· Fachbeitrag · Gesundheitsfachberufe
Aktuelle Probleme aus Beratungssicht
von StB Michael Friebe, Nürnberg, www.friebe-partner.de und StB Jürgen Derlath, Münster
| In die Beratung von Gesundheitsfachberufen ist Bewegung gekommen. Mehrere sozial- und finanzgerichtliche Entscheidungen haben vor allem die Rahmenbedingungen für Physiotherapeuten entscheidend verändert. Der Beitrag geht aber auch auf (sektorale) Heilpraktiker, Osteopathen und Logopäden ein. |
1. Physiotherapeuten
„Selbstausbeuter an der Massagebank“ so titelte 2013 die Wochenzeitung Die Zeit und kommt damit zu einem deprimierenden Ergebnis für die über 36.000 Praxen. Wer heute eine Physiotherapeuten-Praxis erfolgreich betreiben will, muss sich über Folgendes im Klaren sein:
- Die reine GKV-Physiotherapie ist nicht rentabel.
- Das Dienstleistungsangebot könnte z.B. ambulante Reha und medizinisches Gerätetraining sowie um Wellness-Angebote erweitert werden.
- Fachliche Weiterentwicklung (z.B. Osteopathie) ist Grundvoraussetzung.
- Es herrscht ein harter Wettbewerb um lukrative Zuweiserstrukturen.
1.1 Umsatzsteuerbefreiung
Nach wie vor gilt der Grundsatz: Ohne Verordnung (durch Arzt oder Heilpraktiker) ist keine medizinische Therapie erlaubt. Und ohne Verordnung gibt es keine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG!
Für Leistungen aus der Tätigkeit von Gesundheitsfachberufen kommt die Steuerbefreiung grundsätzlich nur in Betracht, wenn sie aufgrund ärztlicher
Verordnung bzw. einer Verordnung eines Heilpraktikers oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werden (vgl. BFH 7.7.05, V R 23/04, BStBl II 05, 904). Behandlungen durch Angehörige von Gesundheitsfachberufen im Anschluss/Nachgang einer Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers sind grundsätzlich nicht als steuerfreie Heilbehandlung anzusehen, sofern für diese Anschlussbehandlungen keine neue Verordnung vorliegt (Abschn. 4.14.1 Abs. 4 S. 8 f. UStAE).
Der BFH (1.10.14, XI R 13/14, PFB online 4.2.15) hat das bestätigt und ein richtungsweisendes Urteil des FG Schleswig- Holstein (5.2.14, 4 K 75/12, PFB online 21.3.14) verworfen: Das FG hatte die Leistungen eines Podologen (medizinische Fußpflegebehandlung) auch ohne ärztliche Verordnung als umsatzsteuerfrei behandelt. Es handelte sich um präventive Maßnahmen im Anschluss an eine ärztlichen Heilbehandlung. Es lag daher kein Grenzbereich zwischen Heilbehandlung, Wellness und Prävention nach § 20 SGB V vor. Die Heilbehandlungen waren auch im Leistungskatalog der Krankenkassen aufgeführt.
Das FG führte aus, dass sich die Finanzverwaltung an den Gesetzeswortlaut des UStG und der MwStSystRL halten müsse. Denn auch der EuGH erwähnt nicht explizit die Notwendigkeit einer ärztlichen Verordnung. Der BFH verzichtet jedoch nicht auf dieses Abgrenzungsmerkmal. Er hält zwar auch andere Beweismittel für denkbar, führt diese aber nicht auf.
Entsprechendes gilt auch für physiotherapeutische Leistungen an eine als Verein organisierte Selbsthilfegruppe für Osteoporosekranke (OFD NRW 7.10.14, Kurzinfo USt 14/2014, PFB 14, 316) Die von Physiotherapeuten geleiteten Kurse sind nur dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn die physiotherapeutische Leistung insgesamt auf einer ärztlichen Verordnung beruht. Sie ist nur dann befreit, wenn die Selbsthilfegruppe ihre Leistungen nach Maßgabe des § 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IX i.V. mit der „Rahmenvereinbarung über den Reha-Sport und das Funktionstraining“ erfolgt (s.a. Abschn. 4.14.4 Abs. 9 S. 3 UStAE).
