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13.07.2012 · IWW-Abrufnummer 168866

Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 30.01.2012 – 7 Sa 917/11

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor: Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 15. April 2011 - 16 Ca 7678/10 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der Beklagte betreibt mit fünf Arbeitnehmern, darunter seiner Ehefrau, eine Zahnarztpraxis, in der die Klägerin seit dem 01. August 2008 als Zahnarzthelferin gegen Zahlung einer monatlichen Bruttovergütung von 1.890,00 EUR bei einer Arbeitszeit von wöchentlich 30 Stunden beschäftigt war. Die Klägerin, die häufig schon morgens vor dem Eintreffen des Beklagten und seiner Ehefrau in der Praxis anwesend war und erste Patientenanrufe entgegennahm, führte dort am 02. November 2010 ein Gespräch mit Herrn A, der im selben Haus eine Leasingagentur betreibt, über die der Beklagte im Wesentlichen sein Praxisinventar und seinen PKW finanziert. Dieses Gespräch, dessen Inhalt zum großen Teil streitig ist, hörten der Beklagte und seine Ehefrau aus ungeklärten Gründen mit, als sie auf der Fahrt in die Praxis vom Auto aus dort anzurufen versuchten. Wegen des Inhalts dieses Gesprächs kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin noch am selben Tag mündlich fristlos, die schriftliche Kündigung ohne Datum (Bl. 11 d.A.) ging der Klägerin am 6. November 2010 zu. Mit ihrer am 10. November 2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wehrt sich die Klägerin hiergegen. Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl 64 - 67 d.A.) verwiesen. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten nicht fristlos aufgelöst worden ist, sondern bis zum 31. Dezember 2010 fortbestand und dies damit begründet, dass das bewusste Verbreiten wahrheitswidriger Behauptungen, Beleidigungen und grob unsachliche Angriffe zwar einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen könne. Die Klägerin habe jedoch darauf vertrauen können, dass die Vertraulichkeit des Gespräches mit Herrn A, mit dem sie gut befreundet sei, gewahrt bliebe. Da die Klägerin als Arbeitnehmerin eines Kleinbetriebs keinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz genießt, hat das Arbeitsgericht die Kündigung in eine ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 2010 umgedeutet und die Klage deshalb im Übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil vom 15. April 2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung des Beklagten. Der Beklagte äußert die Auffassung, das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft für alle von ihm unter Beweis gestellten Äußerungen der Klägerin unterstellt, dass es sich hierbei entweder um Werturteile handele oder um Tatsachenbehauptungen, die wahr sind und hierdurch vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG als Meinungsäußerung erfasst sind. Dies sei zumindest für einen Teil der Äußerungen falsch. Weiterhin könne angesichts der Stellung des Herrn A durchaus geschlossen werden, dass die Klägerin ihn absichtlich schädigen wollte. Außerdem habe das Arbeitsgericht rechtsfehlerhaft ein Vertrauensverhältnis angenommen, das eine "beleidigungsfreie Sphäre" begründen solle. Ob hier ein Vertrauensverhältnis der besonderen Art zwischen der Klägerin und Herrn A vorliege, wie es das Bundesverfassungsgericht in der vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung verlange, habe das Arbeitsgericht nicht weiter geprüft, weil es dies auf Grund der Behauptung der Klägerin, sie sei mit Herrn A gut befreundet, habe schon private Aktivitäten mit ihm unternommen und regelmäßig Gespräche geführt, unterstellt hat. Diese Behauptung der Klägerin habe er aber erstinstanzlich nur deshalb nicht bestritten, weil er sie für unsubstantiiert gehalten habe. Der Beklagte bestreitet nunmehr ein solches Näheverhältnis und äußert die Auffassung, die Behauptung lasse keinen Rückschluss auf die Häufigkeit oder die Natur der Aktivitäten zu. Jedenfalls habe das Arbeitsgericht darüber Beweis erheben müssen. Die Klägerin habe auch mit einer Weitergabe ihrer Äußerungen an Dritte rechnen müssen. Zumindest habe sie billigend in Kauf genommen, dass Herr A sich weiteren Personen anvertraut. Schließlich habe das Arbeitsgericht die ausdrücklich vertraglich übernommene und durch das Gespräch verletzte Schweigepflicht der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Der Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des am 15. April 2011 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main (Az. 16 Ca 7678/10) insgesamt abzuweisen. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 20. Juli 2011 (Bl. 92 - 113 d.A.) und die Berufungsbeantwortung vom 17. Oktober 2011 (Bl. 122 - 124 d.A.) verwiesen. Entscheidungsgründe: I. Die nach der Art des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten ist zulässig. II. Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, soweit sie sich gegen die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses richtete. Nur diese ist zwischen den Parteien noch im Streit. Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgender Ergänzung: Die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dem das Berufungsgericht folgt, in zwei aufeinander folgenden Schritten durchzuführen. Danach ist zunächst zu prüfen, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung an sich vorliegt. Sodann ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, ob unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar war. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so erweist sich die vom Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung selbst dann als unwirksam, wenn man entsprechend dem Vortrag des Beklagten ein ausreichend enges Vertrauensverhältnis zwischen der Klägerin und Herrn A verneinte. Denn dann läge zwar im Verhalten der Klägerin ein wichtiger Grund vor, der an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu begründen. Dennoch konnte auf eine Beweisaufnahme über den zum großen Teil streitigen Inhalt des morgendlichen Gesprächs unterbleiben. Denn im Rahmen der auf der zweiten Stufe gebotenen umfassenden Interessenabwägung war dem Beklagten die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, d.h. bis zum 31. Dezember 2010 zuzumuten. Für das Interesse des Beklagten an einer sofortigen Beendigung spricht dabei die erhebliche Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die Äußerungen der Klägerin, wenn man seine Behauptungen als wahr unterstellt. Ohne dass hier auf die Einzelheiten eingegangen werden muss, kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die behaupteten Aussagen über die wirtschaftliche Situation des Beklagten als auch die über das Privatleben der Eheleute diese in einer Intensität trafen, die weit über die Ebene von "Klatsch und Tratsch" hinausging, die zwar unangenehm, aber als leider nicht vermeidbar angesehen werden muss. Hinzu kommt der Umstand, dass die Äußerungen der Klägerin, falls sie so gefallen sind, wie der Beklagte behauptet hat, zumindest zum Teil als Weitergabe von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen i.S.d. § 9 des Arbeitsvertrags angesehen werden können, über die die Klägerin sich ausdrücklich zum Stillschweigen gegenüber jedermann vertraglich verpflichtet hat. Demgegenüber überwiegen jedoch die Interessen der Klägerin am Fortbestand eines immerhin seit fast 2 1/2 Jahren offensichtlich unbelastet bestehenden Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ende der Kündigungsfrist, die hier nicht erheblich ins Gewicht fiel, da die Klägerin ohnehin noch Urlaubsansprüche gegenüber dem Beklagten hatte. Insofern ist der Klägerin außerdem zugute zu halten, dass sie nicht damit zu rechnen brauchte, dass ihr Gespräch mit Herrn A mitgehört würde, denn auch in zweiter Instanz blieb völlig unklar, wie es zu dieser Übertragung in den PKW des Beklagten kam. Ergebnis dieser Abwägung ist schließlich, dass es dem Beklagten - möglicherweise auch unter Freistellung der Klägerin während des nicht durch Urlaubsansprüche abgedeckten Zeitraums - zuzumuten war, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin noch bis zum Jahresende aufrecht zu erhalten. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 622