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  • · Fachbeitrag · Unternehmensnachfolge

    Nachträglicher Betriebsausgabenabzug auch bei unentgeltlicher Übertragung

    von Prof. Dr. Stephan Peters, Haltern am See

    | Der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs steht dem Ansatz von nachträglichen Betriebsausgaben beim Betriebsübergeber nicht entgegen, wenn dieser den Betrieb unentgeltlich auf Familienangehörige übertragen hat, sofern die Aufwendungen noch nicht bilanziell erfolgswirksam erfasst wurden, die Zahlungen im Zusammenhang mit der früheren Betriebsführung stehen und der Betriebsübergeber weiterhin mangels Schuldübernahme (§§ 414, 415 BGB) zivilrechtlich Schuldner der Verbindlichkeit ist ( BFH 6.5.24, III R 7/22 ). |

    1. Sachverhalt

    Die Klägerin war Inhaberin eines Einzelunternehmens. Mit Wirkung zum 1.10.04 wurde das Einzelunternehmen „mit sämtlichen Aktiva und Passiva“ unentgeltlich auf den Vater der Klägerin übertragen. Sämtliche Arbeitsverhältnisse gingen ebenfalls über.

     

    Nach Übertragung des Betriebs auf den Vater wurde die Klägerin wegen nicht abgeführter Beiträge zur Urlaubskasse im Zeitraum ihrer Betriebsinhaberschaft durch verschiedene Urteile zur Beitragszahlung verurteilt. In den bis zur Übertragung des Unternehmens durch die Klägerin aufgestellten Bilanzen fanden die Beitragspflichten gegenüber der Urlaubskasse keine Berücksichtigung. Die Veranlagungen der Klägerin für die Jahre 2003 bis 2004 sind aus Sicht des FG bestandskräftig. Die Klägerin leistet in den Jahren 2014 bis 2016 Zahlungen an die Urlaubskasse i. H. v. insgesamt rund 28.000 EUR und erklärte in den Jahren jeweils negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

     

     

    Das FA erkannte die Verluste aus Gewerbebetrieb nicht an. Auch das FG lehnte das Begehren, die Zahlungen an die Urlaubskasse als nachträgliche Betriebsausgaben in den Jahren 2014 bis 2016 zu berücksichtigen, ab (FG Thüringen 23.11.21, 3 K 308/18). Die Klägerin verfolgte ihr Begehren nunmehr im Wege der Revision vor dem BFH.

    2. Entscheidungsgründe

    Mit Erfolg! Die Zahlungen sind bei der Klägerin als nachträgliche Betriebsausgaben anzuerkennen. Grundsätzlich gelte auch bei unentgeltlichen Betriebsübertragungen der Grundsatz des formellen Bilanzenzusammenhangs auch für den Rechtsnachfolger, weshalb unrichtige Bilanzansätze, die wegen der bestandskräftigen Veranlagung beim Rechtvorgänger nicht mehr erfasst werden können, in der Bilanz des Rechtsnachfolgers ergebniswirksam zu korrigieren sind. An diesen Grundsätzen hält der BFH fest und bestätigt die Einschätzung des FG, dass die Klägerin zumindest Verbindlichkeitsrückstellungen hätte passivieren müssen. Die Möglichkeit zur Nachholung der unterlassenen Passivierung in späteren Jahren entfiel infolge der Betriebsübertragung auf den Vater und den Wechsel der Gewinnermittlungsart.

     

    Eine Passivierung der Verbindlichkeiten durch den Betriebsübernehmer (Vater) war vorliegend nicht möglich, da die Klägerin zivilrechtlich weiter Schuldnerin der gegenüber der Urlaubskasse bestehenden Verbindlichkeiten war. Dass die Klägerin mit dem Vater im Rahmen der Vereinbarung vom 1.10.04 vereinbart hat, dass sämtliche Aktiva und Passiva auf den Vater übergehen, war unbeachtlich. Für eine Schuldübernahme der Verbindlichkeiten durch den Vater fehlte es an der erforderlichen Zustimmung der Urlaubskasse (§§ 414, 415 BGB). Schuldnerin der betrieblichen Beitragsverbindlichkeiten war damit auch nach Übertragung des Betriebs auf den Vater die Klägerin und zählten weiterhin zum „Restbetriebsvermögen“ der Klägerin. Anhaltspunkte, dass die Klägerin die Verbindlichkeiten aus der betrieblichen Sphäre herausgelöst hat, liegen nicht vor.

     

    Da an der betrieblichen Veranlassung (§ 4 Abs. 4 EStG) der Zahlungen keine Zweifel bestanden, waren die Zahlungen als nachträgliche Betriebsausgaben anzuerkennen und führen zu negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 24 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG). Die Ermittlung der negativen Einkünfte erfolgt im Anwendungsbereich von § 24 Nr. 2 EStG in sinngemäßer Anwendung von § 4 Abs. 3 EStG unter Geltung des Zu- und Abflussprinzips (§ 11 EStG).