Wegen dieser Verordnungshoheit von Ärzten und Heilpraktiker fordern Vertreter der Physiotherapeuten seit Jahren den Direktzugang.
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Der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) und die Krankenkasse BIC direct gesund führen ein Modellvorhaben nach § 63 SGB V mit 40 Praxen in Westfalen-Lippe und Berlin durch. Dabei liegt die Verordnungshoheit weiterhin beim Arzt. Der Physiotherapeut bestimmt jedoch Dauer, Art und Frequenz der Therapie. Dabei unterliegt der Arzt nicht mehr der Regressgefahr.
Dieses Vorhaben entspricht dem 2013 verabschiedeten Koalitionsvertrag. Die CDU/CSU fordert 2015 in ihrem Positionspapier, dass die Blankoverordnung eingeführt werden soll und in einem nächsten Schritt der sogenannte Direktzugang geprüft wird. In Schweden, Norwegen, den Niederlanden und Australien gibt es den Direktzugang für die Physiotherapeuten schon länger. Dadurch wurde die Versorgung verbessert, Kosten konnten gesenkt werden. |
1.2 Sozialversicherungspflicht
Die Beschäftigung freier Mitarbeiter in physiotherapeutischen Praxen wurde
durch die jüngste Rechtsprechung de facto unmöglich gemacht. Das LSG Bayern (13.2.14, L 5 R 1180/13b BER, Sedlaczek, PFB 14, 177) prüfte erst gar nicht die üblichen Merkmale der Selbstständigkeit/abhängigen Beschäftigung auf der Ebene des Physiotherapeuten, sondern fand seine Begründung im Krankenversicherungsrecht (§ 124 SGB V), also auf Ebene der Praxis. Durch die §§ 124 ff. SGB V seien dem Leistungserbringer per Gesetz die Verantwortung für alle physiotherapeutischen Leistungen übertragen. Somit müsse er die Leistungen entweder selbst oder durch Mitarbeiter erbringen lassen, denen er gegenüber weisungsbefugt sei. Dieser Auffassung wird in der Literatur heftig widersprochen (z.B. Sedlazcek, PFB 14, 177).
PRAXISHINWEIS | Bis eventuell eine andere Entscheidung durch das BSG erfolgt, sollte für freie Mitarbeiter ein Statusfeststellungsverfahren gemäß § 7a SGB IV durchgeführt werden. |
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Kriterien, die zwingend zu einer abhängigen Beschäftigung führen:
Kriterien, die eine freiberufliche Tätigkeit indizieren:
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Eine gewisse Lockerung der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung deutet sich vielleicht durch ein Urteil des SG Braunschweig (25.7.14, S 64 KR 412/13, Christmann, PFB 15, 65) an. Es erging allerdings zur Tätigkeit von Honorarärzten: Maßgeblich für die Sozialversicherungspflicht sind demnach die vertragliche Ausgestaltung und der Wille der Vertragsparteien, tatsächliche Freiheiten des Honorararztes bei der Gestaltung seiner Dienste, das Auftreten des Honorararztes gegenüber Sozialversicherung und Finanzamt sowie die Tatsache, dass Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung nicht eindeutig überwiegen. Andere, sonst im Rahmen der Abgrenzung zwischen freier und abhängiger Beschäftigung maßgebliche Abgrenzungskriterien sind im Fall der honorarärztlichen Tätigkeit nicht eindeutig und damit im Ergebnis irrelevant.
Entscheidend für die Einstufung des Honorararztes als Selbstständiger war für das SG Braunschweig die Tatsache, dass kein Weisungs- und Direktionsrecht des Krankenhauses bestand. Es wurde explizit ein Honorarvertrag abgeschlossen und auch gelebt. Berufs- und zulassungsrechtliche Normen spielen bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung keine Rolle.
