorgegeben, sondern entsprang der Natur der Sache.

     

    • Art der Dienste: Auch in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen (z.B. in Vertrauensarbeitszeitmodellen) gibt es weitgespannte Entscheidungsfreiheiten der Arbeitnehmer über ihre tägliche Arbeitszeit.

     

    • Teilnahme an nicht unmittelbar arbeitsbezogenen Veranstaltungen (z.B. Teambesprechungen, Fortbildungen): Es ist keinesfalls ungewöhnlich, wenn nicht dem Betrieb zugehörige Selbstständige, die sich dort aber wegen der Auftragserledigung längere Zeit aufhalten, an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen.

     

    • Persönliche Leistungserbringung: Auch der selbstständige Auftragnehmer kann verpflichtet sein, einen Auftrag höchstpersönlich auszuführen.

     

    • Das Recht, auch für dritte Auftraggeber tätig zu werden: Auch der abhängig Beschäftigte kann parallel mehrere Arbeitsverhältnisse haben, was auch mehr und mehr der Realität des deutschen Arbeitsmarkts entspricht.

     

    • Unterkunft und Verpflegung: Auch dies ist kein Spezifikum des einen oder anderen sozialversicherungsrechtlichen Status.
    • Unternehmerisches Auftreten und Risiko: Auch abhängig Beschäftigte haben Visitenkarten und erstellen ihre Steuererklärung zu Hause. Der neuzeitliche Arbeitsmarkt kennt die strikte Trennung zwischen Arbeiter und Angestelltem ohne Kapitalrisiko einerseits und fabrik- und maschinenbesitzendem Unternehmer mit Kapitalrisiko andererseits nicht mehr. Ebenso wie viele abhängig Beschäftigte vermarkten mittlerweile nicht unerheblich viele Selbstständige ihre geistigen Fähigkeiten. Sie können dies ohne nennenswerten Kapitaleinsatz.

     

    • Erscheinungsbild des Honorararztes nach außen: Da es keine ausdrückliche Dienstuniform gab, die es zu tragen galt, geht das Sozialgericht davon aus, dass damit zwar für Patienten nicht zu erkennen war, welchen sozialversicherungsrechtlichen Status der Honorararzt hat, er aber nicht zwingend eindeutig als angestellter Arzt des Krankenhauses wahrgenommen werden musste.

     

    • Freie Wahl der Mitarbeiter durch Honorararzt: Auch der in einer Gemeinschaftspraxis selbstständig tätige Arzt kann sich nicht uneingeschränkt aussuchen, mit wem er dort zusammen arbeitet.

     

    • Zeitlich befristeter Vertrag: Zeitlich befristete Verträge gibt es durchaus auch bei abhängigen Beschäftigungsverhältnissen.

     

    • Keine Urlaubs- und Krankheitsvertretung: Auch abhängig Beschäftigte sind nicht zwingend immer verpflichtet, Vertretungen für Kollegen und Kolleginnen wahrzunehmen.

     

    • Haftung des Krankenhauses für Fehler des Honorararztes: Zwar haftet das Krankenhaus im Außenverhältnis für Fehler innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs. Das trifft aber auch für Fehler aller selbstständigen Handwerker zu, die in dem Krankenhaus tätig waren und sind.

     

    • Haftpflichtversicherungen: Alle Möglichkeiten der Haftpflichtversicherung finden sich sowohl in abhängigen Beschäftigungen als auch bei selbstständiger Tätigkeit, die in fremden Unternehmen ausgeführt wird.

     

    • Sonstige Versicherungen, Lohnfortzahlung: Das Vorhandensein privater Renten-, Kranken-, Pflege- und Unfallversicherungen des Honorararztes kann schlicht Ausfluss der fehlerhaften Eigenbeurteilung des versicherungsrechtlichen Status gewesen sein.

     

    • Honorarverhandlungen: Ob und wie erfolgreich abhängig Beschäftigte oder Selbstständige mit dem Aushandeln von Arbeitsentgelt oder Vertragshonorar sind, hängt nicht von deren Status, sondern von deren persönlichem Geschick ab.