    3. Relevanz für die Praxis

    Der BFH hat mit seiner Entscheidung seine bisherige Linie zur Annahme einer unentgeltlichen Betriebsübertragung bestätigt und darüber hinaus geklärt, unter welchen Voraussetzungen bei unentgeltlichem Betriebsübergang nachträgliche Betriebsausgaben angesetzt werden können.

     

    3.1 Unentgeltliche Übertragung

    Dass der Übernehmer auch Verbindlichkeiten übernimmt, führt isoliert noch nicht zu einer Entgeltlichkeit des Vorgangs (vgl. insoweit bisherige Rechtsprechung: BFH 5.7.90, GrS 4-6/89, BStBl II 90, 847). Bei einer Übertragung unter Familienangehörigen könne daher auch dann von einer Unentgeltlichkeit i. S. d. § 6 Abs. 3 EStG ausgegangen werden, wenn der Erwerber neben den Aktiva auch vorhandene Passiva (Betriebsschulden) übernimmt, auch wenn das Eigenkapital im Zeitpunkt der Übertragung negativ ist (BFH 24.8.72, VIII R 36/66, BStBl II 73, 111).

     

    Ausgangspunkt dieser besonderen Betrachtung des Übergangs bei enger verwandtschaftlicher Beziehung ist der Umstand, dass in diesen Fällen an den Nachweis einer entgeltlichen Vermögensübertragung besondere Anforderungen zu stellen sind. Erfolgt die Übernahme aus familiären Gründen, so liegt nach Ansicht des BFH ein außerbetrieblicher Vorgang vor, der den Gewinn nicht berühren darf (BFH 28.1.71, IV 127/64). Im Fall der Übertragung zwischen engen Verwandten bedarf es daher zur Annahme einer entgeltlichen Übertragung einer eindeutigen und klaren Vereinbarung, dass tatsächlich ein auf Leistung und Gegenleistung beruhendes Geschäft abgeschlossen wurde, sodass das Gesamtbild eines entgeltlichen Betriebserwerbers entsteht (BFH 23.4.71, I R 49/69). Diese Rechtsprechung hat der BFH mit seiner vorgenannten Entscheidung bestätigt, weshalb die Wertung als unentgeltliche Betriebsübergabe im vorliegenden Fall auch nicht zu beanstanden war.

     

    Abzugrenzen sind die Übertragungen zwischen Verwandten von der Übertragung außerhalb dieser Verwandtschaftskonstellationen. In diesem Fall führt die Übernahme eines negativen Kapitalkontos unter Freistellung des übertragenden Gesellschafters von dem Gesellschaftsverhältnis im Innenverhältnis regelmäßig zur Realisierung eines Gewinns (BFH 30.11.77, I R 27/75, BFHE 124, 56, BStBl II 78, 149).

     

    3.2 Nachträgliche Betriebsausgaben

    Zudem hat der BFH seine Grundsätze zum nachträglichen Betriebsausgabenabzug im Verhältnis zum formellen Bilanzenzusammenhang weiterentwickelt. Im Gegensatz zu entgeltlichen Übertragungsvorgängen scheidet eine rückwirkende Anpassung des Betriebsveräußerungs- oder Betriebsaufgabegewinns bei unentgeltlichen Übertragungsvorgängen aus. Insoweit ergibt sich somit ein Spannungsverhältnis zum formellen Bilanzenzusammenhang, insbesondere dann, wenn ‒ wie vorliegend ‒ eine Passivierung unterblieben ist. Wäre eine Passivierung erfolgt, hätte der spätere Abfluss lediglich eine erfolgsneutrale Vermögensumschichtung zur Folge gehabt und würde dem nachträglichen Betriebsausgabenabzug zutreffend entgegenstehen. Fehlt es aber an dieser Passivierung und ist Schuldner weiter der Betriebsübergeber, so entfaltet die unterbliebene Passivierung keine „Sperrwirkung“ und steht der Annahme von nachträglichen Betriebsausgaben mit der Folge negativer Einkünfte nicht entgegen.

     

    PRAXISTIPP | Der BFH führt seine bisherige Rechtsprechung zum Vorliegen einer unentgeltlichen Betriebsübertragung bei nahem Verwandtschaftsverhältnis fort und stellt klar, dass die Annahme nachträglicher Betriebsausgaben beim Betriebsübergeber nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil dieser es versäumt hat, bis zum Zeitpunkt der Betriebsübertragung eine entsprechende Passivierung vorzunehmen. Die unterlassene Passivierung kann demnach für die spätere Berücksichtigung als nachträgliche Betriebsausgabe nach unentgeltlicher Betriebsübertragung keine „Sperrwirkung“ entfalten. Aufgrund der unentgeltlichen Übertragung scheidet eine rückwirkende Änderung des Betriebsveräußerungs- oder Betriebsaufgabegewinns von vornherein aus.

     

    Zum Autor | Dieser Beitrag wurde vom Autor nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst, sondern gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wieder.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2024 | Seite 323 | ID 50139548