· Fachbeitrag · Unionsrecht
Rechtssache National Grid Indus BV - Wohin führt der Weg der Entstrickungsbesteuerung?
von StB Prof Dr. Wolfgang Kessler, Dipl.-Kfm. Moritz Philipp, RA Dr. Rolf Eicke, alle Freiburg i.Br.
| Mit seinem aktuellen Urteil in der Rs. National Grid Indus BV hat sich der EuGH erstmals - anlässlich des Wegzugs einer Kapitalgesellschaft - zur Europarechtskonformität der Entstrickungsbesteuerung im betrieblichen Bereich geäußert ( EuGH 29.11.11, C-371/10, DStR 11, 2334 , Abruf-Nr. 120450 ). Im Ergebnis steht das Unionsrecht grundsätzlich der Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse im Vermögen einer Gesellschaft nicht entgegen, wenn diese ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Eine sofortige Einziehung der Steuer widerspricht jedoch dem Art. 49 AEUV. |
1. Zweifelsfragen zur Sofortbesteuerung stiller Reserven im deutschen Steuerrecht
Die durch das SEStEG vom 7.12.06 geschaffenen und mittels Einführung eines Regelbeispiels (JStG 2010) ergänzten Entstrickungsregelungen der §§ 4 Abs. 1 S. 3 f. EStG, 12 Abs. 1 KStG werfen zahlreiche Zweifels- und Auslegungsfragen auf, die in der Praxis zu erheblicher Rechtsunsicherheit und im Schrifttum zu intensiven Diskussionen führen. Gleiches gilt für die ebenfalls mit dem SEStEG eingeführten Entstrickungsnormen des UmwStG - vgl. etwa nur § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UmwStG - sowie den durch das JStG 2010 geschaffenen § 16 Abs. 3a EStG. Umstritten ist nicht zuletzt die Europarechtskonformität der Sofortbesteuerung stiller Reserven bei unterstellter Einschlägigkeit einer Entstrickungsnorm.
Insoweit hat das FG Rheinland-Pfalz ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer unmittelbaren Steuererhebung als Folge der Tatbestandsverwirklichung des § 12 Abs. 1 KStG durch die Sitzverlegung einer SE (vgl. Art. 8 SE-VO) von Deutschland nach Österreich geäußert (FG Rheinland-Pfalz 7.1.11, 1 V 1217/10, EFG 11, 1096; hierzu Kessler/Philipp, DStR 11, 1888). Vor dem Hintergrund eines möglichen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit gewährte jüngst auch das FG Köln im Hinblick auf die verwaltungsseitig vorgenommene gewinnwirksame Auflösung eines zehn Jahre zuvor bei Überführung von Aktien in eine belgische Betriebsstätte gebildeten passiven Ausgleichspostens Aussetzung der Vollziehung (FG Köln 16.11.11, 10 V 2336/11).
Nach alledem werden die deutschen Entstrickungsregelungen jedenfalls hinsichtlich der unmittelbaren Steuerfestsetzung im (vermeintlichen) Entstrickungszeitpunkt als europarechtskonform anzusehen sein. Ob aus dem Urteil hingegen eine aus Primärrecht folgende Pflicht des Zuzugsstaats zur Verkehrswert-Verstrickung (step-up) von Wirtschaftsgütern abgeleitet werden kann - was durchaus wünschenswert und aus den genannten Gründen steuersystematisch zwingend ist - scheint u.E. fraglich. Schließlich betont der Gerichtshof, dass kein primärrechtlich garantierter Anspruch auf eine steuerneutrale grenzüberschreitende Sitzverlegung besteht.Möchten Sie diesen Fachbeitrag lesen?
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