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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuerbefreiung

    Züchtung von Humangewebe als Heilbehandlung i.S. von § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG

    von Dipl.-Finw. Jürgen Serafini, Troisdorf

    | Heilbehandlungen am Menschen sind umsatzsteuerfrei. Das Gesetz unterscheidet zwischen Leistungen von Heilberuflern und Leistungen von Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser, Laboratorien). Der BFH (29.6.11, XI R 52/07 ) hat nun entschieden, dass auch ein mit der gewerblichen Züchtung menschlichen Gewebes beschäftigtes Laboratorium eine Heilberuflerleistung i.S. von § 4 Nr. 14 UStG a.F. (seit 2009: § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ) erbringt. Der BFH überrascht dabei mit Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Leistungen von Heilbehandlern und Einrichtungen, die auf eine Änderung seiner Rechtsprechung deuten könnten. |

    1. Die Vorgeschichte

    Ein in Deutschland ansässiges Biotechnologie-Unternehmen (B) beschäftigte sich in seinen Laboratorien u.a. mit der Anzüchtung von Humangewebe. Den Patienten wurde von der behandelnden Klinik Gewebematerial entnommen, welches die B im Labor aufbereitete und durch Züchtung vermehrte. Die Zellen erhielt die Klinik anschließend zur Reimplantation bei demselben Patienten zurück. In den Streitjahren ging es um die Umsatzbesteuerung der Leistungen gegenüber im Ausland ansässigen Kliniken. Während die B und das im nachfolgenden Streit angerufene FG im Hinblick auf § 3a Abs. 2 Nr. 3c UStG von in Deutschland nicht umsatzsteuerbarer Gegenstandsbearbeitung ausgingen, legte der BFH das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

    2. Die Entscheidungen von EuGH und BFH

    Der EuGH (18.11.10, C-156/09) wertete die Züchtungsleistungen als steuerfreie Heilbehandlungsleistungen und hielt daher eine Beantwortung der Frage nach dem Leistungsort für entbehrlich. Die nach deutschem Rechtsverständnis vorrangig zu beantwortende Frage nach dem Leistungsort beantwortet der BFH nun selbst: Da die Knorpelzüchtungsleistungen keine Gegenstandsbearbeitung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3c UStG a.F.), sondern Heilbehandlungsleistungen sind, bestimmt sich der Leistungsort nach dem Ort, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt (§ 3a Abs. 1 UStG). Dies ist systematisch und dürfte mit der bisherigen Rechtsmeinung in Einklang stehen (vgl. FG Düsseldorf 22.07.09, 5 K 3371/05 U; Rev BFH V R 37/09). Für die im Streitfall gegenüber auslandsansässigen Kliniken erbrachten Leistungen ist die Ortsbestimmungsfrage seit 2010 allerdings entschärft, denn seither nimmt der B2B-Grundsatz des § 3a Abs. 2 UStG n.F. eine Ortsverlagerung zum Empfängersitzort im Ausland vor. Allerdings bleibt auch in diesen Fällen die Folge der Vorsteuerkappung gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG erhalten.

     

    Hinsichtlich der systematisch nachgelagerten Steuerbefreiung übernimmt der BFH die Vorgaben der EuGH-Entscheidung, wonach die Humangewebezüchtung zur konkreten Verwendung in einer nachfolgenden Operation unmittelbar vorbereitenden - und damit unlösbar mit der Behandlung verbundenen - Heilbehandlungscharakter habe und daher umsatzsteuerfrei sei.

    3. Abgrenzung von Heilbehandler- und Einrichtungsleistung

    Überraschend - und dies macht die eigentliche Bedeutung der Entscheidung aus - sind die nachfolgenden BFH-Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Heilbehandlerleistung einerseits und Einrichtungsleistung andererseits.Bereits in seinem Vorabentscheidungsersuchen hatte der BFH auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL und damit auf Heilbehandlerleistungen (§ 4 Nr. 14 UStG a.F.) Bezug genommen, ohne dabei diese Abgrenzung zu thematisieren. Deswegen war der EuGH in seiner Entscheidung auf diesen Punkt nicht weiter eingegangen, sondern hatte in der Antwort lediglich die in der BFH-Anfrage aufgeführte Befreiungsvorschrift wiederholt. Und eben davon leitet der BFH die Bestätigung ab, dass entsprechende Gewebezüchtungsleistungen auch nach Ansicht des EuGH unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c und nicht Buchst. b der 6. EG-RL zu fallen hätten.

     

    3.1 Die bisherige Rechtsprechung

    Nach bisherigem Rechtsverständnis von Rechtsprechung wie Finanzverwaltung waren Heilbehandlerleistungen i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL/ § 4 Nr. 14 UStG in Abgrenzung zur Heilbehandlung durch Einrichtung (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL/ § 4 Nr. 16 Buchst. a bis c UStG a.F.) insbesondere durch das arzttypische persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Heilbehandler und Patient und zudem dadurch geprägt, dass die Behandlung außerhalb von Krankenanstalten in der Praxis des Heilbehandlers oder der Wohnung des Patienten erfolgte. Nach dieser Differenzierung waren Heilbehandlungen durch Krankenhäuser bzw. Labor- und Analyseleistungen entsprechender Institute als Einrichtungsleistung (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL) einzuordnen, da es bei letzteren insbesondere am persönlichen Vertrauensverhältnis bzw. Patientenkontakt mangelte.