PRAXISHINWEIS | Natürlich ersetzt das Urteil des SG Braunschweig nicht die Notwendigkeit der Statusfeststellung vor Aufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit in einer Klinik. |
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Das SG hat folgende Kriterien zur Feststellung der Sozialversicherungspflicht festgelegt:
Als ambivalente (!) Abgrenzungskriterien wurden z.B. eingestuft:
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2. Heilpraktiker (sektoral)
Neben (Zahn-)Ärzten und Psychotherapeuten dürfen lediglich Heilpraktiker als Angehörige der Heilberufe eigenverantwortlich körperliche oder seelische Leiden behandeln. Das gilt auch für die auf das Gebiet der Physiotherapie beschränkten Heilpraktiker (vgl. BVerwG 26.8.09, 3 C 19.08, BVerwGE 134, S. 345; Abschn. 4.14.1 Abs. 4 S. 6 UStAE, s.a. Ketteler-Eising, PFB 12, 233). Daher kann eine begünstigte Verordnung für Leistungen der Gesundheitsfachberufe durch Arzt wie durch Heilpraktiker ausgestellt werden. Die begünstigte Verordnung ist bei Heilpraktikern immer ein „Privatrezept“. Dies gilt wohl auch für „sektorale Heilpraktiker “ beschränkt auf deren sektorale Heilpraktikererlaubnis (OFD Magdeburg 28.3.12, S 7170-2-St 245; FG Berlin-Brandenburg 29.10.13, 2 K 2055/11).
Der sektorale Heilpraktiker ist befähigt, autonom zu therapieren, aber nicht als Osteopath tätig zu werden (LG Düsseldorf 8.9.15, I-20 U 236/13, PFB Nachricht vom 25.11.15). Aber: Die Zulassungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt.
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Den sektoralen Heilpraktiker „Physiotherapie“ gibt es schon seit 2009. Dazu muss eine 50- bis 60-stündige Weiterbildung und eine dementsprechende Prüfung beim Gesundheitsamt abgelegt werden. Dadurch können Physiotherapeuten heute schon autonom therapieren. Alle Leistungen sind jedoch Selbstzahlerleistungen und werden daher nicht von der GKV übernommen. Der Heilpraktiker gründet seine Therapieansätze aus der Tradition der Naturheilkunde, die in Diagnostik und Therapie immer ganzheitlich waren. Das Berufsbild ist in der Berufsordnung für Heilpraktiker (BOH) festgelegt. Der Heilpraktiker rechnet nach dem Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker ab. Es handelt sich dabei um Durchschnittswerte aus dem Jahre 1983, die seit dem unverändert geblieben sind. |
3. Osteopathen
Ob Physiotherapeuten osteopathische Leistungen erbringen dürfen, ist gegenwärtig heftig umstritten. Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf (8.9.15, I-20 U 236/13, PFB online 25.11.15) reicht die Erlaubnis zur Ausübung der Physiotherapie gemäß § 1 Abs. 2 MPhG nicht, ebenso wenig wie eine rein privatrechtlich organisierte Ausbildung zum Ostheopaten. Selbst die Ausübung im Delegationsverfahren ist untersagt.
3.1 Osteopathieverbot für Physiotherapeuten
Hintergrund dieser Entscheidung: Für die Ausbildung von Osteopathen fehlt in Deutschland eine gesetzliche Normierung. Demzufolge darf sich nahezu jeder Osteopath nennen. Mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen erstatten jedoch heute schon Kosten für Osteopathie-Behandlungen. Zur Qualitätssicherung erstatten die Krankenkassen nur dann die Kosten, wenn der nicht ärztliche Osteopath eine entsprechende Ausbildung hat (1.350 Ausbildungseinheiten) und Mitglied in einem Osteopathie-Verband ist.
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Die Osteopathie gehört zur Manuellen Medizin und wird bei Erkrankungen des muskulo-skelettalen Systems angewendet. Besonders lukrativ ist die Behandlung von Säuglingen und Kleinkindern.
Nur in Großbritannien ist das Berufsbild vollständig anerkannt und formal rechtlich geregelt. Das Studium (Abschluss Bachelor) dauert zwischen vier und fünf Jahren. In Belgien wurde 1999 ein Rahmengesetz erlassen, das bisher aber noch nicht umgesetzt wurde. Gleiches gilt für Frankreich (2001). |
3.2 Umsatzsteuerliche Einordnung
Abschn. 4.14.4 Abs. 12a UStAE regelt, dass medizinisch indizierte osteopathische Leistungen Heilbehandlungen i.S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind, wenn sie von einem Arzt oder Heilpraktiker mit einer entsprechenden Zusatzausbildung erbracht werden. Auch Physiotherapeuten, Masseure bzw. medizinische Bademeister mit entsprechender Zusatzausbildung können umsatzsteuerfreie osteopathische Leistungen erbringen, sofern eine ärztliche Verordnung bzw. eine Verordnung eines Heilpraktikers vorliegt. Osteopathen erbringen danach umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.