     

    • Abrechnung des Honorararztes mit dem Krankenhaus (und nicht mit der Kassenärztlichen Vereinigung): Ein Arzt, der mit der KV abrechnet, wird regelmäßig selbstständig sein. Allerdings ist der Arzt, der das nicht tut oder nicht kann, nicht zwangsläufig abhängig beschäftigt.
     

    Insgesamt muss deshalb die streitige Tätigkeit so beurteilt werden, wie die Vertragsparteien des Honorararztvertrages sie übereinstimmend selbst eingeschätzt haben, nämlich als selbstständige Tätigkeit und nicht als abhängige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

     

    Praxishinweis

    Das SG ist der Meinung, dass die meisten der Kriterien, die die Rechtsprechung über die Jahre für die Abgrenzung zwischen abhängiger und freier Beschäftigung entwickelt hat, für die spezielle Beurteilung der Tätigkeit des Honorararztes in einer Klinik nicht hilfreich sind. Daher stellt es maßgeblich auf den im Vertrag festgelegten Willen von Honorararzt und Klinik ab, auf das Verhalten gegenüber Sozialversicherungsträger und FA und darauf, ob der Arzt in seiner Tätigkeit über die Dienste bezüglich Lage, Dauer und Entlohnung frei entscheiden konnte. Dann prüft es (negativ), ob demgegenüber die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung eindeutig überwiegen, sieht diese Merkmale aber im Ergebnis hier als nicht eindeutig an.

     

    Damit spart sich das Gericht auf elegante Weise eine zeitaufwändige Einzelfallprüfung aller in Betracht kommenden Abgrenzungskriterien und konzentriert sich auf bestimmte Fragestellungen wie etwa die vertragliche Gestaltung. Ob sich diese Sicht, insbesondere mit Blick auf die auf das Gesamtbild der Arbeitsleistung abstellende Rechtsprechung des BSG (vgl. etwa BSG 30.4.13, B 12 KR 19/11 R), die gerade nicht auf ein eindeutiges Überwiegen abstellt, durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

     

    Es bleiben für Honorarärzte und Kliniken also rechtliche Unsicherheiten. Derselbe Sachverhalt kann von dem einen Gericht so, von einem anderen aber anders entschieden werden. Diese Unsicherheiten lassen sich durch eine juristische Prüfung und ein Statusfeststellungsverfahren klären. Anders als hier sollte dies aber vor Beginn der honorarärztlichen Tätigkeit erfolgen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Honorarrecht - Nicht angeforderte Honorarärzte dürfen keine wahlärztlichen Leistungen abrechnen (Christmann, PFB online, Nachricht vom 21.10.14)
    • Kooperationen - Die aktuelle Rechtsprechung zum Honorararzt (Christmann, PFB 13, 311)
    • Honorararzt - Entscheidung des LSG Stuttgart verunsichert erneut Honorarärzte und Krankenhäuser (Schmitt, PFB online, Nachricht vom 16.8.13)
    • Der Vertrag des Honorararztes (Christmann, PFB 13, 19)
    • GKV-Versorgungsstrukturgesetz: Konsiliararzt, Honorararzt oder Anstellung im Krankenhaus? (Stenger, PFB 12, 220)
    • Honorararzt: Die Risiken der Beschäftigung eines Honorararztes durch ein Krankenhaus (Kleinke, PFB 11, 252)
    • Sektorenübergreifende Versorgung: Wahlleistungen durch Kooperationsärzte? (Clausen/Scholl-Eickmann, CB 8/12, 8)
    • Die Änderung des § 2 KHEntgG - Beginnt jetzt die „große Freiheit“ für Honorarärzte? (Clausen, ZMGR 12, 248)
    • Positionsbestimmung zum Honorararzt durch KBV/BÄK: Fragen bleiben offen (Scholl-Eickmann, AMK 7/11, 18)
    • Krankenhausrecht: Honorararzt als Vertreter des Chefarztes: Rechtlich grenzwertige Regelungen vermeiden (Clausen, CB 10/12, 1)
    Quelle: Ausgabe 03 / 2015 | Seite 65 | ID 43173746