     

    3.2 Die neue (?) Rechtsprechung

    Diesen - im Hinblick auf die gänzlich unterschiedlichen Befreiungsanforderungen bedeutsamen - Grundsatz scheint der BFH nun aufweichen zu wollen, wenn er bekundet, Leistungsort und persönliches Vertrauensverhältnis sei nicht ausnahmslose Voraussetzung für die Einordnung als Heilbehandlerleistung. Zur Begründung verweist er darauf, dass auch eine medizinisch-technische Assistentin (MTA) gemäß § 4 Nr. 14 UStG a.F. begünstigte Heilbehandlerleistungen erbringen könne (BFH 29.1.98, V R 3/96). Dieser Urteilsverweis überzeugt für die hier fragliche Abgrenzung m.E. jedoch nicht, denn in dem zitierten Verfahren führte eine MTA im Auftrag und in der Praxis von HNO-Ärzten funktionsdiagnostische Voruntersuchungen mit den Patienten durch. Dort waren sowohl der Leistungsortstypus (in der Praxis), als auch das durch den unmittelbaren Patientenkontakt gegebene persönliche Vertrauensverhältnis vorhanden. Demgegenüber erfolgten im vorliegenden Verfahren die Gewebezüchtungsleistungen für Auslandskliniken fernab vom Patienten (außerhalb von Behandlungspraxis oder Wohnung) und ohne jeglichen Kontakt des Laborpersonals zum Patienten in anonymisierter Form, was nach der bisherigen EuGH-Systematik (EuGH 8.6.06, C-106/05, Rz. 33 und 39) zweifelsfrei für den Typus einer Einrichtungsleistung i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL sprach.

     

    Plausibel wäre - aber insofern schränkt der BFH seine Aussage nicht ein - die Zielrichtung der BFH-Aussage allenfalls für die alte Rechtslage bis 31.12.08. Denn insofern hatte der BFH (15.3.07, V R 55/03) ausgeführt, da Laborärzte und klinische Chemiker als Katalogberufler bereits unter § 4 Nr. 14 UStG a.F. fallen könnten, widerspreche es dem gemeinschaftsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz, wenn inhaltsgleiche Leistungen bei den von Laborärzten bzw. klinischen Chemikern geführten medizinischen Einrichtungen i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG nur bei Erfüllung der dort genannten Sozialbindungsquote steuerfrei blieben. Auch wenn MTA in § 4 Nr. 14 UStG a.F. nicht als Katalogberuf aufgeführt sind, ließe sich ein vergleichbares Ergebnis zur Rechtslage bis 2008 auch im vorliegenden Fall mit der zweifelsfreien Einordnung dieses Berufsstandes als ähnliche heilberufliche Tätigkeit rechtfertigen - vorausgesetzt, die Gewebezüchtungsleistungen wurden von MTA durchgeführt.

    4. Konsequenzen für die Praxis

    Seit der gesetzlichen Neustrukturierung bei den humanmedizinischen Steuerbefreiungen zum 1.1.09 greift diese BFH-Argumentation m.E. jedoch nicht mehr, da die Abgrenzung zwischen Heilberufler- und Einrichtungsleistungen (auch durch Auslagerung der bisherigen Katalogberufler ohne unmittelbaren Patientenkontakt, z.B. klinischer Chemiker) nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG seither konsequent an der EG-rechtlichen Differenzierung ausgerichtet ist. Demnach dürften entsprechende Laboratorien bzw. Gewebezüchtungseinrichtungen nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG nur noch unter Nachweis der dort aufgeführten sozialgesetzlichen Anbindungen begünstigt sein.

     

    Praxishinweis |

    Sollte der BFH seine Aussage zur Entbehrlichkeit von Patientenvertrauensverhältnis und besonderem Leistungsort bei Heilberuflerleistungen über den 31.12.08 hinaus verstanden wissen wollen, so hätte dies Bedeutung für alle durch Katalogberufler/ähnliche Heilberufler geführten Unternehmen, bei denen die Steuerbefreiung bislang im Hinblick auf den abweichenden Leistungsort oder den fehlenden unmittelbaren Patientenkontakt scheiterte oder zumindest fraglich war (vgl. z.B. zur Problematik des Konsiliararztes: Ketteler-Eising, PFB 11, 213; Wendland PFB 11, 126). Bis zur Klärung dieser Frage sollte daher in einschlägigen Fällen die Umsatzsteuerfestsetzung offengehalten werden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Umsatzsteuer: Zur Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen (Nieskoven, PFB 11, 30)
    • Umatzsteuerbefreiung: EuGH-Vorlage zur Gewebezüchtung (Nieskoven, 09, 231)
    Quelle: Ausgabe 11 / 2011 | Seite 302 | ID 29276700