Gleiches gilt, wenn der Osteopath Heilpraktiker ist, da er selber verordnen kann. Problematisch wird es, wenn der Osteopath (mit Heilpraktikerausbildung) weitere Osteopathen (ohne Heilpraktiker-Ausbildung) beschäftigt. Diese können nur dann eine umsatzsteuerfreie Leistung erbringen, wenn eine Verordnung durch den Inhaber (Heilpraktiker) vorliegt.
Das setzt aber wiederum voraus, dass der Inhaber jeden (!) Patienten vor der ersten Behandlung persönlich untersucht hat und eine Verordnung ausstellt (Dokumentation!). In der praktischen Umsetzung ist dann noch zu klären, wie weit die Verordnung sich erstreckt.
PRAXISHINWEIS | Osteopathische Behandlungen erfolgen oftmals situativ. Das bedeutet, dass der Behandlungsprozess sich von Behandlung zu Behandlung ändern kann. Die Frage stellt sich deshalb, wie exakt muss die Verordnung des Heilpraktikers definiert sein und welche Veränderungen darf der angestellte Osteopath vornehmen? Detaillierte Antworten gibt es heute noch nicht dazu. Es ist deshalb dringend anzuraten, dass neben einer strukturierten Dokumentation insbesondere eine exakte Verordnung vorliegt. |
4. Logopäden
Logopäden sind ebenfalls auf Verordnungen der Ärzte angewiesen, damit der GKV-Patient diese Sachleistung von den Kassen erhält. Darüber hinaus ist auch die Verordnung notwendig, damit eine steuerfreie Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG vorliegt. Selbstverständlich erfüllen nur Therapien zur Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen diese Voraussetzungen. Eine reine Sprachförderung ist keine medizinische Leistung, obwohl sie gerade von Eltern oft nachgefragt wird.
Während Kinderärzte und Neurologen regelmäßig logopädische Therapien verschreiben, besteht gerade bei Hausärzten eine hohe Unsicherheit, wie diese Leistungen Heilmittel-Richtlinien konform verschrieben werden können.
PRAXISHINWEIS | Die AOK bietet jetzt Praxisteams ein Online-Lernprogramm (www.aok-gesundheitspartner.de) an. Darin werden die wichtigsten Regeln vermittelt und eine Anleitung zur strukturierten Vorgehensweise vorgegeben. Somit kann der Arzt regresssicher verordnen und dem Logopäden sinnvolle Arbeitsgrundlagen ermöglichen. |
Weiterführende Hinweise
- Osteopathie-Verbot für Physiotherapeuten (Sasse, zuletzt zugegriffen 23.11.15)
- Umsatzsteuer - Neue Spielregeln für Physiotherapeuten (Meurer, PFB 15, 137)
- Umsatzsteuerbefreiung - Physiotherapeutische Leistungen an eine als Verein organisierte Selbsthilfegruppe für Osteoporosekranke (PFB 14, 316)
- Umsatzsteuerbefreiung - Benötigen Heilmittelerbringer immer zwingend eine ärztliche Verordnung? (Hanke, PFB 14, 286)
- Sozialversicherungsrecht - Keine freien Mitarbeiter in Physiotherapiepraxen? (Sedlaczek, PFB 14, 177)
- Podologen - Selbstindizierte Behandlungen sind nicht umsatzsteuerfrei (Leonard, PFB 15, 155)
- Umsatzsteuerbefreiung - Nachweis des medizinisch-therapeutischen Ziels bei Fußpflegeleistungen von Podologen (PFB Nachricht vom 4.2.15)
- Umsatzsteuerbefreiung - Podologische Behandlung ist auch ohne ärztliche Individualverordnung umsatzsteuerfrei (Nieskoven, PFB 14, 144)
- Umsatzsteuer - Steuerbefreiung für podologische Leistungen auch ohne ärztliche Verordnung (PFB Nachricht vom 21.3.14)
- Umsatzsteuer - Umsatzsteuerpflicht der Leistungen von Physiotherapeuten und ähnlichen Gesundheitsfachberufen (Ketteler-Eising, PFB 12, 233)